Protocol of the Session on March 19, 2015

Wegweisend dazu war das dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts, bekannter als Patientenverfügungsgesetz, aus dem Jahre 2009. In mehreren Urteilen hat der Bundesgerichtshof danach klargestellt, dass der verfügte oder der gesicherte mutmaßliche Wille der Patientinnen und Patienten, auf lebensverlängernde oder lebenserhaltende Maßnahmen verzichten zu wollen, zu achten sei.

Für die passive und indirekte Sterbehilfe gilt in unserem Land Straffreiheit. Die Achtung der Selbstbestimmung äußert sich auch darin, dass der Suizid bzw. der Suizidversuch straffrei bleibt. Etwas anderes gilt allerdings für das Standesrecht, das in den Bundesländern unterschiedlich ausgeprägt ist und es den Ärztinnen und Ärzten zumindest in einigen Bundesländern dieses Landes verbietet, Beihilfe zum Suizid zu leisten.

Deshalb glaube ich, dass in dieser Diskussion auch die Einbeziehung der Ärzteschaft notwendig ist und Ärztinnen und Ärzte sich dieser Gesamtdiskussion stellen. Ich denke, wir sollten die Regelungshoheit bei den berufsständischen Vertretungen belassen und gesetzlich nicht einwirken.

Es gibt an dieser Stelle Vorschläge, das Bürgerliche Gesetzbuch zu ändern. Ich glaube, es muss Aufgabe der Selbstverwaltung, der berufsständischen Vertretung sein, diesen Diskussionsprozess jetzt in Gang zu bringen.

Meine Damen und Herren, ich respektiere die Auffassung von Befürwortern einer weiteren Liberalisierung zur Erweiterung der Möglichkeiten der Sterbehilfe in engen Grenzen. Ich verstehe es, dass man den Gestaltungswillen des Lebens und des Sterbens bis zum Schluss bei dem Einzelnen belassen will.

Allerdings mache ich mir diese Auffassung nicht zu eigen. Dem Recht auf Selbstbestimmung steht der strenge grundrechtliche Schutz des Lebens entgegen, der dem Staat eine Schutzpflicht auferlegt.

Neben den rein rechtlichen Aspekten geht es mir aber auch um den moralisch-ethischen Ansatz, der zugegebenermaßen immer subjektiv bleiben muss und auch von der eigenen Grundeinstellung geprägt ist, dem christlichen Menschenbild etwa.

Sterben gehört zum Leben. Das ist eine Binsenweisheit, aber es besteht die Gefahr, dass dies immer wieder verdrängt wird. Sterbende brauchen Nähe, Begleitung, Schmerzlinderung und ein Umfeld der Geborgenheit. Deshalb sehe ich es als Herausforderung für unsere Gesellschaft an, die Palliativmedizin und die Hospizarbeit auszubauen, die psychosoziale Betreuung von sterbenden Menschen weiter zu verstärken und ambulante Strukturen auszubauen. Das sind für mich die Antworten auf die drängende Frage, wie der Angst vor einem Sterben in Leid, Schmerzen und Würdelosigkeit begegnet werden kann.

Die organisierte Sterbehilfe – sei es gewerbsmäßig oder durch Vereine – lehne ich ab. Diesen Grenzbereich des Lebens kann man nicht organisieren, regelmäßig abwickeln oder gar gegen Geld vollziehen. Hier halte ich ein

strafbewehrtes Verbot, auch generell für die Werbung für Suizidhilfe, für erforderlich, ein Verbot sowohl für die Werbung als auch für die gewerbsmäßige und organisierte Suizidhilfe.

Meine Damen und Herren, ich habe es selbst in meiner Familie erlebt, meine Mutter im Sterbeprozess begleitet. Es ist ein sehr wertvoller, ein intensiver Prozess, eine Zeit des Abschiednehmens, die unglaublich tröstend sein kann. Deshalb ist der Fokus stärker auf den Sterbeprozess zu lenken, diese Zeit nicht abzukürzen, sondern wirklich bewusst damit umzugehen. Deshalb, glaube ich, ist diese Debatte so wichtig.

Danke schön.

