Protocol of the Session on November 11, 2020

Punkt 15 der Tagesordnung:

Landesgesetz zur Änderung des Landeswahlgesetzes und des Kommunalwahlgesetzes Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/13562 – Erste Beratung

Die Grundredezeit beträgt 3 Minuten.

Für die Koalitionsfraktionen spricht der Abgeordnete Haller.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrter Herr Präsident! Die Möglichkeit, zu wählen und gewählt zu werden, ist eine ganz massive Säule unserer Demokratie. Deswegen bin ich sehr froh, dass wir heute gemeinsam mit der CDU als Koalitionsfraktionen eine Änderung des Landeswahlgesetzes auf den Weg bringen können.

Wir schaffen heute die gesetzliche Grundlage dafür, dass die Stimmberechtigten in einer regionalen Notsituation, wie sie zum Beispiel durch lokale Ausbrüche des Coronavirus entstehen können, ihr Stimmrecht im Wege der ausschließlichen Briefwahl ausüben können. Dabei – das ist mir ganz wichtig zu betonen – schaffen wir hohe Hürden; denn nach den verfassungsrechtlichen Prinzipien ist die Stimmabgabe im Wahllokal, die Präsenzwahl, der Regelfall.

Die Durchführung einer ausschließlichen Briefwahl wird verfassungsrechtlich nur dann als zulässig angesehen, wenn es sich a) um eine Ausnahmesituation handelt und b) die gesetzlichen Regelungen hierfür eng gefasst sind. Diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben tragen wir mit dem Gesetz Rechnung.

Erstens: Wenn in einzelnen Regionen des Landes absehbar ist, dass für den Wahltag mit erheblichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens sowie gesundheitlichen Gefahren bei der Urnenwahl zu rechnen ist, kann der Landeswahlleiter in diesen Bezirken die ausschließliche Briefwahl anordnen. Diese Anordnung muss wiederum in Abstimmung mit dem zuständigen Ministerium und auf Antrag der Kreiswahlleitung erfolgen. Sie ist frühestens 45 Tage vor dem Wahltag möglich. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit wird sichergestellt, dass die Stimmberechtigten ihr Wahlrecht in diesen Gebieten überhaupt ausüben können.

Zweitens: Um die Durchführung der Wahl in dieser Situation als ausschließliche Briefwahl rechtssicher und prakti

kabel zu gestalten, wird die Landesregierung mit diesem Gesetzentwurf überdies ermächtigt, eine entsprechende Verordnung zu erlassen, damit die maßgeblichen wahlrechtlichen Bestimmungen angepasst werden können. So soll zum Beispiel stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürgern im Falle einer ausschließlichen Briefwahl automatisch und von Amts wegen die Wahlbeteiligung per Briefwahl ermöglicht werden. Bisher ist das nur auf Antrag möglich.

Uns ist es ebenfalls sehr wichtig, die Ausgangslage der sogenannten nicht privilegierten Wahlvorschlagsträger den Gegebenheiten in einer Pandemie mit ihren Kontaktbeschränkungen aufgrund der gesundheitlichen Sicherheit anzupassen. Deswegen nimmt der vorliegende Gesetzentwurf aktuell gebotene Erleichterungen vor, indem die Zahl der Unterstützungsunterschriften angemessen reduziert wird.

Abschließend will ich noch darauf hinweisen, dass das Inkrafttreten des Gesetzes im Dezember erforderlich ist, damit die gesetzlichen Mechanismen entsprechend bekannt sind und die erforderlichen Vorbereitungen getroffen werden können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei SPD, CDU, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gibt es für die CDU-Fraktion eine Wortmeldung? – Herr Lammert, bitte.

Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Coronavirus hat uns in den letzten Monaten vor viele Herausforderungen gestellt und uns vor allem an wichtige und grundlegende demokratische Werte erinnert. Wie wichtig demokratische Wahlen und besonders auch die Möglichkeit der Briefwahl sind, haben wir anhand der Präsidentschaftswahlen in den USA jüngst sehen können.

