Protocol of the Session on October 8, 2009

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer an dieser Stelle den Anstieg der Kreditaufnahme kritisiert, redet einer prozyklischen und damit einer ökonomisch unverantwortlichen Finanzpolitik das Wort.

(Beifall der SPD)

Nur durch eine Kreditfinanzierung kann der staatliche Konjunkturimpuls seine makroökonomischen Wirkungen auch vollständig entfalten.

Deshalb haben wir uns auch bewusst dafür entschieden, die bislang nicht ausfinanzierten Mehrausgaben für Personal infolge der Tariferhöhung vom März und der Übernahme des Tarifergebnisses für den Beamtenbereich kurzfristig nicht durch Einsparungen an anderer Stelle gegenzufinanzieren. Wir werden diese 90 Millionen Euro in 2010 als zusätzliche private Nachfrage konjunkturstützend wirken lassen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, auch der Bund und die anderen Länder reagieren auf die Steuerausfälle in diesem und im nächsten Jahr durchweg mit zusätzlicher Kreditaufnahme und mit Rücklagenauflösung.

Auch in den anderen Ländern wird eine aktive Konjunkturpolitik betrieben. Dies ist auch gut so, meine Damen und Herren. Es wäre verantwortungslose Trittbrettfahrerei, die zusätzlichen staatlichen Konjunkturimpulse der

Nachbarländer zu nutzen und gleichzeitig eine kontraktive Finanzpolitik zu betreiben. Insofern ist es in dieser gesamtwirtschaftlich historischen Situation auch ein Gebot der Solidarität unter den Ländern und eine Frage der Bundestreue, sich konjunkturgerecht zu verhalten.

Sehr geehrte Damen und Herren, wir werden in diesem und im nächsten Jahr die in Artikel 117 unserer Landesverfassung festgelegte Regelgrenze für die zulässige Kreditaufnahme weit überschreiten. Ausnahmen sind gemäß der Landesverfassung aber zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass keiner der hier Anwesenden ernsthaft in Abrede stellen möchte, dass eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gegeben ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die öffentlichen Haushalte müssen die Inlandsnachfrage stabilisieren und stützen. Nur so lassen sich schwere und dauerhafte Schäden in der Realwirtschaft vermeiden. Wir werden nach dieser Krise für jeden Arbeitsplatz dankbar sein, der durch die antizyklische Finanzpolitik von Bund und Ländern gerettet werden konnte, und wir werden für jeden Betrieb dankbar sein, der die Krise mithilfe von Landesbürgschaften überstanden hat.

(Beifall der SPD)

Ich sage Ihnen ganz bewusst: Wir sind das auch den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig, die keine Schuld an dieser Krise und ihren Ursachen tragen, aber mit drohendem Arbeitsplatzverlust die bitteren Konsequenzen tragen müssten, während die Verursacher der Krise sich allenfalls mit ihren Abfindungen abfinden müssen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden in diesem und im nächsten Jahr im Landeshaushalt eine sehr hohe Nettokreditaufnahme hinnehmen müssen. 1,725 Milliarden Euro in diesem Jahr, 2,307 Milliarden Euro im nächsten Jahr. Ich halte dies nicht nur für verantwortbar, nein, ich halte dies sogar für zwingend. Die Gründe hierfür habe ich bereits dargelegt.

Gleichwohl kann uns die beängstigende Höhe der Neuverschuldung nicht kaltlassen. In diesem Jahr werden wir 13 % der Ausgaben kreditfinanzieren müssen, im nächsten Jahr 17 %. Es spendet auch nur wenig Trost, dass der Rekordanstieg der Neuverschuldung durch einen Rekordeinbruch bei den Steuereinnahmen verursacht ist. An der inakzeptablen Größenordnung ändert dies nichts.

