Vor allem die CSU hat im Wahlkampf den Anschein erweckt, dass Rumänen und Bulgaren in Massen nach Deutschland in unsere Sozialsysteme strömten. Herr Kollege Weiner, auch Sie haben sozusagen unterschwellig durchaus solche Tendenzen eben gerade leider angedeutet.
Die Statistiken der Bundesagentur für Arbeit sagen klipp und klar, es sind nur 0,7 % der Arbeitslosengeld-IIEmpfänger aus Rumänien oder Bulgarien. Die große Mehrheit der Staatsbürger aus diesen beiden europäischen Ländern hat sozialversicherungspflichtige Jobs. Mit dieser Bundesratsinitiative Bayerns zur angeblichen Zuwanderung in diese sozialen Sicherungssysteme, die nur ein paar Tage vor der Europawahl gekommen ist, haben Sie in unverantwortlicher Weise rechtspopulistische Stimmung geschürt. Ich appelliere an Sie alle von der CDU, sich hier und heute klar von solchen Tendenzen in der deutschen Union zu distanzieren und hier klar und deutlich zu sagen, dass es nicht in Ihrem Namen geschehen ist.
Meine Damen und Herren, man muss aber auch sagen, es gibt auch erfreuliche Nachrichten aus Brüssel. Eine erfreuliche Nachricht des gestrigen Tages ist zum Beispiel, dass Marine Le Pen und Geert Wilders es nicht geschafft haben, das nötige Quorum von Abgeordneten aus sieben Mitgliedstaaten zu erreichen, um eine Fraktion bilden zu können. Somit wird es auch im zukünftigen Europaparlament keine rechtsextreme Allianz für Freiheit, wie sie sich nennen wollten, geben.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Wir müssen uns auf den Weg – am besten gemeinsam – machen, das Europa der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. Ich glaube, das ist eigentlich im Sinne von uns RheinlandPfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern, auch von Ihnen, verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich die Frage beantworten, die Herr Weiner eben gestellt hat, wieso diese Debatte geführt wird. Ich frage mich umgekehrt, wieso diese Debatte nicht in der ersten Sitzung dieses rheinland-pfälzischen Landtags nach der Europawahl geführt werden sollte, dass wir uns mit den Ergebnissen der Europawahl und auch mit den notwendigen Konsequenzen auseinandersetzen, die wir bundesweit, die wir in Europa, die wir aber auch in Rheinland-Pfalz daraus zu ziehen haben. Nein, sie gehört hierher. Herr Weiner, diese Frage ist relativ entlarvend, die Sie am Anfang gestellt haben.
Ich möchte mit dem beginnen, was auch schon Hendrik Hering angesprochen hat. Das Erste und das Erfreuliche bei dieser Europawahl ist, dass die RheinlandPfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer durch die höchste Wahlbeteiligung aller Bundesländer offensichtlich ein Bekenntnis für Europa abgegeben haben. Nun muss uns das nicht in Jubel ausbrechen lassen; denn 57 % Wahlbeteiligung sind dazu nicht geeignet, aber es ist in diesem Zusammenhang ein Signal gewesen. Es ist auch nicht nur darauf zurückzuführen, dass wir eine Kommunalwahl hatten. Das hatten neun weitere Bundesländer auch.
Es ist aber – ich glaube, das ist richtig – mit den historischen Erfahrungen der Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer verbunden, gerade auch, weil sie Europa zu schätzen wissen, weil sie Errungenschaften, die Europa gebracht hat – von der Freizügigkeit, der Mobilität, den Freiheiten, aber auch die Wirkung auf Arbeitsplätze, auf wirtschaftliche Entwicklung –, wertschätzen und deswegen auch an Europa hängen und sich Europa auch nicht kaputt machen lassen. Ich finde, deswegen ist das ausgesprochen erfreulich, was wir hier mit der Europawahl in Rheinland-Pfalz verbinden können.
Ich glaube, dass wir als Landesregierung daran auch einen Anteil haben; denn es zahlt sich aus, dass man einen klaren Kurs auch in der Europapolitik hat, man einen klaren proeuropäischen Kurs fährt und wir auch die europapolitische Debatte befördern. Es ist ein Schwerpunkt dieser Landesregierung. Es ist – so kann man sagen – auch Chefsache der Ministerpräsidentin, sich um Europa zu kümmern. Wir bauen an unseren Grenzen zusammen mit unseren europäischen Nachbarn an diesem gemeinsamen Europa und an der weiteren Integration von unten auch mit unseren Partnerregionen. Wir sind stolz darauf, dass in diesem RheinlandPfalz Europa gelebt wird durch eine Vielzahl – man kann sagen, eine ungezählte Zahl – von Partnerschaften auf kommunaler Ebene zwischen Vereinigungen, zwischen
Verbänden und zwischen Schulen. Auch das macht Europa und auch den proeuropäischen Kurs in Rheinland-Pfalz aus.