(Beifall im Hause)

Für die CDU-Fraktion hat Frau Kollegin Wieland das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die meisten Menschen wollen zu Hause sterben. Das haben wir hier schon öfter diskutiert. Deshalb stellen wir als Politiker diesen Wunsch in den Mittelpunkt unseres Handelns. Stärkung von ambulanter Versorgung ist eine Folge davon. Ambulante Versorgung soll den Menschen helfen, im Kreise ihrer Lieben zu sterben, sterben zu können.

Meine Erfahrungen mit mehreren Pflegenden, Pflegebegleitung, Begleitung zum Sterben ist, der Tod ist unberechenbar, unplanbar – wie es Herr Sippel eben sagte –, eine ganz tiefgreifende Erfahrung, aber oft auch eine fordernde, manchmal eine überfordernde Erfahrung. Da ist eine Erleichterung gerade bei den ambulanten Hilfen dringend nötig. Hier geht es nicht immer nur um finanzielle Mittel, es geht manchmal einfach um Entbürokratisierung, damit es nicht geht, wie ich es in einem Fall erlebt habe, dass der Rollator kam, als längst der Rollstuhl nötig war, und der Rollstuhl kam zwei Tage nach dem Tod.

Ambulante Hilfe ist wichtig, aber Fakt ist – das haben wir schon gehört –, nicht immer ist sie möglich. Mehr als die Hälfte der über 65-Jährigen lebt in Singlehaushalten, Tendenz steigend. Kinder leben weit entfernt, arbeiten in Vollzeit oder – das müssen wir akzeptieren – fühlen sich diese harten Aufgaben nicht gewachsen. In vielen Fällen kann zwar die erste Pflegephase ambulant begleitet werden, aber nicht die letzte, die eigentliche Sterbephase. Auch das müssen wir akzeptieren. In dieser Phase geht es vielen so – zunehmend mehr Fälle sind uns bekannt –, dass sie ohne ein stationäres Hospiz, ohne genügend Palliativbetten in Krankenhäusern, ohne entsprechende Ausrichtung der Einrichtungen dastehen und nicht genügend begleitet werden.

Es kann nicht sein, dass – wie in einem Fall, den ich gerade derzeit begleite – die Versorgung zu Hause nicht

möglich ist und bei der Entlassung, die aus dem Krankenhaus anstand, kein Hospizplatz vorhanden war und nur ein Pflegeheim – in diesem Fall ein schlechtes Pflegeheim – übrig blieb, sodass ein noch jüngerer Mensch zwischen schwer demenziell Erkrankten im Altenheim sterben muss. Hier ist noch viel zu tun.

Ein zweiter Aspekt zum eigentlichen Thema Sterbehilfe: Ja, auch ich saß schon neben dem Bett eines Sterbenden, und dabei kam auch mir die Frage, wann stirbst du denn endlich. Auch ich habe mir überlegt, ob es nicht eine Erleichterung wäre, sich das Kissen auf das Gesicht zu legen. Ein Arzt hat mir dabei erläutert, dass eine Erhöhung der Dosis des Schmerzmittels nicht nur Hilfe zur Ruhigstellung ist und schmerzlindernd wirken könnte, sondern auch den Tod beschleunigen kann. Ich habe dabei erlebt, wie schwer es ist, diese Entscheidung zu treffen. Entscheiden heißt auch, Verantwortung zu übernehmen. Jemand muss diese Verantwortung übernehmen.

Der Arzt hat mir damals sehr eindrücklich erläutert, wir können nicht alle Verantwortung, alle Entscheidungen an den Arzt abgeben. Auch wir als Pflegende, wir als Verwandte drängen zum Beispiel Sterbende in der letzten Phase zum Trinken, wir flößen ihnen energiereiche Drinks ein, rufen beim Herzanfall den Arzt an und wundern uns, wenn er dann kommt und lebensverlängernde Maßnahmen oder Reanimation einleitet.

Auf der anderen Seite können Pflegende und Ärzte bestätigen, dass viele Menschen, die in gesunden Tagen lebensverlängernde Maßnahmen kategorisch ausschließen, angesichts der Diagnose, zum Beispiel unheilbare Krebserkrankung, fragen, und was macht ihr jetzt mit mir, irgendetwas muss doch noch möglich sein. Ich kann doch jetzt nicht einfach abwarten. Auch eine Chemotherapie ist mir psychisch wichtig. Ich will mich doch selbst nicht aufgeben.

