Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Bitte gestatten Sie mir als Berichterstatter ausnahmsweise einen längeren Beitrag auch in Abstimmung mit meinen Kollegen Klöckner und Dr. Enders. Ich verspreche Ihnen auch, dass mein eigener Redebeitrag am Schluss entsprechend kurz wird. Es ist also kein Akt der Selbstdarstellung, sondern wir sind im Ausschuss für Europafragen der festen Überzeugung, dass diese Beschlussempfehlung von großer Bedeutung für unser Parlament und für die Länderparlamente ist. Dann sollten wir uns auch etwas Zeit nehmen, den Gesamtzusammenhang noch einmal zu erläutern.
Meine Damen und Herren, mit der Ihnen heute vorliegenden Beschlussempfehlung erfüllt der Ausschuss für Europafragen nach über zweijähriger Beratungsdauer einen für das Parlament sicher wichtigen Auftrag. Sie erinnern sich vielleicht, dass wir am 13. Dezember 2007, just an dem Tag, an welchem der Vertrag von Lissabon unterzeichnet wurde, hier intensiv über die Perspektiven für ein bürgernahes Europa gesprochen haben.
Es waren dann die Neuerungen des Lissabonner Vertrages hinsichtlich des Subsidiaritätsfrühwarnsystems, die Anlass für die Frage gaben, wie auch der Landtag in dieses System eingebunden werden könne. Hierzu hat Ihnen der Ausschuss für Europafragen jetzt einen einstimmig beschlossenen Vorschlag unterbreitet, für den wir um Ihre Zustimmung bitten.
Meine Damen und Herren, ich will die Berichterstattung dazu nutzen, unsere zentralen Empfehlungen im Kontext des Frühwarnsystems näher zu erläutern.
Das Subsidiaritätsprinzip ist ein Grundprinzip der Europäischen Union. Da können wir als Deutsche froh sein, dass es so gekommen ist. Das klingt zugegeben abstrakt, aber weit mehr als die Hälfte aller Rechtsakte der Bundesrepublik sind inzwischen europäischen Ursprungs.
Umso wichtiger ist es deswegen, die Rechte der deutschen Länder und die ihrer Parlamente bei der europäischen Gesetzgebung zu stärken. Genau dies ist mit dem am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrag von Lissabon auch geschehen. In ihm werden erstmals auch die Länder, sprich Regionen und Kommunen, expressis verbis in der Definition des Subsidiaritätsprinzips mit einbezogen. Das ist ein ganz entscheidender Fortschritt für das Subsidiaritätsbewusstsein in der Europäischen Union. Auch die Landtage sind ein Stück näher in dieses Bewusstsein gerückt, was der Ausschuss ausdrücklich begrüßt hat.
Meine Damen und Herren, mit der Einführung des Subsidiaritätsfrühwarnsystems durch den Reformvertrag ist jetzt erstmals auch ein formelles Verfahren vorgesehen, mit dem die nationalen Parlamente frühzeitig, das heißt bereits mit der Vorlage eines europäischen Rechtssetzungsentwurfs eingebunden werden, um die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips überprüfen zu können.
In Deutschland werden diese den nationalen Parlamenten obliegenden Aufgaben jeweils vom Bundestag und Bundesrat wahrgenommen. Für sie besteht innerhalb einer Frist von acht Wochen nach Zuleitung einer europäischen Gesetzesinitiative die Möglichkeit, eine Subsidiaritätsrüge zu erheben.
Gewicht erhält dieses Recht der nationalen Parlamente durch die eingeräumte Klagebefugnis, sollte die Kommission eine von der Mehrheit getragene Subsidiaritätsrüge nicht aufgreifen.
Meine Damen und Herren, in der föderalen Ordnung der Bundesrepublik kann die Einbeziehung der Landtage in das Frühwarnsystem nur über die jeweilige Landesregierung – das ist nun einmal so – im Bundesrat erfolgen. Die Wahrnehmung der Integrationsverantwortung obliegt gerade dort, wo es um landesrechtliche Befugnisse zur Gesetzgebung geht, als originäre Aufgabe den Landtagen, auch wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon die Landesparlamente nicht ausdrücklich erwähnt, sondern von den Mitgliedstaaten und ihrer Gliederung gesprochen hat.