Europa ist für die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer weit mehr als nur eine Wirtschaftsunion. Hier ist angekommen, dass man die Vielfalt, die Europa bedeutet, schätzt und sie nicht mehr missen möchte. Auch dass es eine kulturelle Bereicherung ist, gehört meines Erachtens zu dieser Debatte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn 15 der 20 stärksten Wahlbezirke hinsichtlich der Wahlbeteiligung aus Rheinland-Pfalz kommen, dann ist das eine Ansage und gut so. Wir wissen aber auch, dass ein Mobilisierungsschub zu verzeichnen war, weil fünf europäische Parteienverbünde Spitzenkandidaten auf europäischer Ebene aufgestellt haben, und zwar nicht, weil das irgendwie eine Strategie von Wahlkampfstrategen oder Wahlkampagnenbüros war, sondern weil es fundiert ist durch einen geänderten Europäischen Vertrag, dass es in Zukunft keinen Kommissionspräsidenten ohne Zustimmung des Europäischen Parlaments gibt.
Auch diese Entscheidung, die im Übrigen die EVP, wenn auch nach Zögern, schließlich getroffen hat, dass man mit Spitzenkandidaten mobilisiert, hat einen Mobilisierungsschub gebracht. Ich glaube, man kann sagen, gerade in Deutschland, dass Martin Schulz – das ist parteiübergreifend anerkannt – hier einen wesentlichen Anteil an diesem Mobilisierungsschub hatte. Nicht umsonst hatten wir ein Plus an der Wahlbeteiligung in Deutschland von 5 % zu verzeichnen.
Es ist fast verrückt: Es war leider nicht so, dass sich die Bundeskanzlerin von Anfang an dieses Themas angenommen hat und Jean-Claude Juncker ihr Spitzenkandidat für die Kommissionspräsidentschaft wird.
Wenn das am Wochenende geschieht, und die Zeichen stehen nicht schlecht, dass gegen Ende der Woche, wenn der Europäische Rat tagt, es eine Mehrheit für Jean-Claude Juncker als Vorschlag zunächst des Rates für den Kommissionspräsidenten gibt, dann muss man sagen, hat das vor allem an der Konsequenz und der Beharrlichkeit sowohl der Sozialdemokraten als auch der GRÜNEN im Europäischen Parlament gehangen, dass das so weit gekommen ist – an der CDU in Deutschland zunächst einmal nicht.
Wenn Sie diesen Spitzenkandidaten durchsetzen, dann haben Sie das ein Stück weit auch den anderen europäischen Parteien im Parlament zu verdanken.
Herr Weiner, Sie haben mit dem Satz begonnen, die Union oder die EVP sei Wahlsieger. Man muss unterscheiden – ja, das respektieren alle, deswegen gibt es auch die Entscheidung für Herrn Juncker –, sie ist die stärkste Fraktion. Aber ob man ein Parteienbündnis, das
auf europäischer Ebene mehr als 50 Sitze verloren hat, nahezu 20 %, zum Wahlsieger auf europäischer Ebene erklären kann, das sei an dieser Stelle noch einmal dahingestellt, Herr Weiner. Sprachlich sollte man da ein bisschen differenzieren.
Die Schattenseiten dieser Europawahl sind angesprochen worden. Es gehört zur Realität, dass es noch nie in Europa ein Europäisches Parlament mit einem solch großen Anteil von Antieuropäern, Rechtspopulisten und nationalistischen Parteien gab, deren Anteil sich je nach Zählweise auf 20 % bis 25 % beläuft.
Das heißt, es wird auch im Europäischen Parlament eine Veränderung in der Zusammenarbeit geben. Ich weiß nicht, ob das gut ist. Eines aber zeichnet sich jetzt schon ab: dass es dort einmal mehr eine Große Koalition gibt oder geben wird. Ob das gut ist im Sinne einer Demokratiedebatte, die wir in Europa brauchen, die eigentlich auch das europäische Projekt und seine Ausrichtung befördern sollte, wage ich zumindest zu hinterfragen.