Meine Damen und Herren, die konjunkturellen Frühindikatoren signalisieren erste Hoffnungsschimmer. Der ifoGeschäftsklimaindex steigt seit mehreren Monaten. Im zweiten Quartal konnte erstmals wieder eine leichte Zunahme der gesamtwirtschaftlichen Aktivität verzeichnet werden. Die Exporte haben sich auf niedrigem Niveau stabilisiert. Einige Wirtschaftsforschungsinstitute haben bereits eine positive Korrektur ihrer Prognosen angekündigt. Die Talsohle scheint durchschritten. Die staatlichen Konjunkturstützungsmaßnahmen greifen.

Aber lassen wir uns nicht täuschen, die konjunkturelle Erholung wird nur langsam vorankommen. Dies ist keine normale Rezession. Zum einen, weil der massive Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um rund 6 % erst nach mehreren Jahren kompensiert sein wird. Zum anderen, weil mit den konjunkturellen Verwerfungen eine massive strukturelle Krise an den Finanzmärkten einhergeht.

Meine Damen und Herren, wenn es aber um strukturelle Veränderungen geht und nicht nur um zyklisch schwankende Auslastungen, dann ist mit anderen Zeiträumen und einer anderen Dynamik für eine wirtschaftliche Erholung zu rechnen.

Davon abgesehen hat die Krise den deutschen Arbeitsmarkt dank der Ausweitung der Kurzarbeit noch gar nicht voll erfasst. Der private Konsum blieb bislang weitgehend von dem konjunkturellen Einbruch verschont. Es ist aber leider sehr optimistisch anzunehmen, dass dies im nächsten Jahr ebenso sein wird.

Sollte sich dennoch im Verlauf des kommenden Jahres abzeichnen, dass es ein konjunkturverträgliches Konsolidierungspotenzial gibt, werden wir dieses flexibel und konsequent durch entsprechende Bewirtschaftungsmaßnahmen im Vollzug des Haushalts umsetzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wissen also heute noch nicht, wann wir ohne Schaden für die gesamtwirtschaftliche Erholung einen strikten Konsolidierungskurs einleiten können. Wir wissen allerdings, dass eine Konsolidierung des Landeshaushalts alternativlos ist. Wir haben daher ein hohes Interesse daran, die im Grundgesetz verabschiedete neue Schuldenregel für Rheinland-Pfalz umzusetzen, und wir werden die hierfür vom Landtag eingesetzte fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe gerne tatkräftig unterstützen.

Lassen Sie mich kurz die Eckpunkte nennen, die für uns zu einer wirksamen und finanzpolitisch vernünftigen neuen Schuldenregel gehören:

1. ein stetiger Abbau der strukturellen Neuverschuldung auf null bis zum Jahr 2020,

2. der Erhalt der Handlungsfähigkeit des Landes in Not- und Krisenzeiten und

3. die Berücksichtigung der besonderen Rahmenbedingungen, die für Länderhaushalte im Vergleich zum Haushalt des Bundes gelten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Schuldenbremse wird uns aber nur den äußeren Rahmen aufzeigen. Sie kann lediglich die Vorgabe für die zulässige Neuverschuldung oder für die notwendigen Überschüsse liefern. Die Konsolidierungsarbeit zur Einhaltung der neuen Grenzen müssen wir selbst erledigen.

Wir werden deshalb parallel zu den Arbeiten an der Schuldenbremse eine langfristige Strategie erarbeiten, um den neuen finanzpolitischen Handlungsrahmen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ mit Leben zu erfüllen.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, allerdings haben sich die Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Konsolidierung deutlich verschlechtert. Ich darf an die lange wirtschaftliche Stagnationsphase von 2001 bis 2005 erinnern, in der alle öffentlichen Gebietskörperschaften Rekorddefizite zu verzeichnen hatten. Erst die Erhöhung der Umsatzsteuer und der Abbau von Steuersubventionen durch die Große Koalition Ende 2005 schufen die Voraussetzungen für eine nachhaltige Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Die damaligen Maßnahmen erhöhten das rheinland-pfälzische Steuereinnahmeniveau um rund 500 Millionen Euro pro Jahr.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die seit November vergangenen Jahres beschlossenen Steuersenkungen dagegen haben das zu erwartende Steuereinnahmeniveau dauerhaft um eben diese 500 Millionen Euro pro Jahr abgesenkt. Das Mehraufkommen aus der Umsatzsteuererhöhung ist damit für die Länder vollständig aufgezehrt worden.

