Protocol of the Session on March 22, 2012

Meine Damen und Herren, ich komme zum Steuerzuschuss von 2 Milliarden Euro. Das sind die zusätzlichen fremden Versicherungsleistungen. Das ist etwas, was wir nicht wollen. Was sagt die Frau Bundeskanzlerin? Es gibt keine Abschaffung der Praxisgebühr.

Sehr geehrte Damen und Herren, wissen Sie, was das ist? Das ist die Kennzeichnung, die Stigmatisierung, für einen Kassenpatienten und die Eintrittskarte zur ärztli

chen Behandlung für Versicherte in Deutschland. Wir fordern das Aus für die Praxisgebühr.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der CDU hat Herr Abgeordneter Dr. Enders das Wort.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde diese Debatte sehr bemerkenswert. Die SPD beantragt eine Aktuelle Stunde, weil es kein Finanzierungsproblem in der GKV gibt und die Kassen mit 19,5 Milliarden Euro bei den Krankenkassen voll sind.

Warum ist das so? Das ist so wegen einer nachhaltigen und guten Gesundheitspolitik der jetzigen Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der SPD)

Herr Hering, davon hätte Rot-Grün nur träumen können. Denken Sie einmal ein paar Jahre zurück.

(Hering, SPD: Das ist doch lächerlich!)

Ich kann verstehen, dass Sie sich aufregen. Sie hören das ungern. Ich möchte noch ein paar Sachen sagen, die Frau Anklam-Trapp ausgelassen hat.

Ich kann die FDP natürlich verstehen, dass sie aus taktischen Gründen jetzt nach jedem Strohhalm sucht und versucht, sich mit 10 Euro Praxisgebühr auf 10 % hochzukaufen. Das ist ein Versuch, der bei Einzelnen nicht gelingen wird.

(Zurufe von der SPD)

Ich bin ein bisschen verwundert. Wer war, als die Praxisgebühr ins Gespräch kam – von der Union eingebracht aus der Opposition 2003/2004 –, Bundesgesundheitsministerin? Das war Ulla Schmidt.

(Frau Klöckner, CDU: Wer war das denn? Ein SPD-Mitglied! – Zurufe von der SPD)

Es ist ganz interessant. Wenn man einmal in die „EifelZeitung“ von gestern hineinschaut – darin wird Frau Dreyer interviewt und zitiert –, bekommt man den Eindruck, dass sie Krokodilstränen weint. Sie schildert das so, als wenn quasi damals die Opposition, die CDU, die rot-grüne Bundesregierung gezwungen hätte, die Praxisgebühr einzuführen.

(Zuruf der Abg. Frau Klöckner, CDU)

Entschuldigung, ich kann mir nicht vorstellen, dass man Gerhard Schröder zu irgendetwas zwingen konnte.

Frau Anklam-Trapp, den Punkt haben Sie eben völlig außen vor gelassen.

(Frau Klöckner, CDU: Sehr gut!)

Ich will einmal zitieren, was Frau Dreyer, die heute leider nicht da sein kann, in der „Eifel-Zeitung“ sagt: „‘Seit Einführung der Praxisgebühr müssen sich insbesondere die sozial Schwachen in unserer Gesellschaft verstärkt überlegen, ob sie sich einen Arztbesuch selbst bei Schmerzen oder anderen gesundheitlichen Problemen finanziell leisten können. Dies fördert die Zweiklassenmedizin, verschlechtert die gesundheitliche Versorgung besonders dieses Teiles der Bevölkerung und trägt zu einer Chronifizierung von Erkrankungen bei‘, so die Ministerin.“

Meine Damen und Herren, ich finde, das ist unsachlich, unverantwortlich und polemisch. Das ist hanebüchen.

(Beifall bei der CDU)

Sie alle wissen, dass selbst im Hartz-IV-Regelsatz die Praxisgebühr eingearbeitet ist. Ich will es einmal herunterrechnen. Wenn jemand maximal viermal im Jahr die Praxisgebühr bezahlen muss, sind das 11 Cent pro Tag. Was Sie hier veranstalten, ist ein Sturm im Wasserglas.

(Zurufe der Abg. Pörksen und Ramsauer, SPD)

Wir hören gleich von den GRÜNEN einen niedergelassenen Kollegen. Der wird sicher seine Meinung dazu haben. Ich komme später noch darauf zu sprechen.

Es geht aber um etwas anderes. Die Praxisgebühr hatte zwei Steuerungsfunktionen, und zwar einmal das Kostenbewusstsein, damit unnötige Arztbesuche vermieden werden. Ob das erreicht worden ist, ist sehr fraglich.

(Zurufe von der SPD)

Hören Sie doch einmal zu. Ich gebe aber zu bedenken, wenn man die Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung liest, haben wir im Schnitt 17 Arztkontakte im Jahr pro Patientin und Patient. In der OECD-Studie sind es ca. 13, weil es nach anderen Kriterien geht. Dort wird nämlich nur der erste Kontakt in einem Quartal gezählt. Diese Zahlen zeigen, dass wir im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern einsame Spitze sind. Wir werden nur von Japan weltweit noch übertroffen.