Meine Damen und Herren, der Ausschuss hat großen Wert auf eine möglichst frühzeitige Einbindung des Landtags bei der europäischen Rechtsetzung gelegt. Mit der vorgeschlagenen Ergänzung der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung ist sichergestellt, dass im Landtag über die Landesregierung zeitnah alle relevanten Gesetzesinitiativen übermittelt werden. Auf dieser Informationsgrundlage wird der Landtag eigen
ständig etwaige Verletzungen des Subsidiaritätsprinzipes beurteilen können. Wirkungsvoll kann diese Information gerade wegen der vielfach umfangreichen und komplexen europäischen Gesetzesinitiativen natürlich nur dann sein, wenn sie möglichst frühzeitig erfolgt. Um dies zu gewährleisten, wird die Landesregierung die Gesetzesinitiativen auf elektronischem Weg dem Landtag zuleiten, der hierfür ein eigenes elektronisches Postfach eingerichtet hat.
Zusätzlich hat sich die Landesregierung bereit erklärt, zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Bewertung des Arbeitsprogramms der Kommission für das jeweilige Jahr vorzulegen.
Bereits im Vorfeld konkreter Gesetzgebungsakte kann der Landtag damit für die Subsidiarität wichtige Vorhaben erkennen und entsprechende Schwerpunkte in seinen Beratungen setzen. Übrigens verfährt die Landesregierung – das sollte man durchaus erwähnen – bereits seit Jahresbeginn entsprechend dieser Grundsätze, sodass der Landtag bereits jetzt effektiv in das Frühwarnsystem eingebunden ist.
Wie ich höre, soll die Vereinbarung noch im unmittelbaren Anschluss an unsere Beschlussfassung durch den Herrn Landtagspräsidenten und den Herrn Ministerpräsidenten unterzeichnet werden, damit sie zügig und formal in Kraft treten kann, was wir im Ausschuss ausdrücklich begrüßen.
Meine Damen und Herren, mit der vom Ausschuss für Europafragen vorgeschlagenen Ergänzung wird der Landtag Rheinland-Pfalz nicht nur eines der ersten Parlamente sein, das die Beteiligung am Frühwarnsystem über eine landesinterne Vereinbarung mit der Landesregierung regelt und somit auf eine bewährte Grundlage stellt, auch hinsichtlich des Umfangs der Beteiligung dürfte der Landtag eine Vorreiterrolle einnehmen. Darüber sind wir uns im Ausschuss alle einig. Dies muss sich selbstverständlich im parlamentarischen Alltag noch bewähren.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluss, dass ich mich ganz herzlich bedanke, und zwar zunächst bei meinen Kolleginnen und Kollegen Ausschussmitgliedern für die konstruktive Arbeitsatmosphäre und die instruktiven Beratungen. Das war beispielhaft. Ebenso möchte ich mich bei der Landesregierung bedanken. Das ist ebenfalls beispielhaft. Allen voran nenne ich Herrn Staatssekretär Dr. Klär, der mit seiner Fachkompetenz – auch da sind wir uns im Ausschuss einig – entscheidend zum Gelingen der Vereinbarung beigetragen hat.
Meine Damen und Herren, namens des Ausschusses darf ich um Ihre Zustimmung zu der vorliegenden Beschlussempfehlung bitten.
Ich bedanke mich für die ausnahmsweise umfangreiche Berichterstattung und wünsche mir noch entsprechende Redebeiträge.
Ein großes Dankeschön an den Berichterstatter und den Ausschussvorsitzenden, Herrn Kuhn. Vielen Dank.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Durch die sehr ausführliche Berichterstattung ist es uns erspart, längere Erläuterungen und Ausführungen zu Sinn und Zweck des Subsidiaritätsgesetzes zu machen. Ich kann mich anderen Aspekten widmen.
Der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene LissabonVertrag bringt eine weitere Stärkung der Rechte der Parlamente auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene. Besonders wichtig für uns als Landesparlament sind einige weitreichende Fortschritte für die Regionen, die in dem Lissabonner Reformvertrag festgeschrieben sind. Dazu gehören die Anerkennung der regionalen und lokalen Selbstverwaltung, die Ausdehnung des Subsidiaritätsprinzips unter Einschluss der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die bessere Abgrenzung der Zuständigkeiten, die Anerkennung der regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnis im Subsidiaritätsprotokoll, die Konsultation über die nationalen Parlamente gemäß der Kompetenzverteilung des jeweiligen Mitgliedstaates, das Klagerecht des Ausschusses der Regionen (AdR) bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip und das Frühwarnsystem zur Subsidiaritätskontrolle.
