Protocol of the Session on June 1, 2005

Abschließend möchte ich deshalb in neun Punkten zum Ergebnis kommen:

1. Der Untersuchungsausschuss hat keine wesentlichen Tatsachen aufgedeckt, die nicht bereits im Bericht der Landesregierung aufgegriffen worden sind. Deshalb erweist sich der insbesondere vor Einsetzung des Untersuchungsausschusses gemachte Vorwurf der Opposition, die Landesregierung habe unvollständig informiert, als völlig haltlos.

2. Die gesetzliche Vorgabe, Möglichkeiten „Heimunterbringung statt Untersuchungshaft“ zu schaffen, ist scharf zu trennen von der jeweiligen Einrichtung, die die Aufgabe übernimmt und der Jugendhilfe zugeordnet ist. Das ist auch in Stutensee so.

3. Das Spannungsfeld zwischen Jugendhilfe und Justiz in der Frage der Geschlossenheit bzw. der hinreichenden Entweichungssicherheit ist auch bei der Vorbereitung der Entscheidung in Rheinland-Pfalz deutlich geworden. Der sich lange hinziehende Diskussionsprozess wurde 2001/2002 durch eine klare Entscheidung beendet, dass eine entweichungssichere Einrichtung die Aufgabe übernehmen soll. Darauf aufbauend wurde ein entsprechendes Rahmenkonzept entwickelt.

4. Das Projekt wurde eingehend mit den Partnern der freien Wohlfahrtspflege erörtert. Die Trägerauswahl wurde sorgfältig durchgeführt, und die Entscheidung für Mühlkopf mit geschlossener Unterbringung war nachvollziehbar und folgerichtig.

Das Landesjugendamt als Fachbehörde hat die ihm zugeordnete Beratungsfunktion umfangreich wahrgenommen der Wichtigkeit des Projekts entsprechend. Eine Dienst- oder Fachaufsicht oder wie auch immer geartete Weisungsbefugnis hatte das Amt nicht.

5. In die Trägerverantwortung fällt die Personalsicherheit. Das wird von allen Trägern so gesehen. Das gilt auch für die Personalauswahl und den Personaleinsatz. Seiner Beratungsfunktion ist das Landesjugendamt auch insoweit gerecht geworden.

6. Wenn aus pädagogischer Sicht Sicherheitsmaßnahmen für das Personal umstritten sein können, gilt für den Ausschuss jedoch ein klarer Vorrang für die Sicherheit des Personals. Deshalb hält der Ausschuss die Ausstattung der Beschäftigten mit einem mobilen Telefon, zu dem ausdrücklich geraten worden ist, besser noch die Ausrüstung mit so genannten PNA-Geräten für geboten.

Den seitens der Einrichtung gemachten Vorgaben zur Personalsicherheit, wie zum Beispiel Betreten der Zimmer zu zweit usw., fehlte die notwendige Verbindlichkeit, sodass sie gerade bei berufsunerfahrenem Personal in einer Krisensituation übersehen werden konnten. Dabei war es ein entscheidender Fehler der Einrichtungsleitung, eine Berufsanfängerin im Nachtdienst einzusetzen, insbesondere nachdem ein Tag zuvor ein dritter Jugendlicher aufgenommen worden ist.

7. Weder das Justizministerium noch eine andere öffentliche Stelle hat Druck auf die Einrichtung bezüglich der Aufnahme von Ferid T. ausgeübt. In dem bekannten Schreiben hat das Justizministerium lediglich die Gesetzeslage dargelegt und darauf hingewiesen, dass bei Nichtberücksichtigung der Gesetzeslage das Projekt gefährdet sei.

8. Insbesondere aufgrund der in nicht öffentlicher Sitzung gemachten Sachverständigenaussagen hinsichtlich des schlimmen Vorfalls – es ging nicht um sieben Stunden, sondern um wenige Minuten –, teilt der Ausschuss die Auffassung der Arbeitsgruppe der Ministerien, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit auch bei Berücksichtigung der vorgeschlagenen Sicherheitsmaßnahmen des Landesjugendamts der gewaltsame Tod hätte nicht verhindert werden können.

