Protocol of the Session on November 16, 2006

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Dünnbrettbohrerei, Hinterzimmerrhetorik. Meine Güte, meine Güte, und das bei einem Thema – – –

(Ministerpräsident Beck: Sie sollen etwas zur Sache sagen!)

Vorhin hätte ich mir auch gewünscht, dass Sie etwas zur Sache sagen.

(Beifall bei der CDU – Unruhe im Hause)

Herr Ministerpräsident, Sie wissen, dass Zahlen beeindruckend sind, vor allem für die Besucher auf der Tribüne, weil eh keiner weiß, was 1,2 Milliarden Euro sind.

(Unruhe bei der SPD)

Wir denken zunächst einmal an die Menschen vor Ort, an diejenigen, die es betrifft.

Ich finde es interessant, was Sie da machen. Beim „Auf sie mit Gebrüll“ haben Sie Franz Müntefering gut zugehört. Das habe ich schon mitbekommen. Wer schreit, hat aber nicht immer Recht. Man muss einmal feststellen, dass diese Anträge, die wir stellen, auch in Ihren Reihen nicht ganz von der Hand gewiesen worden sind.

Jetzt sage ich es noch einmal: Herr Ministerpräsident, es ist unredlich, wenn Sie auf Kosten derer, die in diese Spirale geraten, meinen, etwas durchpeitschen zu müssen, was ungerecht ist. Ich sage Ihnen auch etwas zu den Kosten.

(Ministerpräsident Beck: Weshalb sagen Sie das nicht Ihrer Bundeskanzlerin?)

Wegen Hartz IV darf jeder, der eine Lebensversicherung abgeschlossen hat oder ein Haus hat, dieses erst einmal versilbern. Das wird ihm aber nicht reichen, bis er 80 Jahre alt ist. Dann geht er in die Grundsicherung. Dann hätte er von den Kommunen Geld bekommen müssen, die er sonst über seine eigenen Beiträge, über seine eigenen Vermögenswerte hätte behalten können.

(Ministerpräsident Beck: Hinterzimmerrhetorik!)

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wenn Sie es ernst meinen mit den Bedürfnissen der Menschen draußen und wenn Sie von Unterschicht und Armut reden, dann fordere ich Sie auf, endlich etwas zu tun, und zwar in Sektoren, die sich nicht dagegen wehren können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der SPD: Kein Wort zur Finanzierung – Harald Schweitzer, SPD: Ist das peinlich!)

Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Abgeordneter Dr. Schmitz.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich muss Sie enttäuschen, dass dieser unterhaltsame populistische Schlagabtausch der Volksparteien jetzt beendet ist.

(Ministerpräsident Beck: Wo war ich denn populistisch?)

Ich werde darauf eingehen, Herr Ministerpräsident.

Herr Ministerpräsident, zunächst einmal zolle ich Ihnen großen Respekt dafür – nicht nur persönlich, sondern auch im Namen der Fraktion der FDP –, dass Sie dem Antrag von Herrn Rüttgers, der sich mittelbar in das rheinland-pfälzische Landesparlament verirrt hat, so entschieden entgegengetreten sind.

(Beifall der FDP)

Herr Kollege Baldauf, alle, die wir hier sitzen, sind sicherlich in der Problembeschreibung einer Meinung. Wenn wir uns in der Fragestellung, ob wir nicht gerne jedem Menschen, insbesondere den Menschen, die sehr lange eingezahlt haben – es sei nur am Rande erwähnt, dass jemand, der 36 Monate eingezahlt hat, nicht notwendigerweise in seiner Lebensarbeitszeit schon lange eingezahlt hat –, helfen wollen, nicht übertreffen lassen wollen, haben Sie uns an Ihrer Seite. Am liebsten für alle das Doppelte oder noch mehr. Nur drauf! Das sage ich als FDP-Politiker, der als Einziger unter den Parteien in diesem Raum Hartz IV nicht auf Bundesebene mit zu verantworten hat. Es ist schon drollig, was man hier erlebt.

