Protocol of the Session on October 6, 2010

(Wirz, CDU: Das haben wir schon einmal gehört!)

Ich darf an dieser Stelle auch daran erinnern, dass die in der Steuerschätzung vom Mai 2008, also vor der Krise, für Rheinland-Pfalz prognostizierten Steuereinnahmen für das Jahr 2011 um 1,849 Milliarden Euro über den aktuell veranschlagten Werten lag.

Ich denke, das illustriert noch einmal ausdrücklich, wo wir ohne Konjunktureinbruch und ohne Steuersenkungen heute stehen könnten bei einer Nettokreditaufnahme von 136 Millionen Euro. Ich möchte damit die derzeitige Situation nicht schönreden, aber eines muss endlich klar sein: Der exorbitante Anstieg unseres Defizits ist eine Folge der dramatischen wachstumsbedingten

Steuereinbrüche und der politisch beschlossenen Steuersenkungen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise.

(Beifall der SPD – Bracht, CDU: Natürlich! Glauben Sie das wirklich selber, was Sie da erzählen? So ein Blödsinn!)

Es gehört zur guten Tradition der Landesregierung, nicht nur die im Kernhaushalt vorgesehene Nettokreditaufnahme darzulegen, sondern auch die Situation in den Landesbetrieben und im Pensionsfonds. Während in den Landesbetrieben weitere 311 Millionen Euro Nettokreditaufnahme vorgesehen sind, verzeichnet der Pensionsfonds einen Überschuss von 494 Millionen Euro aus den Nettozuflüssen des Landes.

(Bracht, CDU: Wo sind sie denn? – Heiterkeit und weitere Zurufe von der CDU)

In der Konzernbetrachtung ergibt sich eine Nettokreditaufnahme von fast exakt 1,8 Milliarden Euro, also 184 Millionen Euro weniger als im Kernhaushalt.

Meine Damen und Herren, es sollte jedem deutlich geworden sein, dass wir noch immer eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts haben. Um diese Störung zu beheben, nehmen wir die in der Verfassung vorgesehene Ausnahmeregelung zur Kreditaufnahme in Anspruch. Gleichzeitig legen wir mit der Finanzplanung ein Konzept vor, wie wir im Rahmen der Schuldenbremse den Landeshaushalt konsequent sanieren werden.

(Zuruf des Abg. Schreiner, CDU)

Durch diese auf Nachhaltigkeit zielende Haushaltswirtschaft in Verbindung mit den von der Landesregierung auf den Weg gebrachten flankierenden Maßnahmen zur Krisenbewältigung wird dieser Haushalt zweifellos zur Überwindung der Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts beitragen.

(Licht, CDU: Reiner Populismus!)

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir noch einige Worte zur Schuldenbremse. Am 8. September haben alle Fraktionen des Landtags einen gemeinsamen Gesetzentwurf zur Verankerung der Schuldenbremse in der rheinland-pfälzischen Verfassung eingebracht. Die Schuldenbremse wird die Gestaltung des Landeshaushalts in den nächsten Jahren tiefgreifend prägen. Ge- statten Sie mir daher, bevor ich auf unsere Finanzplanung eingehe, hierzu einige kurze grundsätzliche Anmerkungen: Diese Anmerkungen sind auch – wie ich finde – wichtig für das Verständnis dieses Haushaltsentwurfes.

Das Verbot der Neuverschuldung ab 2020 bezieht sich auf die strukturelle Neuverschuldung. Strukturell hat dabei zwei Dimensionen. Zum einen geht es darum, von den konjunkturellen Schwankungen zu abstrahieren. Hierzu wird es in den einfachgesetzlichen Regelungen nach der Verfassungsänderung notwendig sein, ein für die Länderebene geeignetes Verfahren zu etablieren, das die konjunkturneutralen Steuereinnahmen für den Haushalt praxisnah und revisionsfrei vorgibt, sodass sich

haushaltspolitische Entscheidungen und Planungen hieran orientieren können.

Meine Damen und Herren, Sie können sicher sein, dass jedes ökonomisch schlüssige Konjunkturbereinigungsverfahren feststellen würde, dass dieser Haushaltsentwurf noch einen sehr hohen Anteil konjunktureller und damit vorübergehend zulässiger Verschuldung enthält.

(Schreiner, CDU: Ja, 15 % etwa!)

Aha, Sie haben gerechnet.

Strukturell bedeutet in der zweiten Dimension, dass die Nettokreditaufnahme um Vermögenseffekte bereinigt wird. Dies ist bei der Betrachtung der Staatstätigkeit in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung schon lange Standard. Die Defizitdefinition für das MaastrichtKriterium fußt zum Beispiel auf dieser Berechnungsweise. Vereinfacht dargestellt bedeutet dies, dass Ausgaben, die zu einer Erhöhung des Finanzvermögens führen, nicht defizitrelevant sind; andererseits wirken Einnahmen, die das Finanzvermögen abgesenkt haben, auch nicht defizitsenkend.

