Protocol of the Session on November 20, 2014

(Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das ist wichtig, weil es 25 Jahre sind. Das ist natürlich der 9. November.

Herr Pörksen, wir hatten auf einer anderen Veranstaltung den 8. November zum Thema gehabt. Leider ist er in diesem Jahr untergegangen. Das war der 75. Jahrestag des Anschlags auf Hitler durch Georg Elser. Er ist nicht gelungen. Das war der Mann, der Hitler töten wollte. Der einsame Attentäter. Es war kein Adliger, es war kein Bildungsbürger, sondern es war ein Handwerker.

Ich will aber auf 25 Jahre friedliche Revolution zurückgehen, auf die Entschlossenheit, dem Mut der Bürgerinnen und Bürger in der ehemaligen DDR. Was war die DDR? – Die DDR war eindeutig ein Unrechtsstaat. Jeder, der darüber nur nachdenkt und daran zweifelt, hat nicht verstanden, was wir in diesem Land erreicht haben.

(Beifall der CDU)

Das war ein Land, in dem die freie Meinung nichts galt. Derjenige, der sich dem widersetzte, was die SED wollte, musste mit Zwangsadoption der Kinder rechnen, der musste damit rechnen, dass er seinen beruflichen Weg beendeten musste, der durfte nicht studieren. Es gab Zwangsdoping bei Leistungssportlern. Diejenigen, die schlichtweg nur den Drang nach Freiheit hatten, diejenigen, die das Land verlassen wollten, mussten allzu häufig diesen Drang nach Freiheit mit ihrem Leben bezahlen. Es ist gut, dass dieses System überwunden ist. Wir sollten jede Nostalgie an diese Zeit wirklich vermeiden.

(Beifall der CDU)

Wir haben das deshalb auf die Tagesordnung gesetzt, weil auch Rheinland-Pfalz intensiven Kontakt zu den sogenannten neuen Bundesländern hat. Auch bei dem Jubiläum 25 Jahre Mauerfall sollten wir denen danken – es waren weit über 200 Beamte aus Rheinland- Pfalz –, die in unserem Partnerland Thüringen – wir sind hier in der Stadt Mainz, und deren Partnerstadt ist Erfurt – beim Aufbau der neuen Justizstruktur, einer demokratischen Verwaltung und bei einem demokratischen Umbau des Bildungssystems maßgeblich geholfen haben.

(Beifall der CDU)

Die Euphorie war so groß, dass zusätzlich etliche pensionierte Landesbeamte aus Rheinland-Pfalz in Thüringen ehrenamtlich mit Rat und Tat zur Seite standen. In meinem Gespräch jüngst mit Bernhard Vogel, der in beiden Ländern Ministerpräsidentin war, wurde noch einmal deutlich, wie wichtig es war – – –

(Ramsauer, SPD: Der von hier verjagt wurde!)

Ich weiß, dass jetzt oder nachher Zwischenrufe kommen.

Ich glaube, es sollte einfach noch einmal die Besonderheit wahrgenommen werden, wie zwei Länder zusammengewachsen sind. Das haben Deutsche gemeinsam geschafft, und zwar ohne Waffen, und zwar nachhaltig. Darüber sollten wir uns gemeinsam freuen.

(Beifall der CDU – Schweitzer, SPD: Da haben Sie recht! – Frau Brede-Hoffmann, SPD: Die Menschen haben es geschafft!)

Ja, wir sind auch Menschen. Sie haben hereingerufen, die Menschen haben es geschafft. Warum muss denn in jede Debatte dieser scharfe Ton hineinkommen, Frau Brede-Hoffmann?

Wir, das sind wir Menschen. Auch heute arbeiten wir am Zusammenwachsen des Landes. Auch wir Abgeordnete, indem wir in die Schulen gehen und in den Schulen dafür werben, dass das Wissen über die DDR nicht verblasst; denn das, was uns umtreibt, sind die Umfragewerte. Immer weniger Schüler wissen wirklich, was im Unrechtsstaat passiert ist. Deshalb ist unser Antrag auch so wichtig, um darauf Wert zu legen, dass in den Schulen intensiv über die DDR informiert wird. Es ist wichtig, dass die Zeitzeugengespräche und die Gedenkstättenarbeit intensiviert werden.

