Regen Sie sich doch nicht auf. Hören Sie lieber einmal zu. Wir verfolgen einmal im Detail, wie das gewesen ist und wie sich der Herr Minister eingelassen hat. Am 30. Januar, einen Tag später, lanciert der Minister urplötzlich
die Meldung, dass ein fertiger Vorschlag vorläge, den Sie nur noch nicht dem Bundesrat zugeleitet hätten.
Wenn Sie am 29. Januar, also einen Tag vorher, noch nicht gewusst haben, dass es diesen Entwurf in Ihrer Schulblade in Ihrem Ministerium gibt, muss wohl jemand in ziemlicher Hast und wahrscheinlich in ziemlich langer Nachtarbeit tätig geworden sein. Anders ist das nicht zu erklären. Sie werden mir zustimmen. Das war nun wirklich keine souveräne Verteidigung, die Sie an den Tag gelegt haben. So geht das nicht.
Gern hätte ich mich inhaltlich mit Ihrem Entwurf auseinandergesetzt, nämlich dem, der in Ihrer Schublade liegt, wie Sie gesagt haben. Ich kenne ihn aber nach wie vor nicht. Ich weiß nicht, ob ihn jemand anderes kennt. Wenn Sie ihn heute dabei haben – vielleicht haben Sie ihn dabei –, wäre es schön, wenn Sie uns Ihr Konzept vorstellen würden. Das sind Sie nun nach dem, was wir im August 2012 beschlossen haben, dem Landtag schuldig;
Uns allen steht immer noch der Fall der jungen Frau aus dem Westerwald vor Augen, zu der ein Lehrer, der sie nur vertretungsweise in einer Arbeitsgemeinschaft unterrichtet hat, eine sexuelle Beziehung aufnahm, als sie gerade einmal 14 Jahre alt war. Wir haben inzwischen lesen können, dass die ADD dieser jungen Frau ein Schmerzensgeld gezahlt hat. Das ist gut und richtig. Strafrechtlich war, wie uns das Oberlandesgericht Koblenz gelehrt hat, dieser Fall nicht zu fassen. Mag auch der Bundesgerichtshof die gleiche Gesetzesauslegung vorgenommen haben, so will der gesunde Menschenverstand nicht begreifen, dass Kinder Lehrern, die nicht ihre Fach- oder Klassenlehrer sind, nicht im Sinne des Gesetzes anvertraut sein sollen.
Was für das Lehrer-Schüler-Verhältnis gilt, gilt in gleicher Weise für viele ähnlich gelagerte Konstellationen. Jugendgruppenleiter oder Sporttrainer können in gleicher Weise ihre rollenbedingte Überlegenheit zu sexuellen Übergriffen ausnutzen, die wir bei Jugendlichen unter 16 Jahren auch bei Einvernehmlichkeit des Sexualkontakts nicht akzeptieren können.
Schulen, Jugendgruppen und Sportvereine müssen auch weiter geschützte Räume bleiben, denen wir unsere Kinder bedenkenlos anvertrauen können. Deswegen brauchen wir eine Änderung des Strafgesetzbuches, und zwar jetzt und nicht irgendwann.
Deswegen möchte ich hier und heute erneut an Sie, Herr Minister, appellieren: Legen Sie Ihren Entwurf, der in Ihrer Schublade schlummert, endlich vor! Gehen Sie damit in den Bundesrat und sorgen Sie für die Schlie
ßung der Strafbarkeitslücke! Das sind wir der betroffenen jungen Frau und ihrer Familie, dem Landtag und den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes schuldig.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Dr. Wilke, so viel Polemik wird diesem Thema nicht gerecht.
Das ist ein schwieriges Thema. Ich habe die Befürchtung gehabt – diese ist so eingetreten –, dass Sie den Versuch gestartet haben, den Justizminister in Misskredit zu bringen. Es ging Ihnen weniger um die Sache. Ich finde das schade, weil es ein wichtiges und sensibles Thema ist, über das wir uns inhaltlich durchaus auseinandersetzen können. Es geht nicht darum, dass wir ein Stück weit Vergangenheitsbewältigung machen, zumal Sie die Fakten kennen. Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Meine Damen und Herren, es ist eine der vornehmsten Aufgaben des Staates, Kinder und Jugendliche in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern, ihnen die Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen und sie vor Gefahren und Missbrauch zu schützen.
