Protocol of the Session on September 23, 2015

(Alexander Schweitzer, SPD: Alles Grüne!)

Wir als Land betreiben unsere Rückkehrberatung bereits aus der Erstaufnahme heraus, noch bevor das Asylverfahren überhaupt abgeschlossen wurde. Und weil der Bund mit seinen Verfahren nicht vorankommt, machen wir dies sogar häufig, bevor ein Verfahren überhaupt begonnen wurde. Der Bund hat uns bescheinigt, dass diese Arbeit vom Land vorbildlich organisiert wird.

Um die Verfahren endlich zu beschleunigen, haben wir dem BAMF sogar eigenes Personal im Wege der Amtshilfe angeboten. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir können nur Personen abschieben, deren Asylverfahren dort abgeschlossen ist.

Vor dem Hintergrund, dass das BAMF bis Ende August in Rheinland-Pfalz überhaupt erst über 2.590 ablehnende Entscheidungen für Erstanträge getroffen hat, geben uns die Zahlen doch recht; denn bereits 2.846 Personen, also mehr, sind in diesem Jahr bis zum 31. August in ihre Heimat zurückgekehrt. Dies zeigt einzig und allein die aussagekräftige Zahl: Nicht wie viele Abschiebungen es gegeben hat, ist ausschlaggebend.

Ich bin stolz darauf, dass wir das unter Berücksichtigung der Aufnahmequote als das Bundesland mit den meisten freiwilligen Ausreisen belegen können. Deshalb verstehe ich diese ganze Diskussion am Ende überhaupt nicht mehr, die von der CDU geführt wird. Es ist aus meiner Sicht eine absolute Scheindebatte. Wer permanent nach außen ruft, wir müssen mehr abschieben, sollte doch endlich einmal verstehen, dass unser Rechtsstaat eine Abschiebung

voraussetzt, dass es einen rechtskräftigen Bescheid im Asylverfahren gibt; denn ohne den kann man nicht abschieben.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte sagen, das ist eigentlich erstes Semester in einem Jurastudium. Ich würde einmal sagen, bei allen, die Verwaltungswissenschaften studieren, ist es so ähnlich.

Eines will ich noch hinzufügen, damit diese Debatte nicht noch einmal aufkommt: Was die Asylgerichtsverfahren angeht, so sind sie in Rheinland-Pfalz die schnellsten und effektivsten im bundesweiten Vergleich, und zwar mit der Zielgröße von 14 Tagen. Wenn die Zahlen weiter so dynamisch bleiben, wird der Justizminister weitere Richterstellen zur Verfügung stellen. Deshalb noch einmal: Wie ernst wir diese Aufgabe nehmen, zeigt sich auch daran, dass wir im bundesweiten Vergleich bei den Gerichtsverfahren die Schnellsten sind. Dabei soll es auch bleiben. Dafür haben wir entsprechende Vorsorge getroffen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mit steigenden Asylzahlen steigt aber natürlich auch die Bedeutung der Rückführung, die eine Kernaufgabe der kommunalen Ausländerbehörden ist. Ich habe deshalb mit den Kommunen nach Kabinettsbeschluss einiges besprochen:

1. dass bei allen Erstaufnahmeeinrichtungen die kommunalen Ausländerbehörden mit insgesamt 20 Stellen verstärkt werden, um sie beim Rückführungsgeschehen zu unterstützen,

2. dass die Clearingstelle, die alle kommunalen Ausländerbehörden bei der Rückführung unterstützt, durch vier Vollzeitstellen verstärkt wird und

3. dass die Landesinitiative Rückkehr finanziell ausgeweitet wird, indem wir landesweit zusätzlich insgesamt 65 Stellen in allen Ausländerbehörden bezuschussen.

4. Ferner haben wir uns beim Bund dafür eingesetzt, dass in Koblenz bei der Bundespolizei eine Zentralstelle zur Passersatzbeschaffung eingerichtet wird, um die Kommunen darin zu unterstützen, wenn Ausweisdokumente fehlen.

5. Sobald der Bund seine Verfahrenszusagen beim Bundesamt einhält, Antragsteller vom Westbalkan unmittelbar zu bearbeiten, werden wir Rückführungen auch aus der Erstaufnahme schneller organisieren können. Das ist zurzeit nicht möglich.

