Protocol of the Session on October 1, 2013

In der Finanzplanung für die Jahre 2011 bis 2016 hat die Landesregierung parallel zur Verabschiedung des Doppelhaushalts – damals 2012/2013 – eine Konsolidierungsplanung bis zum Jahr 2020 festgelegt. Mit dieser Konsolidierungsplanung haben wir nochmals einen deutlich ehrgeizigeren Abbaupfad für die strukturelle Neuverschuldung definiert.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war möglich, weil diese Koalition den Mut hatte, in ihrer Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode nachhaltige Einsparungen konkret festzulegen und diese dann auch konsequent umzusetzen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Mir ist das schon bewusst, einfach war und ist das für die Kolleginnen und Kollegen aus den Fachressorts nicht. Aber es gehört zum Selbstverständnis einer Koalition, die Nachhaltigkeit als eines ihrer gesellschaftspolitischen Leitbilder versteht. Für unseren Abbaupfad des strukturellen Defizits lässt sich dies in Zahlen ablesen. Unsere selbst gesteckte Zielgröße für das Jahr 2015, die wir bereits im Jahr 2012 festgelegt haben, betrug 638 Millionen Euro strukturelle Neuverschuldung.

Meine Damen und Herren, das Ergebnis kann sich sehen lassen: Nach dem Entwurf der Landesregierung für den Doppelhaushalt wird das strukturelle Defizit im Jahr 2015 mit 607 Millionen Euro auch das selbst gesteckte Ziel aus der Finanzplanung deutlich unterschreiten.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Noch einmal zum Verständnis, weil viele Zahlen genannt wurden, rekapituliert: Die Verfassung lässt für das Jahr 2015 1,03 Milliarden Euro strukturelles Defizit zu, das Ausführungsgesetz 906 Millionen Euro, die eigene Zielmarke 638 Millionen Euro, und im Doppelhaushalt werden 607 Millionen Euro erreicht.

Ich finde, das ist ordentlich und zeigt, dass diese Koalition der Konsolidierung des Landeshaushalts oberste Priorität einräumt und auch unbequeme politische Ent

scheidungen geschlossen trägt. Ich sage aber auch ganz klar: Die Situation der meisten westdeutschen Landeshaushalte ist so, dass wir noch Schulden machen müssen. Jeder Euro Schulden ist 1 Euro zu viel. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Verschuldung strukturell abbauen und – wie eben beschrieben – diesen Schuldenabbau schneller vornehmen, als die Verfassung es vorsieht.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch im Jahr 2014 das strukturelle Defizit mit 716 Millionen Euro unter den zuvor genannten Grenzen der Verfassung, des Ausführungsgesetzes und der Konsolidierungsplanung liegt. Bis zum Jahr 2020 – das wissen Sie – gilt die alte Schuldenbegrenzungsregel, wonach die Nettokreditaufnahme die öffentlichen Investitionen nicht übersteigen darf, übergangsweise fort. Auch diese Grenze, meine Damen und Herren, wird deutlich eingehalten. Die öffentlichen Investitionen übersteigen die Nettokreditaufnahme im Jahr 2014 um mehr als 100 Millionen Euro und im Jahr 2015 um mehr als 200 Millionen Euro; bezieht man die Landesbetriebe mit ein – was wir wohl tun müssen –, wird der Abstand noch einmal deutlich größer.

Meine Damen und Herren, angesichts der Kritik von mancher Seite an den Einsparmaßnahmen der Landesregierung mag man sich die Frage stellen, ob es überhaupt sinnvoll ist, die Ausgaben stärker zurückzuführen, als dies gesetzlich notwendig ist.

(Baldauf, CDU: Wer stellt sich denn so eine Frage?)

Mindestens drei Gründe, meine sehr verehrten Damen und Herren, sprechen dafür:

Erstens stabilisiert ein gewisser Sicherheitsabstand zu den gesetzlich vorgeschriebenen Grenzen den Landeshaushalt gegenüber unerwarteten Entwicklungen im Haushaltsvollzug.

Zweitens bedeutet eine überproportionale Rückführung der strukturellen Neuverschuldung eine geringere Zinsbelastung und damit geringere Konsolidierungsanstrengungen auf dem Weg zur Nullverschuldung im Jahr 2020.

Und drittens, meine sehr verehrten Damen und Herren: Am Ende muss die Null stehen. Ende 2020 muss die strukturelle Neuverschuldung null sein. Irgendwann muss gespart werden. – Anders gewendet: Aufgeschoben wäre nicht aufgehoben.

