Protocol of the Session on December 15, 2010

Das Wort hat Frau Abgeordnete Thelen von der CDUFraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Hering, es hat mich jetzt schon überrascht, dass Sie sich hier echauffieren, wenn man als sozialpolitische Sprecherin auf die eher unterdurchschnittliche Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in Rheinland-Pfalz hinweist.

(Pörksen, SPD: Das war ja falsch, was Sie erzählt ha- ben! Sie haben zu 2010 gar nichts gesagt! Schwindel war das!)

Nein, nein. Es war absolut richtig. Es waren die Zahlen des Statistischen Landesamtes aus Rheinland-Pfalz. Offensichtlich tun Ihnen die Fakten weh. Das kann ich ja verstehen, Herr Pörksen. Ich schicke sie Ihnen aber gern auch noch einmal schriftlich.

Herr Minister, ich habe nicht den Eindruck, dass man hier Sozialpolitik mit Scheuklappen betreiben darf.

Für uns von der CDU ist nach wie vor die beste Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, möglichst viele Arbeitsplätze für die Menschen in Rheinland-Pfalz zu schaffen und sie in Arbeit zu bringen. Das ist das Beste, was wir sozialpolitisch für die Menschen hier tun können.

(Ramsauer, SPD: Deshalb haben wir auch so viele Arbeitsplätze wie noch nie!)

Auch bei anderen haben die Arbeitsplätze zugenommen, Herr Ramsauer.

Sie haben nach wie vor das Problem, dass RheinlandPfalz mit anderen Bundesländern wie Brandenburg und Schleswig-Holstein am Ende der Skala steht, wenn es um die Arbeitsplätze pro Einwohner geht, sodass Rheinland-Pfalz um die letzten Plätze kämpft. Ich sage Ihnen, wir brauchen dringend mehr Arbeitsplätze in RheinlandPfalz. Dann wird sich auch die Situation im Bereich der Sozialpolitik sicherlich positiv entwickeln.

Ich will an der Stelle auch auf die Ausbildungssituation eingehen, weil das alles sehr eng miteinander zusammenhängt. Sie wissen, wir haben über 130.000 Menschen mehr, die jeden Tag auspendeln, um außerhalb des Landes ihrer Arbeit nachzugehen, als die, die einpendeln. Es mag für einen erwachsenen Menschen, der mobilisiert ist, gehen, wenn er – ich sage jetzt einmal – von Plaidt aus 40 Kilometer nach Norden fährt, um in Bonn zu arbeiten. Für junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, ist das sehr viel schwieriger. Gerade für den Ausbildungsmarkt ist es wesentlich wichtiger, die Arbeitsplätze im Land Rheinland-Pfalz zu schaffen.

Es kommt ein weiterer Punkt hinzu. Das ist die langfristige oder auch mittelfristige Entwicklung. Sie wissen alle, dass wir im vergangenen Jahr zum ersten Mal einen negativen Zuwanderungssaldo hatten. Das heißt, es sind mehr Rheinland-Pfälzer aus Rheinland-Pfalz weggezogen, als Menschen von außerhalb zu uns kamen. Herr Hering, deshalb hinkt auch immer Ihre Erklärung, dass das an den vielen Zuwanderern liegt, die Rheinland-Pfalz so schön finden. Wir hatten aber diese negative Zuwanderungsbilanz.

Wir haben auch eine Alterung der Gesellschaft. Mit diesem Spannungsbogen und den Kosten der Mobilität erhöhen wir den Druck auf Menschen wegzuziehen. Je mehr ich für den Sprit bezahlen muss, den ich benötige, um in Bonn, Köln, Karlsruhe oder sonst wo zu arbeiten, umso eher müssen sich unsere Mitmenschen überlegen, ob sie nicht zu diesem Arbeitsplatz ziehen. Das wird die Situation von Rheinland-Pfalz weiter belasten.

