Protocol of the Session on September 17, 2020

Offene Gesellschaften zeichnen sich durch die Fähigkeit und die Bereitschaft zu gewaltloser Veränderung aus. Das setzt faktenbasierte Meinungs- und Diskussionsfreiheit, die Anerkennung der Kraft des besseren Arguments und

die Bereitschaft voraus, den eigenen Standpunkt infrage zu stellen. In offenen Gesellschaften gibt es keine Dogmen. Geltende Regeln und politische Entscheidungen bilden sich im gewaltfreien demokratischen Diskurs.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wenn man das heute liest, wird einem die Aktualität schlagartig klar. Bundespräsident Steinmeier hat es am Dienstag, also vorgestern, bei der Eröffnung des Neubaus der Gedenkstätte Gardelegen so ausgedrückt – ich zitiere –: „Wir leben in einer Zeit, in der unsere Demokratie, in der unser Rechtsstaat [angefochten wird]; in der autoritäres [und] völkisches Denken neue Verführungskraft entfaltet; in der [Verschwörungstheorien] gedeihen; in der die Taten von Hanau und Halle, in der die NSU-Morde und andere rechtsterroristische Anschläge möglich waren.“

In der Tat leben wir in einer Zeit, in der die Grundlagen der offenen Gesellschaft grundsätzlich infrage gestellt werden, in der Demokratie und Rechtsstaat, seine Institutionen und Repräsentanten offen angegriffen werden, in der ein antiparlamentarischer Mob versucht, in den Reichstag einzudringen

(Staatsminister Roger Lewentz: Richtig!)

und in der die Corona-Krise von Extremisten unter Inanspruchnahme demokratischer Rechte missbraucht wird, um eben diese Rechte zu bekämpfen.

Klar ist: Kontroverse gesellschaftliche Diskussionen sind das Herzstück einer jeden offenen und demokratischen Gesellschaft.

(Beifall der CDU und der Abg. Daniel Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und Helga Lerch, fraktionslos)

Sie sind aber keineswegs Selbstzweck. Sie tragen nur dann zur Problemlösung bei, wenn sie sich nicht im bloßen Streit um Begriffe erschöpfen und darin stecken bleiben. Ihr Zweck ist es, am Ende Meinungsbildung, Entscheidungsfindung und überlegtes Handeln zu ermöglichen, statt zu blockieren.

Aber genau diese Selbstblockade erleben wir gegenwärtig in vielen Diskussionen. Einzelne Gruppen glauben, oft noch in guter Absicht, Vorurteile mit Vorurteilen bekämpfen zu können. Diese Gefahr besteht zum Beispiel in der gegenwärtigen Rassismusdebatte. Deren Anliegen ist berechtigt, das ist keine Frage. Keine Frage ist auch, die Diskussion ist überfällig.

Die positive Botschaft verkehrt sich aber ins Gegenteil, wenn einzelne Menschen nicht aufgrund ihres konkreten Denkens und Handelns, sondern zum Beispiel allein aufgrund ihrer weißen Hautfarbe als Rassisten identifiziert werden. Das ist dann nichts anderes als Rassismus mit umgekehrten Vorzeichen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Giorgina Kazungu-Haß, SPD)

Die offene Gesellschaft muss deutlich machen: Diskriminierung lässt sich nicht mit Diskriminierung bekämpfen und beenden. Der Hauptfeind der offenen Gesellschaft ist ein Denken, das den Menschen nicht als einzelne Person, sondern nur als Mitglied einer Gruppe, nicht als Einzelexistenz, sondern nur als Gruppenexistenz versteht, als Mitglied einer Gruppe, der er dann mehr oder weniger willkürlich durch Geburt, Hautfarbe, sozialen Status oder Ethnie als zugehörig definiert wird. Hierin liegt die Wurzel für jede Form von Rassismus, für Antisemitismus, für völkischen Nationalismus.

(Beifall der Abg. Marion Schneid, CDU)

Ebenfalls am Dienstag, anlässlich des Festakts zum 70. Jubiläum des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel genau das angesprochen – ich zitiere –: „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit muss entschieden bekämpft werden. Erziehung, Bildung und Wissensvermittlung, die Bereitschaft und Fähigkeit zum Dialog zu fördern – das ist und bleibt die wichtigste Vorbeugung dagegen; es ist und bleibt die wichtigste Vorbeugung gegen Vorurteile, Rassismus und Antisemitismus.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir als Mitglieder dieses Landtags haben die politische Kernkompetenz dafür, dass Wissen und Bildung vermittelt werden und Erziehung stattfindet.