Die öffentlichen Finanzen befinden sich damit, wie bereits Ende 2005, in einer strukturellen Schieflage. Anders als auf der Ausgabenseite wurde bei den konjunkturpolitisch motivierten Steuersenkungen nicht durchgängig darauf geachtet, die Maßnahmendauer zeitlich strikt zu begrenzen. Während wir im Jahr 2011 die Ausgabenerhöhungen des Konjunkturpakets II wieder zurückfahren können, werden die finanziellen Lücken durch die Steuersenkungen in Höhe von rund 500 Millionen Euro als dauerhafte Hypothek bleiben. Ich sage Ihnen: Der unbefristete Verzicht auf eine Gegenfinanzierung dieser steuerlichen Maßnahmen war konjunktur- und finanzpolitisch ein Fehler. Dies trifft nicht nur Rheinland-Pfalz, sondern den Bund und die anderen Länder in gleicher Weise. Vor diesem Hintergrund – das sage ich ganz deutlich – dürfen die im Bundestagswahlkampf angekündigten Steuersenkungen derzeit keine ernsthafte finanzpolitische Option sein.

(Beifall bei der SPD)

Im Übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sollte man sich vor Augen führen, dass sich das hohe Wachstum der Jahre 2006 bis 2008 von real 2,3 % pro Jahr bis Ende 2008 und die Arbeitslosenzahl von unter 3 Millionen bis Ende 2008 auch schon unter den Bedingungen des historisch niedrigen Einkommensteuertarifs von 2005 ergeben haben. Der Körperschaftsteuersatz wurde inzwischen auf 15 % abgesenkt und ist damit international mehr als konkurrenzfähig. Dieses von mir beschriebene Wachstum war trotz einer Erhöhung der Umsatzsteuer auf 19 % möglich.

Das Argument, wir müssten die Steuern weiter senken, um durch Wachstum mehr Einnahmen zu generieren, ist Augenwischerei, meine Damen und Herren. Dort, wo diese Idee in Reinkultur umgesetzt wurde – in Großbritannien Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre unter dem Namen „Thatcherismus“ bekannt oder in den 80erJahren in den USA unter dem Namen „Reaganomics“ bekannt, gab es immer die gleichen Verhaltensmuster: Steuern massiv herunter, zunächst Wachstumswirkungen, gleichzeitig überproportionale Verschuldung, dann strenger Konsolidierungskurs zulasten klassischer hoheitlicher Aufgaben und zulasten der Schwächsten der

Gesellschaft, die Sozialleistungen empfangen. Das, meine Damen und Herren, kann nicht der richtige Weg sein.

(Beifall der SPD)

Wir müssen die Einnahmenbasis des Staates auf dem Niveau etablieren, das Ende 2005 noch einvernehmlich von CDU und SPD im Bund zur Behebung der Schieflage in den öffentlichen Haushalten beschlossen wurde. Die Diskussionen zu diesem Thema werden in den nächsten Monaten sicherlich kontrovers geführt werden. Ohne einen Konsolidierungsbeitrag auf der Einnahmenseite aber wird es weder dem Bund noch der Mehrzahl der Länder gelingen, die Vorgaben der neuen Schuldengrenze erfolgreich einzuhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz näher auf die Veranschlagung der Steuereinnahmen eingehen.

Wir haben unsere Steuereinnahmeerwartung gegenüber dem Ergebnis der regionalisierten Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres um weitere 250 Millionen Euro in beiden Jahren reduziert. Hintergrund ist die rasante negative Dynamik, die sich bei den Vorauszahlungen zur Körperschaftsteuer bundesweit abzeichnet. Lediglich sieben andere Länder haben bisher ihre Steuereinnahmeansätze und damit auch ihre veranschlagte Nettokreditaufnahme an die Ergebnisse der Steuerschätzung vom Mai angepasst. Kein anderes Land hat bisher darüber hinausgehende Abschläge vorgenommen. Ich denke, wir sind gut beraten, hier nach dem Vorsichtsprinzip zu handeln.

