Protocol of the Session on December 13, 2012

Ihre Forderung nach Ausweitung der Strafbarkeit bleibt an der Oberfläche, meine Damen und Herren von der CDU.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie nimmt die Betroffenen in ihrer Verletzung und Verletzlichkeit nicht ernst. Der reflexartige Ruf nach Änderungen im strafrechtlichen Bereich wird dem komplexen Phänomen nicht gerecht. Es ist nicht einmal geeignet, das Phänomen der Nachstellung erfolgreich zu bekämpfen.

Sie beklagen ein behauptetes Missverhältnis zwischen angezeigten Delikten und späteren Verurteilungen. Eine Verurteilungsquote allein ist jedoch wenig aussagekräftig. Viel wirksamer sind die polizeilichen Maßnahmen. Staatliche Reaktionen innerhalb der ersten 48 Stunden haben nämlich zu 80 % beendende Wirkung, meine Damen und Herren.

Die polizeiliche Gefährderansprache hat sich sehr bewährt. Durch Platzverweise, Kontaktverbote und andere gerichtliche Maßnahmen, die zum Beispiel das Gewaltschutzgesetz vorsieht, das Sie überhaupt nicht in Erwägung gezogen haben, können Opfer vor Nachstellungen oder Stalking – wenn Sie den Anglizismus bevorzugen – sehr viel effektiver geschützt werden als durch eine weitere Strafandrohung, die für den Täter weit weg und abstrakt erscheint.

Was ist denn nun wirklich eine sinnvolle Handlungsmöglichkeit, um den erforderlichen Schutz vor Nachstellungen zu bewirken? – Neben den geschilderten primären Interventionsmöglichkeiten natürlich Prävention. Wichtig ist es aus Opferperspektive, dass Interventionsstellen, Frauenhäuser, Frauenhausberatungsstellen, Frauennotrufe, Opferorganisationen wie der Weiße Ring, aber auch Täter-Arbeits-Einrichtungen mit ausreichenden Mitteln und ausreichendem Personal ausgestattet sind, um ihre wichtige Arbeit zu leisten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Der Schwerpunkt einer Politik, die sich der Problematik Stalking annimmt, sollte also nicht in einem reflexartigen Ruf nach Strafverschärfung bestehen. Im letzten Haushaltsplenum haben wir die Zuschüsse für Frauenhäuser, Frauennotrufe und Interventionsstellen trotz der Schuldenbremse leicht erhöhen können.

Sehr geehrte Damen und Herren, nicht nur dass der vorliegende Antrag der CDU-Fraktion ungeeignet ist, den behaupteten Opferschutz zu gewährleisten, die geforderte Umgestaltung in ein reines Eignungsdelikt ist zudem unbestimmt, so unbestimmt, dass erhebliche Bedenken bestehen, ob sie dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot in Artikel 103 Grundgesetz entsprechen wird.

Das galt bereits 2005, als Sie einen ähnlichen Gesetzentwurf über den Bundesrat einzubringen versucht haben, das galt für die erneute Initiative 2006, und das gilt auch heute noch, meine Damen und Herren.

Diesen Antrag, so wie er ist, können wir nur ablehnen. Allein aus Respekt vor den Opfern von Nachstellungen tun wir das an dieser Stelle nicht. Wir beantragen die Überweisung an den Rechtsausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauenförderung.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Für die Landesregierung spricht Herr Justizminister Hartloff.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zu dem Thema „Stalking“ haben wir bei den Redebeiträgen die unterschiedlichen Auffassungen gehört. So einfach schwarz-weiß ist die Welt jedoch nicht.

Ja, es hat sich bewährt, den Straftatbestand einzufügen. Das sagt uns die Praxis, das sagt die Polizei, das sagen die Hilfestellen, die in Rheinland-Pfalz sehr gut aufgestellt sind und bei denen wir mit dem Projekt RIGG „Interventionsprojekt gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen“ das gemacht haben, was Frau Raue vorhin genannt hat: Wir setzen darauf, dass man intervenieren kann.

Genau diese Stellen sagen aber auch, dass bei dem jetzigen Paragraphen Defizite bestehen. Wo liegen diese Defizite? – Defizite liegen im Kern darin, dass jemand, der von solchen Nachstellungen stark betroffen ist, sein Handeln oder sein Verhalten erheblich verändern muss, damit ein Täter oder eine Täterin tatsächlich belangt wird. Ich vereinfache das.