In der Praxis bedeutet dies, dass sich die Vorgaben der Schuldenbremse nicht durch den Verkauf von Beteiligungen oder Forderungen erreichen lassen. Wir haben bereits bei der Aufstellung dieses Haushalts aus diesem Grund auf die Veräußerung von Vermögenswerten verzichtet.

(Wirz, CDU: Sie haben doch gar keine mehr! – Bracht, CDU: Sie haben doch schon alles verschleudert!)

Sie ist zukünftig meines Erachtens nur noch aus ordnungspolitischen Gründen oder zur Ablösung einmaliger Zahlungsverpflichtungen gerechtfertigt.

Meine Damen und Herren, andererseits zählt der Aufbau von Vermögen, wie wir ihn im Pensionsfonds seit Jahren betreiben, nicht zu den defizitwirksamen Ausgaben. Im Gegenteil, sie entsprechen gerade dem Nachhaltigkeitsgedanken, der durch die neue Schuldenregel gestärkt werden soll.

Mit der Finanzplanung zeigt die Landesregierung nun auf, wie der Weg zu einem ausgeglichenen Haushalt aussehen könnte. Gestatten Sie mir im Folgenden einige eher analytische Ausführungen, weil sie nicht nur die Dimension der Konsolidierungsaufgabe verdeutlichen, sondern weil sie auch belegen, in welcher Intensität sich die Landesregierung seit vielen Monaten den konzeptionellen Fragen zur Schuldenbegrenzung widmet.

Wir haben hierzu den Finanzplanungszeitraum, der nur bis 2014 reicht, bis 2020 erweitert. Die Finanzplanung fußt auf den gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen der Bundesregierung vom Frühjahr dieses Jahres und der hierauf aufbauenden Steuerschätzung vom Mai. Zur Fortschreibung der Finanzplanung bis 2020 haben wir Projektionsrechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums zur langfristigen Entwicklung des Produktionspotentials genutzt.

Auf dieser Basis haben wir ein Referenzszenario durchgerechnet. Wir haben uns grundsätzlich gefragt, was passiert, wenn wir die Verpflichtungen der Vergangenheit, also die Pensionen und Zinsen, bedienen, wenn wir keine neuen Programme auflegen und die bisherigen Ausgaben real ohne Steigerung weiterführen. – Alle wesentlichen Einnahmen- und Ausgabenpositionen des Landeshaushalts wurden so unter der Prämisse sparsamer Haushaltsführung bis 2020 durchgeplant.

Das Ergebnis war, dass selbst bei sparsamer Wirtschaftsführung der Konsolidierungsbedarf bis zum Jahr 2020 auf ca. 1,8 Milliarden Euro ansteigen wird. Insbesondere die in den nächsten Jahren zu erwartende Pensionierungswelle führt zu einer dramatischen Ausgabendynamik. Gegenüber 2009 muss mit einem Anstieg der Versorgungsausgaben, die nur zu einem Bruchteil bereits durch den Pensionsfonds gedeckt sind, bis 2020 um 80 % gerechnet werden.

Angesichts der zu bewältigenden Konsolidierungsaufgabe war klar, allein über die Ausgabenseite lässt sich das Ziel nicht erreichen. Auch die Bundesregierung – ich habe es erwähnt – hat dies erkannt und in ihrem Sparpaket, wie bereits angesprochen, neue Steuern vorgesehen. Sie machen rund 30 % ihrer Gesamtkonsolidierung aus.

Ich will damit nicht das insgesamt sozial unausgewogene Konzept des Bundes zum Referenzmaßstab nehmen. Aber, meine Damen und Herren, mit Blick auf eine realistische Verteilung der Anpassungslasten auf Einnahmen- und Ausgabenseite muss dieser Vergleich durchaus gestattet sein.

Auf der Einnahmenseite haben wir unterstellt, dass die seit 2008 vorgenommenen Steuersenkungen im Ergebnis um die Hälfte zurückgenommen werden.

(Zuruf des Abg. Schreiner, CDU)

Zudem wurde eine Erhöhung der sonstigen Einnahmen um 60 Millionen Euro eingeplant.