Meine Damen und Herren, nun aber zu glauben, man müsste und könnte nach dieser Logik doch gleich das strukturelle Defizit noch stärker oder am besten sofort auf null senken, wäre allerdings naiv. Der später folgende Blick auf unsere Einsparmaßnahmen wird zeigen, dass viele Maßnahmen einen konzeptionellen oder organisatorischen Vorlauf benötigen, sie an die demografische Entwicklung angepasst werden müssen und sie – und das ist zweifellos am schwierigsten – ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzeptanz verlangen. Dass die weit überwiegende Zahl der Ausgabenkürzungen bei den Betroffenen auf Widerstand stößt, sollte man meines Erachtens aber nicht als schlichten Lobby

ismus oder als Besitzstandswahrung abtun. Man kann und sollte es auch als ein Indiz dafür ansehen, dass unser Gemeinwesen unterfinanziert ist.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Ja, meine Damen und Herren, es gibt gute Gründe, den notwendigen Konsolidierungsprozess durch eine solidarischere und an der Leistungsfähigkeit unserer Bürgerinnen und Bürger orientierte Steuerpolitik zu unterstützen. Wer in Rheinland-Pfalz einerseits die Übernahme des Tarifs für die Besoldung und Versorgung verlangt,

(Licht, CDU: Das ist ein sozialdemokratischer Teppich für die Koalitionsverhandlungen!)

gleichzeitig aber konsequent zumindest bis zwei Tage nach der Bundestagswahl das Problem des unterfinanzierten Gemeinwohls leugnet, der verspricht den Menschen mehr, als zu verantworten ist.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Bundestag und Bundesrat haben aus guten Gründen den Ländern eine Übergangszeit bis 2020 eingeräumt, um ihre strukturelle Neuverschuldung auf null zurückzufahren; denn die Ausgangssituation war in nahezu allen Ländern äußerst schwierig. Alle westdeutschen Länder außer Bayern und Baden-Württemberg standen und stehen vor einer Herkulesaufgabe. Bei den ostdeutschen Ländern werden – das wissen alle – diese Probleme erst in den nächsten Jahren mit dem Wegfall der AufbauOst-Förderung sichtbar werden.

Für Rheinland-Pfalz lässt sich die Aufgabe in Zahlen fassen. Das strukturelle Defizit von 2011 in Höhe von 1,63 Milliarden Euro muss nach neun Jahren abgebaut sein, bei gleichzeitig zum Teil dramatisch steigenden zwangsläufigen Ausgaben, also solchen Ausgabenverpflichtungen, die erfüllt werden müssen und einer Konsolidierung kaum oder gar nicht zugänglich sind. Am deutlichsten wird dies an den Versorgungsaufwendungen für ehemalige Beamtinnen und Beamte des Landes. Die Ausgaben für Pensionäre werden im Zeitraum von 2011 bis 2020 um 808 Millionen Euro ansteigen und damit um mehr als die Hälfte wachsen.

Meine Damen und Herren, wer die Zukunft gestalten will, muss die Entwicklungen der Vergangenheit kennen und sie in seine Überlegungen einbeziehen.

(Licht, CDU: Das ist korrekt!)

Auf vier Aspekte möchte ich deshalb gerne hinweisen.

1. Es gab in den letzten zwanzig Jahren zwei Ereignisse, die die Einnahmesituation aller öffentlichen Haushalte nachhaltig und damit strukturell dramatisch aus dem Gleichgewicht gebracht haben: die deutsche Einheit und die Finanzkrise.

(Zuruf aus dem Hause: Und der Nürburgring! – Zurufe von der CDU)

Die Folgen in den Länderhaushalten sind noch heute zu spüren.

2. Die militärische Konversion hat in Rheinland-Pfalz immense Spuren hinterlassen und das Land strukturpolitisch vor große finanzielle Herausforderungen gestellt. Über 600 Liegenschaften des Militärs wurden von 1991 bis 2012 aufgegeben; insgesamt sind in diesem Zeitraum Konversionsmittel in Höhe von fast 2 Milliarden Euro geflossen und haben den Landeshaushalt bis an die Grenzen des Erträglichen belastet.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Das hat auch eine positive Seite, nicht nur negative!)

Fast alle Projekte waren ein Nukleus für wirtschaftliche Prosperität, eine Keimzelle für neue Arbeitsplätze, meine Damen und Herren. Wenige sind gescheitert, manche sind zu teuer geraten. Aber die strukturpolitischen Herausforderungen aus Angst vor dem Scheitern nur zögerlich anzugehen, wäre für das Land und seine Bürgerinnen und Bürger – da bin ich mir sicher – erst richtig teuer geworden.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

3. Seit mehr als 20 Jahren zieht sich ein Schwerpunkt wie ein roter Faden durch die rheinland-pfälzische Politik: bessere Betreuung, bessere Bildung, mehr Chancengerechtigkeit.

(Frau Schneider, CDU: Schulden!)

Hierfür hat das Land beträchtliche finanzielle Mittel aufgewendet. Und diese Investitionen, meine Damen und Herren, haben sich gelohnt: für die Kinder, für ihre Eltern und für die Wirtschaft des Landes. Hier haben wir mehr getan als andere. Hier sind wir Pioniere, andere eifern uns da heute nach. Wir haben investiert, in die Köpfe unserer Kinder und in gute Standortbedingungen für unsere Unternehmen. Diese Investitionen haben sich und werden sich – um in dem Sprachbild zu bleiben – amortisieren.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Unsere Bildungspolitik ist erfolgreiche Gesellschaftspolitik und erfolgreiche Wirtschaftspolitik zugleich.

4. Das Land Rheinland-Pfalz wird im heutigen System des innerstaatlichen Finanzausgleichs – um es vorsichtig auszudrücken – nicht gerade bevorzugt. Das – daran gibt es keinen Zweifel – verschafft uns nicht gerade faire Startchancen bei der Erfüllung unserer öffentlichen Aufgaben.

Die Beispiele, meine Damen und Herren, machen deutlich, dass die Ausgangssituation mit Verabschiedung der Schuldenbremse für uns fiskalisch nicht einfach war. Wenn wir aber heute sagen können, dass wir nach vier von neun Jahren, also nach weniger als der Hälfte der Zeit, im Jahr 2015 bereits zwei Drittel unserer Konsolidierungsaufgabe bewältigt haben, dann dürfen wir auch

feststellen, dass wir beim Schuldenabbau sehr vieles richtig gemacht haben.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Wir sprechen heute, morgen und die nächsten Wochen über den Haushaltsplanentwurf der Landesregierung. Wir sollten aber nicht vergessen, dass zur Finanzpolitik auch und gerade der Haushaltsvollzug zählt. Und diesen Haushaltsvollzug gestalten wir restriktiv. Wir können das für 2012 unschwer daran erkennen, dass das strukturelle Defizit im Ist deutlich geringer war als in der Veranschlagung. Es lag um rund 350 Millionen Euro niedriger als bei der Haushaltsverabschiedung veranschlagt. Und deshalb bin ich optimistisch, meine Damen und Herren, dass es uns auch im Jahr 2013 gelingen wird, weniger Schulden aufzunehmen, als im Haushaltsplan vorgesehen.

(Baldauf, CDU: Wenn man immer so Riesenzahlen da reinschreibt!)

Das Prinzip, auf der sicheren Seite zu veranschlagen, prägt auch den Doppelhaushalt 2014/2015. Wir haben die Zinsen so kalkuliert, dass wir von einer schnellen Normalisierung des derzeit historisch niedrigen Zinsniveaus ausgehen. Ich halte diesen Fall, dass es sich schnell normalisiert, gar nicht für allzu wahrscheinlich. Er würde entweder einen Paradigmenwechsel der Europäischen Zentralbank voraussetzen oder eine rasche Stabilisierung in den europäischen Krisenstaaten. Der erste Weg wäre problematisch, und deshalb wird ihn die Europäische Zentralbank hoffentlich auch nicht gehen. Der zweite Grund wäre wünschenswert, ist aber leider nicht sehr wahrscheinlich. Dennoch, meine Damen und Herren: Wir haben vorsichtig kalkuliert, auch weil wir den Landeshaushalt nicht den Unwägbarkeiten der Finanzmärkte aussetzen wollen.

Bei den Steuereinnahmen berücksichtigen wir einen positiven Zensus-Effekt von prognostizierten 180 Millionen Euro. Umgekehrt haben wir die relativ starke Verbesserung der Realsteuerkraft unserer Kommunen – was vom Grundsatz her sehr erfreulich ist, die aber zu geringeren Zuweisungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs führt und von der wir noch nicht genau wissen, ob sie ein temporäres oder ein strukturelles Phänomen ist – so kalkuliert, dass sie über einen längeren Zeitraum zu Mindereinnahmen im Landeshaushalt führt. Wir setzen diesen Effekt mit rund 70 Millionen Euro pro Jahr an.

Gestatten Sie mir einige Anmerkungen zum Zensus. Mit dem Zensus 2011 wurde offenbar, dass die zentrale Verteilungsgröße des Finanzausgleichs, die relative Einwohnerzahl für Rheinland-Pfalz, wohl über Jahre hinweg zu niedrig ermittelt wurde. Die seit 25 Jahren fortgeschriebenen Einwohnerzahlen der letzten Volkszählung waren in allen Ländern deutlich zu hoch fortgeschrieben worden. Unser gutes Einwohnerregister führte jedoch offensichtlich dazu, dass in Rheinland-Pfalz die Fehler am geringsten waren.

Meine Damen und Herren, das ist einerseits natürlich erfreulich, andererseits kann es aber nicht sein, dass wir

in Rheinland-Pfalz über Jahre hinweg für eine korrekte Einwohnerermittlung bestraft werden. Die finanziellen Folgen sind alles andere als unerheblich. Während wir die Schulausbildung, die Kita-Plätze, die Straßen, die ganze öffentliche Infrastruktur für reale Menschen finanzierten, fehlten uns bei der Umsatzsteuer und im Finanzausgleich aufgrund von nicht existenten Einwohnern in anderen Ländern die entsprechenden Mittel, um diese Ausgaben ohne oder mit weniger Krediten zu finanzieren. Geht man davon aus, dass sich der beim Zensus 2011 korrigierte Fehler linear in den letzten 25 Jahren seit der Volkszählung 1987 aufgebaut hat, dann hätten dem Land bei korrekten Einwohnerzahlen insgesamt 2,3 Milliarden Euro höhere Einnahmen zugestanden. Mit Zins und Zinseszins könnte unser heutiger Schuldenstand um 3,6 Milliarden Euro geringer sein!