Deshalb sage ich, der erste Appell der Sozialpolitiker muss in Richtung Wirtschaftspolitik erfolgen, da wir unser Land im Konkurrenzkampf mit den Bundesländern um Arbeitskräfte gut aufstellen müssen, um nicht nachher als Verlierer dazustehen.

(Beifall der CDU)

Deshalb vorweg einige grundsätzliche Ausführungen. Woher kommen wir? Wir haben das heute Morgen in der Generaldebatte schon gehört. Wir haben Ende 2008 eine fürchterliche Rezession gehabt, die 2009 andauerte. Das Konjunkturpaket II hat uns ein Stück herausgeholt. Wir haben 2010 deutlich bessere Zahlen, als wir alle zu hoffen gewagt hatten. Wir haben außerordentlich gute Perspektiven für 2011. Trotzdem schlägt sich dies nicht entsprechend positiv im Sozialetat der Landesregierung nieder.

Man kann sagen, okay, daran kann man sehen, wie schwierig die Situation ist, die wir eben beschrieben haben, weshalb man weiter mit steigenden Mitteln rechnet. Diese Mittel sind erheblich. Im Jahr 2008 hatten wir 1,512 Milliarden Euro Bruttoausgaben, und wir haben in diesem Jahr Bruttoausgaben von 1,688 Milliarden Euro veranschlagt. Wir haben also erhebliche Steigerungen bei den Ausgaben von 176 Millionen Euro seit 2008. Auch bei den Nettoausgaben haben wir fast 100 Millionen Euro mehr, die wir ausgeben müssen. Das spricht dafür, dass sich die Situation eher verschlechtert.

Ich frage mich, wie das werden wird, wenn wir eher wieder mit einem wirtschaftlichen Abschwung und einer Rezession zu rechnen haben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Wir brauchen eine Sozialpolitik, die sowohl das Wohl der Betroffenen im Blick hat als auch eine dauerhafte Tragfähigkeit und Akzeptanz des sozialen Sicherungssystems mit sich bringt. Da haben wir den Eindruck, dass Sie diese Verantwortung in unserem Land nicht so wahrnehmen, wie wir das für erforderlich halten.

Schauen wir uns die Seniorenpolitik an. Alle Experten sind sich einig, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung sehr flexible Wohnmodelle in der Zukunft brauchen, um den Menschen auf dem Weg der Einschränkungen eine möglichst lange, möglichst umfangreiche Selbstständigkeit zu erhalten. Zwischen dem ganz normalen Leben zu Hause und dem späteren vielleicht in einer voll stationären und voll betreuten Einrichtung muss es also ganz viele lebensnahe und an den individuellen Bedürfnissen der alten Menschen orientierten Lösungen und Angebote geben. Wir wollen natürlich so lange wie möglich die Selbstständigkeit der Menschen und ihren Verbleib zu Hause erhalten, aber wir wollen vor allen Dingen nicht Entwicklungen solcher Wohnmodelle behindern.

Da haben wir den Eindruck, dass mit dem Landeswohnformen- und Teilhabegesetz, wodurch das alte Heimaufsichtsrecht abgelöst wurde, eher Erschwernisse zu befürchten sind. Wir haben erste Hinweise von Organisationen, die betreute Wohnformen anbieten, dass sie sich großen Anforderungen der Heimaufsicht gegenübersehen. Es sind für diese Wohnform jetzt Genehmigungsverfahren notwendig, die in der Vergangenheit nicht notwendig waren. Deshalb sehen wir uns in unserer Skepsis, in unseren Befürchtungen bestätigt und sehen auch aus diesen Gründen die Entwicklung in der Seniorenpolitik in Rheinland-Pfalz eher kritisch.

Als Trost für die Menschen haben Sie einen unglaublich umfangreichen Aktionsplan für Senioren vorgelegt. Ich sage, das ist eine Sammlung von sehr wunderbaren Wünschen, zu der wir uns fragen, wo eigentlich die Mannschaft im Ministerium ist, die das alles umsetzen soll. Das ist aber nicht das, was wir uns unter verantwortlicher Seniorenpolitik und auch nicht unter verantwortlicher Sozialpolitik vorstellen.

