Dann rufe ich die Aussprache über die Mündliche Anfrage des Abgeordneten Daniel Köbler (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN), Entwicklung der prekären Beschäftigungsverhältnisse in Rheinland-Pfalz – Nummer 3 der Drucksache 16/1644 – betreffend, auf.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist erfreulich zu hören, dass die Arbeitslosenquote auch in Rheinland-Pfalz wieder leicht gesunken ist. Ich meine, ich sollte mit einer positiven Nachricht beginnen. Das liegt an einer sehr stabilen Wirtschaft, insbesondere mittelständisch geprägten Wirtschaft, die wir in der Bundesrepublik Deutschland haben, die verhältnismäßig gut aus der Krise herausgekommen ist.
Das darf uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, wie Arbeit in Deutschland organisiert ist und dass immer mehr Menschen von dem, was sie als Lohn erarbeiten, nicht leben können. Das ist eine besorgniserregende Entwicklung. Gestern haben wir etwas über die Zunahme des Armutsrisikos gehört. Das gilt aber auch für die Arbeits- und Lebensverhältnisse der Menschen und ihrer Familien, über die wir jetzt reden.
Rund 386.000 Erwerbstätige in Rheinland-Pfalz sind geringfügig beschäftigt. 263.000 Menschen arbeiten in Teilzeit. Davon sind über 85 % Frauen. Meine Damen und Herren, das sind atypische, zum Teil prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die eben nicht dafür sorgen können, dass heute Familien ernährt werden, die aber vor allem auch nicht dafür sorgen, dass in der Zukunft Altersarmut verhindert und eine sichere Rente sichergestellt werden können. Das ist der Vorwurf, den wir gegen Berlin richten, nämlich dass die soziale Gerechtigkeit der blinde Fleck der Bundesregierung ist. Wenn sie über Sozialpolitik redet, streitet sie sich nur und hat keinerlei Konzepte für die dringenden Gerechtigkeitsprobleme dieses Landes anzubieten, meine Damen und Herren.
Im Gegenteil, wir haben es gerade gehört, der Minijob, der für die Studentin und den Studenten sinnvoll ist, aber eben nicht als Ersatz für die Regelarbeit dient, soll noch ausgebaut und attraktiver gestaltet werden. Man muss sich das einmal vorrechnen: 30 Jahre in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis durchgehend angestellt bedeuten ein Anrecht auf eine Rente von 96 Euro im Monat. Meine Damen und Herren, davon kann kein Mensch im Alter leben. Wir steuern aber darauf zu, dass wir dieses Phänomen immer öfter und – weil die Menschen glücklicherweise immer älter werden – immer länger haben werden. Wir bekommen ein ganz großes Gerechtigkeitsproblem.
Die Bremse sitzt in Berlin. Die Bremse heißt FDP. Die Bremse heißt Angela Merkel, die dieses Problem à la Helmut Kohl aussitzen und nicht angehen will, während sich die Probleme weiter verschärfen und es am Ende immer teurer wird, meine Damen und Herren.
Dabei sieht man durchaus, dass es auch in der Union Einzelne gibt, die das Problem erkannt haben. Frau Thelen hat gestern schon deutlich gemacht, dass sie das Problem erkannt hat. Die können sich aber leider noch nicht mit den Positionen durchsetzen, die GRÜNE und Sozialdemokraten auf allen Ebenen schon lange vertreten.
Ich mache das einmal am Beispiel des Mindestlohns fest. Das, was Thüringen jetzt macht, ist nicht das, was wir als reine Lehre vertreten würden, aber es ist immerhin ein klares Bekenntnis einer CDU-Ministerpräsidentin, wenn sie sagt, es kann nicht im Sinne von Christdemokratinnen und Christdemokraten sein, dass in einem demokratischen Sozialstaat Menschen rund um die Uhr arbeiten, aber von dem Lohn, den sie dafür erhalten, ihre Familien nicht ernähren können. Das ist unsozial, und das ist auch unchristlich, meine Damen und Herren.
Deshalb hat die Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen auch eine Menge mit der Initiative zu tun, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn bundesweit einzuführen. Diese Initiative, die bei den Oppositionsfraktionen im Bundestag Gehör findet, geht von Rheinland-Pfalz immer wieder aus und wird unterstützt. Ich kann eines sagen: Wenn Ende September nächsten Jahres Schwarz-Gelb rückstandslos abgelöst worden ist, wird die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns eines der ersten Projekte sein, das die neue rot-grün geführte Bundesregierung in Berlin umsetzen wird.
Wir freuen uns über jede Unterstützung aus den Reihen der CDU. Herr Billen, ich unterstütze Sie ganz ausdrücklich bei Ihrem Vorhaben, den Mindestlohn auch in der rheinland-pfälzischen CDU mehrheitsfähig zu machen. Wenn Sie versprechen, dass Sie sich im Landesvor
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Frau Klöckner, CDU: Herr Billen, jetzt müssen Sie sich wehren! Das ist schon peinlich!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss feststellen, dass von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wieder einmal der Versuch unternommen wird, sich von dem Acker zu machen, den sie selbst mit den Gesetzen Hartz I, II, III und IV unter einem Bundeskanzler Gerhard Schröder bestellt haben. Diese Gesetze wirken in Teilen bis heute.
