Wie kann man denn so etwas machen? Denn dort sind doch mit den Argumenten, die Sie hier gegen die Bundesregierung geführt haben, konservative oder liberalkonservative Regierungen in Frankreich abgewählt worden – sie ist ja verändert worden –, und in den Niederlanden steht eine Regierung in schweren Erklärungszwängen. Dort hat man die gleiche Problematik, die wir in Deutschland haben, die in Deutschland bedingt durch die Wiedervereinigung noch eine zusätzliche Schwierigkeitskomponente hinsichtlich der Bewältigung der Zukunftsfragen hat. Wie kann man denn so argumentieren, wie Sie argumentiert haben?
Ein Zweites an Ihrer Argumentation hat mir Sorge gemacht. Man darf ernsthaft darüber nachdenken, ob denn der Weg eines Volksentscheids in so wichtigen Fragen der richtigere wäre oder ob die Entscheidung über die repräsentativen Gremien, wie sie in unserer Verfassung, im Grundgesetz, angelegt sind, geht.
Darüber muss man immer wieder ernsthaft nachdenken. Mich hat diese Art der Argumentation aus der großen CDU, die nach 20 Sätzen, die ich respektvoll akzeptiere, sofort wieder bei der Alltagsschlacht und beim Wahlkampf war, skeptisch gemacht, ob man offen darüber nachdenken kann. Es ist doch genau die Falle, in die wir hineingelaufen sind, nämlich dass nur innenpolitisch argumentiert wird und man sein Süppchen kocht – koste es, was es wolle – für diesen großen europäischen Akt.
Liebe Frau Schmidt, es ist jetzt wirklich gut. Sie haben soviel Kluges gesagt. Machen Sie es nicht kaputt.
Wie können Sie es hier einfach sagen, wissend, dass es noch ein paar Leute gibt, die nach Ihnen reden. Das mit dem Dosenpfand war so ein schreckliches Beispiel. Entschuldigung. Wer hat es denn aufgebracht? – Herr Töpfer hat es erfunden, Frau Merkel hat es ausgestaltet, und die jetzige Regierung musste es umsetzen. Das ist die Realität des Lebens.
Ja, ich würde gern, Herr Präsident. Aber ich erinnere mich, dass es bei Aktuellen Stunden keine Zwischenfragen gibt. Aber wenn ich darf, beantworte ich sie gern.
Ja, gut, wenn die Geschäftsordnung nicht gilt: An mir soll es nicht liegen. Ich will mich nicht verweigern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich wollte zu den Gründen kommen. Ich glaube, dass das, was gesagt worden ist, dass wir jetzt nicht vorschnell und schon gar nicht monokausal erklären sollten, wie es zu diesen beiden Entscheidungen gekommen ist, richtig ist. Ich glaube auch, dass wir in Deutschland nicht sehr viele unterschiedliche Gründe zu dem finden würden, was in Frankreich und in den Niederlanden abgelaufen ist. Aber einige Punkte muss man als Fragen aufwerfen, gründlich analysieren und gründlich darüber nachdenken, bevor Antworten gegeben werden. Ich glaube, es ist uns in der Tat nicht gelungen, in diese europäische Entwicklung, von deren Bedeutung ich bewusst geredet habe, nicht, um pathetische Reden zu halten, sondern um die Dinge nicht von den Füßen auf den Kopf zu stellen, den Menschen ihre Sorge zu nehmen. Wir müssen wissen, was oben und unten ist. Deshalb bleibt es bei dieser Friedensbotschaft und diesen wichtigen internationalen Bedeutungen.
Meine Damen und Herren, es ist uns offensichtlich nicht gelungen, zu diesem Prozess ausreichend Menschen mitzunehmen. Die Menschen haben offensichtlich zu einem nicht unbeachtlichen Teil trotz dieser Einsicht der Bedeutung – ich glaube nicht, dass sie bei den Menschen nicht vorhanden ist – den Eindruck, sie könnten unter die Räder kommen und die Verantwortlichkeit, die sie ihren Politikerinnen und Politikern zuordnen und dann auch über Wahlen zur Geltung bringen können, nicht mehr zu Geltung bringen können, weil es in Europa weitergeht, was auch immer national, regional oder kommunal entschieden ist.
Ich glaube, hier steckt ein ganz tiefer Grund. Das hat aus meiner Sicht etwas mit dem Demokratiedefizit zu tun. Es hat etwas damit zu tun, dass diesem Europäischen Parlament, das mehr Rechte hat, als viele Leute meinen, neue Rechte durch Nichteintreten der Verfassungswirklichkeit, wie wir sie wollten, nicht hinzukommen. Aufgrund der Zusammensetzung dieser großen
Runde, die dort zusammenkommt, und einer immer begrenzten nationalen Repräsentanz, wird es immer die Schwierigkeit haben, das Bedürfnis der Menschen, den Willen durch Wahlen ausdrücken zu können, nicht ausreichend zufrieden stellen zu können. Deshalb muss aus meiner Sicht noch einmal über die Balance der Fragen nachgedacht werden, die europäisch zu entscheiden sind, die stärker in die Kompetenz des Europäischen Parlaments verzahnt werden müssen, und zwar, was national und was regional entschieden wird.
Über die Bedeutung der Subsidiarität, also der Nachrangigkeit von Entscheidungen von oben, wenn man sie auch weiter unter treffen kann, habe ich gesprochen. Ich meine aber, das ist noch nicht die letzte Antwort, auch nicht die Stärkung des Ausschusses der Regionen, für so wichtig wir es auch gehalten haben. Da müssen wir tiefer schürfen. Ich habe noch keine Antworten darauf. Ich will nicht so tun, als wären mir diese heute Nacht eingefallen. Aber das scheint mir ein ganz entscheidender Punkt zu sein.