Herr Dr. Rosenbauer hat zu Recht darauf hingewiesen, eine absolute Sicherheit kann es nicht geben. Da sind wir uns alle einig. Es ist aber alles daranzusetzen, dass sich etwas Derartiges nicht wiederholt. Deshalb muss die Beratungsfunktion weiter verstärkt werden bis an die Grenze des Zulässigen. Die Beratung muss natürlich aufpassen, dass sie nicht plötzlich in die Verantwortung hineingerät. (Glocke des Präsidenten)

Ich bin gleich fertig.

Das hat die Ministerin ausdrücklich zugesagt.

Es ist darauf hinzuwirken, dass Leitungsstrukturen und Aufgaben klarer nach außen definiert werden. Die Personalsicherheit darf keinem offenen Diskussionsprozess unter den Beschäftigten unterworfen werden. Nachtdienst hat zumindest in der Anfangszeit mit einer doppelten Besetzung und mit entsprechenden Geräten ausgestattet stattzufinden.

9. Der Untersuchungsausschuss unterstützt die Landesregierung in ihrer Absicht, nach Vorlage des Berichts den Auftrag des Gesetzgebers bezüglich der Einrichtung von „Heimunterbringung statt Untersuchungshaft“ umzusetzen. Dazu gibt es keine Alternative.

(Vizepräsidentin Frau Hammer übernimmt den Vorsitz)

Wegen der fehlenden empirischen Erkenntnisse ist die wissenschaftliche Begleitung und Beratung von besonderer Bedeutung. Das Parlament soll im Interesse der Sache die Bemühungen der Landesregierung konsequent und sachlich begleiten.

Ich möchte am Schluss eine persönliche Bemerkung machen. Ich möchte im Namen der SPD-Fraktion für die dort trotz einiger Ausreißer insgesamt sachliche Arbeit im Ausschuss herzlich danken, insbesondere dem Vorsitzenden Marz, der nicht der Versuchung unterlegen war, den Untersuchungsausschuss parteipolitisch zu nutzen. Er hat die Sitzungen auch in schwierigen Phasen souverän geleitet.

Natürlich gilt der Dank auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landtagsverwaltung, insbesondere der

Personen, die hier vor mir sitzen, vor allen aber dem Ausschussassistenten Volker Perne, die aufgrund der zügigen Arbeit des Ausschusses mit halben Nachtsitzungen und der Vorbereitung des Abschlussberichts besonders herausgefordert waren.

Vielen Dank.

(Anhaltend Beifall der SPD und der FDP)

Bevor wir fortfahren begrüßen wir weitere Gäste im Landtag, und zwar Ratsmitglieder der Ortsgemeinde Meudt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz aus Ludwigshafen sowie Arzthelferinnen im zweiten Ausbildungsjahr von der Berufsbildenden Schule Landau. Allen Besuchern ein herzliches Willkommen im Landtag!

(Beifall im Hause)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Marz das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Herr Pörksen, herzlichen Dank für das Lob. Ich hoffe, dass ich mein Redemanuskript noch einigermaßen durchhalten kann, so überrascht wie ich bin. Vielen Dank.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Diskussion bewegt sich mittlerweile etwas eingekeilt zwischen der Rücktrittsforderung auf der einen Seite und der massiven Verteidigung auf der anderen Seite. Keine neuen Sachverhalte habe ich gehört. Ich verspüre auch nicht die geringste Lust, mich zwischen diesen beiden Polen zu bewegen, weil ich das schon für fatal hielte. Ich will mich auf den Weg der sachlichen Auseinandersetzung zurück begeben.

Ich halte Rücktrittsforderungen an Ministerinnen und Minister gerade als Oppositionsabgeordneter natürlich dann für richtig, wenn sie belegt sind. Wenn sie nicht belegt sind, schaden sie der eigenen Glaubwürdigkeit und überdecken eine mögliche sachliche Auseinandersetzung. Von daher finde ich es schade, dass wir in diesem Spiel drin sind, der eine fordert den Rücktritt, der andere sagt, es habe sich überhaupt nichts aus der Ausschussarbeit ergeben. Letzteres ist auf jeden Fall falsch. Natürlich hat sich eine Reihe von Erkenntnissen ergeben. Es ist nicht immer so im Leben, wenn man neue Erkenntnisse gewinnt, dass es dann einfache Konsequenzen gibt, sondern es kann auch sachliche Konsequenzen geben. Zu denen möchte ich kommen.

Zuerst einmal zu der Frage, ob diese Tat vermeidbar war. Diese Frage schwebt schon durch die Welt, seit diese Tat passiert ist.