(Beifall der CDU)

Lassen Sie uns deshalb angesichts der aktuellen Entwicklungen das, was in unseren Bildungseinrichtungen bereits an guter Arbeit geleistet wird, gemeinsam ganz konkret weiterentwickeln, indem wir Geschichte und Verantwortung noch besser greifbar und begreifbar machen, indem wir Rassismus durch Aufklärung entgegentreten, indem wir Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus öffentlich würdigen und indem wir die Wahrnehmung des Judentums in seiner ganzen Breite und Bedeutung durch die Stärkung der Wissenschaft fördern.

Dazu haben wir diesen Antrag vorgelegt. Jede Kollegin und jeder Kollege ist herzlich eingeladen, ihn zu unterstützen.

(Beifall der CDU)

Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Fuhr.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! RheinlandPfalz ist ein tolerantes und weltoffenes Land. Zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft arbeiten wir in Rheinland-Pfalz schon lange Jahre gegen Rassismus, Antisemitismus und Extremismus. Wir haben die Arbeit der Sicherheitsbehörden verstärkt, in zusätzliches Personal investiert und die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz für

diesen Bereich weiter ausgebaut. Gewalt, Hass und Hetze haben keinen Platz in Rheinland-Pfalz.

(Beifall bei SPD und CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sind Demokratie und Erinnerung in unserem Land untrennbar miteinander verbunden. Der Holocaust ist uns für alle Zeit Auftrag zur Erinnerung und zum kompromisslosen Einsatz gegen Antisemitismus und für die demokratischen Grundwerte unseres Grundgesetzes. Rheinland-Pfalz ist das erste Bundesland, das mit Dieter Burgard einen Beauftragten für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen eingesetzt hat, der auch in Schulen mit Präventionsarbeit unterwegs ist.

Kinder und Jugendliche müssen den Wert von Demokratie kennen. Sie müssen lernen und selbst erleben, wie die Demokratie funktioniert und wie unverzichtbar, aber auch nicht selbstverständlich die Demokratie ist. Demokratiebildung ist deshalb von großer Bedeutung. Für die Schule besteht eine besondere Aufgabe darin, sie zu vermitteln. Die Landesregierung hat deshalb ein Gesamtkonzept für die Demokratiebildung erarbeitet, das Bildungsministerin Hubig in ihrer Regierungserklärung im Januar 2019 eindrucksvoll vorgestellt hat.

20 Monate nach dieser umfassenden Regierungserklärung von Ministerin Hubig bleibt der Antrag der CDU – auch wenn wir in der Sache und im Ziel übereinstimmen – weit hinter der Realität in unseren Schulen zurück. Er bleibt weit zurück hinter dem vielfältigen Engagement in unseren Schulen für Demokratie und Werte, für Toleranz und Vielfalt.

Schon seit vielen Jahren gibt es in unseren Schulen sehr gute Angebote der demokratischen Bildung. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer nehmen die wichtige Aufgabe wahr, unsere Kinder zu mündigen Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, weit über das reine Vermitteln von Wissen hinaus. Die Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus spielt in unseren Schulen eine zentrale Rolle. In den Lehrplänen ist sie fest verankert. Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte engagieren sich in zahllosen Projekten, fahren zu Gedenkstätten und Erinnerungsorten und setzen sich weit über den Unterricht hinaus ein. Sie tun dies zusammen mit der breiten Unterstützung vieler Partner in unserem Land.

Ich möchte an dieser Stelle für die SPD-Fraktion diesen Lehrkräften, den Erzieherinnen, allen beteiligten Erziehern und außerschulischen Partnern für ihr unermüdliches Engagement herzlich Danke sagen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Martin Haller, SPD: Sehr gut! Der Volksbund!)

All dies wurde seit der Regierungserklärung weiter ausgebaut und gestärkt. Ich will nur einige Beispiele nennen: Die Erinnerungsarbeit wurde gestärkt. Eine neue zentrale

Servicestelle für schulische Zeitzeugen- und Gedenkarbeit beim Pädagogischen Landesinstitut wurde wie angekündigt eingerichtet. Sie unterstützt, vernetzt und baut auf der Zeitzeugenkoordinierungsstelle auf.

