Das Paradoxe an der Situation ist, dass viele Eltern gleichzeitig nach qualifizierten Betreuungsangeboten für ihre Kinder unter drei Jahren suchen. Die Landesregierung will dazu beitragen, diese Situation aktiv und zukunftsweisend zu gestalten. Ein wohnortnahes und bedarfsgerechtes Angebot von Plätzen in Kindertagesstätten wird mit uns erem Programm machbar.
Zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit: Familienplanung hängt nicht unmittelbar von politischen Entscheidungen ab. Politik kann aber durch verlässliche
Rahmenbedingungen die Entscheidung für eine Familie erleichtern. Auch wenn bei internationalen Vergleichen immer eine gewisse Vorsicht geboten ist und es sicherlich keine einseitigen Erklärungen gibt, machen Staaten wie Irland, Island und Frankreich oder die skandinavischen Länder deutlich, dass eine hohe Erwerbstätigkeit von Frauen mit einer deutlich höheren Geburtenrate einhergehen kann, wenn die Rahmenbedingungen, zum Beispiel ausreichende Kinderbetreuung, stimmen.
Die Landesregierung beschränkt sich nicht auf diesen Aspekt. In diesem Zusammenhang möchte ich gern auf die laufende Kampagne „Viva Familia“ der Frau Kollegin Dreyer hinweisen. Mit dem Programm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ setzen wir einen weiteren Schwerpunkt.
Verbesserte Angebote in der Kindertagesbetreuung bringen den Wunsch vieler Familien und vor allem junger Frauen nach Familie und Erwerbstätigkeit einander näher. Natürlich verbinden wir damit auch die Hoffnung, die demografische Entwicklung positiv beeinflussen zu können.
Die demografische Entwicklung hat aber noch mehr Facetten. Es ist ökonomisch notwendig, Frauen und Männern verstärkt zu ermöglichen, Familienaufgaben und Erwerbstätigkeit besser miteinander verbinden zu können. Frauen sind heute so gut qualifiziert wie noch nie zuvor. Mit einer Frauenerwerbsquote von knapp 60 % bewegt sich Deutschland aber nur im Mittelfeld der Industriestaaten. Das Bemühen um Familie und Beruf, um Kinder und berufliches Fortkommen entspricht dabei den Lebensvorstellungen vor allem junger Frauen und Männer. Über die Hälfte aller nicht erwerbstätigen Mütter in Deutschland mit Kindern unter vier Jahren wünscht die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Dabei geht es übrigens den Eltern nicht nur um irgendeine Betreuungsmöglichkeit. Sie wollen ein gutes Angebot für ihre Kinder. Sie wollen ihre Kinder umsorgt und gefördert wissen. Auch deshalb verbinden wir in unserem Programm Qualität und Quantität. Die Kinder stehen im Mittelpunkt.
Damit bin ich bei den bildungspolitischen Ansätzen: Wir wollen ein kindgerechtes Angebot, das entwicklungsgemäß fördert und fordert. Die Schulleistungsuntersuchungen PISA, IGLU und VERA haben – in unterschiedlichen Zusammenhängen zwar, im Ergebnis aber übereinstimmend – Befunde erbracht, die Handlungsbedarf aufzeigen. Das Schmerzliche ist und bleibt für mich der enge Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg. Das ist sicherlich nicht von heute auf morgen zu ändern. Es ist aber Messlatte all unserer Reformanstrengungen im Bildungsbereich.
Besondere Aufmerksamkeit müssen wir dabei den Kindern zuteil werden lassen, die in der Sprachentwicklung Defizite aufweisen. Dies gilt in besonderer Weise für Kinder mit Migrationshintergrund.
Unsere vielfältigen Initiativen zur Sprach- und Leseförderung, zu einer veränderten Lehr- und Lernkultur, zur Arbeit mit Bildungsstandards und mit regelmäßiger Evaluation, sind unverzichtbare Bestandteile des rheinland-pfälzischen Qualitätsmanagements an Schulen. Mit dem vorliegenden Programm wird nun ein weiterer Schwerpunkt auf die frühe Förderung und auf den vorschulischen Bereich gelegt. Bildung beginnt eben nicht erst in der Schule. Sie beginnt im Elternhaus und im familiärem Umfeld. Sie wird fortgesetzt in den Kindertagesstätten, die eine wichtige und unverzichtbare Arbeit leisten. Hierauf baut das Programm „Bildung von Anfang an“ auf.