Das ist ein Gesetz, bei dem die FDP mahnend den Finger gehoben hat und gesagt hat: Vorsicht, das ist verdammt bürokratisch geraten. Vorsicht, da droht einiges an Problemen. – Wir waren damals mit der Landesregierung und der SPD der Meinung, dass wir viele Millionen brauchen werden, um überhaupt die Anlaufprobleme in den Griff zu bekommen. Das ist ein Gesetz, das jetzt nach fast zwei Jahren Laufzeit immer noch durch ein Höchstmaß an Schwierigkeiten und Problemen überzeugt, aber nicht durch Problemlösungen. Das ist ein Gesetz, zu dem wir uns auf eine konstruktiv kritische Position verständigt haben. Wenn man jetzt den offenen Schlagabtausch der beiden Volksparteien erlebt, wundern einen die aktuellen Allensbach-Umfragen nicht mehr.

Wenn die CDU in der Lage ist, diesem Wunsch aller Rechnung zu tragen, sodass das tatsächlich im Hinblick auf die Versicherungsbeiträge aufkommensneutral ist, sodass das keine Brücke in Frühverrentungsorgien darstellt und man zunächst einmal die alten Versprechen an die Kommunen erfüllt – Herr Ministerpräsident, das haben Sie sehr detailliert ausgeführt –, bevor man neue großzügige Sozialleistungen einfordert, sollten wir über diesen Vorschlag wieder sprechen. Bei den Versprechen ging es um die frühkindliche Betreuung. Der Bund und das Land sind da als durchleitende Größe immer noch ein Versprechen schuldig, das immer noch nicht erfüllt ist. Wenn Sie das alles gemacht haben – ich nenne das die Hausaufgaben –, sollten wir wieder über diesen Vorschlag sprechen, Herr Kollege Baldauf.

Wenn Sie in der Lage sind, Ihre Versprechungen, die ursprünglich auch mit der Mehrwertsteuer einhergingen, einzuhalten, nämlich dieses Geld vor allem zur Absenkung der Lohnnebenkosten einzusetzen, sollten wir auch wieder über diesen Punkt sprechen.

Herr Ministerpräsident, bei allem Lob für Ihre Replik und Ihre Standhaftigkeit kann ich aber auch Sie nicht ganz vom Vorwurf des Populismus freisprechen, weil Sie über den Antrag hinaus versuchen, Dinge des Parteitags der Zukunft jetzt schon zu thematisieren. Wollen wir doch gelassen abwarten, wie die CDU mit ihren eigenen Problemen, die sie sich mit diesem Vorpreschen geschaffen hat, umgeht und wie sie die Glaubwürdigkeit, die sie bis jetzt in dieser Frage noch nicht hat, zu erreichen versucht.

Meine Damen und Herren, ich darf aber auch ganz kurz auf das eingehen, was eigentlich nach unserer Ansicht im Mittelpunkt der Diskussion hätte stehen sollen. Das sind nämlich die Punkte, die wir ebenfalls konstruktiv kritisch in dieses Parlament als Ergebnis der Großen Anfrage und ihrer Antwort auf Hartz I bis Hartz IV eingebracht haben. Ihnen liegt der Antrag vor. Ich darf mich auf sieben wesentliche Punkte konzentrieren, die für uns im Mittelpunkt stehen. Das sind sieben wesentliche Punkte, die Sie nennen können, wie Sie wollen – Generalrevision oder nicht Generalvision. Das ist doch nur ein Streit um Etiketten. Diese Punkte sollten Sie aber ernst nehmen in dem Bemühen, dieser Gesetzgebung, die unter der Überschrift „Fördern und fordern“ stand und stehen sollte, tatsächlich zum Erfolg zu verhelfen.