Aber dass diese Europawahl – jetzt komme ich zum Kern der Debatte – Konsequenzen haben muss, das ist sicher. Das Erstarken der rechten Parteien und auch der AfD in Deutschland hat Ursachen. Man kann nicht einfach darüber hinweggehen. Auch wenn in einigen europäischen Mitgliedstaaten nationale Fragestellungen und Probleme mit verantwortlich sind für die jeweiligen Wahlergebnisse, insbesondere auch der Rechten, so gibt es dennoch Fragen, die man an die europäische Politik und ihre Ausrichtung stellen muss.
Insofern plädiere ich intensiv dafür, dass wir uns um eine Neuausrichtung in wesentlichen Fragen der europäischen Politik bemühen, um nicht das europäische Projekt insgesamt infrage zu stellen durch Wahlabstinenz oder durch weiteres Erstarken von Protestwählern und Parteien, die sich vor allen Dingen über Protest oder Abkehr von Europa identifizieren.
Das heißt, wir brauchen eine europäische Politik, mit der die Menschen wieder Vertrauen in ihre eigene soziale Perspektive verbinden und nicht mit Sozialdumping und Verunsicherung. Wir brauchen eine europäische Debatte, und zwar ganz konkret, was in Zukunft in Europa gemacht wird und was – streng im Sinne der Frage der Subsidiarität – auf Mitgliedsstaatenebene oder auf regionaler oder kommunaler Ebene zu erledigen sein wird. Das haben Sie auch im Wahlkampf thematisiert. Es verlangt dann aber irgendwann einmal ganz konkrete Antworten in der Politik.
Es bedeutet auch eine Veränderung der Antworten auf die Frage, was die Eurorettung betrifft und die Zukunft des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Um es gleich vorwegzunehmen: Es gibt hier nicht den Gegensatz zwischen Stabilität auf der einen Seite, zwischen Sparen und Reformen, und auf der anderen Seite dem Geldausgeben, wie das manche Medien betiteln mögen. Es geht um das Sowohl-als-auch.
Hier Zeit zu geben und den Impuls in Innovation, Wachstum und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, insbesondere Jugendarbeitslosigkeit, zu setzen, das ist mehr als überfällig und muss zu diesen Konsequenzen gehören.
In Europa wird man darauf achten, wie man sich jetzt mit diesen antieuropäischen Parteien verhält. Ich darf Ihnen sagen, der große Teil des Europäischen Parlaments hat sich darauf verständigt, dass man in Europa im Europäischen Parlament nicht die Zusammenarbeit mit diesen Parteien sucht. Das ist eine ziemlich klare Ansage.
Nun weiß ich, dass es in der EVP und auch in der Union eine gewisse Anfälligkeit gibt, gerade die Themen der rechten Parteien aufzugreifen – das ist auch von Herrn Nils Wiechmann angesprochen worden – und dass man immer wieder die Zusammenarbeit sucht.
Insofern glaube ich, ist die Frage, die auch Hendrik Hering am Anfang gestellt hat, hier schon berechtigt: Wie halten Sie es mit der Zusammenarbeit, auch mit der AfD hier in Rheinland-Pfalz?
Was Europa nicht gebrauchen kann, ist eine Verunsicherung. Ich sage hier an dieser Stelle, Ihre eigenen Abgeordneten im Europäischen Parlament werden gefragt werden: Wie hält es die CDU in Rheinland-Pfalz mit der AfD? Das werden Sie in Brüssel beantworten müssen.
Ich würde gern als Europaministerin in Brüssel sagen können, dass die Volksparteien, die großen Parteien, die demokratischen Parteien in Rheinland-Pfalz, egal auf welcher politischen Ebene, nicht mit den Antieuropäern, mit den Nationalisten zusammenarbeiten, wie sie die AfD nun einmal darstellt. Dazu haben Sie heute oder morgen die Gelegenheit, dies eindeutig, auch gegenüber der Öffentlichkeit, zu erklären.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Debatte gehört sehr wohl hierher. Die AfD ist keine harmlose Partei. Sie will heraus aus dem Euro, weniger Europa, keine Demokratie. Sie möchte im Übrigen Vetorechte für nationale Parlamente, obwohl sie für das Europäische Parlament kandidiert hat. Das ist nicht harmlos.
Eine solche Politik würde tatsächlich Wohlstand und Arbeitsplätze in Rheinland-Pfalz gefährden. Das sollte auch für Sie Grund genug sein, sich klar von diesen Parteien zu distanzieren, gerade auch, wenn es um die Zusammenarbeit geht, egal auf welcher politischen Ebene.