Es gibt – das müssen Sie zur Kenntnis nehmen; das wurde auch vor einigen Wochen in der Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Linkspartei durch die Bundesregierung festgestellt – eine neuere Statistik, die feststellt, dass die Deutschen mittlerweile gar nicht mehr so oft zum Arzt gehen, wie man aus diesen Zahlen glaubt. Es ist so, dass 50 % der Arztbesuche nominal von 16 % der Patientinnen und Patienten in Anspruch genommen werden. Das ist eine Zahl, die man gern verschweigt, hier aber auch einmal bewusst erwähnen muss.

Das Zweite war die Lotsenfunktion. Ich möchte kurz darauf eingehen und in der zweiten Runde allgemein noch etwas sagen. Die Lotsenfunktion bedeutet, dass

der Patient nicht von Arzt zu Arzt hoppt und selbst entscheidet, zu wie vielen Fachärzten er geht. Das hat etwas mit dem Kostenbewusstsein zu tun. Ich denke, dass diese Lotsenfunktion durchaus erreicht worden ist, weil der Patient dadurch, dass er zu seinem Hausarzt gehen muss, nicht unkontrolliert von Facharzt zu Facharzt gehen kann, es sei denn, er zahlt die Praxisgebühr. Insofern haben wir diese zweite Funktion, die gewünscht war, durchaus erreicht. Ich denke, das ist eine Sache, die man erwähnen muss.

Es bleibt festzuhalten, dass die Krankenkassen durch die Praxisgebühr 2 Milliarden Euro im Jahr mehr haben. Diese 2 Milliarden Euro werden gebraucht. Mehr dazu in der zweiten Runde.

(Beifall der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin froh darüber, dass wir heute über die Kassenüberschüsse diskutieren wollen, weil uns das Thema auch in Zukunft beschäftigen wird. Deshalb schließe ich mich meiner Kollegin Frau Anklam-Trapp an, weil sie aus ihrer Erfahrung alles richtig erzählt hat.

Herr Dr. Enders, Sie haben ausgeführt, dass von den Deutschen 17 Arztbesuche im Jahr vorgenommen werden. Ich möchte Sie nur daran erinnern, die Ursache für diese Frequenz nachzufragen. In meinen Augen liegt der Grund darin, dass die Ärzte wegen falscher Anreize in unserem Gesundheitssystem keine Zeit für die Patientinnen und Patienten haben.

Diese fühlen sich nicht verstanden. Deswegen kommt es zu dem Verschiebebahnhof von einem Arzt zum anderen. Das ist keine vernünftige medizinische Versorgung, sondern im Kalkül ein ökonomisierendes Gesundheitssystem. Das ist ungerecht, unnachhaltig und den zukünftigen Generationen gegenüber ungerecht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist, wie es weitergeht. Die zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Versicherten werden damit begründet, dass die Kosten im Gesundheitssystem unter Kontrolle bleiben und die Inanspruchnahmen der Leistungen gesteuert werden müssen. Die Realität zeigt, wie ich schon gesagt habe, ein ganz anderes Bild.

Beide Maßnahmen, ob es sich um eine Beitragsrückerstattung oder -senkung als Konsequenz aus den Überschüssen der Krankenkassen handelt, können nur als ein kleiner Schritt in die richtige Richtung bewertet werden. Fakt ist, dass die Praxisgebühr außer mehr Bürokratie und finanziellen Belastungen für chronisch Kranke

auch in Rheinland-Pfalz nichts Nachhaltiges bewirkt hat und deshalb abgeschafft gehört.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das jetzige Finanzierungssystem der Krankenversicherung ist ungerecht, weil nur die Schwächsten zusätzlich belastet werden und damit die Altersarmut gefördert wird. Die Bundesregierung verursacht mit ihrer Arbeitsmarktpolitik zunehmend die atypischen Arbeitsverhältnisse, die die Altersarmut verstärken.

Wer arm ist, ist öfter krank; wer krank ist, kommt in die Praxis und muss von seiner niedrigen Rente die Praxisgebühr bezahlen. Wenn es das Kalkül will, wird Bundesfinanzminister Schäuble den Bundeszuschuss zur Rente um 1 Milliarde Euro im kommenden Jahr kürzen. Das ist in zweifacher Hinsicht ungerecht und medizinisch unsinnig.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Statt dem Willen der Mehrheit in unserer Gesellschaft zu folgen und eine Bürgerversicherung einzuführen, wie sie in unserem Koalitionsvertrag gefordert wird, verfolgt die Bundesregierung eine ungerechte Finanzierungsstrategie, die vor allem von den schwachen und kranken Menschen geschultert werden muss. Eine Bürgerversicherung schafft Gerechtigkeit, bietet Perspektiven für künftig mehr Arbeitsplätze und wird somit den kommenden Generationen gerecht.

Mit einer verlässlichen Versicherung durch die Bürgerversicherung können wir zum einen die präventiven Maßnahmen fördern und zum anderen durch die Investition dieser Gelder in die Bildung und das soziokulturelle Wachstum für eine Bewusstseinsänderung in Richtung auf mehr Solidarität sorgen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Solidarität ist der nährende Boden für das geistige Glück, was medizinisch unbestritten ist. Das ist der richtige Weg. Der Mensch und nicht das Geld steht im Mittelpunkt der Politik. Wir sind gegen eine Zweiklassenmedizin, und wir wollen eine Bürgerversicherung für alle.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)