Ausgehend von dem festgestellten Konsolidierungsbedarf im Jahr 2020 haben wir auf der Ausgabenseite Einsparungen in Höhe von 1,47 Milliarden Euro oder 80 % der Gesamtkonsolidierung vorgesehen. Das entspricht jahresdurchschnittlichen Sparbeträgen von rund 160 Millionen Euro. Auf der Einnahmenseite wurden, bereinigt um den gegenläufigen Effekt des kommunalen Finanzausgleichs, 20 % des Gesamtbetrages oder 368 Millionen Euro der Anpassungslasten eingeplant. Sie erinnern sich vielleicht, der Bund hat in seiner kurzfristigen Konsolidierung 30 % eingeplant, wir haben in unserer langfristigen Konsolidierung 20 % eingeplant. Ich gehe jede Wette ein, dass der Bund seinen Anteil in den nächsten zehn Jahren deutlich nach oben schrauben wird. Insgesamt würde der Haushalt 2012 bis 2020 jahresdurchschnittlich um rund 200 Millionen Euro konsolidiert.

Die bei den Personalausgaben angenommenen Einsparungen tragen rund 29 % zum Konsolidierungsvolumen bei. Sie entsprechen einer jährlichen Einsparung von 1,5 % der Personalausgaben für die aktiv Beschäftigten.

Sie wissen, im rheinland-pfälzischen Budgetierungssystem ist eine Effizienzdividende von 1,8 % pro Jahr vorgesehen, die in der Vergangenheit den erwirtschaftenden Ressorts jedoch zum Teil verblieben ist. Natürlich lassen sich solche Rückführungen nicht über neun Jahre ohne strukturelle Eingriffe realisieren. Andererseits kann aufgrund der demografischen Entwicklung die Anzahl der Landesbeschäftigten bis 2020 ohne Qualitätseinbußen und ohne Entlassungen um rund 0,6 % bis 0,7 % pro Jahr reduziert werden. Insgesamt ergeben sich so Personalausgabenreduzierungen von bis zu 526 Millionen Euro im Jahr 2020.

Bei den Sachausgaben, Investitionen und Zuweisungen für die aktuellen Landesaufgaben ohne kommunalen Finanzausgleich sind bis 2020 jährliche Einsparungen in Höhe von 70 Millionen Euro vorgesehen. Sie erkennen, das ist nicht zufällig die gleiche Größe, die wir schon im Haushalt 2011 dargestellt haben.

Insgesamt ergeben sich bis 2020 hieraus Ausgabenreduzierungen in Höhe von 630 Millionen Euro oder 34 % der Konsolidierungssumme.

Betrachtet man, was dem Land bei vollständiger Durchsetzung des vorgelegten Konsolidierungsszenarios zur aktuellen Aufgabenerfüllung an Mitteln verbleibt, so wird deutlich, dass wir über lange Zeit den Gürtel sehr eng schnallen müssen. Die Ausgaben dürften im Vergleich zum aktuellen Regierungsentwurf in den nächsten neun Jahren jährlich maximal um 0,2 % steigen.

Das Thema „Konsolidieren“ wird uns im nächsten Jahrzehnt dauerhaft beschäftigen.

(Bracht, CDU: Ich bin einmal gespannt, wann Sie damit anfangen!)

Auf diesem Weg brauchen wir in der finanzpolitischen Diskussion eine neue Qualität und eine neue Form der Ehrlichkeit im Umgang miteinander.

(Dr. Rosenbauer und Abg. Bracht, CDU: Genau! – Beifall bei der CDU – Licht, CDU: Wieso gibt es an dieser Stelle keinen Beifall der SPD-Fraktion?)

Gut, dass Sie klatschen, Herr Bracht. Gut, dass Sie bei dem Stichwort „Ehrlichkeit“ klatschen. Herr Bracht, ich weiß nicht, ob Sie selbst twittern, oder ob Sie twittern lassen. Aber heute Morgen gegen halb neun haben Sie offensichtlich getwittert. Sie twittern: „SPD-Landesreg. bringt heute 2 Mrd.-Schulden-Haushalt in Landtag ein u. behauptet:“ – Was kommt dann nach dem Doppelpunkt und dem Anführungszeichen? Eine wörtliche Rede, die die Landesregierung irgendwo losgelassen hat. Wie lautet der Satz: „,Viele Schulden sind gut für das Land’. Welch ein Jammer!!“

(Bracht, CDU: Das ist doch Ihr Prinzip!)

Da sage ich auch, welch ein Jammer. Ich habe nicht gesagt, viele Schulden sind gut für das Land. Ich habe

den Ministerpräsidenten gefragt. Er hat auch gesagt, er hat es nicht gesagt.

(Zurufe von der SPD)

Ich habe ein paar Kabinettsmitglieder heute Morgen gefragt. Keiner hat es gesagt. So viel zur Ehrlichkeit!

(Beifall der SPD – Bracht, CDU: Was machen Sie denn anderes?)

Lieber Herr Bracht, ich denke, Sie werden klarstellen, ob Sie das gesagt haben oder ob Sie um die Zeit noch geträumt haben. Ich fände es nämlich sehr bedauerlich, wenn man zukünftig, um ehrlich zu bleiben, sagen müsste, dass Sie es mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen.

(Beifall der SPD – Zuruf des Abg. Bracht, CDU)