Was will ich damit sagen? – Es gibt jetzt schon viele Alternativen, die zu entscheiden sind. Aus meiner Sicht sind diese Alternativen ausreichend. Die Frage ist eher, wer bereit ist, Entscheidungen zu treffen. Unsere Aufgabe ist es auch, Entscheidungsalternativen herauszustellen, sie zu verdeutlichen und bewusst zu machen, welche Verantwortung damit verknüpft ist. Wenn wir in der Gesellschaft offen über den Tod, die Alternativen, die Wege zum Sterben reden, dann fallen auch Entscheidungen leichter.

(Beifall im Hause)

Für die Landesregierung hat Frau Staatsministerin Bätzing-Lichtenthäler das Wort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Ich will sterben. Hat jemand von Ihnen diesen Satz schon einmal ernst gemeint gesagt bekommen? –

Ich noch nicht. Ich frage mich, wie ich reagieren würde, wenn ich ihn von einer geliebten Person hören würde. Mir würde sicherlich vieles durch den Kopf gehen, viele Fragen, zuallererst die Frage nach dem Warum, welchen Grund hat ein Mensch, zu solch einer Entscheidung zu kommen. Hat er Schmerzen, hat er Angst davor, die eigene Identität zu verlieren, hat er Angst davor, anderen zur Last zu fallen oder alleine zu sterben? – Ich würde mich fragen, ob und wie man helfen kann, dass das Leben dieses Menschen lebenswert ist; denn Schmerzen kann man bis zu einem gewissen Grad mit Schmerzbehandlung begegnen, über Ängste vor Kontrollverlust kann man beraten und versuchen, sie zu nehmen. Menschen, die bereits sterben, kann man darin begleiten, statt sie allein zu lassen.

Hingegen würde ich mich nicht fragen, ob es ein Recht zum Sterben gibt. Mir wäre es wichtiger, den Kontext des erklärten Willens zu erfahren, als über die Beurteilung einer Willenserklärung zu reden; denn der Wille selbst ist immer kontextabhängig.

Ich stelle mir noch eine Frage. Wer wird eher beim Sterben helfen, statt zum Sterben zu helfen? Eher derjenige, der organisiert oder gar gewerbsmäßig Suizidbeihilfe anbietet, oder eher derjenige, der dem Leben verpflichtet ist, zum Beispiel ein Arzt? Ist nicht eine Einrichtung, die darauf ausgerichtet ist, Menschen beim Sterben zu begleiten, besser für eine Beratung geeignet als eine Organisation, deren Zweck es ist, zum Sterben zu begleiten?

Meine Damen und Herren, organisierte Sterbehilfe und viel mehr noch die gewerbliche Sterbehilfe sind deshalb für mich der falsche Weg. Anders urteile ich, wenn jemand in einer emotionalen Ausnahmesituation ist, weil ein langjährig geliebter Mensch um Hilfe zum Sterben ersucht. Eine Wertung des Verhaltens dieses Menschen erlaube ich mir nicht; denn ich weiß nicht, wie ich in seiner Lage handeln würde.

Meine Damen und Herren, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass ich diese Worte hier jetzt als Mensch und als Christin zu Ihnen sprechen darf. Ich bin dankbar, dass wir in diesem Hause eine offene Debatte darüber führen. Ich habe für mich privat gesprochen. Anders kann ich es zu diesem Thema auch nicht tun, weil es als rheinlandpfälzische Gesundheitsministerin meine Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass Strukturen vorhanden sind, auf die Menschen vertrauen können. Die Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen hat dazu einen – wie ich meine – wirklich treffenden Begriff hervorgebracht, den Grundsatz der Letztverlässlichkeit.

Letztverlässlichkeit bedeutet, dass die Menschen darauf vertrauen dürfen, dass sie in ihrer letzten Lebensphase mit ihren Vorstellungen, Wünschen und Werten respektiert und Entscheidungen unter Achtung ihres Willens getroffen werden. Dies beinhaltet – das habe ich dargelegt – nach meiner persönlichen Auffassung auch das Gespräch über einen Sterbewillen. Das bedeutet, dass die Rahmenbedingungen so zu gestalten sind, dass den Menschen geeignete Strukturen der hospizlichen und palliativen Versorgung zur Verfügung stehen. Ambulante Betreuung für den Wunsch, im eigenen Umfeld sterben zu können, stationäre Hospize als Alternative, wo Pflege

nicht zu Hause geleistet werden kann, oder Krankenhäuser, die Behandlungen für eine Vielzahl gleichzeitig auftretender Leiden bieten, sind alles Bausteine hierfür.