Rekapitulieren wir einmal ganz kurz, damit man weiß, was damals gemacht worden ist. Sie würden das am liebsten gerne in eine Mottenkiste verbannen. Die SPD hat mit den Hartz-Gesetzen zum Beispiel für den Bereich der Leiharbeit das besondere Befristungsverbot, das Synchronisationsverbot, das Wiedereinstellungsverbot und die Beschränkung der Überlassungsdauer auf höchstens zwei Jahre aufgehoben. Das war Hartz I.
Die rot-grüne Bundesregierung hat damals mit Hartz II im Bereich der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse die Verdienstgrenze von 325 Euro auf 400 Euro angehoben. Sie hat dann übrigens auch festgestellt, dass die bis dahin geltende Begrenzung auf 15 Wochenstunden ebenfalls entfallen kann.
Mit Hartz IV erfolgte die allgemein bekannte Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, die damalige Hilfe zum Lebensunterhalt, für Erwerbsfähige zum Arbeitslosengeld II auf einem Niveau unterhalb der bis dahin geltenden Sozialhilfe.
Da Frau Ministerin Dreyer eben noch einmal den Armuts- und Reichtumsbericht und die darin enthaltene
Feststellung angesprochen hat, dass die Lohnverteilung tatsächlich auf eine ungerechte Entwicklung hinausläuft – da bin ich sehr wohl bei Ihnen –, darf man aber die Geschichte und die eigene Verantwortung für diese Geschichte nicht einfach wieder in eine Mottenkiste legen, sondern man muss sich der ein Stück weit ehrlich und nicht nur über eine Rhetorik der heißen Luft und der Betroffenheit stellen.
Was ist geschehen? – Unter Helmut Kohl bestand beispielsweise der Höchststeuersatz von 53 %. Dann gab es die Steuerreform unter Rot-Grün. Die letzte Stufe dieser Steuerreform trat zum 1. Januar 2005 unter RotGrün, Bundeskanzler Gerhard Schröder, in Kraft.
Das war dann die letzte Absenkung des Höchststeuersatzes von da dann nur noch geltenden 45 % noch einmal um weitere 3 Prozentpunkte auf 42 %.
Dann haben wir heute zu Recht festgestellt, dass die Frage, wie groß die Betroffenheit von prekärer Beschäftigung ist, ganz schwer in Zahlen zu fassen ist. Das liegt an verschiedenen Punkten. Man kann sie noch am ehesten in der Leiharbeit fassen. Da können wir für Rheinland-Pfalz feststellen – das hat Frau Ministerin Dreyer vorhin in der Fragestunde zugegeben –, dass wir zum Glück in Rheinland-Pfalz relativ gering betroffen sind. Wenn ich die Zahlen einer Fachtagung vor einigen Wochen richtig im Kopf habe, waren das 2,7 %, die bei uns von Leiharbeit betroffen sind.
Jetzt kann man sagen, natürlich müssen wir uns auch um Personen kümmern, die eine Minderheit darstellen, aber ich verwahre mich dagegen, dass einige prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die wir überhaupt nicht leugnen, dargestellt werden, als wäre das die Masse der Arbeitnehmerinnen und -nehmer. Das ist es nicht.
Wir haben in unserer Bundesrepublik einen hervorragenden Arbeitsmarkt. Da waren auch in Teilen die Wirkungen der Hartz-Gesetze mit ursächlich. Darum waren die auch nicht gänzlich schlecht. Es muss nachgebessert werden. Das sehen wir durchaus auch so.
Wir haben tatsächlich einen wachsenden Niedriglohnbereich. Deshalb sind auch wir der Auffassung, es müssen Mindestlöhne geschaffen werden. Das ist richtig.
Aber jetzt schauen wir doch einmal, wer bisher wirklich Mindestlöhne in diesem Land etabliert hat. Bisher ist
unter keinem einzigen SPD-Kanzler ein einziger Mindestlohn festgelegt worden, meine Damen und Herren.
Alle Mindestlöhne, die über das Entsendegesetz in der Bundesrepublik Deutschland etabliert worden sind – das sind mittlerweile, ich sage Gott sei Dank, eine ganze Menge –, sind unter CDU-Führung geregelt worden. Ich habe hier die aktuelle Übersicht mit den aktuellen Tarifen. Die kann jeder auf der Homepage der Bundesministerin einsehen. Da schwanken die Mindestlöhne je nach Branche – hier sind jetzt zwölf Branchen dabei – von 7 Euro für Wäschereibedienstete in Ostdeutschland bis 13,40 Euro die Stunde im Baugewerbe in Westdeutschland. Das zeigt, nach Regionen und nach Branchen gibt es unterschiedliche Mindestlöhne.
Das ist aus unserer Sicht der einzig vernünftige Weg. Darauf werde ich in der zweiten Runde gern noch einmal eingehen.