Für viele Bürgerinnen und Bürger ist Europa leider immer noch sehr weit weg. Bei den Besuchen von Abgeordneten in den Schulen anlässlich der Europawoche können wir dies stets aufs Neue feststellen. Gerade die Regionen sind in besonderer Weise geeignet, diese Vorbehalte zu zerstreuen und einer zunehmenden Entfremdung zwischen der Europäischen Union und den Bürgerinnen und Bürgern entgegenzuwirken.
Wir können als Bindeglied entscheidend mit dazu beitragen, für viele Menschen oft schwer nachvollziehbare Entscheidungsprozesse durchschaubarer zu machen. Die europäische Einigung kann nur gelingen, wenn sie von unten mitgetragen wird. Dies haben die politisch Verantwortlichen in Europa erkannt, auch wenn sich dieser Prozess recht mühsam und langwierig hingezogen hat.
Einer der wichtigsten Grundsätze des Gemeinschaftsrechtes ist das Subsidiaritätsprinzip. Dieses war schon im Vertrag von Maastricht formuliert und wurde im Amsterdamer Vertrag fortgeschrieben. Nach diesem Prinzip soll eine staatliche Aufgabe soweit wie möglich von der jeweils unteren bzw. kleineren Einheit wahrgenommen werden. Nach Artikel 36 des EG-Vertrages darf die Europäische Union nur tätig werden, wenn die Aufgabe dies erfordert – so zum Beispiel beim Schutz der Fischbestände in der Nordsee – und die Mitgliedstaaten die
Europäische Union eigens nach dem Grundsatz dazu ermächtigen, Vergemeinschaftung nur so weit wie nötig.
Damit soll ein übertriebener europäischer Zentralismus verhindert und mehr Bürgernähe geschaffen werden. Dazu bedarf es einer entsprechenden Kontrolle, um einen Verstoß gegen dieses Subsidiaritätsprinzip zu verhindern. Hier sind die Regionalparlamente mit Gesetzgebungsbefugnis besonders zur Überwachung des Subsidiaritätsprinzips berufen.
In Rheinland-Pfalz haben wir schon seit langer Zeit eine äußerst gute und beispielhafte Informationspolitik in europäischen Angelegenheiten. Hier verdient die Vertretung des Landes in Berlin und Brüssel ein dickes Lob. Stets war eine Beratung angekündigter Gesetzgebungsakte der Europäischen Union und ihre Bewertung aus landespolitischer Sicht im Ausschuss für Europafragen gewährleistet. Ein weiterer wichtiger Grundpfeiler der Informationspolitik seitens der Landesvertretung sind die allwöchentlich erscheinenden Berichte aus Brüssel. Sie versorgen die Abgeordneten regelmäßig mit hochaktuellen Neuigkeiten aus der EU sowie den Stand und die Entwicklung europäischer Vorhaben.
Diese bisher geübte vorbildliche Informationspolitik durch die Landesregierung wurde vom Landtag Rheinland-Pfalz in einem Beschluss vom 13. Dezember 2007 gewürdigt. Da der Vertrag von Lissabon eine Verstärkung der Subsidiaritätskontrolle impliziert, hat sich der Landtag für eine Fortschreibung der bisher bewährten Praxis ausgesprochen. Dieser Forderung ist der Europaausschuss durch die Bildung einer interfraktionellen Arbeitsgruppe nachgekommen.
Unter der Leitung des seinerzeitigen Ausschussvorsitzenden Jürgen Creutzmann (FDP) und der tatkräftigen Mitwirkung von Herrn Staatssekretär Dr. Klär erarbeiteten Dr. Peter Enders (CDU) und ich als Vertreter der SPD einen entsprechenden Vorschlag, der dem Ausschuss vorgelegt und von diesem sowie dem Ältestenrat so gebilligt wurde. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2009 wurde die Vereinbarkeit des Zustimmungsgesetzes zum Lissabon-Vertrag zwar bestätigt, jedoch das Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und Bundesrates in Angelegenheiten der EU insoweit für unvereinbar mit dem Grundgesetz befunden, als den Gesetzgebungsorganen keine hinreichenden Beteiligungsrechte eingeräumt worden seien.
