Protocol of the Session on November 8, 2012

„Deshalb werden wir“ – die CDU – „diese abbauen und den Schulen substanzielle Gestaltungsräume eröff- nen.“ – Frau Klöckner, das steht auf Seite 20 Ihres Wahlprogramms.

(Unruhe im Hause)

Der Ruf nach festen Unterrichtsstrukturen, verbindlichen Lehrplänen und Ziffernnoten spricht eine deutlich andere

Sprache und schafft nicht das Schul- und Lernklima, das Fördern und Fordern miteinander in Einklang bringt. Dabei haben doch gerade Grundschulen in den vergangenen Jahren eine beachtenswerte Entwicklung gezeigt. Sie unterrichten binnendifferenziert und kompetenzorientiert.

(Frau Klöckner, CDU: Sie unterstellen uns, dass wir in den Schulen die Anwendung von Gewalt fordern? – Glocke des Präsidenten)

Frau Ratter, entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie unterbreche. Frau Klöckner, wir haben vereinbart, dass permanente Zwischenrufe nicht zulässig sind. Sie können sich gerne zu Wort melden. Dabei können Sie auch die blaue Karte verwenden. Das ist gar kein Problem. Vielen Dank!

(Frau Klöckner, CDU: Sie hat uns unterstellt, wir wollten den Rohrstock wieder einführen!)

Es handelte sich um eine hypothetische Vermutung.

Die Grundschullehrerinnen mit großem „I“ – die wenigen männlichen Grundschullehrer dürfen nicht vergessen werden – haben eine Diffamierung ihrer Arbeit nicht verdient. Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil in ihm die Arbeit der Grundschulen diskreditiert wird und einseitige Schlüsse aus hinterfragenswerten Beobachtungen gezogen werden.

Den von Ihnen geforderten Befreiungsschlag von bildungspolitischen Ideologien müssen Sie zunächst selbst einmal vollziehen, wenn Sie sich glaubwürdig für eine gute Bildung für alle Schülerinnen und Schulen stark machen möchten. Wollen Sie das aber wirklich? – Sie folgen der IQB-Studie, die ich als Festschmaus für Statistikerinnen goutiert habe, ausschließlich dort, wo es Ihren Überzeugungen in den Kram passt.

So beim Fortbildungsverhalten der Lehrerinnen. Sie leiten aus der Studie die Forderung nach Sicherstellung der kontinuierlichen Teilnahme aller Lehrkräfte an Fortbildungsveranstaltungen ab, die ich – nebenbei be- merkt – gerne unterstütze. Lässt sich aber aus der Studie herauslesen, dass es einen monokausalen Zusammenhang zwischen dem Fortbildungsverhalten der Lehrerinnen und der Zuhörfähigkeit der Grundschülerinnen gibt? – Nein, da haben Sie den Kaffeesatz bemüht.

Noch fahrlässiger gehen Sie mit Erhebungen um, wenn Sie als Antwort auf die Leistungen der Schülerinnen im Lesen und Zuhören reflexartig nach mehr Sprachförderung rufen. Es geht eben nicht um Sprachförderung irgendwie. Ärzte stellen üblicherweise Rezepte nach einer Diagnose aus. Nicht wahr, Herr Konrad? – Ärztealbtraum ist die Patientin, die schon zu wissen meint, was sie hat, bevor sie den Arzt aufsucht und nur noch

das Rezept ordern will. Genauso erkläre ich mir Ihren Antrag. (Glocke des Präsidenten)

Lassen Sie uns erst einmal Ursachenforschung betreiben und die OECD-Studie – den Vergleich, der im Dezember vorliegt – zurate ziehen. Lassen Sie uns PISA, TIMSS, IGLU, VERA und besonders noch einmal IGLU analysieren.

(Glocke des Präsidenten)

Lassen Sie uns schauen, wie es mit den Ergebnissen des Modellprojektes „Selbstverantwortliche Schule“ aussieht.

Frau Ratter, kommen Sie bitte zum Ende.

Na ja, ich darf schließlich gleich noch einmal reden.

Vielen Dank und bis gleich.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Frau Klöckner, es gibt zwei Wortmeldungen.

(Frau Klöckner, CDU: Wir haben das geklärt!)

Es ist mir klar, dass Sie es geklärt haben. Ich darf das trotzdem sagen: Es gibt zwei Meldungen für Kurzinterventionen, nämlich von Frau Dickes und Frau Klöckner. Zunächst hat Frau Klöckner das Wort.

Frau Ratter, wir können in diesem Parlament unterschiedlicher Meinung sein. Das gerade dann, wenn es um Bildungspolitik geht. Es gab jetzt eine Studie, in der die Landesregierung mit ihrem Ansatz nicht gerade erfolgreich aussieht.