(Beifall bei der SPD)

Insgesamt wurden die Steuereinnahmen gegenüber dem Ursprungshaushalt für 2009 um 1,032 Milliarden Euro und für 2010 um 1,65 Milliarden Euro abgesenkt.

Während die Steuereinnahmen des Landes bis 2010 gegenüber 2008 um 12 % zurückgehen, wird die Beteiligung der Kommunen an den Steuereinnahmen des Landes um 5 % steigen. Nach den Regeln des Stabilisierungsfonds führten die enormen Steuereinnahmerückgänge zwar zu leichten Korrekturen der bisherigen Veranschlagung des kommunalen Finanzausgleichs – der Zuwachs der Finanzausgleichsmasse war 2009 um 1,3 Millionen Euro und ist 2010 um 22 Millionen Euro zu reduzieren –; gleichwohl steigt die Finanzausgleichsmasse als wichtigste Quelle für Landeszuweisungen an die Kommunen in den Jahren 2009 und 2010 im Vergleich zum jeweiligen Vorjahr merklich an. Im Jahr 2010 wird sie um 89 Millionen Euro über der Finanzausgleichsmasse des Jahres 2008 liegen, und in diesem Zeitraum gehen die Steuereinnahmen des Landes um 1,167 Milliarden Euro gegenüber 2008 zurück.

Der Stabilisierungsfonds für die Kommunen hat sich damit ein weiteres Mal bewährt. Er stabilisiert den Kommunen in dieser konjunkturell und finanzpolitisch dramatischen Lage die vom Land kommenden Einnahmen für die Jahre 2009 und 2010.

Lassen Sie uns einen Blick in andere Länder werfen. In anderen Ländern führen die Einbrüche bei den Steuereinnahmen zu einer massiven Absenkung des kommunalen Finanzausgleichs im Jahr 2010. Hessen senkt seinen kommunalen Finanzausgleich um 392 Millionen Euro oder um 11,8 %. – Ich erinnere daran: In Rheinland-Pfalz gibt es einen Anstieg. – In Niedersachsen sinken die Finanzausgleichsmittel im Jahr 2010 um 540 Millionen Euro.

(Zuruf des Abg. Baldauf, CDU)

In Nordrhein-Westfalen sind Absenkungen von 3,1 % geplant.

Meine Damen und Herren, ich bin fest davon überzeugt, dass die konjunkturgerechte und solidarische rheinlandpfälzische Regelung unseren Kommunen hilft, sich in der Wirtschaftskrise stabilitätsgerecht zu verhalten.

(Beifall der SPD)

Herr Kollege Bruch und ich entwickeln derzeit für die Landesregierung über die vertikale Verstetigung des Stabilitätsfonds hinaus weitere Maßnahmen zur Sicherung der Kommunalfinanzen. Ich denke, wir werden sie hier präsentieren können, wenn wir diesen Nachtragshaushalt verabschieden.

Ich komme zum Schluss. Wir haben Ihnen heute einen Nachtragsentwurf vorgelegt, der von den dramatischen Auswirkungen eines hoffentlich singulären Konjunktureinbruchs gekennzeichnet ist. Wir haben Ihnen aber auch einen Nachtrag vorgelegt, der die richtigen Maßnahmen ergreift, um die negativen Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise für die Arbeitnehmer und für die Unternehmer in Rheinland-Pfalz möglichst gering zu halten.

Ich würde mich freuen, wenn es uns gemeinsam – also mit einer breiten Unterstützung dieses Parlaments – gelingen würde, erstens mit diesem Nachtrag ein klares Zeichen gegen die Krise zu setzen und zweitens den notwendigen Konsolidierungskurs nach der Krise konsequent und sozial ausgewogen einzuschlagen – konsequent aus Solidarität mit künftigen Generationen und sozial ausgewogen aus Solidarität mit denen, die heute unserer Unterstützung bedürfen.

Herzlichen Dank.