Wir bleiben nach wie vor bei unserer Forderung nach einem Seniorenbericht und fordern nicht einen Aktionsplan. Ein Seniorenbericht muss zunächst einmal die

Situation in Rheinland-Pfalz unter die Lupe nehmen und muss erkennen, wie die Lebenswirklichkeit der Menschen ist, wo ihre Bedürfnisse sind, wo die Defizite sind und sehr konkret an den festgestellten Situationen sehr konkrete Maßnahmen vereinbaren, zeitlich planen und finanzieren. Dann werden wir meiner Meinung nach die Lebenswirklichkeit für unsere Seniorinnen und Senioren in Rheinland-Pfalz wirklich auf zukunftsfeste Füße stellen können.

(Beifall der CDU)

Schauen wir uns Ihre Politik für behinderte Menschen an. Hier streben Sie mit Macht und auch mit Druck auf viele Einrichtungen eine Dezentralisierung an. Das klingt zunächst noch recht harmlos und eigentlich ganz modern, aber in der Praxis heißt das, Sie lassen keine weiteren Plätze in Einrichtungen zur Betreuung behinderter Menschen mehr zu, auch wenn schwerst mehrfach behinderte Menschen dringend Plätze in RheinlandPfalz suchen.

(Frau Staatsministerin Dreyer: Das ist unwahr!)

Ich kann Ihnen die Einrichtung nennen, die vergeblich darum gebeten hat. Das ist nicht nur eine in RheinlandPfalz.

Sie fordern eine Auflösung der sogenannten großen Einrichtungen in Minieinrichtungen, wobei Sie dem schwedischen Modell mit maximal sechs Plätzen nachhängen.

Angehörige finden unverhofft ihre schwer behinderten erwachsenen Kinder nicht mehr in ihrer vertrauten Wohngruppe in der Einrichtung wieder – Beispielsfälle haben wir selbst von Betroffenen vorgetragen bekommen –, sondern in einer betreuten Wohnung im Ort, wo die Erwachsenen, die Angehörigen dieser Menschen, die auch Betreuer sind, erfahren müssen, dass es eben nur noch stundenweise eine Betreuung für diese Menschen im Ort gibt und sie auch nur noch mit erheblichem Aufwand die zentralen Angebote der Einrichtung wahrnehmen können. Da haben wir auch den Eindruck, dass nicht zwingend das Wohl der Betroffenen im Mittelpunkt Ihrer Arbeit steht. Gerade dieses Wohl der Betroffenen fordert ganz ausdrücklich die UN-Konvention zum Schutz der Rechte behinderter Menschen.

(Beifall der CDU)

Natürlich ist die Inklusion ein wichtiges Ziel, aber sie darf nicht an den Interessen der Menschen vorbei oder sogar zum Teil gegen die Interessen der Betroffenen gerichtet werden.

(Beifall der CDU)

Unseres Erachtens überziehen Sie mit der Art Ihrer Umsetzung die Erwartungen und auch die Zielsetzungen dieser UN-Konvention. Wir sind auch der Auffassung, dass Sie diese Einrichtungen, die viele Menschen mit Behinderungen nicht nur versorgen, ihnen Wohnung geben und sie betreuen, sondern ihnen auch ein Stück Familie und Heimat geben, in unseren Augen mit der finanziellen Entwicklung ziemlich allein lassen.

Sie ist vage, weil seit 17 Jahren vergeblich versucht wird, eine neue Rahmenvereinbarung zu verhandeln. Das kann nicht im Sinne der Einrichtungsträger und der betroffenen und zu betreuenden Menschen sein. Sie brauchen auch hier Planungssicherheit. Nur dann kann man dauerhaft eine gute Hilfestruktur aufbauen.