Er muss aus der Wohnung ausziehen oder den Wohnort wechseln. Wenn jemand sagt, ich will dem nicht weichen, was ein Täter mit mir macht, wie er mich drangsaliert – Herr Dr. Wilke hat Beispiele genannt, ebenso wie Herr Hoch –, dann ist es schwierig, in einem Verfahren die Beweisführung vorzunehmen.

Deshalb ist die Überlegung, wie man das verbessern kann, aus unserer Sicht eine sinnvolle Überlegung. Deshalb hat uns der Vorstoß von Bayern, nachdem wir eine Praxisbefragung gemacht haben – Herr Dr. Wilke, ich hatte Ihnen das im Frühjahr gesagt, dass wir das machen wollen und eben nicht nur bei den Staatsanwaltschaften, sondern auch bei den Einrichtungen –, dazu bewogen, einer Vorbereitung eines Antrags zuzustimmen.

Aber auch unter den zustimmenden Länderkollegen gibt es eine Diskussion über die Frage, wie dies vernünftig gemacht werden kann, ohne es zu ausweitend zu machen, ohne dass die bloße Belästigung, die bloße Absicht schon in einen Strafbarkeitstatbestand hineinreicht; denn die Grenzziehungen sind schwierig. Dies muss sauber erarbeitet werden.

Jemand wie Frau Strafrechtsprofessorin Harzer, die sich am 15. November 2012 in der „Süddeutschen Zeitung“ dazu geäußert hat, hält von dem Vorstoß in diese Richtung gar nichts. Sie sagt aber gleichzeitig mit einem Vorwurf, die Justiz verschließe sich psychischer Gewalt. Und sie sagt des Weiteren, wir sollten die ganzen Präventionsmaßnahmen stärken. – Ich halte jedoch die Argumentation, die sie strafrechtlich vorbringt, nicht für ganz schlüssig. Man muss sich damit auseinandersetzen. Ich möchte Ihnen nur darlegen, wie widerstreitend dies auch in der juristischen Diskussion gesehen wird.

Deshalb sollten wir mit aller Sorgfalt schauen, wie man einen solchen Strafrechtsparagraphen vernünftig weiterentwickeln kann, damit er – schließlich gibt es im Strafrecht noch andere Gefährdungsdelikte, das wissen Sie –

auch hinreichend eingegrenzt ist und hinreichend präzise ist und die Verfassungsbedenken, die diskutiert werden, auch mit der gebotenen Sauberkeit und Sorgfalt ausgeräumt werden können, wenn man denn einen solchen Paragraphen auf den Weg bringen kann. Dies ist unsere Aufgabe. Dies können wir im Rechtsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags vorbereiten.

Es ist aber sicher auch Aufgabe des Strafrechtsausschusses auf Bundesebene, darüber zu diskutieren, um zu prüfen, ob es einen Vorschlag gibt, der praktikabel ist, um diese Lücke zu schließen.

Wir werden unsere Anstrengungen im Präventionsbereich ebenso wie in dem Bereich, in dem tatsächlich Wirkung entfaltet wird, verstärken; denn wir wollen, dass dann auch das Mittel des Strafrechts vorhanden ist, damit man nicht nur den belästigenden Nachstellungen, sondern auch den in das Leben von Opfern massiv eingreifenden Tätern auch mit dem Strafrecht begegnen kann.

Ich komme zum Schluss. Dass uns Herr Kollege Hoch verlässt, uns aber auch wieder begegnen wird, ist gewiss keine Folge von Stalking. Herr Hoch, ich wünsche Ihnen an Ihrem anderen Arbeitsplatz alles Gute und sage auch weiterhin „auf gute Zusammenarbeit“, und dies ganz ohne weitere Hintergedanken.

Herzlichen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es liegen keine weiteren Wortmeldungen mehr vor. Es wurde Ausschussüberweisung an den Rechtsausschuss – federführend – sowie an den Ausschuss für Gleichstellung und Frauenförderung beantragt. – Dagegen gibt es keine Einwände; dann ist dies so beschlossen.

Wir kommen nun zu Punkt 26 der Tagesordnung:

Wahlfreiheit für Familien ermöglichen – Land muss getroffene Vereinbarungen einhalten Antrag der Fraktion der CDU – Drucksache 16/1866 –

Für die CDU-Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Huth-Haage das Wort.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, liebe Gäste! Am Ende der letzten Plenarsitzung dieses Jahres sprechen wir noch über ein ganz wichtiges Thema, nämlich über den Rechtsanspruch auf Betreuung von Kleinkindern. Dieses Thema wird in wenigen Monaten, genauer gesagt am 1. August 2013, ganz akut sein. Es ist ein Thema, das eine enorme gesamtgesellschaftliche Bedeutung hat und für viele Familien in Rheinland-Pfalz auch existenziell ist.

