Menschen wie Heinz Hesdörffer führen uns plastisch und drastisch vor Augen, wie schnell der innere Zusammenhalt einer Gesellschaft ins Wanken kommen kann, wie er durch Wegschauen und Nichthandeln verletzlich und brüchig wird und welche unvorstellbar grausamen Folgen dies schließlich haben kann.
Sehr geehrter Herr Hesdörffer, Sie haben es eben wieder, aber auch in Ihrem Film und in Gesprächen mit Schülern und Schülerinnen im vergangenen Herbst zum
9. November gesagt: „Wir sollten ja nicht überleben“. Sie sagten dies über die Zeit im Konzentrationslager. Sie haben das Morden der Nazis mit viel Glück und mit einem sehr starken Willen überlebt. Viele, die Ähnliches erleiden mussten, haben Jahrzehnte gebraucht, um ihr Schweigen brechen zu können. Manche haben das nie geschafft. Wo es gelungen ist, kann das Reden darüber trotz der schlimmen Erinnerungen doch Gutes bewirken.
Sie haben in der Errichtung des Bildungswerkes Heinz Hesdörffer e.V. ganz wertvolle Impulse für das Gedenken und die Idee einer toleranten Gesellschaft gegeben. Diese Arbeit kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden; denn sie ist Aufklärung und Prävention in einem.
Ich zitiere Elie Wiesel, den Holocaustüberlebenden und Friedensnobelpreisträger von 1986: Jeder, der heute einem Zeugen zuhört, wird selbst ein Zeuge. –
Deshalb danke ich Ihnen, dass Sie uns heute zu Zeugen gemacht haben. Ich hoffe und wünsche mir, dass Sie dieses wichtige Engagement noch lange und auf so beeindruckende Weise fortsetzen werden.
Unser Versprechen gilt, dass wir im Land RheinlandPfalz alles daran setzen werden, Gedenken fortzusetzen.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir haben 1996 zum ersten Mal diesen Gedenktag begangen. Seit damals ist der Auftrag unverändert geblieben, nämlich einmal den Opfern der NS-Diktatur zu gedenken, aber auch die Erinnerung an die Ursachen und Folgen zu pflegen. Darüber hinaus ist unser Auftrag, dass Erinnern und Gedenken auch in die Zukunft hinein Wirkung zeigen. In den vergangenen knapp zwei Jahrzehnten ist dazu viel geschehen.
Die Gedenkstätten – der Präsident hat es schon gesagt –, KZ Osthofen, die Gedenkstätte SS-Sonderlager KZ Hinzert, wurden aufgebaut. Viele Bürger und Bürgerinnen haben sich in Fördervereinen für den Erhalt von Synagogengebäuden eingesetzt. Die neue Synagoge in Mainz wurde gebaut.
Der Blick auf die Opfergruppen hat sich in dieser Zeit geweitet Es verbindet das Land zu diesem Thema eine fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma.
Die Opfer der Krankenmorde in den sogenannten Heil- und Pflegeanstalten wie in Klingenmünster, in Alzey, in Andernach oder in Scheuern sind erst in den vergangenen zehn Jahren mehr in das Spektrum der Erinnerung gelangt. Die Schaffung der Gedenkstätte in Klingenmünster ist dabei ein wichtiger Schritt gewesen.
Im vergangenen Jahr eröffnete die Gedenkstätte in Neustadt an der Weinstraße, die an das frühe pfälzische KZ erinnert, ein gutes Beispiel für bürgerschaftliches und kommunalpolitisches Engagement.
Ein Thema rückt endlich auch immer mehr in das Bewusstsein, wie systematisch die jüdische Bevölkerung seit 1933 enteignet, ja geradezu ausgeplündert worden ist, wie schamlos sich Staat und Private am jüdischen Besitz bereichert haben. „Legalisierter Raub“ – So heißt eine Ausstellung, die derzeit in der Gedenkstätte KZ Osthofen zu sehen ist und die die Rolle der Finanzbehörden durchleuchtet. Auch das ist ein besonders bedrückendes Kapitel unserer Geschichte.
Die Gedenkstätten, die Fördervereine, aber auch viele individuell Aktive, sie alle leisten Jahr für Jahr eine außerordentlich wertvolle Arbeit. Deshalb möchte ich hier im Namen von uns allen all diesen Menschen herzlich danken.