Meine Damen und Herren, beim ersten Punkt sind wir mit der CDU einer Meinung und verstehen da die Haltung der Landesregierung überhaupt nicht. Man sollte allen Gebietskörperschaften die Möglichkeit einräumen zu optieren, wenn sie subsidiär der Meinung sind, zur Erfüllung dieser gemeinsamen Ziele ist das die bessere Variante.

(Beifall der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, der zweite Punkt bezieht sich auf das Minimieren des Verwaltungsaufwands. Es ist eine sozialpolitische Katastrophe – das zum Thema, über das wir eben gesprochen haben –, dass immer mehr Geld in komplexe Verwaltungsbereiche fließt und es da fehlt, wo es den Betroffenen zugute kommen sollte.

(Beifall des Abg. Creutzmann, FDP)

Damit sollten wir uns beschäftigen. Wenn Sie die Unterlagen aufmerksam gelesen haben – davon gehe ich aus –, werden Sie feststellen, dass bisher ohne durchschlagende Erfolge in der Arbeitsvermittlung und bei aller Freude über die besseren Arbeitsmarktzahlen tatsächlich seit Einführung des ALG II die Personalstärke von 1.300 auf 2.000 gestiegen ist. Das ist ein Aufwachsen um mehr als 50 %. Wenn die Aufgabenerfüllung so gut wäre, dass man sagen könnte, das steht dafür, würde ich kein Wort darüber verlieren. Die Kombination, dass das immer noch nicht bei den ARGEn in Ordnung ist und es immer noch Softwareprobleme bei den ARGEn gibt und immer noch nicht die Hausaufgaben erledigt sind trotz 50 % mehr Personal, stimmt bedenklich. Wir weisen darauf hin, dass man das ändern sollte.

Meine Damen und Herren, es kommt hinzu – das sind Details, die aber sehr spannend sind –, dass es beispielsweise den Rhein-Lahn-Kreis gibt, der die Aufgaben umfassend mit 0,71 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf 100 ALG-II-Empfänger wahrnimmt, während beispielsweise der Landkreis Birkenfeld 1,1 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die gleiche Aufgabenerfüllung benötigt. Es ist auch eine Aufgabe für die Landesregierung, die aber keine direkten Durchgriffsmöglichkeiten hat, im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit darauf hinzuwirken, dass die Landkreise versuchen, diese Aufgaben mit möglichst hoher Personaleffizienz zu erfüllen. Das sollte an und für sich eine Selbstverständlichkeit sein. Es ist bedenklich, dass wir darauf hinweisen müssen.

Meine Damen und Herren, wir haben einen weiteren Punkt, der auf die Diskussion von eben abstellt. Wir sagen, dass wir die Zielgenauigkeit der Integrationsmaßnahmen schärfen wollen. Wir wollen eine Wettbewerbsneutralität zur privaten Wirtschaft schaffen.

Wenn hier zum wiederholten Mal darüber gestritten wird, wie eine Zielgenauigkeit, eine Treffsicherheit, zwischen denen, denen wir wirklich helfen wollen, denen wir zu Arbeit verhelfen wollen, und den Trittbrettfahrern, die es selbstverständlich auch gibt – sie stellen Gott sei Dank nicht die Mehrheit dar, weil die Mehrheit Arbeit sucht, aber natürlich gibt es Missbrauch und Trittbrettfahrer, weil wir sonst beispielsweise die Unterkunftsregelung

gar nicht hätten ändern müssen –, erreicht werden kann, brauchen wir zur Lösung Integrationsmaßnahmen. Wir brauchen dann Ein-Euro-Jobs, um jedem Arbeitsangebote machen zu können. Daher unterstützen wir die Landesregierung, die maßgeblich dazu beigetragen hat, dass es viele Ein-Euro-Jobs in Rheinland-Pfalz gibt.

