Protocol of the Session on August 18, 2011

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vorab eine Bemerkung: Ich begrüße es ausdrücklich, dass wir heute so intensiv und so ausführlich in diesem Hause über europäische Angelegenheiten diskutieren. Ich finde, das tut diesem Parlament gut und tut auch unserer Rolle als rheinland-pfälzische Abgeordnete gut, weil wir als Land Rheinland-Pfalz auch – ich glaube, so ähnlich steht es in Ihrem Antrag – zu der europäischen Kernregion gehören und die Bedeutung der Regionen und damit die Bedeutung der Bundesländer in Zukunft eine hoffentlich noch größere Rolle spielen wird, als das bisher der Fall ist.

(Frau Klöckner, CDU: Genau, Ludwigshafen!)

Jetzt kann man hier nahtlos an die Debatte von heute Morgen oder heute Nachmittag im Rahmen der Aktuellen Stunde anknüpfen. Wenn man das Ergebnis der Debatte von vorhin einmal resümiert, wird man feststellen, dass viele Punkte aus dem hier vorliegenden Antrag zwischenzeitlich schlicht und ergreifend – das ist gar kein Vorwurf, sondern nur eine Feststellung – überholt sind. Die haben sich erübrigt. Sie haben sich teilweise auch durch die Ergebnisse des deutsch-französischen Gipfels in Paris von vorgestern Abend erübrigt; denn vieles, was Sie in Ihrem Antrag fordern, soweit es überhaupt konkretisierbar ist, was Sie dort beschreiben, ist als Ergebnis des deutsch-französischen Gipfels in Paris gestern und heute ausführlich kommuniziert worden. Insofern ist der Antrag vielleicht auch ein Zeichen dafür, wie man wieder einmal die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland in dem, was sie in dieser schwierigen Situation durchzusetzen in der Lage ist, unterschätzt hat.

(Beifall der CDU – Ramsauer, SPD: Schauen wir mal!)

Das, was in Paris vereinbart worden ist nach schwierigen Verhandlungen und zugegebenermaßen auch an der ein oder anderen Stelle einer gewissen Kakofonie der Äußerungen auf allen Seiten, geht deutlich und weit über das hinaus, was Sie in Ihrem Antrag fordern. Da ist von einer echten Wirtschaftsregierung mit einem ständigen Vorsitz die Rede.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist das, was Sie in Ihrem Antrag unter anderem fordern, wenn auch in einer anderen Formulierung. Eine echte Wirtschaftsregierung mit ständigem Vorsitz bedeutet nichts anderes, als den Versuch zu unternehmen – ich drücke mich vorsichtig aus –, die Finanz- und Haushaltspolitik, soweit sie in der nationalen Verantwortung steht und national verantwortet werden muss, in den Zusammenhang einer Wirtschaftspolitik, einer Arbeitsmarkt- und

Haushaltspolitik einzubetten, die europäischen integrierten Kriterien gerecht wird.

(Ramsauer, SPD: Das ist richtig, wenn die Franzosen das mitmachen!)

Ich denke, gegen diese Forderung kann man nichts haben. Die ist hier auch von allen Rednern in der vorangegangenen Debatte gefordert worden. Es ist die Einführung der Schuldenbremse für alle Eurostaaten vereinbart worden. Das entspricht mehr oder weniger auch einer Formulierung in Ihrem Antrag. Es ist die Verpflichtung zum Abbau der Staatsschulden vereinbart worden. Es ist ein gezielterer Einsatz des EU-Strukturfonds vereinbart worden. Das heißt, die Verwendung der Mittel soll stärker kontrolliert werden, und der Einsatz der Mittel aus diesen Fonds soll zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Staaten eingesetzt werden.

Herr Ramsauer, dann ist das vereinbart worden, worüber lange diskutiert worden ist – das haben Sie zu Recht festgestellt –, nämlich die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Jetzt können Sie sagen, das kommt viel zu spät. Das kann man sagen, wenn man es nicht selbst verhandeln muss.

(Ministerpräsident Beck: Na ja!)