Wir schaffen aber auch finanzielle Handlungssicherheit für alle, die aktuell mit der Flüchtlingsaufnahme befasst sind. Mit unserem Nachtragshaushalt, der heute zur Abstimmung ansteht, werden wir die Erstaufnahmekapazitäten des Landes weiter aufbauen und unsere Kommunen auch bei der Flüchtlingsunterbringung unterstützen. Mit den 195

Millionen Euro des Nachtragsetats werden fünf Maßnahmen finanziert:

1. Wir unterstützen die Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme.

2. Wir geben die originären Bundesmittel aus der Flüchtlingsmilliarde – übrigens noch einmal betont – 1 : 1 an die Kommunen weiter.

3. Wir bauen die Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes für Flüchtlinge aus.

4. Wir stocken das Bundesprogramm für kommunale Investitionen um 31,7 Millionen Euro auf.

5. Wir zahlen an die Kommunen 25 Millionen Euro für den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen.

Bei der Unterstützung der Kommunen für die Flüchtlingsaufnahme und beim Ausbau der Erstaufnahmekapazitäten des Landes werden wir angesichts der angepassten Prognose des Bundes zu steigenden Flüchtlingszahlen mit den veranschlagten zusätzlichen Mitteln nicht auskommen. In Abstimmung mit den Vorsitzenden der regierungstragenden Fraktionen habe ich aufgrund der neuen Prognose vorgeschlagen, die 195 Millionen Euro des Nachtragshaushalts um weitere 30 Millionen Euro aufzustocken.

Meine sehr verehrten Herren, meine sehr verehrten Damen! Die Bundesregierung hat Anfang des Monats entschieden, Tausenden Flüchtlingen, die in Ungarn unter unwürdigen Bedingungen ausharrten, die Reise nach Deutschland zu erlauben. Ich betone es noch einmal, ich habe es oft gesagt: Diese Entscheidung war und ist aus humanitärer Sicht absolut richtig. Deutschland konnte Menschen helfen, und Deutschland hat Menschen geholfen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Alexander Schweitzer, SPD)

Seit dieser Entscheidung hat sich die Grundlage der Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen verändert. Einerseits hat die Bundeskanzlerin ein richtiges Signal gesendet und menschlich gehandelt. Andererseits hat die Bundesregierung erst vergangene Woche erste Vorschläge zur Unterstützung bei Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen unterbreitet. Die 40.000 Erstaufnahmeplätze, in die die Bundesregierung im ersten Schritt investiert, sind ein wichtiger Schritt. Sie werden aber bei Weitem nicht ausreichen, sie werden uns nur etwas Luft geben.

Ich kritisiere nicht die Haltung der Bundeskanzlerin zur Aufnahme. Das ist auch meine Haltung. Die Bundesregierung unter ihrer Führung hat die Folgen dieser Entscheidungen aber nicht ausreichend bedacht und Länder und Kommunen mit der Bewältigung weitgehend alleine gelassen.

(Marlies Kohnle-Gros, CDU: Ist das keine Kritik?)

Fortschritte in der Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern gibt es leider nur sehr langsam. Dabei liegen die

Probleme doch offen zutage. Morgen treffen wir uns erneut in Berlin. Ich erwarte endlich konkrete Ergebnisse und Zusagen, die auch schnell umgesetzt werden.

Priorität Nummer 1 bleibt dabei die Beschleunigung der Verfahren. Hier muss der Bund alles auf den Prüfstand stellen, um das wichtigste Ziel zu erreichen: schnelle Klarheit darüber, welche Flüchtlinge asylberechtigt sind und somit bleiben dürfen und welche nicht. – Es ist vorhin gesagt worden, aber ich sage es noch einmal, weil es deutlich macht, wie drängend die Frage ist: Derzeit 20 Entscheider in Rheinland-Pfalz, das ist nicht akzeptabel.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

20 Entscheider in Rheinland-Pfalz bei etwa 5.000 neuen Flüchtlingen alleine im September und bei über 20.000 Flüchtlingen bislang in diesem Jahr, noch nicht einmal mitgezählt die Altfälle, die keiner mehr zählt.