(Beifall der CDU)

Für die CDU-Fraktion ist es auch eine Frage der Wahlfreiheit. Sie wissen, die Wahlfreiheit ist für uns sehr wichtig. Sie ist der Kern unserer Familienpolitik. Wenn es nicht gelingt, den Rechtsanspruch zu gewährleisten, haben wir im Land auch keine Wahlfreiheit.

Meine Damen und Herren, der Bund hat Großes geleistet, wir müssen es noch einmal darstellen. 103 Millionen Euro sind nach Rheinland-Pfalz überwiesen worden, und aufgrund des großen Bedarfes werden weitere 27 Millionen Euro folgen. Wir wissen, auch die Kommunen haben Großes geleistet. 350 Millionen Euro wurden investiert. Dies sind Zahlen, die die kommunalen Spitzenverbände nennen, aber die auch wir aufgrund unserer Anfragen genannt bekommen haben. Dies ist eine Summe, die weit über das hinausgeht, was ursprünglich einmal auch nur annähernd als notwendig erschien. Insofern ist es wirklich eine große Leistung.

Ich möchte Ihnen ganz deutlich sagen, wir werden es nicht zulassen, dass diese Kraftanstrengung der Kommunen kleingeredet und kleingerechnet wird.

(Beifall der CDU)

Dies sind Äußerungen des scheidenden Ministerpräsidenten auf dem Landkreistag gewesen, es waren aber auch Äußerungen der zuständigen Kollegin im Ausschuss. Dort heißt es etwa, die Kommunen sollten nun einmal aufhören zu mauern. – Ich muss Ihnen sagen, hiermit werden wirklich die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Das lassen wir nicht zu. Wir stehen hier an der Seite der Kommunen.

(Beifall der CDU)

Meine Damen und Herren, wir werden auch weitere Legendenbildungen nicht zulassen, etwa, man müsse nur eine Betreuungsquote von 35 % erreichen. Sie wissen, Rheinland-Pfalz hat den Beschlüssen des Krippengipfels 2007 zugestimmt und ein Jahr später auch dem Kinderfördergesetz. Darin heißt es: Die Länder stimmen der bundesweiten Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein Betreuungsangebot für alle Kinder vom vollendeten ersten bis zum dritten Lebensjahr zu.

Das heißt, nicht eine damals ermittelte Bedarfsquote ist ausschlaggebend, wie dies immer wieder von Herrn Beck, aber auch von Ihnen, Frau Ministerin, behauptet wurde, sondern maßgebend ist die Einhaltung eines individuellen Rechtsanspruchs in Rheinland-Pfalz. Wir wissen, die Bedarfszahlen liegen über 41 %.

Meine Damen und Herren, auch eine weitere Legendenbildung möchte ich noch ansprechen, nämlich die der Finanzierung. Wir wissen, dass gemäß § 69 SGB VIII die öffentliche Jugendhilfe und damit auch das verbindliche Krippenangebot für Einjährige in die Zuständigkeit der Länder fällt. Folglich müssen die Länder die Umsetzung und damit auch die Einhaltung des Rechtanspruchs regeln.

(Beifall der CDU)

Insofern stimmt es natürlich, dass wir keine DrittelDrittel-Drittel-Finanzierung haben, sondern wir haben

vielmehr eine Eindrittel-Zweidrittel-Finanzierung. Das heißt, das Land müsste zwei Drittel bezahlen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf aus dem Hause)

Selbstverständlich!

Nur in Rheinland-Pfalz besteht diese eigentümliche Interpretation, dass sich das Land aus der Finanzierung heraushält und die Kommunen dafür zuständig sind.

(Beifall der CDU – Köbler, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt doch gar nicht!)

Meine Damen und Herren, angesichts der rechtlichen Rahmenbedingungen und angesichts der Situation vor Ort, die Sie aus Ihren Wahlkreisen doch alle kennen sollten, muss ich mich ernsthaft wundern. Sie haben gesagt, alles gehe seinen geregelten Gang. – Ich muss mich ernsthaft fragen: Wie können Sie aufgrund der Situation der Kommunen vor Ort, die sich überlegen, gegen das Land zu klagen, sagen, alles gehe seinen normalen Gang? Wie können Sie so tun, als habe das Land damit überhaupt nichts zu tun, und mit der Einstellung einer Verfügungsermächtigung im Haushalt sei alles getan? – So geht es nicht!