Das kann man auch sagen, wenn man es in Europa nicht selbst durchsetzen muss. Aber wir haben das Ergebnis. Das Ergebnis ist richtig. Das Ergebnis ist so konkret, dass bis Ende September ein gemeinsamer Vorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer vorliegen wird. Ich brauche hier nicht zu erklären, dass die Frage, ob man das in den 17 Eurostaaten oder in den 27 EU-Staaten einführt, eine Frage ist, die man nicht einfach aus dem Handgelenk beantwortet, sondern da muss man genau überlegen. Da muss man abschätzen, welche Erfolgsaussichten die Einführung hat.

(Ramsauer, SPD: Aber man muss es wollen!)

Das es gewollt ist, ist ja ausdrücklich – – –

(Ramsauer, SPD: Jetzt!)

Herr Ramsauer, Sie wissen doch, dass viele in Europa die Finanztransaktionssteuer und die notwendigen Regulierungen der Finanzmärkte – da sind wir gar nicht auseinander – schlicht und ergreifend ablehnen. Dann muss ich das doch – – –

(Ministerpräsident Beck: Zum Beispiel Ihr Regie- rungspartner in Berlin! Das muss man in die Rechnung schreiben!)

Dann muss ich das doch in die Politik einspeisen und umsetzen. Dann muss ich doch in Europa zu Ergebnissen kommen.

Wir kommen mit unserem Koalitionspartner in Berlin bestens zurecht Herr Ministerpräsident,

(Ministerpräsident Beck: Das nimmt Ihnen dort aber niemand ab! – Ramsauer, SPD: Das glaubt Ihnen doch keiner!)

und die schwarz-gelbe Koalition leistet hervorragende Arbeit.

(Beifall der CDU)

Wenn ich daran denke, wie es wäre, wenn Rot-Grün in dieser für die Finanzmärkte und für die Europäische Union schwierigen Zeit in Berlin Verantwortung tragen würde, wird mir ganz schwindelig.

(Beifall der CDU)

Wer dieses Land unter der seit 20 Jahren dauernden Verantwortung sozialdemokratischer Finanzminister an die Spitze der Verschuldung aller westlichen Flächenländer geführt hat, sollte sich mit Ratschlägen an andere vielleicht ein klein bisschen zurückhalten.

(Beifall der CDU – Ministerpräsident Beck: Ja, ja!)

Das tut halt weh.

(Ministerpräsident Beck: Das tut Ihnen weh! Es hat noch nie eine Bundesregierung gegeben, die so versagt hat! – Zurufe von der CDU)

Mir tut überhaupt nichts weh, mir geht es top. – Ich will eine Forderung aufgreifen, auf die Sie sich in der vorherigen Debatte ebenfalls bezogen haben, meiner Meinung nach völlig zu Recht: die Harmonisierung des Steuersystems innerhalb der Europäischen Union. Auch dazu wurde auf dem deutsch-französischen Gipfel vorgestern Abend eine ganz konkrete, unmissverständliche Vereinbarung getroffen, nämlich die Einführung einer gemeinsamen Körperschaftsteuer, um den ruinösen Steuerwettbewerb in der EU zu unterbinden.

Jetzt wird man sich fragen, was das zum Beispiel mit Griechenlands Schuldenkrise zu tun hat. Damit hat das wenig zu tun. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es hat aber sehr viel mit dem Kernbereich einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung zu tun; denn das ist der erste konkrete Schritt hin zu einer solchen Wirtschaftsregierung. Deshalb sind das Thema „Europa“ und das Thema „Schuldenkrise europäischer Staaten“ zu ernst, als dass man es dazu benutzten sollte, um der Bundesregierung auf platte Art und Weise an den Karren zu fahren.

(Beifall der CDU – Ministerpräsident Beck: Darum geht es doch gar nicht!)

Dafür ist dieses Thema zu ernst und zu wichtig, zumal all die Kritik, die Sie bisher an der Bundesregierung und der Bundeskanzlerin geübt haben, ins Leere geht.