Ein zweiter Punkt aus meiner Sicht ist, dass wir die soziale Dimension dieses Europas stärker in den Blick nehmen und stärker die Sorgen der Leute sehen müssen, die sich fragen, wie es denn mit diesem Wettbewerb in Europa ist, mit dem Wettbewerb um Arbeitsplätze und Investitionen, der Grundlage von Arbeitsplätzen. Ist es so, dass wir einem fairen Wettbewerb ausgesetzt sind?
Am Freitag habe ich im Bundesrat diese Fragen anklingen lassen. Ich möchte sie hier auch anklingen lassen.
Könnte es nicht so sein, dass die Menschen gerade in den erfolgreichen großen Industrienationen innerhalb dieses Europas, in Frankreich, Italien, Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden und anderen, sich ausmalen, wenn es so bleibt, wie es ist, müssen wir Verlierer sein. Wenn es so bleibt, dass wir Lohndiskrepanzen in diesen Größenordnungen haben, denen zugleich an anderer Stelle noch unterschiedliche Wettbewerbsvoraussetzungen zur Seite stehen, also Länder, die mit uns um Arbeitsplätze konkurrieren, beispielsweise Beitrittsländer, Steuern und Unternehmenssteuern nahe Null erheben, mit denen die Bundesrepublik, aber auch Frankreich, die Niederlande und andere nie und nimmer existieren können, sonst würde unser Gemeinwesen zusammenbrechen, dann noch zusätzlich aus dieser Gemeinschaft – was erklärbar ist, sie müssen aufholen – erhebliche Finanzmittel bekommen, also die Infrastruktur, die sie brauchen und die entwickelt werden muss, wo wir auch helfen müssen, zusätzlich noch gefördert wird, sie aber mit uns mit Steuern konkurrieren, die für uns unvorstellbar niedrig oder gleich null sind, weil wir die Infrastruktur bezahlen, müssen wir Verlierer sein.
Solche Dinge müssen wir miteinander diskutieren. Es wird nicht zu einer völligen Steuerharmonisierung in dieser Gemeinschaft kommen. Das würde ich mir auch gar nicht wünschen. Ein gewisser Wettbewerb, so, wie es einen Wettbewerb zwischen den deutschen Ländern gibt, ist sicher ganz gesund.
Es muss aus meiner Sicht ein Wettbewerb sein, den man auch bestehen kann, der im Einzelfall bei der Ver
lagerungsabsicht eines Unternehmens von hier nach dort chancenlos ist. Ich meine, das sind Dinge, über die wir nachdenken müssen.
Ähnliches gilt für die soziale Absicherung und auch für ökologische Regelungen und Vorschriften. Es wäre hilfreich gewesen, wenn wir die Verfassung gehabt hätten, wenn wir es zumindest teilweise hätten vorantreiben können, was jetzt schwieriger ist. Aber wir müssen an diese Fragen herantreten.
Für Deutschland gilt zusätzlich, dass wir einen weit überdurchschnittlichen, auf den Kopf der Bevölkerung gerechneten Beitrag zur europäischen Entwicklung leisten, obwohl wir durch die Wiedervereinigung, die wir Gott sei Dank erleben durften, selbst einen riesigen Nachholbedarf in einem Teil unseres Landes haben. Das macht die Akzeptanz in Deutschland sicherlich auch nicht größer.
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, dass wir eine Diskussion aufarbeiten sollten, von der ich mir manchmal selbst vorwerfe, dass ich sie hätte intensiver führen müssen, nämlich die Diskussion darüber, ob wir wirklich sorgfältig genug bei der Währungsumstellung waren. Ich halte den Euro nach wie vor für eine große Chance. Aber ich denke, dass wir nicht sorgfältig genug bei der Umstellung waren. Das Reden über den „Teuro“ ist sehr tief in die Köpfe der Menschen eingedrungen.
Ich habe mir die Zahlen und Fakten noch einmal angesehen. Untersuchungen, die vom Statistischen Bundesamt im April dieses Jahres vorgelegt worden sind, zeigen, dass seit der Einführung des Euro lediglich Preissprünge von etwa 1,5 % pro Jahr zu verzeichnen gewesen sind. Gilt das aber auch für die Waren und Dienstleistungen, die den Alltag einer großen Zahl von Menschen bestimmen? Das ist nicht mehr rückgängig zu machen; denn es ist so gelaufen, wie es gelaufen ist. Wir sollten aber wenigstens den Leuten signalisieren, dass wir den Gedanken und ihre Sorgen ernst nehmen und wir versuchen, uns darum zu kümmern. Das gehört auch zu einer solchen Betrachtung.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bin der Meinung, dass wir mit solchen offenen Diskussionen, mit intensiven Bemühungen und mit Überzeugungsarbeit durchaus noch eine Chance haben, aber nicht in dem Sinne, dass man einfach sagt: Jetzt warten wir einmal zwei Jahre ab, dann sind die Franzosen und Holländer vielleicht mürbe und werden dem zustimmen. – Ich halte das für eine zynische Haltung, die man aus meiner Sicht weder einnehmen kann noch darf. Wenn wir eine intensive Diskussion führen, wenn wir versuchen, an den Kern der Entscheidung heranzukommen, die immer auch einen innenpolitischen Teil, aber auch einen europapolitischen Teil beinhaltet, dann haben wir vielleicht eine Chance, dass wir den europäischen Verfassungsprozess doch nicht als gescheitert betrachten müssen, sondern ihn – sicherlich mit zeitlicher Verzögerung – aufnehmen und fortsetzen können.