Ich begrüße ausdrücklich das in diesem Zusammenhang vom Bundesgesundheitsministerium vorgelegte Konzept für eine gesetzliche Neuregelung zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung. Die aktuelle AOLG hat sich heute hier in Mainz auf Antrag von Rheinland-Pfalz und Hamburg auch mit der vom BMG angekündigten Gesetzesinitiative beschäftigt und regt an, die Versorgungssituation im Bereich der hospizlichen und palliativen Versorgung in Deutschland durch ein Forschungsprojekt zu untersuchen.

Meine Damen und Herren, diese Datenlage ist wichtig, um geeignete und bedarfsgerechte Angebote für die Versorgung und auch Angebote für die Aus- und Weiterbildung der Ärztinnen und Ärzte zur Verfügung zu stellen.

Meine Damen und Herren, das Sterben ist so individuell wie das Leben.

Von daher darf es auch keinen Masterplan für das Sterben geben. Das einzig Richtige ist, jeden Menschen mit seinen individuellen Wünschen anzunehmen und ihm Hilfe anzubieten.

Es sind nicht die Organisationen der Hilfe zum Sterben, die dies leisten, sondern es sind die Hospizbegleitung, die Palliativmedizin und eine gute Pflege im Alter, die geeignete Strukturen anbieten.

Herzlichen Dank.

(Beifall im Hause)

Herr Dr. Dr. Schmidt von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Wort.

Verehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch ich möchte mich ganz herzlich bei diesem Hohen Hause dafür bedanken, dass es für dieses sehr wichtige und emotionale Thema diesen Raum geschaffen hat, in dem die verschiedenen Aspekte des Lebens und des Sterbens aus Sicht der Philosophie, der Medizin, aber auch unter sozialen und vielen anderen Aspekten debattiert werden. Ich erkenne dabei keine Politik, kein Parteibuch, sondern ein Thema: der Mensch und seine Würde.

Das macht es ganz besonders. Das ist vorbildlich für unsere Zivilgesellschaft, dass wir uns den Schwächsten in unserer Gesellschaft widmen, nämlich denjenigen, die am allermeisten unsere Hilfe brauchen.

Der Umgang mit Sterbenden ist auch für die professionellen Hospiz- und Palliativmediziner eine ganz besondere Herausforderung. Es braucht Professionalität, aber

auch Erkenntnisse über die soziokulturelle und religiöse Vielfalt von den Menschen, die hier leben.

Sehr geehrte Damen und Herren, zurzeit leben hier etwa 17 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund aus 194 Ländern, davon sind etwa 1,4 Millionen Menschen über 65 Jahre alt.

Besonders die Älteren, die hier nicht verwurzelt und sozial integriert sind, stoßen neben sprachlichen und institutionellen Barrieren in der medizinischen Versorgung auch auf Barrieren zwischen den Kulturen.

Neben einer Willkommenskultur brauchen wir auch eine Abschiedskultur für die unterschiedlichen Kulturkreise in der Hospizarbeit. Ob es um die Betreuung vereinsamter älterer Menschen, um Obdachlose oder um im Exil lebende Menschen geht, wir brauchen eine präventiv professionelle Unterstützung.

Im Exil lebende Menschen müssen oft jahrzehntelang ohne ein Wiedersehen der eigenen Familie, Verwandten und Freunde den Schmerz des Verlustes und auch die Sehnsucht nach Vertrautheit einsam verarbeiten. Dabei teilen wir mit diesen Menschen gemeinsame Werte, die weltweit gleich sind, nämlich Menschenrechte und die Verteidigung von Menschenwürde.

Deshalb ist es auch wichtig, gerade in der medizinischen Versorgung, dass diese Vielfalt, unterschiedliche kulturelle, religiöse Vielfalt in unserer Ausbildung einen Platz hat, damit uns Ärzten und Pflegenden, allen Akteuren, Unterstützung und Hilfe bei der Begleitung dieser Menschen zuteilwerden.

Während man im Abendland zum Teil das Sterben thematisiert und seiner eigenen Mutter ein ruhiges Einschlafen wünscht, steht im Orient zumeist das gemeinsame Trauern im Vordergrund. Das sind unterschiedliche Aspekte, die für die Ärzte und die Pflegende ganz wichtig sind.