Protocol of the Session on October 20, 2011

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Schneiders, Sie haben die Zahlen aus den Verfassungsschutzberichten schon erwähnt, und Sie haben sie teilweise infrage gestellt. Ich will es aber noch einmal auf den Punkt bringen: Wir reden entweder von 700 Personen, die sowohl im Verfassungsschutzbericht 2009 als auch im Verfassungsschutzbericht 2010 genannt werden und die diesem Spektrum zuzuordnen

sind, und wir reden bundesweit von ungefähr 32.000 Personen – also befinden sich in Rheinland-Pfalz rund 2 % dieser teilweise militanten Personen –, oder wir reden von den Militanten, nämlich den Gewaltbereiten. Dann reden wir in Rheinland-Pfalz von 120 und bundesweit von 6.800 Personen. Das sind weniger als 2 %.

Schauen wir uns die Zahl der Gewalttaten an, die im Verfassungsschutzbericht genannt ist. Dann reden wir im Jahr 2008 von 13, 2009 von 24 und 2010 – also immer aktueller – von nur noch sieben. Im Jahr 2009 war die Steigerung deswegen zu verzeichnen, weil es am 1. Mai sehr viele Demonstrationen gab, die letztendlich von rechts gekommen sind und bei denen es Auseinandersetzungen gab. Also könnte man auch schlussfolgern: Hätten wir weniger Rechtsextremismus, dann hätten wir möglicherweise gar keinen Linksextremismus.

(Baldauf, CDU: Das damit zu rechtfertigen, ist grenzwertig! – Weitere Zurufe von der CDU)

Das gefällt Ihnen gar nicht, nicht wahr?

(Bracht, CDU: Das war voll daneben!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie den Gesamtschlüssel sehen und feststellen, dass in Rheinland-Pfalz 5 % der Bevölkerung leben, so haben wir angesichts der Gesamtstrukturen einfach die Feststellung zu treffen – das hat auch die „dpa“ in einem Pressebericht festgestellt –, dass wir einen der hintersten Plätze bundesweit einnehmen. Das ist auf die gute Arbeit von Verfassungsschutz und Polizei in diesem Land zurückzuführen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn wir aktuell Änderungen der Situation zu verzeichnen hätten, dann hätten das die Medien in RheinlandPfalz und nicht in Berlin berichtet. Dann hätte uns der Innenminister längst darüber informiert, sodass wir hier auf einem aktuellen Stand wären. Also hat sich in Rheinland-Pfalz nichts verändert.

Jetzt gehen wir einmal auf die grundsätzliche Diskussion ein. Vor einigen Monaten gab es Brandanschläge auf Autos zunächst in England. Dann kamen sie nach Deutschland. In Hamburg und in Berlin fing es an. Es ging weiter, kam nach Mainz und auch in eine kleine Stadt wie Bingen. Sofort wurde „Linksextremismus“ gerufen. In der Folge kam es zu Festnahmen. Dann hat der BKA-Präsident festgestellt: Die Straftäter sind meistens nicht dem linksextremistischen Hintergrund zuzuordnen. Der BKA-Präsident spricht davon, dass es sich vielmehr um Randalierer, Pyromanen oder gar Versicherungsbetrüger handelt.

Damals gab es viel Geschrei und wenig Substanz. Man hätte den Ermittlungsbehörden ehrlicherweise ausreichend Zeit lassen sollen, bevor man einen großen Popanz aufbaut.

Jetzt haben wir eine neue Situation. Das ist in Berlin. Das ist absolut zu verurteilen. Man hat an 18 Stellen versucht, Brandsätze zu legen oder Brandattacken

durchzuführen. An zwei Stellen ist es über den Versuch hinaus zu einer Tat gekommen. Was passiert? – Wir schreien sofort wieder „Linksextremismus“, und manche sagen sogar, es ist Linksterrorismus.

Fakt ist, es hat sich eine Gruppe namens Hekla dazu bekannt, die wegen des Krieges in Afghanistan und des deutschen Engagements glaubt, irgendetwas tun zu müssen. Nur, wer ist denn Hekla? – Kein Mensch weiß, wer diese Gruppe ist und dahintersteht.

Ich bin der Auffassung, man sollte auch hier abwarten und nicht sagen, „ja das sind die“ oder „das sind nicht die“, sondern man sollte den Ermittlungsbehörden die Chance geben, eine saubere Arbeit zu machen und dann festzustellen, was notwendig ist. Bis dahin sollte man bei dem klaren Fakt bleiben, in Rheinland-Pfalz wird eine gute Arbeit gemacht, und in Rheinland-Pfalz ist das Ganze kein Thema. Das ist gut so, und so arbeiten wir in Rheinland-Pfalz auch gut für die Bürgerinnen und Bürger weiter.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Schellhammer hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie beziehen sich in Ihrer Aktuellen Stunde auf die Vorfälle in Berlin und verbinden das mit dem Thema „Linksextremismus“.

Eins vorweg, ganz klar, für solche Taten wie die Brandanschläge in Berlin gibt es in meinen Augen keine Rechtfertigung. Gewalt ist ganz klar in jeder Form abzulehnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Natürlich ist auch Sachbeschädigung eine Form von Gewalt, besonders wenn im Rahmen dieser Anschläge Menschen zwar nicht zu Schaden kommen, aber möglicherweise und schlimmstenfalls eine Tötung durch diese Brandstifter in Kauf genommen wurde.