Meine Damen und Herren, ganz schlecht ist aber – das muss man auch erwähnen –, dass auf die Wettbewerbsneutralität, die durch paritätisch besetzte Beiräte sichergestellt werden soll, nicht ausreichend geachtet wird. Es geht nicht an, dass der steuerzahlende Mittelstand und die Arbeitnehmer Maßnahmen finanzieren, die ihre eigenen Arbeitsplätze in Gefahr bringen.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren, zur Entlastung der rheinlandpfälzischen Landkreise ist sehr viel gesagt worden. Wir unterstützen die Landesregierung bei ihrem Bemühen, die Vorabquote für Rheinland-Pfalz günstig zu gestalten. Wir machen Komplimente zu den 50 Millionen Euro. Wir würden uns freuen, wenn die 10 Millionen Euro, die noch fehlen, auch in Rheinland-Pfalz gelandet wären. Ich möchte darauf nicht weiter eingehen, weil ich noch einen wichtigen Punkt ansprechen möchte, nämlich das Einhalten des Lohnabstandsgebots.

Meine Damen und Herren, wer es wie früher in der Arbeitslosenhilfe und in der Sozialhilfe für Erwerbsfähige und jetzt im ALG II nicht schafft, den Unterschied zwischen Einnahmen ohne Arbeit und Einnahmen mit Arbeit deutlich und mit entsprechendem Abstand herauszuarbeiten, hat einen Grundfehler im Gesetzeswerk belassen. Er wird es nicht schaffen, dass wir „Fördern und Fordern“ ernst nehmen können und die Bevölkerung gerade in den niedrigen Einkommensgruppen Verständnis für diese sozialpolitische Maßnahme hat. Das Lohnabstandsgebot ist kein goldenes Kalb und keine heilige Kuh, sondern es ist eine Selbstverständlichkeit, die grundsätzlich ist und ohne die es in diesem schwierigen Bereich dauerhaft nicht funktioniert.

(Beifall der FDP)

Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Im Rahmen der Veränderungen im Zusammenhang mit den Unterkunftsbezuschussungen haben wir erlebt, dass die Veränderungen gegriffen haben. Wir erleben aber auch, dass die Verwaltungsintensität, Stichpunkt „Sozialgerichte“, nach wie vor viel zu hoch ist.

Meine Damen und Herren, ich lege es Ihnen nahe, schauen Sie sich einmal einen Leistungsbescheid zu Hartz IV, zu ALG II an. Wer diesen Leistungsbescheid gelesen hat, weiß, wovon wir sprechen, wenn wir sagen, diese Verfahren müssen vereinfacht werden.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)

Ich begrüße als Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag Mitglieder der Gewerkschaft Strafvollzug der JVA Zweibrücken. Seien Sie uns herzlich willkommen!

(Beifall im Hause)

Frau Kollegin Thelen hat das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich will der Ordnung halber darauf hinweisen, dass wir gerne den neu von uns gestellten Antrag „Mehr Gerechtigkeit bei Arbeitslosenversicherung und Grundsicherung für Arbeitsuchende“ wie auch den Antrag der FDP in den Ausschuss überweisen würden, weil wir die Debatte fortsetzen sollten. Ich denke, das hat der Kollege einfach nur vergessen zu sagen.

Ich will kurz noch einmal auf das eingehen, was der Herr Ministerpräsident eben gesagt hat. Er hat sich bezogen auf ein Schleusentor. Herr Ministerpräsident, wir haben nicht die Ambitionen, hier einen Gesetzesantrag zur Änderung von ALG II oder von ALG I vorzulegen, sondern wir haben vor, mit diesem Antrag auf ein Problem aufmerksam zu machen, das unseres Erachtens sehr wohl eine vergleichbare Wirkung wie ein Schleusentor hat, das sich aber vielleicht noch etwas im Stillen abspielt. Ich bin mir sicher, es ist niemand im Raum, der diese Diskussionen nicht schon geführt hat. Es macht sich in unserer Gesellschaft ein Mentalitätswandel breit, dessen mittel- und langfristige Folgen uns ein Vielfaches dessen kosten werden, was uns jetzt gegebenenfalls eine Änderung der Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I kosten würde.