Eines ist Ihnen, lieber Herr Hesdörffer, aber auch uns, besonders wichtig, nämlich junge Menschen zu erreichen. Sie haben neulich in einer Fernsehsendung den Satz gesagt: Ich fühle, es ist wichtig, dass die junge Generation weiß, was damals geschehen ist. – Ja, wir müssen die junge Generation natürlich dafür sensibilisieren, dass eine Demokratie eben kein Selbstläufer ist, sondern immer wieder neu erarbeitet und verteidigt werden muss. Das kann man am besten vermitteln, wenn man über die Geschichte Bescheid weiß.
Meine lieben Kollegen und Kolleginnen, meine sehr verehrten Gäste, die rechtsterroristische Mordserie des NSU hat uns das Gefahrenpotenzial des Rechtsextremismus gezeigt. Wer den Prozess in München verfolgt, der blickt in wahre Abgründe. Die wirkungsvolle Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist ein grundlegender Teil unserer Staatsräson. Das sind wir den Opfern von Unterdrückung und Verfolgung schuldig. Es ist unser aller Verantwortung.
Für die Landesregierung hat die Bekämpfung des Rechtsextremismus herausragende Priorität als Daueraufgabe von allen Ressorts unserer Regierung. Was dabei die Rolle der Sicherheitsbehörden anbelangt – ich sage das, weil sie aktuell im Fokus in der öffentlichen Bewertung stehen –, stelle ich für Rheinland-Pfalz ausdrücklich fest: Verfassungsschutz, Polizei und Justiz arbeiten eng, vertrauensvoll und intensiv zusammen. Wir verfolgen eine klare Strategie. Sie basiert auf einer umfassenden Präventionsarbeit, auf konsequentem Eingreifen und auf Hilfeangeboten für Einstiegsgefährdete wie auch Ausstiegswillige.
Denn eines ist ganz klar: Die knapp 700 Rechtsextremisten, die in unserem Land leben, sind 700 zu viel.
Für die Landesregierung gehört dazu ganz zentral auch das Verbot der NPD. Ich hoffe sehr, dass das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich sein wird.
Für das Alltägliche, für die gesellschaftspolitische Auseinandersetzung ist es mir aber auch noch einmal wichtig zu sagen, dass es nicht nur unser Auftrag sein sollte, Gedenken zu pflegen, junge Menschen ein Stück weit auf dem Weg zu begleiten, Dinge zu erkennen, sondern es ist mir auch wichtig, dass wir selbst immer wieder auch reflektieren, wie wir mit Diskussionen, wie wir mit
Worten, wie wir mit politischen Herausforderungen umgehen, welche Diskussionen wir anzetteln, welchen Ton wir eigentlich anschlagen und was wir damit vielleicht auch anrichten.
Ich sage das nicht mit Blick auf dieses Parlament, aber ich sage das mit Blick auf die Debatte um die Arbeitnehmerfreizügigkeit von Bürgern und Bürgerinnen aus Bulgarien und Rumänien. Das, was dort teilweise gesagt worden ist, ist wirklich auch ein Stück weit unselig. Kein Klischee und keine Stereotypen werden ausgelassen, um das schiefe Bild einer drohenden massenhaften Armutswanderung zu suggerieren.
In der Aussage war es falsch und verheerend in den Wirkungen. Wir wissen doch ganz genau, dass das Schüren von Ängsten natürlich auch immer Wasser auf die Mühlen der Falschen ist.
Heute der Opfer der Nazi-Diktatur zu gedenken, heißt auch, an 365 Tagen an die Lehren aus unserer Geschichte zu denken.
Eine ganz wesentliche Lehre ist aus meiner Sicht, dass wir sorgsam mit Worten und auch mit Aktionen umgehen, dass wir nicht Wasser auf die Mühlen von rechtspopulistisch denkenden Menschen schütten, weil es die Rechten und nicht eben unsere Demokratie stark macht.
Liebe Kollegen und liebe Kolleginnen, ich denke, wir sind uns hier in diesem Haus absolut einig. Nur wenn wir uns in den Zielen einig sind, einig über den Weg und einig in der Wahl der Mittel, dann wird in Deutschland
die Saat der Hassideologie niemals wieder aufgehen können. Der enge Schulterschluss von Staat und Gesellschaft, die Idee einer pluralistischen und toleranten Gesellschaft, eingebettet in eine wachsame Demokratie, ist die Conditio sine qua non bei der Bekämpfung von Extremismus und Intoleranz in jeglicher Form.
Der von den Nationalsozialisten verfemte und aus Deutschland vertriebene Carl Zuckmayer hat einmal gesagt: „Die Welt wird nie gut, aber sie könnte besser werden.“
Gedenken wir der Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, und arbeiten wir gemeinsam weiter daran, die Welt besser zu machen.