(Beifall der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Kollege Wiechmann das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Zuerst wollte ich den Kollegen Weiland für seine sachliche Darstellung der Argumentation der CDU loben, aber leider hat er zum Schluss die Kurve genommen, die in die falsche Richtung führt.

Ich möchte eines völlig klarstellen, auch vor dem Hintergrund der Debatte über die Finanzkrise heute Mittag, die gerade von den Kolleginnen und Kollegen von der CDU, insbesondere von Frau Klöckner, geführt worden ist: Die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union beruht auf Lehren, die weitsichtige Politikerinnen und Politiker aus der Geschichte unsere Kontinents – nach zwei Weltkriegen, nach dem Holocaust, nach dem Nationalsozialismus und nach der Teilung unseres Kontinents – gezogen haben. Wir wollen – da sind wir sicherlich alle einer Meinung – Frieden, Freiheit und Demokratie für unseren Kontinent. Wir alle glauben, dass sich das besser gewährleisten lässt, wenn wir gemeinsam handeln, als wenn wir nationale Interessen verfolgen und immer Nationalismen vor uns hertragen. Vielmehr ist es besser, wenn wir staatenübergreifend gemeinsame Interessen vertreten. Ich hatte eigentlich das Gefühl, dass wir so weit waren.

Ich sage Ihnen aber auch vor dem Hintergrund dessen, was wir heute diskutiert haben, ganz deutlich: Ich war nie ein Fan von Helmut Kohl. Aber das, was im Moment europapolitisch läuft und was auch von Ihnen heute in europapolitischer Hinsicht zum Besten gegeben worden ist, ist meilenweit davon entfernt. Wir waren schon einmal sehr viel weiter. Gerade Helmut Kohl hatte die Union auf ein starkes Europa eingeschworen. Davon sind Sie im Moment weit entfernt, und das hat mich im Laufe der heutigen Debatte sehr enttäuscht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Das ist so, und das weiß der Kollege Weiland. Die großen Verdienste von Helmut Kohl lagen fast ausschließlich in der Europapolitik. Ich hätte mir gewünscht, dass sich gerade die rheinland-pfälzische Union dem ein bisschen mehr verpflichtet fühlt.

Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Europäische Union ist nun aber erschüttert. Das liegt nicht nur an der Finanzkrise, sondern auch daran, wie nationale Regierungen agieren: sprunghaft und oft hinter verschlossenen Türen. Sie lassen sich oft von populistischen Stimmungen treiben, und sie schaffen leider nur sehr selten eine wirklich europäische Geschichte von der Art, wie sie uns alle eigentlich verbinden sollte.

Warum ist ein vereintes Europa in einer globalisierten Welt denn so wichtig? Warum ist es besser, wenn die EU-Staaten ihre Interessen gemeinsam vertreten, als wenn jeder Staat allein für sich kämpft? Warum und wie profitieren jeder einzelne Bürger und jede einzelne Bürgerin gerade in der jetzigen Situation von der Europäischen Union? – Das sind Fragen, auf die die Europapolitiker und auch wir Antworten geben müssen.

Ich bin fest davon überzeugt, dass das die einzige richtige Lösung ist: Aus der Krise, die wir alle im Moment erleben, können wir nur dann die richtigen Lehren ziehen, wenn wir Europa als ein politisches Konzept und als ein politisches Projekt weiterentwickeln – das gilt auch für die Institutionen – und für mehr Transparenz sorgen. Wenn wir die jetzige Krise als Chance begreifen, um Europa weiterzuentwickeln, statt uns davon zu entfernen, haben wir tatsächlich die Möglichkeit, Europa weiter zu vereinen und es, auch zum Schutz vor neuen Krisen, stabiler zu machen. Das ist unser Interesse, und das ist das, was wir in dem Antrag formulieren, den wir gemeinsam mit der SPD-Fraktion eingebracht haben.