Deswegen sind die Fälle wie der eines syrischen Flüchtlings nicht verwunderlich, den ich übrigens in IdarOberstein getroffen habe. Er ist Anfang September zu uns gekommen und hat vom Bundesamt seinen ersten Termin zur Antragstellung im Mai 2016 bekommen. Dieser Fall macht einfach klar, dass die langsamen Verfahren die Achillesferse in der Flüchtlingsfrage sind. Deshalb machen wir diesen Druck. Deshalb appellieren wir an die Bundesregierung: Werfen Sie hier endlich das Ruder herum! – Da war bisher zu viel – ich nenne es einmal – AktendeckelMentalität. Ich erwarte, dass die Zusagen, die vor dem Sommer gemacht worden sind, jetzt endlich in Taten umgesetzt werden.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als das zweite große Thema morgen werden wir uns über das Geld einigen müssen. Durch die Entscheidung der Bundesregierung sind einseitig Ländern und Kommunen Milliardenlasten auferlegt worden. Die unbearbeiteten Altfälle bringen leider dauerhaft obendrein Zusatzkosten.

Ich bleibe dabei, die Bundesregierung muss ihre Verabredung einhalten, sich fair, dauerhaft und dynamisch an den Kosten zu beteiligen. Ich sage das schon sehr lange. Ich habe meine Meinung an dieser Stelle auch nie geändert. Ich bin schon immer davon überzeugt, dass es nur fair ist, dass diese große gesamtstaatliche Aufgabe auch gemeinsam finanziert wird.

(Beifall der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb hoffe ich, dass wir zu einer Regelung kommen. Wir plädieren für eine Pauschale pro Flüchtling, weil es ehrlich gesagt keinen großen Spaß macht, auch nicht als Ministerpräsidentin, sich in regelmäßigen Wochenabständen zusammenzusetzen und um Geld zu feilschen. Es wäre fair, eine Pauschale zu zahlen, die mit der Anzahl der Flüchtlinge wächst und mit dem Weggang von Flüchtlingen sinkt. Insofern wäre das eine sehr gute Regelung.

Ich habe mit unseren kommunalen Spitzenverbänden vereinbart, dass wir uns sofort zusammensetzen, sobald eine

Vereinbarung mit dem Bund steht. Wenn wir uns am Donnerstag einigen, geht am Freitag früh eine Einladung an die kommunalen Spitzenverbände hinaus, um mit ihnen gemeinsam die Verteilung der Mittel zu regeln.

Ich gehe von einer Einigung in Berlin aus, und ich denke auch, dass damit die Einladung am Freitagmorgen hinausgehen kann.

Und dann gibt es noch ein weiteres Thema, bei dem der Bund gefragt ist, bei dem er aber im Moment auch noch nicht handlungsfähig ist, und das ist das Thema Einwanderungsgesetz.

Der Grund für ein Einwanderungsgesetz liegt auf der Hand: Es kommen gerade aus dem Westbalkan viele Menschen als Flüchtlinge zu uns in der Hoffnung auf Arbeit und ein besseres Leben. Sie sind zumeist aber keine Flüchtlinge, die Anspruch auf Asyl haben. Mit einem Einwanderungsgesetz könnten wir zumindest einigen von ihnen eine Perspektive geben, die sie derzeit nicht haben.

(Beifall der SPD Und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich Kardinal Reinhard Marx, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, dazu kurz zitieren. Er hat in einem Fernsehinterview vor Kurzem gesagt, zum einen gemahnt, der Bau von Zäunen an den Grenzen könne nicht akzeptiert werden. Er hat gesagt, ich glaube, dass wir legale Wege brauchen. Gemeint sind – ich zi-linebreaktiere –, legale und legitime Wege zur Einwanderung jenseits von Asylanträgen. – Wörtlich: Wir brauchen ein Einwanderungsgesetz. –

Deshalb verstehe ich nicht, warum manche eigentlich noch zögern. Selbst Spitzenvertreter der christlichen Kirchen sagen das so eindeutig: Ja, wir brauchen jetzt ein Einwanderungsgesetz, und zwar nicht erst 2017. Es kann nicht länger sein, dass so vielen ein Asylantrag als der leichteste Weg zur Einwanderung erscheint. Und ich sage auch dazu, damit keine Missverständnisse aufkommen:

(Zuruf der Abg. Hedi Thelen, CDU)

Wer ein Einwanderungsgesetz will, muss sich zur Einwanderung genauso bekennen wie zu ihren Grenzen, das heißt, dass wir bei einem Einwanderungsgesetz festlegen können, wie viele Menschen mit welcher Qualifikation, mit welchen Berufen eigentlich zu uns kommen.