Um zu klären, wie es gehen könnte, hat man einige Modelleinrichtungen ausgesucht und getestet. Man war über die kostenmäßigen Entwicklungen sehr überrascht, weshalb auch dies nicht dazu gedient hat, bei der Verhandlung weiterzukommen.

In einer Kreistagssitzung am letzten Montag hat der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Kreistag MayenKoblenz vor dem Hintergrund der enormen Kostenentwicklungen im Bereich der Jugendhilfe und der Hilfen für behinderte Menschen festgestellt, dass die Dezentralisierung der Heimplätze in Zukunft Kosten spare. Ich habe jetzt doch den Eindruck, dass vielleicht eher die Kosten als das Wohl der Menschen im Mittelpunkt stehen. Ich hoffe sehr, dass Sie das heute noch einmal klarstellen.

Allen Beteiligten ist bewusst, dass der Weg, den Sie zum Teil mit Gewalt gehen wollen, zu erheblichen Mehrkosten führt.

(Ministerpräsident Beck: Ich frage nur, ob wir hier über Kreistagsangelegenheiten befinden sollen!)

Herr Ministerpräsident, auch wenn Sie sagen, dass es Bundesgesetze sind, führt dieser Paradigmenwechsel in der Umsetzung der Bundeshilfen zu einer extremen Mehrbelastung auch der an den Kosten mitbeteiligten Kommunen. Jeder, der in den Räten der Landkreise und kreisfreien Städte sitzt, kann dies an seinen Haushaltsplänen ablesen.

Das ist eine Entwicklung, bei der ich mich frage, wohin sie führen soll und welche Antwort Sie den Kommunen geben. Hier ist ein Grad erreicht, der meines Erachtens schon ganz vehement, was die Konnexität angeht, relevant ist und dringend diskutiert werden muss.

(Beifall bei der CDU)

Ich will zum Schluss noch ganz kurz auf ein Thema zu sprechen kommen, das mich umtreibt, weil ich bei einem Träger engagiert bin, der versucht, Hilfen zu organisieren und anzubieten. Wir haben eine Unmenge an Projekten und Modellen, und zwar befristete, regionale und örtliche. Es werden hier und da immer wieder einmal durchaus gute Dinge gemacht, aber punktuell und in der Regel vorübergehend. Oft müssen wir hinterher enttäuschte Menschen zurücklassen, weil die Dinge nicht auf Dauer fortgeführt werden

(Staatsministerin Frau Dreyer: Na ja!)

und sich keine Teilnehmer finden, die die Finanzierung weiter tragen. Die Träger sind aufgrund dieser immer wieder vorgenommenen Befristungen der Modellprojekte überhaupt nicht in der Lage, ihre Mitarbeiter in nennenswertem Umfang auf Dauer zu beschäftigen. Das heißt, Sie sind ein Stück weit dafür mitverantwortlich,

dass viele in den sozialpolitischen Arbeitsfeldern nur mit befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiten können. Das ist nicht die Art von Nachhaltigkeit, wie wir uns die Sozialpolitik vorstellen.

(Zuruf der Abg. Frau Ebli, SPD)

Wir brauchen für Probleme, die erkannt werden, durchaus hier und da ein Modell, um zu klären, ob der eine oder der andere Lösungsweg besser ist, um das Problem zu lösen. Eines muss aber vorher klar sein. Wenn wir erkennen, dass das Modell A besser ist, müssen wir bereit, gewillt und in der Lage sein, dieses Modell landesweit umzusetzen. Ansonsten müssen wir die Finger davon lassen. Es ist zu schade, für Strohfeuer Geld zu verbrennen.

(Schreiner, CDU: Dafür brauchen die Kommunen das Geld!)

Dafür brauchen die Kommunen das Geld. Ganz genauso ist das.

Ich will zum Abschluss gerade auch an diesem Punkt noch einmal auf den Antrag der FDP eingehen, der sehr deutlich den Finger in die Wunde und darauf Wert legt, dass die Maßnahmen auch auf ihre Effizienz und Wirkungsweise hin untersucht werden.