Wir wollen eine möglichst frühe Förderung, und wir wollen alle Kinder und Eltern erreichen. Zwar haben wir in Rheinland-Pfalz eine hohe Besuchsquote von über 92 % im letzten Kindergartenjahr, leider müssen aber auch wir feststellen, dass nach wie vor Kinder aus bildungsfernen Schichten und Kinder mit Migrationshintergrund den Kindergarten seltener besuchen als andere. Eine Bildungspolitik, die die Bedeutung gerade der frühen vorschulischen Förderung für die Lernchancen ernst nimmt, muss diese Lücke schließen und ein gutes Angebot für alle Kinder m achen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, diesen Herausforderungen demografischer, familien-, frauen- und bildungspolitischer Natur stellen wir uns mit dem Programm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“.
Das Aktionsprogramm „Kinderfreundliches RheinlandPfalz“ ist ein Markenzeichen unserer Politik. An diesem ehrgeizigen Ziel haben wir hart gearbeitet und dabei beachtliche Erfolge erzielt.
Wir haben die Kinder und Jugendlichen in den Mittelpunkt unserer Politik gestellt und mit den bildungspolitischen Initiativen auch Familien und insbesondere Frauen unterstützt. Beispielhaft erwähnen möchte ich die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz und die verstärkte Förderung von Krippen und Ganztagskindergärten. Die flächendeckende Einführung der Vollen Halbtagsschule, das äußerst erfolgreiche Ganztagsschulprogramm und die Reform der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung, all das sind Projekte, die Anerkennung in unserem Land und weit darüber hinaus gefunden haben.
In Rheinland-Pfalz regiert eben nicht kurzfristiger Aktionismus, sondern zielgerichtetes Handeln. Wir gehen Reformen konsequent an, aber wir wissen auch, dass sie Zeit zur Umsetzung brauchen, um nachhaltig zu wirken. Mit dem Programm „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang an“ nehmen wir uns gemeinsam mit allen Beteiligten ein weiteres großes Stück vor.
Elemente, die alle einem Ziel dienen, nämlich Chancengleichheit und Förderung für alle Kinder von Anfang an.
Wir wollen erstens mehr Plätze für Kinder unter drei Jahren schaffen. Wir wollen zweitens Angebote zum Kindergartenbesuch ab zwei Jahren eröffnen und den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für zweijährige Kinder ab 2010 gewährleisten. Wir wollen drittens die Beitragsfreiheit für das letzte Kindergartenjahr einführen. Wir wollen viertens den Bildungsauftrag der Kindertagesstätten stärken und die Sprachförderung umfassend ausbauen. Wir wollen fünftens den Stichtag für die Einschulung verändern.
In diesen fünf Elementen steckt eine Fülle von Einzelmaßnahmen, die ich Ihnen gern etwas ausführlicher darstellen möchte.
Der Bund hat zu Jahresbeginn mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz (TAG) Vorgaben für die Kommunen zum bedarfsgerechten Ausbau der Kindertagesbetreuung insbesondere für unter Dreijährige gemacht. In der Praxis bedeuten die gesetzlichen Vorgaben, dass wir bis zum Jahr 2010 in Rheinland-Pfalz rund 11.500 zusätzliche Plätze schaffen müssen. Die Erfüllung dieser Zielvorgabe ist aus unserer Sicht eine gemeinschaftliche Aufgabe. Deshalb kann und wird das Land die Kommunen dabei nicht allein lassen. Wir schaffen konzeptionelle und finanzielle Anreize, damit dass TAG tatsächlich seine Wirkung entfaltet.
Zur finanziellen Unterstützung von Kommunen und freien Trägern erhöht das Land daher seinen Zuschuss zu den Personalkosten der Krippen um 10 Prozentpunkte je zur Hälfte zugunsten der Jugendämter und der Träger. Dass Land trägt damit künftig 45 % der Personalkosten in Kinderkrippen. Dies verstärkt die Anreize zum Ausbau der Krippenplätze und zur Umwandlung von Kindergärten in Krippengruppen bei sinkenden Kinderzahlen.
2. Die Öffnung des Kindergartens für Zweijährige und die Verankerung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz ab 2010.
Bereits jetzt besteht die Möglichkeit zur Aufnahme von bis zu zwei Kindern unter drei Jahren in Kindergartengruppen. In Zukunft kann eine Gruppe bis zu sechs Zweijährige aufnehmen. Durch gestufte Aufstockungen im Personalschlüssel stellen wir dabei sicher, dass die pädagogischen Standards voll gewahrt werden. Dies ist auch aus Sicht der Gewerkschaften und der Berufsverbände ein zentrales Anliegen.