Wenn wir uns Gedanken machen, wie Schülerinnen und Schüler den Rucksack so gepackt bekommen, dass sie gut ins Leben entlassen werden, halte ich das nicht nur für statthaft, sondern für eine Opposition auch notwendig. Wenn Sie dann aber nur deshalb, weil das nicht Ihren Vorstellungen entspricht, sagen, das sieht so aus, als wollten wir den Rohrstock wieder einführen, meine ich, dass Sie sich entschuldigen müssen.

(Beifall der CDU – Unruhe bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich fühle mich dadurch wirklich getroffen. Wenn jemand einer Fraktion unter

stellt, man wolle Schülern gegenüber Gewalt anwenden und zu einer Rohrstockzeit zurückkehren, ist diejenige wirklich ideologisch behaftet. Dann sind nicht wir, sondern die GRÜNEN ideologisch behaftet.

Sie sind immer sehr empfindlich, wenn hier irgendetwas behauptet wird.

(Beifall der CDU)

Als wir von der 5. Abteilung gesprochen haben, gab es entsprechende Hinweise und eine ganz große Betroffenheit.

(Frau Mohr, SPD: Das ist auch richtig! – Zuruf des Abg. Wiechmann, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Aber uns umgekehrt zu sagen, wir würden den Rohrstock wieder einführen wollen, das ist sehr unanständig.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Frau Abgeordneter Dickes zu einer weiteren Kurzintervention das Wort. Frau Abgeordnete Dickes, Sie haben drei Minuten.

Vielen Dank, Herr Präsident.

Frau Ratter, Frau Klöckner hat schon darauf hingewiesen, dass diese Aussage im Zusammenhang mit unserem Antrag, den Rohrstock zu verwenden, so dermaßen unter die Gürtellinie gegangen ist, dass ich das als eine große Belastung in dieser Diskussion empfinde. Auch ich erwarte, dass Sie diese Worte ausdrücklich zurücknehmen.

Sie haben vorhin darauf hingewiesen, wir würden negieren, dass es schwache Kinder gibt, und wollten auch keine Förderung für diese schwachen Kinder.

Manchmal muss man lernen, manchmal muss man auch in der Bildungswissenschaft lernen. Es gab viele Jahre den Ansatz, Kinder mit viel Freiarbeit und viel individueller selbstständiger Lernbereitschaft zu Lernergebnissen zu bringen. Man war der Überzeugung, dass man gerade die Schwächsten damit besonders fördern konnte.

Das hörte sich sehr vielversprechend an, aber auch Sie dürften mittlerweile gemerkt haben, dass die Forschung im Bereich der Bildung und im Bereich der Entwicklungspsychologie mittlerweile genau in die entgegengesetzte Richtung geht.

Beispielsweise ist dazu ein Artikel von Professor Hurrelmann in Zusammenhang mit der Grundschulstudie erschienen, der sagt, gerade der offene Unterricht ohne klare Ansprache und strenge Regeln bewirkt bei männli

chen Schülern, bei Jungen und Mädchen mit Migrationshintergrund oder bei solchen mit sozial schwachem Elternhaus eine große Verunsicherung.

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie haben doch ein vollkommen anderes Menschenbild als wir!)

Gerade die Kinder, die wir fördern wollen, verunsichern wir mit diesen offenen Strukturen des Unterrichts. Daraus muss man lernen. Dann muss man irgendwann einmal sagen, dass wir andere Wege gehen müssen, die erfolgreich waren.

Wenn wir in die Bundesländer schauen, die erfolgreich sind, dann sehen wir, es sind Bundesländer mit klaren Strukturen und klaren Regeln.

Genau dahin möchten wir gehen. Das ist nicht einfach einmal so entstanden, das ist Ausfluss von vielen Gesprächen seit Einführung der neuen Grundschulordnung. Noch nie hatten wir so viele aufgebrachte Lehrerinnen und Lehrer, die besorgt waren, Eltern und Schulleiter, die zu uns kamen.

(Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das stimmt doch nicht! Das ist doch nicht wahr, Frau Dickes! – Zurufe von der SPD: Oh!)

Wir hatten fast 300 Personen angehört.

(Beifall der CDU – Wiechmann, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein einziger Lehrerverband, Frau Dickes! So ein Quatsch!)

Ich denke, die Zwischenrufe sollten nicht sein, aber es ist okay.

Das, was wir jetzt vorlegen, ist das Resultat von vielen Gesprächen und Gedanken, die wir uns gemacht haben.