Jede rheinland-pfälzische Schülerin und jeder rheinlandpfälzische Schüler soll sich im Laufe seines Schullebens wenigstens einmal unmittelbar mit dem Erinnern beschäftigen. Dafür wurde in diesem Jahr eine entsprechende Richtlinie verfasst, mit der dieser Auftrag – mit entsprechenden Fördermodalitäten – eindeutig festgeschrieben wurde. Damit ist auch eine aktive Unterstützung der Lehrkräfte in der Ausbildung und Fortbildung verbunden.

Ein wichtiger Punkt ist, dass die Gesamtstundenzahl im Fach Sozialkunde in der Sekundarstufe I ausgeweitet wird. Auch im Fach Gesellschaftslehre wird der Stundenansatz entsprechend erhöht. Damit wird die Demokratiebildung in der Schulzeit deutlich ausgeweitet. Gleichzeitig bieten wir dadurch mehr als 50 zusätzliche Planstellen für Sozialkunde an, die ein nicht unwesentlicher Faktor für unsere Lehrkräftesituation sind.

Es stimmt auch nicht, was in Ihrem Antrag steht, dass Geschichte in der Sekundarstufe I um eine Stunde gekürzt würde. Ministerin Hubig hat in der Ausschusssitzung im Juni über die Umsetzung berichtet. Das sollten Sie also besser wissen.

Wir haben mit der Änderung des Schulgesetzes die Schülerrechte deutlich gestärkt. Auch das gehört dazu.

Wir verfolgen also zwei Aspekte: Erinnern an die Verbrechen der Nazidiktatur und Demokratie lernen und leben. Umso ärgerlicher und ebenfalls nicht zutreffend ist es, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben, bloße Absichtserklärungen reichten nicht aus. Wir stärken die Demokratiebildung gerade jetzt, wenn von mancher Seite versucht wird, die Spaltung der Gesellschaft voranzutreiben. Wir sorgen dafür, dass sich die junge Generation mit unserer deutschen Geschichte auseinandersetzt, damit sie sich nie wieder wiederholt.

(Glocke des Präsidenten)

Ich darf abschließend noch für uns Sozialdemokraten sagen, dass Demokratiebildung und demokratisches Handeln für uns schon in der Jugendzeit über die Schule hinausgehen. Wir stehen ausdrücklich für das Wahlalter mit 16, weil wir Partizipation und die Bedürfnisse der Jugendlichen ernst nehmen. Wir wollen junge Menschen

(Glocke des Präsidenten)

für Politik begeistern und frühzeitig in die Entscheidungsprozesse einbinden, um so Demokratie wirklich zu leben.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als nächstes erteile ich dem Abgeordneten Frisch für die Fraktion der AfD das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Unabhängig davon, auf welchen Gründen der Antisemitismus beruht, darf er in unserer (...) Gesellschaft keinen Platz haben.“ Dieser Kernsatz aus dem vorliegenden Antrag der CDU-Fraktion ist ebenso richtig wie wichtig. Wir Deutsche tragen eine besondere Verantwortung

(Zuruf der Abg. Giorgina Kazungu-Haß, SPD)

aus unserer Geschichte heraus, aber auch aufgrund der demokratischen Werte unseres Grundgesetzes und unserer Landesverfassung in Rheinland-Pfalz.

Staat, Zivilgesellschaft und jeder einzelne Bürger haben deshalb die gemeinsame Verpflichtung, der Entstehung von Antisemitismus, Rassismus und politischem wie religiösem Extremismus entgegenzuwirken. Voraussetzung hierfür ist es, die jeweiligen Ursachen korrekt zu erfassen und zu benennen. Der CDU-Antrag wird diesem Anspruch nicht gerecht.

Er warnt zu Recht vor Antisemitismus mit rechtsradikalem Hintergrund und jenem, der sich aus antikapitalistischen Ideologien speist. Kein einziger Satz findet sich dagegen über das wachsende Problem islamischer Israel- und Judenfeindlichkeit.

Dabei hat etwa der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in der Vergangenheit immer wieder vor antisemitischen Einstellungen gewarnt, die muslimische Zuwanderer aus ihrer Heimat mitgebracht haben. Das gesellschaftliche Klima, so Schuster, werde auch durch importierten arabischen Antisemitismus vergiftet.

Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte, Leutheusser-Schnarrenberger, hat erst vor Kurzem einen verfestigten Antisemitismus in der Gesellschaft beklagt. Gefahr drohe nicht nur von Rechtsextremisten, sondern auch von dschihadistischen und salafistischen Extremisten, die Juden- und Israelhass propagierten.