Deshalb ist es völlig klar – da gibt es keinen Dissens –, wer sich an Kindern und Jugendlichen vergreift, muss die Reaktion des Staates spüren. Das gilt vor allem auch für Schutzbefohlene. § 174 Strafgesetzbuch stellt deshalb sexuelle Handlungen an einer Person unter 16 Jahren, die zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung anvertraut ist, unter Strafe.
Der Fall einer Lehrer-Schülerin-Beziehung im Kreis Neuwied hat gezeigt, dass die Strafbarkeit nur dann gegeben ist, wenn ein Obhutsverhältnis vorliegt. Die Rechtsprechung hat dies so definiert, dass es in diesen Fällen nur dann gegeben ist, wenn es sich um Klassen- oder Fachlehrerinnen und -lehrer handelt. Der Vertretungslehrer wurde in dem vorliegenden Fall von dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an einer 14-jährigen Schülerin freigesprochen, da er nur sporadisch als Vertretungslehrer eingesetzt war. Ich glaube, das macht auch den Anspruch und die Herausforderung für eine Änderung des Strafgesetzbuchs deutlich.
Der Bundesgerichtshof hat in einem vergleichbaren Fall in ähnlicher Form ein Urteil gefällt. Deshalb müssen wir den Punkt des Obhutsverhältnisses und Abhängigkeits
verhältnisses genauer unter die Lupe nehmen. Es ist auf jeden Fall gut, dass der Landesgesetzgeber reagiert hat.
Wir haben das Schulgesetz in eigener Gesetzgebungskompetenz geändert und verbessert. Wir haben die Möglichkeiten des Dienstherrn, disziplinarrechtlich einzuwirken, deutlich erweitert und die Verantwortung auf alle Lehrkräfte ausgedehnt. Das war ein erster wichtiger Schritt. Das war die Gesetzgebungskompetenz des Landes. Dieser sind wir gerecht geworden.
Das Strafrecht offenbart eine Lücke. Die Schule muss ein geschützter Bereich für Schülerinnen und Schüler bleiben. Auch Eltern müssen darauf vertrauen können, dass ihre Kinder und Jugendlichen in der Schule in jeglicher Hinsicht sicher sind. Unsere Schulen verdienen dieses Vertrauen; denn klar ist, dass diese Grenzüberschreitung wie im Fall Neuwied Einzelfälle darstellen. Solche Fälle sind nicht die Regel. Es sind Einzelfälle.
Jeder sexuelle Missbrauch ist einer zu viel. Das ist völlig klar. Deshalb sprechen wir uns als SPD-Fraktion auch in unserem Alternativantrag dafür aus, dass wir diese Lücke in § 174 Strafgesetzbuch schließen und den Straftatbestand auf alle Lehrerinnen und Lehrer derselben Schule ausdehnen. Das wird sicherlich dazu führen müssen, dass wir das Thema Obhuts- und Abhängigkeitsverhältnis noch einmal genauer definieren. Es gibt den Vorschlag, dies als Über- und Unterordnungsverhältnis zu definieren. Ich glaube, das geht in die richtige Richtung.
Meine Damen und Herren von der CDU, Herr Dr. Wilke, es gibt in weiten Teilen Ihres Antrags keinen Dissens zu unserem Alternativantrag. Es gibt aber einen ganz wesentlichen Dissens, weil Ihr Antrag darauf abzielt, sagen zu wollen, der Justizminister hätte in der Vergangenheit etwas versäumt. Es geht um eine Bundesratsinitiative.
Herr Dr. Wilke, Sie wissen doch sehr wohl, dass sich der Justizminister sehr intensiv in den letzten beiden Jahren mit dieser Thematik auseinandergesetzt hat. Er hat auch entsprechende Vorbereitungen für einen Gesetzentwurf getroffen. Sie wissen sehr wohl, dass die Änderung des Strafgesetzbuches an der schwarz-gelben Koalition gescheitert ist,
weil die FDP-Ministerin nicht mitgemacht hat und die FDP-Fraktion ebenfalls gesagt hat, dass sie für eine Strafrechtsverschärfung nicht zu haben ist.