Ich bin auch froh, dass wir einen Bundespräsidenten, Herrn Gauck, haben, der sehr deutlich gemacht hat, was es heißt, sich der Geschichte und des Unrechts bewusst zu sein. Er hat richtig daran getan, infrage zu stellen, ob eine rot-rot-grüne Regierung in Thüringen 25 Jahre nach dem Maurerfall wirklich denen gerecht wird, die ihr Leben für die Freiheit aufs Spiel gesetzt haben,

(Beifall der CDU)

und ob das – auch das gehört dazu – angesichts der vielen Bürgerrechtler richtig ist. Rainer Eppelmann, Vera Lengsfeld, Arnold Vaatz, Werner Schulz, Roland Jahn, all das sind Menschen, die für ein besseres Leben in Friede und Freiheit gekämpft haben. Das sind doch die Personen, die das beurteilen können. Die fragen: Wie kann man der Nachfolgepartei der SED, die sich bewusst nicht von der Rechtsnachfolge freigesagt hat, damit sie an das Vermögen der SED kommt,

(Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

in die Regierung verhelfen? – Rot und Grün in Thüringen hätten andere Alternativen gehabt. Deshalb kann ich nur das sagen, was heute auch in der „F.A.Z.“ steht. Ich

zitiere: „Es ist die bittere Ironie dieses Gedenkjahres, dass ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall die Nachfolger der SED in Thüringen nachholen dürfen, was ihnen in der DDR misslungen ist.“ – In der heutigen „F.A.Z.“ steht das. Wir können dem nichts hinzufügen. Es ist so.

(Beifall der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben diesen Antrag eingebracht, weil wir uns freuen können. 25 Jahre Mauerfall und im kommenden Jahr 25 Jahre Wiedervereinigung. Friede und Freiheit, das ist nicht selbstverständlich. Auch die freie Wahl ist nicht selbstverständlich. Es ist auch nicht selbstverständlich, dass wir so etwas friedlich haben erleben dürfen.

Deshalb ist es unserer aller Aufgabe als Abgeordnete, aber auch als Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen, dass wir Wert darauf legen, dass die Erinnerung an das, was es heißt, in Abwesenheit von Freiheit aufzuwachsen oder auch die Familie getrennt zu sehen, nie mehr in diesem Land Platz greift. Deshalb glaube ich, ist es auch angebracht, einem Antrag, der sich nur mit dem einen Aspekt des 9. November befasst, heute zuzustimmen, um das unserer kommenden Generation als Erbe mitzugeben. Wir können ein glückliches Volk sein.

(Beifall der CDU)

Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Kollege Schweitzer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen des Landtags! Es ist gut, dass wir Gelegenheiten schaffen, gemeinsam über besondere Daten in der Geschichte unseres Volkes zu diskutieren und darüber gemeinsam nachzudenken. Der 9. November – wer will das bestreiten – ist ein besonderes Datum in der Geschichte unseres Volkes.

Frau Kollegin Klöckner, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie entgegen der Aussage im Antrag in Ihrer Rede, mit der Sie versucht haben, den Antrag zu begründen, tatsächlich über den 9. November 1989 hinausgegangen sind. Es muss genau die Aufgabe sein, wenn sich Volksvertreter mit dem 9. November beschäftigen, dass sie den historischen Horizont erweitern und nicht am Ende zu einer conclusio kommen, wir sind ein glückliches Volk, sondern wir sind ein Volk mit Verantwortung für die Geschichte, meine Damen und Herren. Das heißt immer, für die gesamte Geschichte dieses Volkes.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Da gibt es die glücklichen Daten, und da gibt es die Daten, die schwer auf uns lasten und die uns bis heute Verantwortung aufgeben.

Lassen Sie mich zu dem 9. November 1989 etwas sagen. Allzu oft wird er in der Form diskutiert, das war die Situation, in der sich die Menschen in Ostdeutschland befreit haben. Frau Klöckner, das war übrigens kein Geschenk. Wenn das ein Geschenk war, war das ein Geschenk, das sich die Menschen selbst gemacht haben gegen eine überbordende Staatsgewalt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser 9. November waren eben nicht nur etwas, was die Menschen in Ostdeutschland angegangen ist. Eine ganz persönliche Geschichte, wenn Sie von Thüringen sprechen: Mein Vater ist 1940 in Erfurt auf die Welt gekommen. Ein Kriegskind. Er ist 1945 geflohen. Verzeihen Sie mir bitte den aus heutiger Sicht unkorrekten Ausdruck, er ist mit der Familie fünfjährig vor den Russen geflohen. Er war so alt, wie mein Sohn heute ist.