Meine Damen und Herren, seien wir doch einmal ehrlich, natürlich ist eine solche Tat nie ausschließbar. Darauf haben auch schon die Vorredner hingewiesen. Aber was

heißt das in der Konsequenz? Das heißt in der Konsequenz immer, dass man, wenn eine solche Tat oder ein großes Unglück passiert, schaut, ob es vermeidbare Fehler gibt, die dazu geführt haben. Dann muss man diese Fehler abstellen.

Wenn Sie sich anschauen, mit welcher Klientel man es in Projekten der Heimerziehung statt Untersuchungshaft, aber auch in anderen Heimprojekten, zu tun hat, muss man sagen, diese Klientel ist natürlich schwer kalkulierbar. Das ist ein Teil des Problems. Sie sind schwer auszurechnen und schwer zu kontrollieren.

Natürlich gibt es in solchen Einrichtungen auch den Drang nach außen. Wenn ich mir das anschaue, was dort in Rodalben 2003 passiert ist, dann haben diese drei Jugendlichen verschiedene Hürden entdeckt, die sie überwinden mussten, um nach draußen zu kommen. Eine Hürde war Christina Knoll, um das einmal so auszudrücken.

Ich sage Ihnen aber auch, auch zwei Menschen sind überwindbar. Das möchte ich nur einmal vorneweg sagen. Das heißt, wir werden nie eine 100%ige Sicherheit bekommen, aber wir müssen aus Fehlern und Schwächen lernen, um es in Zukunft besser zu machen. Wenn Sie sich an die Aussage von Gundolf Knoll im Ausschuss und an öffentliche Aussagen von ihm erinnern, er hat nicht die pure Anklage gegen die Politik gefahren, er hat gesagt: Ich erwarte, dass Sie daraus inhaltliche Konsequenzen für die Zukunft ziehen. – Dem kann man sich nur anschließen.

Deshalb möchte ich nun meine Sicht der Dinge und meine Erkenntnisse aus dieser Ausschussarbeit erläutern. Ich glaube, auch wenn man eine solche Tat letztendlich nicht ausschließen kann, war diese Tat nicht das Ergebnis einer Kette unglücklicher Umstände, die niemals vermeidbar gewesen wären. So einfach ist es nun auch nicht, sondern es gibt Punkte und Fakten, an denen sich festmachen lässt, wo Dinge passiert sind, die aus meiner Sicht nicht hätten passieren sollen. Es war für mich von Anfang an eine Kette der Verunsicherung, die eine Rolle gespielt hat. Diese Kette der Verunsicherung beginnt mit einem jahre-, eigentlich jahrzehntelangen Ministerstreit um das richtige Konzept: offen oder geschlossen?

Diese Kette der Verunsicherung endet an jenem Abend des 20. November 2003, als Christina Knoll drei Jugendlichen gegenübergestanden hat, die diese Unsicherheit bei ihr auch gespürt haben, die diese Unsicherheit im gesamten Konzept und im gesamten Ablauf gespürt haben. Dann haben sie sie umgebracht. In dieser Kette der Verunsicherung lassen sich – wie gesagt – einige Punkte festmachen. Da muss man für die Zukunft herangehen.

Zum Ersten: In der Rückschau – wir schauen immer zurück; ich sage Ihnen auch ganz offen, natürlich sind wir nachher immer schlauer als vorher, und ich will mich hier nicht als Besserwisser aufspielen –, in der Sicht zurück muss man sagen, der konzeptionelle Kompromiss, den die Koalition zum Unterbringungskonzept gefunden hat, war ein fauler politischer Kompromiss. Er ist auf den Fachebenen der beteiligten Ministerien nie

mals nachvollzogen worden. Er ist zum Teil für falsch gehalten worden.

Man hat vor allem die Konsequenzen bezogen auf die Mitarbeitersicherheit, die dieser Kompromiss hätte haben müssen, nicht ausreichend bedacht. Das ist ein filigraner, aber sehr wichtiger Aspekt bei dieser ganzen Geschichte. Der Sicherheitsaspekt steht in direkter Verbindung mit dem Konzept. Wenn Sie eine offene Unterbringung von solchen Jugendlichen machen, wenn Sie denen also sagen „Ihr könnt gehen, wenn Ihr das wollt“, dann müssen Sie in die Sicherheit relativ wenig investieren; denn sie können ja rausgehen.

