Protocol of the Session on January 19, 2012

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat Frau Abgeordnete Sahler-Fesel das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren!

„Der Landtag Rheinland-Pfalz sieht und erkennt erlittenes Unrecht, das Kindern und Jugendlichen in Heimen in Rheinland-Pfalz widerfahren ist, und bedauert das Leid der Betroffenen zutiefst.“

Dieser Satz steht am Anfang unseres gemeinsamen Antrages, und es ist wichtig, genau dies in den Mittelpunkt zu rücken und genau dies auch im Titel des Antrags darzustellen, sich nicht dahinter zu verstecken und nur die Umsetzung der Empfehlung des runden Tisches zu fordern, sondern zu betonen, worum es uns geht: Endlich müssen die Betroffenen in den Mittelpunkt gestellt werden, die missbraucht wurden und die Leid erfahren haben, die aber für ihr Schicksal überhaupt nichts konnten und die – wie meine Vorrednerinnen dies schon ausgeführt haben – in den Jahren, nachdem sie das Heim verlassen haben, an den Folgen dieser Entwicklung leiden und dies auch in der Zeit ihres weiteren Lebensweges nicht abgeschüttelt haben.

Deshalb ist es wichtig, genau dies darzustellen, und deshalb war es auch so wichtig, dass der runde Tisch im

Bund fraktionsübergreifend eingerichtet wurde. Es war kein Ergebnis, das sehr schnell gefunden wurde; denn es hat jahrelang gedauert, bis man endlich anerkannt hat, dass den Kindern und Jugendlichen Unrecht geschehen ist, bis Akten in Behörden eingesehen werden konnten und bis Menschen einsichtig wurden, sodass tatsächlich eine Aufarbeitung stattgefunden hat.

Wir sind dankbar, dass es diesen runden Tisch gegeben hat, dessen Empfehlungen nun vorliegen, die das Land Rheinland-Pfalz nun umsetzen will. Das Land Rheinland-Pfalz hat den ersten Schritt dazu getan, der laut der Empfehlungen des runden Tisches bis zum 31. Dezember dieses Jahres erfolgt sein soll. In Rheinland-Pfalz wurde schon zum 1. Januar dieses Jahres eine der elf Anlaufstellen der westlichen Bundesländer eingerichtet. Sie hat ihre Arbeit aufgenommen, und insoweit sind wir in Rheinland-Pfalz sehr schnell mit der Umsetzung.

Rheinland-Pfalz ist auch einer der Ländervertreter, wobei zwei Bundesländer die Länder vertreten; denn der angesprochene Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro wird zu einem Drittel vom Bund, zu einem Drittel von den elf westlichen Bundesländern und zu einem Drittel von der evangelischen und katholischen Kirche getragen. Ich denke, auch dies muss einmal gesagt werden.

Ich denke, das muss hier auch einmal gesagt werden. Man versucht, aus diesem Fonds Menschen zu entschädigen. Leid ist nicht zu entschädigen. Aber, wie Frau Huth-Haage eben schon sagte, hier leben auch Menschen in prekären Lebenssituationen, in finanziell schlechten Lebenssituationen, nicht nur, weil eventuell Rentenzahlungen und Sozialleistungen nicht erfolgt sind, die hätten erfolgen müssen, sondern weil die Menschen zum Teil so traumatisiert waren, dass sie ihren Lebensweg überhaupt nicht gehen konnten und von daher im Leben gescheitert sind.

Hier ist noch eine wichtige Empfehlung des runden Tisches zu bearbeiten, dass nämlich Leistungen aus dem Fonds bei prekären Lebenslagen, also dann, wenn diese Menschen auf Transferleistungen angewiesen sind, nicht darauf angerechnet werden; denn sonst haben wir das System „rechte Tasche – linke Tasche“. Vielmehr sollen Leistungen aus dem Fonds, wenn gezahlt wird – egal, welche Leistungen Menschen erhalten – wirklich obendrauf gesetzt werden und zusätzliche Leistungen sein.

Es ist auch richtig so, dass nicht alle diese Einrichtungen einfach so anerkennen, insbesondere wohl deshalb, weil mit den Geldern, die aus dem Fonds empfangen werden, der Betroffene auch unterschreiben muss, dass seine Ansprüche damit erledigt sind. Das ist eine relativ harte Empfehlung. Das wird mit Sicherheit nicht von jedem so gesehen. Aber es ist wichtig, dass jetzt hier weitergearbeitet wird.