(Vizepräsidentin Astrid Schmitt übernimmt den Vorsitz)

Der vorliegende fraktionsübergreifende Gesetzentwurf, den der Kollege Martin Haller schon ausführlich vorgestellt hat, wurde vor diesem Hintergrund eingereicht; denn er befasst sich mit unseren demokratischen Werten, vor allem dem Recht, gewählt zu werden und wählen zu dürfen.

(Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU: Abgewählt! – Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD)

Wir in Rheinland-Pfalz haben leider noch nicht die rechtliche Möglichkeit gehabt, im Rahmen einer Pandemie regionale oder flächendeckende Briefwahlen bei Landes- oder Kommunalwahlen durchzuführen. Das soll sich mit diesem Gesetzentwurf ändern. Daher wollen wir das Landeswahl

und Kommunalwahlgesetz ändern, sodass auf Antrag gegebenenfalls einzelne Regionen in Rheinland-Pfalz den Urnengang durch die Briefwahl ersetzen dürfen, wenn es denn die pandemische Lage zulässt.

Diese Änderung ist durch die Corona-Pandemie und die zur Bekämpfung der Krise erlassenen Maßnahmen notwendig geworden. Es ist sinnvoll, diese Gesetzesänderung durchzuführen, da wir so einerseits besser auf die Gefahrenlage reagieren können und sich andererseits unsere Bürgerinnen und Bürger nicht eventuell zwischen dem Gesundheitsschutz und dem Recht zu wählen entscheiden müssen.

Weiterhin ermöglicht der Gesetzentwurf zum Landeswahlgesetz in Pandemiezeiten die Chancengleichheit für kleine Parteien, nicht privilegierte Listen, die praktisch jetzt noch nicht im Landtag vertreten sind. Aufgrund der vorherrschenden Kontaktbeschränkungen zum Gesundheitsschutz kann gerade die Sammlung von sogenannten Unterstützungsunterschriften durchaus schon erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Gerade durch die Pandemie mit Kontaktbeschränkungen ist das besonders erschwert.

Deswegen befürworten wir auch eine Absenkung der Unterschriftenanzahl für Wahlkreisvorschläge, aber auch für Landeslisten oder Bezirkslisten. Das ist sinnvoll. Dann besteht die Möglichkeit, dass man eine deutliche Erleichterung des Wahlgangs im Sinne des Gesundheitsschutzes schafft.

Es ist auch ein positives Zeichen für unsere Demokratie in diesen schwierigen Zeiten, dass wir eben durchaus eine Beteiligung für Wählergruppen oder gerade Parteien, die noch nicht im Parlament dabei sein können, haben. Sie haben dann die Möglichkeit, nicht so viele Unterstützungsunterschriften sammeln zu müssen und zumindest auf Antrag auf die Wahllisten zu kommen.

Die CDU-Landtagsfraktion ist bei diesen fraktionsübergreifenden Gesetzesänderungen mit dabei. Wir werden diese Gesetzesänderung unterstützen und bitten um Zustimmung.

Danke schön.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die AfD-Fraktion spricht Abgeordneter Dr. Bollinger.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die regierungstragenden Fraktionen möchten das Landeswahlgesetz ändern und die Rechtsgrundlagen dafür schaffen, dass die Landtagswahl in einzelnen Wahlkreisen oder Stimmbezirken mit besonders hohen COVID-19Infektionszahlen verpflichtend als Briefwahl organisiert werden kann.

Im Gegensatz zu ihren Kollegen in Baden-Württemberg, die einen derartigen Vorstoß verhindert haben, hat sich die CDU diesem Vorhaben leider angeschlossen. Wir als AfD widersprechen diesem Ansinnen mit aller Entschiedenheit,

(Abg. Martin Haller, SPD: Ja, macht das!)

zunächst weil aus unserer Sicht verfassungsrechtliche Bedenken, die Sie ernst nehmen sollten, gegen eine ausschließliche Briefwahl sprechen. So hat Bundeswahlleiter Georg Thiel den Trend zur verstärkten Briefwahl bereits im vergangenen Sommer kritisiert und darauf hingewiesen, dass die Verfassung und die darauf beruhenden Gesetze die Stimmabgabe an der Urne am Wahlsonntag als Grundsatz vorsehen. Eine ausschließliche Briefwahl würde demnach gegen die grundrechtlich verankerten Grundsätze der geheimen, gleichen und öffentlichen Wahl verstoßen. Außerdem sei bei Briefwahlunterlagen eine höhere Manipulationsgefahr gegeben.