Wenn Sie aber sagen, wir machen ein geschlossenes Konzept – das ist in diesem Fall gemacht worden –, dann müssen Sie auf der Seite der Mitarbeitersicherheit massiv Einsatz leisten, um das zu gewährleisten; denn die Mitarbeiter – das ist fatal – werden nicht nur als pädagogische Ansprechpartner, sondern auch als diejenigen gesehen, die den Schlüssel für die Freiheit in der Hand haben. Wenn ich das weiß, muss ich mich um diese Mitarbeiter ganz besonders kümmern.

Wenn ich ein solches Konzept mache, dann kann ich nicht ein geschlossenes Konzept verabschieden und die Sicherheitsstufe wählen, die bei einem offenen Konzept gefragt wäre. Das geht entschieden nicht.

Das ist allerdings hier geschehen. Das ist in der Konsequenz hier geschehen. Das Sicherheitskonzept war bestenfalls das eines offenen Hauses und nicht das eines geschlossenen Hauses.

Zum Zweiten: Die Heimauswahl für Rodalben ist unter sachfremden Gesichtspunkten getroffen worden. Der Kollege Pörksen hat zu Recht darauf hingewiesen, es gab einmal sieben, und dann gab es drei. Warum haben sich die zwei von den dreien verabschiedet? Ein Heim hat sich aus der Bewerbung verabschiedet, weil es gesagt hat – die Leiterin hat uns das im Ausschuss gesagt –: „Wir haben bei den Gesprächen gemerkt, dass die in Mainz sich nicht einig sind, dass es da Unsicherheiten über das Konzept gibt. Da wollten wir nicht zwischen die Mühlen geraten.“ – Das war die zentrale Aussage.

Bei der zweiten Einrichtung – die ist hier auch schon erwähnt worden –, Don Bosco Helenenberg, ist es keineswegs so, dass Don Bosco Helenenberg gesagt hätte: „Wir machen keine geschlossene Unterbringung“. Sie haben gesagt: „Wir machen geschlossene Unterbringung, aber wir wollen diese Gitter nicht an den Fenstern haben.“

Im Rahmenkonzept stehen diese Gitter nicht drin, sondern da steht in einer Klammer Sicherheitsglas drin. Plötzlich gab es die Fokussierung auf die Gitter. Wo kam die her? Die kam dadurch, dass das Justizministerium massiv Einfluss genommen hat an dieser Stelle. Die Vertreter des Justizministeriums haben darauf bestanden, dass nur eine Einrichtung gewählt wird, die Gitter vor die Fenster macht.

In den folgenden Diskussionen – die können wir heute sehr gut nachvollziehen – haben bezüglich der Heim

auswahl, der Trägerauswahl, pädagogische Konzepte usw. keine Rolle mehr gespielt. Die Frage der Gitter war die einzige Frage, die eine Rolle gespielt hat.

Dann hatten wir eine sehr interessante Situation im Ausschuss. Als diese Verengung sonnenklar war, blieb nur noch diese Belüftungsfrage übrig. Also hat man gesagt, die Gitter seien aus belüftungstechnischen Gründen besser. Dann habe ich den betreffenden Fachmann aus dem Justizministerium gefragt: Haben Sie denn einen Belüftungsfachmann hinzugezogen? – Er hat gesagt: „Nein“.

So etwas soll entscheidend sein für eine solch schwerwiegende Entscheidung. So geht es natürlich nicht, meine Damen und Herren. Die Gitter waren entscheidend. Das ist ganz eindeutig sachfremd. Am Ende ist eben Rodalben übrig geblieben, weil dessen Betreiber die einzigen waren, die Gitter vor die Fenster machen wollten. Wie gesagt, Don Bosco hätte das mit Sicherheitsglas gelöst. Übrigens ist das auch nach Einschätzung unter Fluchtgefahrgesichtspunkten aller Experten gleichwertig mit den Gittern.

Es gibt auch den Einruck, dass die Gitter nicht nur so sehr wichtig waren, weil sie die Flucht verhindern sollten, sondern die Gitter waren offensichtlich dem Justizministerium auch wichtig, damit man sie von außen sieht, damit die Bevölkerung sieht, da sind Leute eingesperrt. Auch das ist eine sachfremde Entscheidung.