Wichtig für die Bewertung dieser Vorgänge in Berlin ist jedoch, dass noch kein Täter oder Täterin gefasst ist. Ob ein sogenannter linksextremer Hintergrund vorliegt, ist mehr als ungewiss. Auch das Bekennerschreiben ist nicht verifiziert.

Bisher können wir nur Vermutungen darüber anstellen, wer hinter den Anschlägen steckt. Aufgrund von Vermutungen kann es aber nicht zu Vorverurteilungen ganzer politischer Gruppen kommen. Das sieht auch das Strafrecht nicht vor. Daher ist es absurd, zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Vorkommnisse in Berlin von einer Gefährdung unserer Demokratie durch Linksextreme zu sprechen. Einziger Fakt ist, es handelt sich bei den Ereignis

sen schlicht um Brandstiftung, und die Taten haben auch keinen Rückhalt.

(Baldauf, CDU: Brandstiftung ist auch schon sehr gefährlich!)

Sie haben keinen Rückhalt, wenn man sich die Blogs und Kommentare in der linken Szene anschaut. Sie haben keinen Rückhalt in der Diskussion. Deshalb kann man auch nicht von einem organisierten Linksterrorismus sprechen.

Festzustellen ist auch – das ist noch viel wichtiger –, die Debatte, die Sie hier aufziehen wollen, die Sie entschieden auf den Linksextremismus lenken wollen, geht an den eigentlichen Problemen in unserer Gesellschaft im politischen Sinne vorbei. Auf Bundesebene und auf rheinland-pfälzischer Ebene ist das eine Scheindebatte, die Sie schon seit mehreren Monaten aufziehen wollen, in der eine Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus erfolgt, womit Sie ein linkes Schreckgespenst „heraufbeten“ wollen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das eigentliche Problem unserer Demokratie sind nicht die extremen Ränder. Extreme Ränder wird es immer geben. Es gilt, diese entschieden zu bekämpfen und ihnen den Nährboden wegzunehmen. Das ist die eigentliche Aufgabe. Wenn man diesen Nährboden betrachtet, dann ist das eigentliche Problem die hohe Zustimmungsrate, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft hat. Was versteht man unter gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit? – Das ist Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Sexismus. Das sind alles Einstellungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.

Beispielsweise – diese Zahlen sind wirklich erschreckend – haben Umfragen im letzten Jahr ergeben, dass die Hälfte aller Deutschen der Meinung ist, es leben zu viele Ausländer in Deutschland. Jeder vierte Mensch in den westdeutschen Bundesländern stimmt laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ausländerfeindlichen Aussagen zu. Im Osten ist es jeder Dritte. Mehr als die Hälfte aller Bundesbürgerinnen und Bundesbürger will die Religionsfreiheit von Musliminnen und Muslimen einschränken. Das sind die Zahlen, die uns entsetzen müssen. Das sind die Zahlen, über die wir hier reden müssen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Nur eine Gesellschaft mit einer breiten demokratischen Basis, die den Gleichheitsgedanken und die Vielfalt lebt, die Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Homophobie und Sexismus und anderer gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entschieden entgegentritt, nimmt solchen gewaltbereiten Menschen den Nährboden weg. Da gilt es zu handeln.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Liebe CDU-Fraktion, mit Verlaub, das Bild einer linksterroristischen Bombenlegerbewegung existiert nur in Ihren Köpfen.

Verehrte Damen und Herren von der CDU, die wirkliche Bedrohung für unsere Demokratie kommt von innen heraus. Wir müssen alle jeden Tag daran arbeiten, dass unsere Gesellschaft tolerant und friedliebend bleibt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Es ist natürlich nicht sehr bequem, wenn man das nicht auf eine kleine Gruppe schieben kann. Aber Demokratie ist nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben. Man muss immer wieder überzeugen. Man muss immer wieder dafür kämpfen, dass die Demokratie erhalten bleibt.

Es ist nicht so bequem wie die Gefahren für unsere Gesellschaft an den Rändern. Wir haben die Zahlen gehört. Es ist eine Gruppe, die existiert. Die muss man beobachten. Es ist aber immer ein kleiner Rand. Da eine linke Bedrohung heraufzubeschwören, halte ich für völlig fehlgeleitet.

Diesen Extremismus, wenn Menschen mit Gewalt und anderen Mitteln gegen die Demokratie vorgehen, möchten wir bekämpfen. Natürlich, den will ich auch nicht kleinreden. Aber Extremismus fällt eben nicht vom Himmel. Er hat seinen Nährboden mitten unter uns in populistischen Aussagen und mangelnder Zivilcourage.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Glocke der Präsidentin)

Die Lösung kann nur darin liegen, dass wir uns nicht in solchen Scheindebatten verkämpfen, sondern uns gezielt mit politischer Aufklärung, mit entschiedenem Bekenntnis zu Toleranz und Demokratie gemeinschaftlich äußern,

(Glocke der Präsidentin)

und nicht mit einer Scheindebatte.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf der Abg. Frau Kohnle-Gros, CDU)

Für die Landesregierung erteile ich Herrn Staatsminister Lewentz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Schneiders, einen direkten und

belegbaren Bezug zu Rheinland-Pfalz habe ich aus Ihrer Rede nicht entnehmen können.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Pörksen, SPD: Ich auch nicht!)

Aber vielleicht ist der Bezug die heutige Debatte im Deutschen Bundestag, für die die CDUBundestagsfraktion ein ähnliches Thema angesetzt hat. Wie ich höre, zieht es sich so ein bisschen durch die Tagesordnungen der Landtage.