Gerade wir Rheinland-Pfälzer – das wissen Sie; das hat Kollege Dr. Weiland auch gesagt –, die wir im Herzen von Europa leben, wissen nur zu gut, welche positiven Veränderungen die Europäische Union mit sich gebracht hat. Ich habe angesprochen, dass ich von dem enttäuscht bin, was die Mitglieder der rheinland-pfälzischen CDU-Fraktion heute zu Europa von sich gegeben haben. Aber wir können das leider auch auf das ausweiten, was von der schwarz-gelben Regierungskoalition in Berlin kommt. Ich habe noch von keiner einzigen konzeptionellen Idee gehört. Auch eine gemeinsame einheitliche Strategie und ein klares Ja zu Europa sind in den letzten Wochen und Monaten, als es wirklich um etwas ging, nicht aus Berlin gekommen. Das ist etwas, was man dieser Bundeskanzlerin und dieser Bundesregierung ohne Wenn und Aber vorwerfen muss.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, Kollege Steinbach hat es heute schon in der Aktuellen Stunde sehr deutlich gemacht: Die Schuldenkrise in der Europäischen Union bedarf eines schnellen und effizienten Handelns und eben nicht des Zauderns und des Sich-Wegduckens, wie es im Moment in Berlin zu beobachten ist. Es kommt jetzt ein bisschen Bewegung in die Sache – das will ich gar nicht bestreiten –, aber es ist eben Monate zu spät.

Wir brauchen einen nachhaltigen Schuldenabbau, und wir glauben, dass das nur durch ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der gesamten Europäischen Union gelingen kann. Damit wir nicht immer von Neuem über Hilfsprojekte streiten müssen, ist es aus unserer Sicht unerlässlich, dass es für die Beteiligung der Gläubiger, beim Schuldenabbau und bei der Regulierung der Finanzmärkte klare Regeln gibt. Die Finanztransaktionssteuer ist, wie wir eben Gott sei Dank gemeinsam konstatiert haben, überfällig. Auch die Bundesregierung hat sich endlich auf diesen Weg gemacht. Wir fordern diese Steuern schon seit vielen Jahren.

Die Kosten der Krise, die wir erleben, müssen ohne Wenn und Aber gerecht aufgeteilt werden. Das bedeutet für uns, dass die starken Schultern – zu diesen starken Schulten gehört dankenswerterweise auch Deutschland – ein angemessenes Gewicht tragen müssen, genauso wie diejenigen, die von dieser Krise profitiert haben. Wir brauchen darüber hinaus kluge aufeinander abgestimmte und gemeinsame Investitionsprogramme. Wir brauchen Strukturreformen in der Europäischen

Union, und wir brauchen eine stabile und nachhaltige Finanz- und Wirtschaftsordnung.

Dazu gehört neben der Finanztransaktionssteuer, die dankenswerterweise Konsens geworden ist, auch die bereits erreichte Bankenabgabe, aber auch – das ist besonders wichtig – eine verbesserte Finanzmarktaufsicht. Dazu hat Herr Kollege Steinbach heute in der Aktuellen Stunde das Nötigste gesagt.

Wir sind davon überzeugt, dass nur eine solide und nachhaltige Haushaltspolitik das beste Mittel ist, um das Vertrauen, das sich im Moment von Europa leider ein bisschen entfernt, zurückzugewinnen, nicht nur das Vertrauen der Märkte, sondern vor allem auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in der Europäischen Union. Ohne Solidität bei den öffentlichen Finanzen gibt es keinen stabilen Euro und keine öffentliche Zustimmung zu dem, was wir europäische Solidarität nennen.

Meine Damen und Herren, deswegen zeigt diese derzeitige Krise, dass die Eurozone durch eine Europäische Wirtschaftsunion ergänzt werden muss. Die Diskussion über eine gemeinsame Wirtschaftsregierung hat Herr Kollege Dr. Weiland erwähnt. Der bisherige Rahmen einer gemeinsamen Währung – das hat die Krise offengelegt – reicht nicht aus. Wir brauchen einen erweiterten Rahmen. Wir brauchen auch eine Erweiterung im Bereich der Wirtschafts-, der Steuer- und der Sozialpolitik.