Protocol of the Session on April 29, 2015

Die Abiturientenzahlen steigen in Rheinland-Pfalz an – das stimmt –, und mit ihnen steigen übrigens auch die Einser-Abiturienten. Die Noten scheinen immer besser zu werden

(Wehner, SPD: Das nennt man Gauß-Verteilung!)

Also, lieber Herr Wehner, nach der Gaußschen Normalverteilung waren Sie einmal gerade nicht dabei gewesen, als es vergeben worden ist.

(Beifall der CDU)

Heute sind beide Ministerinnen anwesend, auch Ihre Vorgängerin, die wahrscheinlich nachher noch ein bisschen etwas kommentiert bei ihrer Nachfolgerin, und ich möchte Ihnen sagen, die Noten scheinen immer besser zu werden in Rheinland-Pfalz, was auf den ersten Blick gut wirkt. – Aber steigt damit auch die Qualität des Bildungssystems, wenn automatisch die Noten besser

werden, wenn wir nur darauf schauen, was draufsteht, und nicht hineinschauen, was man für diese Noten bekommt und was darin ist?

Ich bezweifle, dass das Bildungssystem dadurch automatisch besser wird; denn schauen wir nur einmal auf die Vorkurse an den Hochschulen. Warum sprießen die Vorkurse an den Hochschulen denn wie Pilze aus dem Boden, wenn doch die Einser-Abiturienten so hervorragend die Schulen verlassen würden, wie Sie es uns glauben machen wollen?

(Beifall der CDU)

Frau Ministerin Ahnen und auch Frau Ministerin Reiß, deshalb möchte ich sagen, Bildungsinhalte sind nicht beliebig, sie müssen aufeinander aufbauen. Deshalb darf das Gymnasium seinen Anspruch auch nicht aufgeben, den Schülern eine wirkliche Hochschulreife und nicht bloß eine Hochschulzugangsberechtigung zu vermitteln. Das ist ein Unterschied.

(Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, deshalb müssen Lehrpläne verbindlich sein. Der inhaltliche Anspruch darf nicht zurückgeschraubt werden, nur damit die Zahlen erreicht werden und Ihre Statistik stimmt. Vergleichbare und aussagekräftige Ziffernnoten müssen beibehalten und landeseinheitliche Abschlussprüfungen eingeführt werden. Nur so können wir die inhaltlichen Qualitätsanforderungen der Hochschulreife, aber auch der Ausbildungsreife garantieren. Uns Christdemokraten geht es um aussagekräftige Qualität anstatt um schön klingende Quoten von Rot-Grün.

(Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen eine Offensive zur Qualitätssicherung in der rheinlandpfälzischen Bildungspolitik; denn zur Reife gehören inhaltliche Kenntnisse, die Beherrschung der grundlegenden Kulturwerkzeuge wie Sprache, Schrift und Rechnen sowie die Fähigkeit, auch kritisch zu reflektieren.

(Zuruf des Abg. Schweitzer, SPD)

Herr Schweitzer, Sie machen immer ein paar Zwischenrufe. Ich verkneife mir jetzt ein paar Zwischenrufe zum Thema Rechtschreibung.

(Pörksen, SPD: Sie sollten ein bisschen vorsichtiger sein mit Ihren Drohungen!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Abitur darf diesen Anspruch nicht verlieren; denn ansonsten bedeutet später Quellenstudium nur noch den Rückgriff auf Wikipedia. (Beifall der CDU)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn wir die Schüler nicht zu einer wirklichen Hochschulreife befähigen, dann ist Frustration später vorprogrammiert.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Scheitern auch!)

Die zahllosen Mathematikvorkurse an den Universitäten sprechen doch Bände, und dazu haben Sie übrigens gar nichts gesagt. Solche Kurse binden in den Universitäten und Fachhochschulen erhebliche Kräfte. Diese Kräfte fehlen aber dann nachher bei der eigentlichen Forschung und Lehre.

Frau Ministerin Reiß, Sie haben betont:

„Jeder, der studieren will, soll auch studieren können.“

Verehrte Kollegen, für uns spielt neben dem Willen aber auch die Fähigkeit für ein Studium eine Rolle, unabhängig von Herkunft, unabhängig vom Einkommen der Eltern; denn wir können keinen Freifahrtschein für alle für die Hochschule geben, ansonsten bräuchten wir auch keine Hochschulreife.

(Beifall der CDU)

Warum wollen wir nicht allen einen Freifahrtschein geben? – Weil dadurch automatisch die Wertschätzung für die Berufsbildung sinkt. Frau Ministerpräsidentin Dreyer, Beliebigkeit war noch nie ein Garant für Nachhaltigkeit. Unsere Idee von Bildung als Christdemokraten ist eine andere. Unsere Idee ist die einer guten Bildung, die auf Qualität, Durchlässigkeit, Verlässlichkeit und auf inhaltliche Voraussetzungen setzt.

Deshalb muss ich Ihnen auch sagen, eine weitere Entwicklung gibt uns Anlass zur Sorge. Seit Jahren wird die duale Bildung systematisch ab- und das Abitur und das Studium systematisch aufgewertet.

Das Abitur gilt immer mehr als das allein Seligmachende. Damit wir uns richtig verstehen, es ist gut, dass heute viel mehr junge Menschen Abitur machen als vor vielen Jahrzehnten, dass Frauen Abitur machen, dass Kinder aus Nicht-Akademiker-Familien Abitur machen. Das ist gut und richtig.

(Frau Blatzheim-Roegler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dass Frauen Abitur machen!)

Dass Frauen Abitur machen, halte ich für richtig.

(Zurufe von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh je!)