Das Letzte, was er gehört hat, waren die Glocken des Erfurter Doms. Sie können sich vorstellen, was los war, als er dann – da war ich 16 Jahre alt – am Frühstückstisch sitzend mit der Familie 1989 wieder im Radio, das im Hintergrund lief, die Glocken des Erfurter Doms gehört hat.

Meine Damen und Herren, deshalb ist es nicht nur die Befreiung einiger Menschen in Ostdeutschland, sondern das war ein historisches Datum, das uns alle von der Belastung frei gemacht hat, dass Menschen hinter der Mauer eingesperrt sind und keine Meinungsfreiheit haben. Das ist ein besonderes Datum für uns alle. Ich will darauf hinweisen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das macht deutlich, dass wir uns nicht aussuchen können, in welchem Schicksal wir leben und zu welcher Phase der Geschichte wir uns besonders gern äußern, sondern die Geschichte gehört insgesamt zu uns und steckt in uns drin, manchmal sogar bis in die Familien. Ich habe es versucht, am eigenen Beispiel zu beschreiben.

Ich bin sehr froh, dass wir nach 25 Jahren in Deutschland ein ganzes Stück weitergekommen sind. Von Ossis und Wessis sprechen nur noch diejenigen, die die Dinge nicht verstanden haben. Ich bin sehr froh, dass ich in den letzten Tagen auch in der „F.A.Z.“ lesen konnte, dass das Ende der Mauer in den Köpfen tatsächlich näher denn je ist. Das ist gut so.

Ich bin sehr froh, dass wir auch in einigen anderen Bereichen, und zwar auch in Bereichen der Politik, Normalität erreicht haben. Ich bin sehr froh, dass wir uns heute manche rückwärtsgewandte Debatte – liebe Frau Klöckner, Sie haben versucht, sie auf die Geschichte der Sozialdemokratie zu münzen –, wenn überhaupt noch, nur noch mit gebremster Leidenschaft gegenseitig bieten sollten.

Frau Klöckner, erwarten Sie nach Ihrer Rede, dass ich Ihnen alles vortrage, was ich Ihnen vortragen könnte, und was die Geschichte der Ost-CDU in der DDR alles

so mit sich gebracht hat? Sie kennen doch die ganzen Daten und Fakten.

Meine Damen und Herren, wissen Sie, ich finde, wir würden dem Thema nicht gerecht werden. Genau aus diesem Grund haben Ihnen Rot und Grün einen Antrag vorgelegt, der deutlich macht, dass es nichts nützt, mit einem verschränkten oder vielleicht auch eingeschränkten Blick Geschichtspolitik zu betreiben.

Meine Damen und Herren, wir müssen uns des gesamten Erbes dieser Geschichte bewusst werden.

(Glocke der Präsidentin)

Wir müssen die jungen Menschen in vielen Möglichkeiten darauf vorbereiten, die wir Ihnen in einem Antrag auffächern, der weit über die begrenzten Blicke, die sie auf die Geschichte richten, hinausgeht. Ich bitte um die Zustimmung zu diesem Antrag.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Kollege Wiechmann das Wort.

Liebe Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Herrn Kollegen Schweitzer sehr dankbar, dass er das noch einmal etwas größer gemacht hat. Der 9. November nimmt in der deutschen Geschichte eine ganz besondere Stellung ein. Es ist eine zentrale Aufgabe für uns, die Vielschichtigkeit dieses historischen Datums angemessen zu würdigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, die historische Bedeutung des 9. November darf nicht eindimensional auf den Mauerfall von 1989 reduziert werden. Wir dürfen niemals vergessen, wie am selben Tag im Jahr 1938 deutsche Juden in einer unbeschreiblichen Brutalität Opfer von Pogromen wurden. Wir dürfen genauso wenig vergessen, als 1918 mit der Ausrufung der Republik auch neue Hoffnungen mit diesem Datum verbunden waren. Diese unterschiedlichen Dimensionen müssen in der Erinnerungsarbeit der schulischen und der außerschulischen Bildung in Rheinland-Pfalz unterschiedlich berücksichtigt werden. Sie dürfen nicht auf ein historisches Datum verkürzt werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)