Der Bund hat daraufhin die Vorgaben des Gerichtes durch das Integrationsverantwortungsgesetz – so heißt es tatsächlich – erfüllt. Der Ausschuss für Europafragen hat daraufhin in seiner Sitzung vom 24. November 2009 die Fortschreibung der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung erörtert und die heute hier vorliegende Beschlussempfehlung – also Artikel 89 c neu hinzugefügt – erarbeitet. Mit deren Annahme durch den Landtag schaffen wir für Rheinland-Pfalz ein wichtiges Instrument zur Subsidiaritätskontrolle.
Am vergangenen Freitag wurde Staatssekretär Dr. KarlHeinz Klär in Brüssel einstimmig zum Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Ausschuss der Regionen (AdR) gewählt. Mit dieser Personalentscheidung ist der Einfluss unseres Bundeslandes, das in der in der nächsten Woche startenden neuen Legislaturperiode wieder mit zwei Mitgliedern vertreten sein wird, entschieden größer, als seinem Stimmenanteil entspricht. Dies ist zum Besten für ganz Rheinland-Pfalz.
Die Zustimmung zu dieser Fortschreibung der Landesverfassung stärkt die Rechte und die Wirkungskraft von Parlament und Land, in einem immer bedeutender werdenden Europa ein wichtiger Schritt für Rheinland-Pfalz.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Aufgrund der immer guten kollegialen Arbeitsatmosphäre im Europaausschuss war es relativ einfach, diese Vereinbarung zu treffen. Das Schwierigste war das Aussprechen des Begriffes, der für die deutsche Zunge etwas ungewöhnlich ist.
Meine Damen und Herren, mit dem Vertrag von Lissabon wird in der Europäischen Union die Rolle der Parlamente der Mitgliedstaaten in der Tat anerkannt und gestärkt. Sie werden sich noch intensiver an der Arbeit der Europäischen Union beteiligen können. Mit der Ihnen hier im Landtag vorliegenden Ergänzung der Vereinbarung zwischen Landtag und Landesregierung wollen wir besonders der gewachsenen Bedeutung der Parlamente innerhalb der EU Rechnung tragen. In einer neuen Bestimmung des Lissabon-Vertrages werden Rechte und Pflichte der nationalen Parlamente im Rahmen der Union deutlich gemacht. Vor allem bei der Kontrolle der Subsidiarität bringt der Vertrag, wie eben schon erläutert wurde, Neuerungen. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip handelt die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur dann, wenn ihre Maßnahmen wirksamer sind als Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten.
Die Parlamente der Mitgliedstaaten können daraufhin angeben, weshalb ihrer Auffassung nach ein Vorschlag nicht in diesem Prinzip enthalten ist. In einem solchen
Fall erfolgt ein Verfahren in zwei Schritten. Ist ein Drittel der Parlamente der Mitgliedstaaten der Auffassung, dass ein Vorschlag nicht dem Subsidiaritätsprinzip entspricht, so muss die Kommission ihren Vorschlag überprüfen und kann ihn anschließend entweder beibehalten, abändern oder zurückziehen. Formuliert die Mehrheit der Parlamente der einzelnen Mitgliedstaaten die genannten Bedenken und bleibt die Kommission dennoch bei ihrem Vorschlag, dann wird ein besonderes Verfahren eingeleitet. Die Kommission muss dann ihre Gründe darlegen, und das Europäische Parlament und der Europäische Rat müssen entscheiden, ob ein Legislativverfahren fortgesetzt wird oder nicht.
Ein für Deutschland schon während der Verhandlungen zum Verfassungsvertrag zentrales Anliegen wird damit umgesetzt, nämlich die Stärkung der Demokratie in der EU. Die Parlamente erhalten die Möglichkeit zur Frage der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips im laufenden Gesetzgebungsverfahren, nämlich die sogenannte Subsidiaritätsrüge, und sie erhalten ein eigenes Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof auf Einhaltung dieses Prinzips, die Subsidiaritätsklage. Das heißt, die Europäische Kommission darf nicht wahllos Gesetze erlassen. Sie muss die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit beachten.