Das ist doch die Ursache. Sie wissen, dass der Koalitionsvertrag der Großen Koalition genau das vorsieht, nämlich einen lückenlosen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellen Übergriffen. Das steht im Koalitionsvertrag, und wir vertrauen der Großen Koalition, dass dieser Koalitionsvertrag zügig umgesetzt wird.
Wir setzen mit unserem Alternativantrag einen weiteren Akzent auf ein Schulklima, mit dem es darum geht, solche Situationen zu vermeiden. Das Strafrecht allein wird
nicht helfen. Es geht auch darum, Prävention und Aufklärung zu betreiben und insgesamt einen vertrauensvollen Umgang in den Schulen zu pflegen.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen von der CDU-Fraktion. Inhaltlich nicht weit weg voneinander, das mag vielleicht 2012 in dem damals vorliegenden Antrag so gewesen sein, bei diesem Antrag, den sie vorgelegt haben, sind wir es leider doch, und zwar ganz weit weg. Sie schreiben, Eltern erwarteten zu Recht, dass sexuelle Übergriffe in der Schule strafrechtlich verfolgt und sanktioniert würden.
Meine Damen und Herren, ich bezweifele das. Nach meiner Erfahrung haben Eltern eine ganz andere Erwartung, nämlich die, dass sexuelle Übergriffe auf ihre Kinder unterbleiben, und zwar überall.
In der Schule, in der Ausbildung, im öffentlichen wie auch im privaten Raum, diese Erwartung haben Eltern, und diese Erwartung haben sie zu Recht. Es ist Aufgabe des Staates, nach Kräften dafür zu sorgen, dass solche Übergriffe gar nicht erst stattfinden.
Was können wir, was kann das Land Rheinland-Pfalz in diesem Zusammenhang tun? – Wir können zunächst dafür sorgen, dass unsere Kinder eine geschützte Umgebung vorfinden. In der Schule tun wir das durch die Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer, durch Vertrauenspersonen, durch die Förderung von Schulsozialarbeit und schulpsychologischem Dienst. Viele Schulen bemühen sich insbesondere um die Grundsätze der Gewaltfreiheit, des Respekts und die Implementierung entsprechender Leitbilder. Diese Bemühungen sollten wir unterstützen, und wir haben dies getan.
Die Weiterentwicklung unseres Schulgesetzes im vergangenen Jahr war dazu ein weiterer Schritt. Über diesen ganz wesentlichen Aspekt verliert Ihr Antrag kein einziges Wort. Stattdessen unterstellt er eine Lücke im Gesetz, die wegen vermehrter Fälle dringend geschlossen werden müsse.
Sehr geehrte Damen und Herren, den Beweis für diese Behauptung bleiben Sie uns schuldig. Die Diskussion des vergangenen Jahres hat sich ausschließlich um einen einzigen Lehrer und ein einziges Urteil gedreht.
Erlauben Sie mir als rechtspolitische Sprecherin meiner Fraktion einige Ausführungen zur Bedeutung des Strafrechts im Staatsgefüge. Es hat eine zentrale Bedeutung. Es kodifiziert geltende Regeln und normiert die entsprechenden Strafen. Es gilt allgemein, und es gilt für alle.
Ein Gesetzgeber, der einen Einzelfall zum Anlass nimmt und ein Regelgefüge – ein solches stellt der Abschnitt über Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung der §§ 174 ff. dar – überarbeiten möchte, muss sich dies gut überlegen. Jede Änderung hat nicht nur Auswirkungen auf diesen einen Fall, den man regeln möchte, sondern auch weitere Konsequenzen.
Das in Ihrem Antrag erwähnte Unverständnis der Öffentlichkeit mag Sie zu diesem Antrag bewogen haben. Für eine Neugestaltung des § 174 Strafgesetzbuch, auch für die Diskussion als Ganzes, ist dies jedoch ein schlechter Ratgeber. Es erschließt sich auch nicht, was Sie mit Ihrem Antragsrecht eigentlich bezwecken. Der Änderungsprozess auf der Bundesebene ist doch bereits im Gange. Einfließen sollen die Erkenntnisse aus den Arbeitsgruppen. Einfließen müssen auch eine ergebnisoffene Prüfung und die Diskussionen aus der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister.