Meine Damen und Herren, ehe ich das dritte Thema der Aktuellen Stunde aufrufe, möchte ich Mitglieder des Kirchenchors Oberbreisig e.V. begrüßen. Seien Sie herzlich willkommen!
Des Weiteren begrüße ich Mitglieder der Jungen Union Nieder-Olm. Seien Sie ebenfalls bei uns willkommen!
„Abhöraktionen der NSA in Deutschland und deren Auswirkungen auf Rheinland-Pfalz“ auf Antrag der Fraktion der SPD – Drucksache 16/2529 –
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Am 18. Mai 2011 habe ich als Alterspräsident des Landtages ein paar grundsätzliche Anmerkungen zum Datenschutz in unserer Informationsgesellschaft gemacht. Ich habe darauf hingewiesen, dass das digitale Zeitalter unseren Bürgerinnen und Bürgern nicht nur neue Chancen und neue Möglichkeiten eröffnet, sondern sie auch bisher unbekannten und schwer beherrschbaren Risiken ausgesetzt sind. Ich hatte dabei vor allem an die großen US-Unternehmen Google, Facebook und Co. gedacht und deren ungehemmte Datengier im Blick. Diese schien mir fast zwangsläufig auf den gläsernen Bürger oder den gläsernen Verbraucher hinauszulaufen.
Ich habe von den Feststellungen, die ich vor über zwei Jahren gemacht habe, nichts zurückzunehmen, habe aber Entscheidendes hinzuzufügen. Meine Damen und Herren, der gläserne Mensch ist nicht eine abstrakte Gefahr geblieben, sondern zu einer konkreten Realität geworden. Dafür haben – wenn die Medienberichte zutreffen – aber weniger Google, Facebook und Co. gesorgt, sondern die amerikanischen und britischen Geheimdienste mit der NSA an der Spitze.
Was ich mir als Bürger und Abgeordneter nicht vorstellen konnte, haben diese Geheimdienste bewerkstelligt: den hässlichen großen Bruder, den im Dunkeln agierenden Überwachungsstaat, den von rechtlichen Bindungen weitgehend freien, krakenhaften Machtapparat, der unseren Glauben an einen Rechtsstaat untergräbt.
Vor dem Hintergrund der Geschehnisse von 2001 verstehen wir die Sorgen der USA. Vor dem Hintergrund unserer geschichtlichen Erfahrungen mit zwei totalitären Systemen sollten die USA aber auch unsere Sorgen begreifen und unsere Rechts- und Datenschutzkultur respektieren.
Auch wenn noch so manches aufzuklären ist, hat es an diesem Respekt ganz offensichtlich gefehlt. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden, und vieles wird zurzeit diskutiert: die Kündigung des „SafeHarbour“-Abkommens, das den US-Unternehmen erlaubt, Daten von EU-Bürgern in den USA zu verarbeiten, die Überprüfung und gegebenenfalls Kündigung von sicherheitsrelevanten Abkommen, die zwischen der EU und den USA etwa über die Fluggastdatenspeicherung und die Übermittlung von Bankdaten vereinbart worden sind, und die Aussetzung der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen. Solche Forderungen sind schnell erhoben, ihre Umsetzung würde aber womöglich den bereits angerichteten Schaden nur noch vergrößern.
Es gibt andere Ansatzpunkte, die sicherlich zielführender sind. Dazu gehören europäische Datenschutzregelungen, welche US-Behörden und US-Unternehmen an europäische Datenschutzstandards binden, wenn sie ihre Aktivitäten auf Bürgerinnen und Bürger in Europa erstrecken. Deshalb müssen die entsprechenden Teile der im Entwurf vorliegenden europäischen Datenschutz
grundverordnung noch in der laufenden Legislaturperiode des Europäischen Parlaments beschlossen und in Kraft gesetzt werden. Allerdings wird dies nur gelingen, wenn die Bundesregierung ihre wenig konstruktive Haltung gegenüber dieser Datenschutzgrundverordnung aufgibt und die Verhandlungen forciert.
Solange es keinen europarechtlichen Datenschutzstandard gibt, muss dies vom nationalen Gesetzgeber, also vom Bundestag und der Bundesregierung, beschlossen werden.
Es gibt einen Gesetzentwurf zur Änderung des Telemediengesetzes, der die Mitglieder in sozialen Netzwerken besser schützen würde als bisher. Er wurde vom Bundesrat vor einiger Zeit einstimmig beschlossen, von der Bundesregierung aber mit Blick auf freiwillige Absprachen zwischen den sozialen Netzwerken blockiert.
Zu dieser Selbstverpflichtung, die man erwartete, ist es aber nicht gekommen. Eine gesetzliche Regelung dieser Materie ist deshalb überfällig.
Schließlich sollten wir uns aber auch mit den von Heribert Prantl und Frank Schirrmacher in der „Süddeutschen Zeitung“ und in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ins Gespräch gebrachten europäischen Alternativen für US-amerikanische Netzwerke und Suchmaschinen befassen. Das sind sicherlich weitgehende Erwartungen und Vorstellungen, aber ich glaube, wir müssen uns damit beschäftigen.
Der von Edward Snowden aufgedeckte Überwachungsexzess amerikanischer und britischer Geheimdienste – man kann es nicht anders nennen – und die zurückhaltende Reaktion – auch das ist sehr vornehm ausgedrückt – darauf bei amerikanischen und britischen Bürgerinnen und Bürgern zeigt aber, dass wir weit weg sind von gemeinsamer weltweit gelebter Datenschutzkultur. Die Vorstellungen von einem guten Datenschutz gehen weit auseinander. Das macht Kompromisse und faire transatlantische Abkommen in datenschutzrelevanten Bereichen so schwierig.
Solange es aber keine globalen Datenschutzstandards gibt – das wird noch lange der Fall sein –, werden wir uns darauf konzentrieren müssen, uns in Europa selbst zu schützen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! In den letzten Wochen sind sehr viele Informationen über Internetüberwachung, Spionage, Ausspionierung von persönli
chen Daten, von Botschaften, die Einteilung von befreundeten Nationen in zweite und dritte Klasse und was nicht noch alles sonst durch die politische Debatte und die Berichterstattung gegangen.
Es fällt schwer, die Dinge zu sortieren und einzuordnen oder auf Rheinland-Pfalz herunterzubrechen. Insoweit freue ich mich auf den Bericht der Landesregierung, den Sie wahrscheinlich abgeben werden, Herr Staatssekretär Häfner, und Ihre Erkenntnisse in diesem Zusammenhang.
Meine Damen und Herren, es steht eigentlich alles, was in der Berichterstattung ist, noch im Konjunktiv; denn die Berichte sind nur schwer überprüfbar. Das haben sie auch an sich, weil die Originalinformationen naturgemäß als „geheim“ eingestuft sind.
Fakt scheint zu sein, dass der amerikanische Geheimdienst NSA, auch der britische Geheimdienst und vermutlich noch viele weitere Auslandsgeheimdienste massenhaft Verbindungsdaten von Ausländern im Internet abhören, mithören und speichern.
Schon von dieser Tatsache muss man nicht begeistert sein, und es entspricht in der Tat nicht den Dingen, über die wir uns im Bereich Datenschutz unterhalten, und unserem Verständnis und unserer Kultur.
Das alleine hätte allerdings nur einen beschränkten Neuigkeitswert; denn das Sammeln und Ausspähen von Daten ist anscheinend das, was Auslandsgeheimdienste gewöhnlich machen.
Was betroffen macht, ist der Umfang des Ganzen und die Speicherwut, die die Dienste laut den Berichten an den Tag legen.
Da ist zunächst die erste Enthüllung, wonach, wenn es denn wahr ist, im Programm PRISM ein regelrechter Datenaustausch zwischen amerikanischen Internetfirmen und der NSA stattfindet. Sie haben eben Facebook, Google und viele andere Dienste, über die wir uns immer wieder unterhalten, genannt. Das sind Firmen, denen unsere Staatsbürger terabyteweise Daten anvertrauen. Vertrauen ist in diesem Zusammenhang wohl wirklich sehr schwierig und nicht immer angebracht.
Da ist weiter die unglaubliche Sammelwut, über die berichtet wird, bei der zigmillionenfach Verbindungsdaten täglich gesammelt werden, anlassunbezogen, zentral gespeichert auf unbegrenzte Zeit, daneben zum Teil noch Kommunikationsinhalte, die nach Code-Wörtern durchsucht oder einfach so für mehrere Monate abgelegt werden.
Das hat orwellsche Ausmaße, neben denen unsere Bemühungen um Datenschutz oder die politische und verfassungsrechtliche Debatte um Vorratsdatenspeicherung zwangsläufig machtlos und kleinlich aussehen und aussehen müssen.
Meine Damen und Herren, das sind unsere Bemühungen aber nicht; denn in Deutschland gilt das Grundgesetz. Damit gelten die Regeln und Grenzen, die der Gesetzgeber und das Verfassungsgericht dafür gesetzt
haben. Es gilt das Telekommunikationsgeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Eingriffe in diese Grundrechte sind, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen und nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zulässig. (Beifall bei der CDU)
Das gilt ohne Unterschied für deutsche Sicherheitsbehörden und ausländische Dienste. Ich glaube, in dem Punkt sind wir uns einig.
Deswegen bin ich auch der Bundesregierung, namentlich der Bundeskanzlerin, ausgesprochen dankbar dafür, dass sie genau diesen Standpunkt, den wir hier auch vertreten, den auch die Kolleginnen und Kollegen im Bundestag letzte Woche in ihrer Debatte, wenn ich sie richtig verfolgt habe, schon vertreten haben, dem amerikanischen Präsidenten gegenüber schon vor zwei Wochen vertreten hat und ihm diesen auch mit auf den Weg gegeben hat.
Es ist richtig, dass die Bundesregierung dies auch in diesen Tagen wiederholt – ich glaube, heute soll es ein Gespräch, ein Telefonat, von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Obama geben, in dem sie dies wieder- holt – und dies auch in Zukunft Geltung hat.
In diesem Zusammenhang ist auch eine weitere Positionierung der Bundesregierung richtig. Sie stammt vom Regierungssprecher Herrn Seibert: Das Abhören von Freunden ist inakzeptabel. – Das hat der Regierungssprecher gesagt. Das ist klar und deutlich. Auch das gilt.
Was wir allerdings von der anderen Seite des Hauses zum Teil gehört haben – nicht dieses Hauses, sondern im Bundestag bzw. auch nicht im Bundestag, sondern in der sonstigen politischen Debatte, insbesondere vom Bundesvorsitzenden der SPD –, ist, dass dieser versucht, aus diesem Thema ein Wahlkampfthema zu machen (Pörksen, SPD: Das ist eines!)
aber es zeugt von tiefer Verzweiflung. Aber die ist, wenn man sich den Wahlkampf der SPD in den letzten Wochen anschaut, durchaus berechtigt.