Frau Blatzheim-Roegler, ich möchte einmal etwas sagen. Sie legen Wert auf das Binde-I bei Bürgerinnen. Dann kann ich auch sagen, dass es gut ist, dass Frauen Abitur machen, weil das vor 50 Jahren nicht normal gewesen ist. (Beifall der CDU)

Es ist gut, dass sich das entwickelt hat. Aber zu sagen, allein die Steigerung von Abiturienten führt schon zu einem besseren Bildungssystem, halte ich für fatal. Ich will noch eines deutlich machen: Im vergangenen Jahr haben erstmals mehr junge Menschen ein Studium begonnen als eine duale Ausbildung gemacht. In Rheinland-Pfalz haben 2014 so wenig junge Leute eine Berufsausbildung gemacht wie seit 20 Jahren nicht mehr. Das unterscheidet mich von der Frau Ministerin. Ich persönlich kann mich nicht darüber freuen, dass sich

immer weniger für eine Berufsausbildung entscheiden, weil sie glauben, dass sie dann weniger wert wären.

(Beifall der CDU – Pörksen, SPD: Was unterstellen Sie da eigentlich?)

Jeder Mensch ist gleich viel wert, egal, ob er ein Studium absolviert oder eine Ausbildung gemacht hat. Die Folgen sind heute schon spürbar. Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt. Die Nachfolge in Handwerksbetrieben ist vielfach nicht gesichert. Es gibt viele junge Menschen, zu denen ein Berufsweg besser als ein Langzeitstudium gepasst hätte. Frau Ministerpräsidentin, Sie spüren doch selbst auch, dass das momentan in Rheinland-Pfalz nicht gutgeht. Sonst müssten Sie doch nicht im eigenen Land eine teure Werbekampagne für Fachkräfte machen. (Beifall der CDU)

Man muss sich das einmal vorstellen. Frau Ministerpräsidentin Dreyer, ich würde es doch verstehen, wenn Sie die Werbung im Ausland und in anderen Bundesländern machen würden. Aber von diesen 18 Info-Touren finden sage und schreibe elf Info-Touren für Fachkräfte im eigenen Land statt. Es ist doch klar, dass Ihr Bildungssystem anscheinend nicht so aufgegangen ist, wie Sie sich das vorgestellt haben.

(Beifall der CDU)

Trotz allem erklären Sie, Frau Ministerin Reiß, dass steigende Abiturientenzahlen per se schon ein Bildungserfolg seien. Je mehr Abiturienten, desto erfolgreicher unser Bildungssystem? Eine fragwürdige Formel. Eine Lehre ist nicht minderwertig! Das sagen wir Christdemokraten. (Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder braucht den richtigen Bildungsverlauf, der zu seinem Lebensweg und zu seiner Begabung passt. Berufliche und akademische Bildung sind gleich viel wert. In Rheinland-Pfalz ist der Unterrichtsausfall seit Jahren gerade an den berufsbildenden Schulen doppelt so hoch wie an den allgemeinbildenden Schulen. Ausbildungsgänge werden kurzerhand geschlossen oder verlegt. Man sieht, dass die Landesregierung die duale Ausbildung nur verbal schätzt, aber de facto nicht so handelt.

Ist es denn wirklich ein Bildungsabstieg, wenn der Sohn eines Philosophiedozenten statt eines Studiums eine Schreinerlehre macht und anschließend den Meister?

(Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das sagt doch keiner! – Pörksen, SPD: Wer spricht denn dagegen? – Köbler, CDU: Das ist nur Ihr elitäres Denken!)

Als tüchtiger Handwerksmeister hat er sogar gute Chancen, den Verdienst seines Vaters an der Hochschule zu übertreffen. Wer hier erzählt, das Bildungssystem wäre nur dann besser, wenn die Studenten, die Studierendenzahlen und die Abiturientenzahlen steigen, der sagt diesem Handwerksgesellen,

(Pörksen, SPD: Wer erzählt das denn hier?)

dass er weniger wert ist als ein Abiturient. Das sehen wir anders. (Beifall der CDU)

Liebe Frau Ministerin, Sie rühmen sich, dass viele junge Menschen zu einem Studium nach Rheinland-Pfalz kommen. Sie verschweigen aber, dass sie nach dem Studium in noch größerer Zahl in Richtung Stuttgart, München oder Frankfurt weiterziehen.

Frau Ministerin, die Medizinstudienplätze in RheinlandPfalz reichen nicht aus, um den Bedarf an Ärzten im Land zu decken. Der Lehrstuhl für Allgemeinmedizin lässt immer noch auf sich warten.

Dagegen werden in großer Zahl Lehrer ausgebildet. Nach erfolgreichem Abschluss beschäftigen Sie diese aber in Kettenarbeitsverträgen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Ich freue mich schon wirklich auf den 1. Mai. Frau Ministerpräsidentin, Sie werden als Rednerin unterwegs sein. Sie werden sicherlich wie jedes Jahr das Verhalten von Arbeitgebern, die, wie Sie es gesagt haben, unfair seien, wie beispielsweise in der Gastronomie, wieder geißeln. Aber nehmen Sie doch bitte einen Spiegel mit in Richtung Landesregierung. Auch die Landesregierung ist Arbeitgeber. Zu dem, wie Sie mit den vielen jungen Menschen umgehen, die ein Studium abgeschlossen haben und seit Jahren in befristeten Kettenarbeitsverträgen verharren, ist zu sagen,

(Baldauf, CDU: Und dafür haben Sie die Verantwortung!)

das ist weder fair, das ist weder sozial, noch ist es gerecht. (Beifall der CDU – Bracht, CDU: Jawohl!)