(Zuruf des Abg. Martin Brandl, CDU – Unruhe im Hause)

Laut einer heutigen dpa-Meldung hat Herr Thiel diese Position nun bekräftigt und sich auch unter CoronaBedingungen gegen eine reine Briefwahl und für die Urnenwahl als Regelfall ausgesprochen. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten: „Von einer reinen Briefwahl halte ich wenig. (...) Die Briefwahl ist ein akzeptierter zweiter Weg, bei dem aber immer ein Restrisiko bleibt.“

(Beifall der AfD – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Stop the counting!)

Kommt der Stimmzettel auch wirklich an? Hat der Wähler, hat die Wählerin auch selbst gewählt? Beunruhigend finden wir auch den Passus im Gesetzentwurf, mit dem der Landesregierung eine Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden soll, die in Rede stehenden Wahlrechtsänderungen per Rechtsverordnung im Falle einer Naturkatastrophe oder einer anderen außergewöhnlichen Notsituation zu ermöglichen. Ja, wer oder was definiert denn künftig solche außergewöhnlichen Notsituationen?

Meine Damen und Herren, hier wird ein Gummiparagraf geschaffen, der keine Gerichtsfestigkeit schafft, sondern Rechtsunsicherheit und Interpretationsmöglichkeiten Raum lässt, womit wir beim zweiten Punkt wären. Die Corona-Krise hat bisher zu keinem Zeitpunkt eine Rechtfertigung für die bislang erfolgten drastischen Grundrechtsangriffe geboten und wird es wohl auch in Zukunft nicht tun.

(Beifall der AfD)

Unser Landeswahlleiter Marcel Hürter hat ein überzeugendes Sicherheits- und Hygienekonzept vorgelegt, wie der Infektionsschutz bei einer Stimmabgabe im Wahllokal gewährleistet werden kann. Wir sind der festen Überzeugung, dass eine öffentliche Landtagswahl im kommenden März flächendeckend durchführbar ist, wenn man sich frühzei

tig um die richtige Vorbereitung kümmert und wenn man es will. Genau an diesem Willen lassen Landesregierung, Regierungsfraktionen und die CDU jedoch Zweifel aufkommen. Ihre politischen Maßnahmen zielen eher darauf ab, Ihre überzogenen Grundrechtseingriffe in gerichtsfeste Gesetze zu verpacken, als die Demokratie zu stärken.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren, das Wahlrecht in einer geheimen, gleichen und öffentlichen Wahl ist das vornehmste Bürgerrecht in einer Demokratie. Wir werden Ihr Spiel nicht mitspielen und Demokratie, Verfassung und Rechtsstaat gegen solche Vorhaben verteidigen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Keiner will mit Ihnen spielen!)

Ihren Gesetzentwurf lehnen wir daher ab.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Dem Präsidium liegen zwei Kurzinterventionen vor, einmal vom Kollegen Haller und zum anderen vom Kollegen Brandl. Das Wort hat der Kollege Haller.

Herr Kollege Dr. Bollinger, ich habe mich jetzt noch einmal zu Wort gemeldet, weil es mich schon bei Ihrer Pressemitteilung kolossal gestört hat, und Sie haben es jetzt wieder gemacht: Sie machen den Mini-Trump. Was wir zu keiner Sekunde in diesem Hohen Hause dulden können, ist, dass Sie Manipulation bei der Briefwahl in irgendeinem Kontext erwähnen. Das kann an keiner Stelle so akzeptiert werden.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie werden sich gleich wieder hier vorne hinstellen und sagen, ja, so haben wir es ja nicht gesagt, ich habe nur zitiert. In Ihrer Pressemitteilung steht es genau so, dass die Briefwahl für Manipulationen anfälliger wäre.