Fakt des runden Tisches – das ist der jetzige Stand –: Wir in Rheinland-Pfalz wollen uns der Verantwortung stellen, wollen also mithilfe dieser Anlaufstelle, die eine Geh-Struktur bekommt, sehen, wo in Rheinland-Pfalz Menschen sind, die betroffen sind. Es soll aufgearbeitet werden, auch die Situation für Rheinland-Pfalz. Deswegen haben sich die antragstellenden Fraktionen bei

diesem Antrag schon für eine Anhörung ausgesprochen, was die SPD-Fraktion natürlich genauso macht. Wir wollen eine Anhörung haben. Wir wollen mit den verschiedenen Gruppierungen und mit einzelnen Betroffenen sprechen, um zu hören, wie wir in Rheinland-Pfalz vorgehen können.

Wir wollen zukunftsweisend weiterarbeiten. Das heißt, wir wollen auch diese Anlaufstelle vernetzen. Unser Landeskinderschutzgesetz ist genau die richtige Grundlage. Wir haben schon eine große Vernetzung im Lande gerade über die Jugendämter eingerichtet. Hier wird die Vernetzung mit dieser Anlaufstelle weitergehen.

Es werden weiterhin Qualitätsmerkmale entwickelt, sodass man frühzeitig auch in der heutigen Zeit Missbrauch erkennen und vermeiden kann. Man kann die entsprechenden Menschen schulen, die mit Kindern umzugehen haben. So freuen wir uns auf die weitere Diskussion im Ausschuss und hoffen auch, dass wir entsprechend gute Ergebnisse bei den weiteren Beratungen bekommen,

(Glocke der Präsidentin)

insbesondere fraktionsübergreifend einen gemeinsamen Antrag.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Für die Landesregierung erteile ich Frau Ministerin Alt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! In den Jahren 1949 bis 1975 durchlitten viele Kinder in den rund 50 Heimen in RheinlandPfalz Misshandlung, Missachtung und Missbrauch. Viele der damaligen Heimkinder – es waren um die 40.000 – sind bis heute traumatisiert. Es ist mir wichtig festzustellen, die ehemaligen Heimkinder haben Unrecht erfahren. Sie tragen an den Geschehnissen von damals keine Schuld.

Der vorliegende Antrag der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD-Fraktion betont dies ausdrücklich. Von mir wird dieser genauso ausdrücklich auch begrüßt.

Es ist zu Rechtsverstößen gekommen, insbesondere auch zu Menschenrechtsverletzungen. Frau HuthHaage, ich muss Ihnen an diesem einen Punkt widersprechen. Sie sagen, es war eine andere Zeit, es waren andere Erziehungsstile, es war einfach eine andere gesellschaftliche Situation. Aber wenn man sich anschaut, was diese Kinder erlebt haben, dann ist es auch

damals nicht geltendes Recht und nicht geltend gewesen.

(Frau Huth-Haage, CDU: Das habe ich nicht gesagt! Das habe ich differenziert! – Pörksen, SPD: Es war damals genauso schlimm wie heute!)

Gut. Die ehemaligen Heimkinder haben eine Anerkennung dieses Unrechts verdient. Für die Landesregierung Rheinland-Pfalz entschuldige ich mich ausdrücklich bei all den ehemaligen Heimkindern, denen in der Vergangenheit in rheinland-pfälzischen Heimen Unrecht angetan worden ist.

(Beifall im Hause)

Im Abschlussbericht des vom Bundestag eingesetzten „Runden Tisches Heimerziehung in den 50er- und 60erJahren“ gibt es vier Empfehlungen:

1. Maßnahmen zur Rehabilitation und Hilfen für individuelle Aufarbeitung,

2. finanzielle Unterstützung für Betroffene bei Rentenansprüchen oder Folgeschäden,

3. grundsätzliche Aufarbeitung und Dokumentation und

4. Prävention und Zukunftsgestaltung.

Zur Finanzierung dieser Empfehlung gibt es einen Fonds in Höhe von 120 Millionen Euro. In diesen Fonds zahlen Bund, Länder und Kirchen je ein Drittel ein. Die Landesregierung Rheinland-Pfalz stellt von 2012 bis 2016 insgesamt 2,3 Millionen Euro für den Fonds zur Verfügung. Zusätzlich stellt Rheinland-Pfalz rund 900.000 Euro für die Aufarbeitung, die Dokumentation und die Prävention bereit.

Der Ministerrat hat für die Umsetzung der Empfehlungen in Rheinland-Pfalz fünf Eckpunkte beraten.