Für die Träger ist dabei die Beschäftigung der erforderlichen Zusatzkräfte für die Betreuung der Zweijährigen kostenfrei. Wir wollen sie unterstützen und die Trägerpluralität im Land erhalten.
Hinzu kommt, dass viele Zweijährige dem Kindergarten entwicklungspsychologisch näher stehen als der Krippe. Außerdem besteht in dieser Altersgruppe der höchste Versorgungsbedarf. Nicht zuletzt bleiben mit diesem Schritt vielen Einrichtungen Unterauslastungen oder gar Schließungen wegen fehlender Anmeldungen erspart.
Die schrittweise Aufnahme von Zweijährigen in den Kindergarten soll mit Beginn des Programms erfolgen. Ab dem 1. August 2010 sollen dann diejenigen Eltern von zweijährigen Kindern, die das wünschen, einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz erhalten. Dabei geht das Land davon aus, dass ab 2010 etwa 50 % der betroffenen Eltern diesen Rechtsanspruch wahrnehmen werden. Dies liegt aber allein in der Entscheidung der Eltern. So wollen wir das auch.
Kinder haben ein großes Interesse daran, ihre Umwelt zu erforschen und ihren Wissensdurst zu stillen. Sie wollen aber auch Hilfe erfahren, wenn sie einmal keine befriedigende Antwort finden auf die Fragen über die Welt, in die sie immer mehr hineinwachsen. So stellen die Kindertagesstätten einen idealen Ort dar, um diese kindliche Neugier, dieses natürliche, eigentlich nie versiegende Bildungsbedürfnis zu erfüllen, zu fördern und zu fordern. Gerade der Kindergarten eröffnet eine große Chance, um sowohl durch einen intensiven Kontakt mit anderen Kindern als auch durch gezielte individuelle Förderung Benachteiligungen auszugleichen.
Die Landesregierung schafft in ihrem Konzept die Voraussetzungen, damit alle Fünfjährigen vor der Schule eine Kindertagesstätte besuchen und so eine optimale Vorbereitung auf die Schule erhalten. Wenn das letzte Kindergartenjahr vor der Einschulung ein Regelbesuchsjahr für alle Kinder werden soll, dann darf die möglichst vollständige Aufnahme eines solchen Angebots nicht an finanziellen Hürden scheitern.
Deshalb soll das letzte Kindergartenjahr vor der Einschulung vom 1. Januar 2006 an für die Eltern beitragsfrei sein, ohne dass Kommunen und Träger zusätzlich belastet werden. Dies allein erfordert etwa 25 Millionen Euro, die das Land übernimmt.
Ich füge hinzu: Es führt aber auch zu einer spürbaren Entlastung für Eltern. Im Durchschnitt sind das 600 Euro pro Kind. Das ist familienfreundliche und familienfördernde Politik im besten Sinn.
Mit den Bildungs- und Erziehungsempfehlungen für Kindertagesstätten sowie mit der Reform der Ausbildungswege für Erzieherinnen und Erzieher einschließlich des neuen Fachhochschulstudiengangs hat der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten bereits neue Impulse erhalten.
Jetzt soll mit dem landesweit vorgesehenen Qualifizierungsprogramm, das mit 2 Millionen Euro jährlich ausgestattet wird, die Fortbildung einen weiteren Schub erfahren. Wir tun dies, obwohl es sich bei den Erzieherinnen und Erziehern nicht unmittelbar um Personal des Landes handelt. Wir tun es, weil es wichtig ist. Wir wollen die Fortbildungsangebote der Trägerorganisationen und der Landesinstitute bewusst unterstützen.
Ziel wird es sein, gemeinsam mit den Trägern und Instituten modulare Fortbildungsgänge anzubieten, die mit Zertifikaten abschließen. Beobachtung und Dokumentation, Elternarbeit, Sprachförderung oder Vorbereitung auf die Schule sind dabei zentrale Themen.
Unser Qualifizierungsprogramm wird sich aber nicht nur an Erzieherinnen und Erzieher, sondern auch an Tagesmütter und Tagesväter wenden. Wir wollen auch sie besser auf ihre Aufgaben vorbereiten und werden auf der Grundlage des vom Deutschen Jugendinstituts entwickelten Curriculums Fortbildungen für Tagespflegepersonen ausbauen.