1. Die Einrichtung einer Anlauf- und Beratungsstelle beim Landesjugendamt. Darüber wurde schon gesprochen. Frau Huth-Haage, da kann ich sagen, diese Beratungsstelle ist bereits eingerichtet. Wir sind schon aktiv. Wir haben sie mit dem 1. Januar 2012 eingerichtet. Ich halte es für einen ganz wichtigen Punkt, dass es hier Ansprechpartner für die ehemaligen Heimkinder gibt, die gemeinsam mit Ihnen die Wege gehen, die mit ihnen die Anträge ausfüllen, die mit ihnen die Aufarbeitung machen, die auch mit ihnen in die Jugendämter gehen und schauen, dass diese Menschen an ihre Akten kommen, was viele Jahrzehnte nicht der Fall war, wenn sie überhaupt noch da sind. Es gibt Beratung über therapeutische Angebote. Ich halte es für einen ganz wichtigen Punkt, dass es in dieser Beratung eine Geh-Struktur gibt und sich die ehemaligen Heimkinder entscheiden können, wo sie sich mit ihrem Ansprechpartner treffen wollen.

2. Dieser große Punkt betrifft die Einrichtung eines landesweiten Beirates. Hier geht es darum, die Arbeit der Beratungsstelle zu begleiten, auch die Aufarbeitung und Dokumentation, aber auch die Landesregierung bei der

Entwicklung der präventiven Maßnahmen für die Zukunft zu unterstützen.

Die Federführung dieses Beirats liegt bei meinem Ministerium. Es ist uns ein ganz wichtiger Punkt, dass in diesem Beirat neben den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden und den Mitgliedern des Landtags auch die Betroffenen im Beirat mit dabei sein und mitarbeiten können. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

3. Dieser Eckpunkt betrifft das Thema „Aufarbeitung und Dokumentation“. Hier wollen wir Statistiken aufarbeiten, uns Heimverzeichnisse und Akten anschauen und auswerten und insbesondere Interviews mit Zeitzeugen führen.

4. Dieser Punkt, der nicht minder wichtig auch für unsere eigene Situation heute in den stationären Einrichtungen ist, ist, dass wir Mindeststandards und Leitlinien für den Umgang von Institutionen mit Misshandlungen und sexuellem Missbrauch erarbeiten wollen. Wir wollen Beschwerdestellen heimintern und überregional einrichten. Wir wollen die Beteiligungsverfahren von jungen Menschen in heutigen Heimen stärken, und wir wollen Fortbildungen für die Mitarbeiterinnen anbieten. Wir wollen nämlich aus den Fehlern der Vergangenheit für die Zukunft lernen.

5. Ganz wichtig – ich sagte es bereits – ist die Anerkennung von Unrecht. Es ist ein großer Punkt, dass wir das erlittene Unrecht der ehemaligen Heimkinder durch die Repräsentanten der damals verantwortlichen Träger und politischen Verantwortlichen auch anerkennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte noch einmal ins Bewusstsein rufen, es geht bei diesem Antrag um das zu Unrecht erlittene Leid von Menschen. Es geht um Kinder, die geschlagen wurden, die man hat hungern lasen, die missbraucht wurden. Es geht um Menschen, die heute unter uns leben. Sie leiden noch heute an posttraumatischen Erkrankungen sowohl körperlicher als auch psychischer Art. Diese Menschen erwarten ein Zeichen vom rheinland-pfälzischen Landtag. Sie erwarten eine Anerkennung dieses Unrechts.

Ich hoffe, dass wir im Ausschuss gemeinsam ein Zeichen über alle Fraktionsgrenzen hinweg setzen können. Das hat sich in der heutigen Diskussion schon angedeutet. Wenn wir die Diskussion im Ausschuss geführt haben, wäre es für mich von ganz besonderer Bedeutung, dass wir hier über alle Fraktionsgrenzen hinweg ein gemeinsames Zeichen als Landtag setzen können.

Danke schön.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Ministerin. Es wurde Ausschussüberweisung beantragt. Erhebt sich dagegen Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Damit wird der Antrag – Drucksache 16/799 – an den Ausschuss für Integrati

on, Familie, Kinder und Jugend überwiesen. Ebenfalls überwiesen wird der dazugehörige Alternativantrag.

Wir kommen zu Punkt 17 der Tagesordnung:

Zweiter Opferschutzbericht der Landesregierung Besprechung des Berichts der Landesregierung (Drucksache 15/5267) auf Antrag der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 16/719 –

Ich erteile Herrn Kollegen Sippel für die SPD-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir bedanken uns zunächst, dass der Zweite Opferschutzbericht heute besprochen werden kann. Der Bericht hat die öffentliche Aufmerksamkeit und vor allem die Lektüre absolut verdient.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Das stimmt!)