Protocol of the Session on April 29, 2004

Es ist also keineswegs vermessen zu behaupten, dass die FDP die demokratische Mitbestimmung unserer Bürgerinnen und Bürger in Städten, Gemeinden und Landkreisen in der derzeitigen Form im Wesentlichen erst ermöglicht bzw. mit ermöglicht hat.

Meine Damen und Herren, zehn Jahre nach Stärkung der Bürgerbeteiligung in der rheinland-pfälzischen Kommunalverfassung ist es berechtigt zu hinterfragen, inwieweit die damals einstimmig verabschiedeten Bestimmungen heute noch zeitgemäß sind.

Frau Grützmacher, ich stimme mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dahin gehend überein, dass das in der Gemeinde- bzw. in der Landkreisordnung vorgese

hene Quorum von 30 % der Stimmberechtigten eine zu hohe Abstimmungshürde für einen Bürgerentscheid darstellt. Das haben die Vorredner auch in dieser Richtung geäußert.

Ich erinnere an das Beispiel Kaiserslautern – das wurde auch von den Vorrednern genannt –, wo im Grunde genommen nur wenige Stimmen gegen den Entscheid für die Pfalzarena gefehlt haben. In der Addition waren es mehr Stimmen, als der Oberbürgermeister von Kaiserslautern bei seiner Wahl auf sich vereint hat.

(Lelle, CDU: Auch ein demokratischer Vorgang!)

Insofern ist da schon Bewegung drin.

Meine Damen und Herren, das Bürgerbegehren und der Bürgerentscheid sind zweifellos das stärkste Instrument, mit dem die Bürgerinnen und Bürger über bestimmte kommunale Anliegen entscheiden bzw. mit entscheiden können.

Ich denke, dass es gerade deshalb richtig ist, dass bei einem solch wichtigen Instrument mit dem Unterschriften- bzw. Zustimmungsquorum auch Sicherungen gegen Zufälligkeiten und emotionale Stimmungen eingebaut sind.

Ein Vergleich mit anderen Bundesländern zeigt allerdings, dass in Rheinland-Pfalz gerade die Hürden für die Annahme eines Bürgerentscheids in der Tat – wie schon erwähnt – verhältnismäßig hoch sind. So wird neben Rheinland-Pfalz nur noch im Saarland ein Zustimmungsquorum von 30 % verlangt.

In allen anderen Ländern liegt das Zustimmungsquorum für einen Bürgerentscheid unter dem in Rheinland-Pfalz, in Bayern sogar deutlich. Deshalb sehen wir auch die Notwendigkeit, die rheinland-pfälzische Regelung an die der anderen Länder anzupassen.

Meine Damen und Herren, aber keinesfalls sollte hierbei von einem Extrem in das andere gefallen und das Zustimmungsquorum auf bis zu 10 % – wie von Ihnen gefordert – abgesenkt werden.

(Beifall der FDP)

Ich meine, warum das in Bayern so niedrig ist, hat Herr Kollege Pörksen schon zu erklären versucht.

Frau Grützmacher, wenn Sie schon andere Bundesländer heranziehen, dann müssen Sie das vollständig machen. Sie haben in keiner Weise erwähnt, dass fast alle anderen Länder 25 % haben: Brandenburg, Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, und die anderen haben 20%.

Ich denke, wenn schon, dann soll man redlich argumentieren und nicht nur das eine Beispiel Bayern anführen.

(Beifall der FDP – Zuruf der Abg. Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein wichtiges Anliegen unserer Fraktion war und ist es, die Instrumentarien der stärkeren Bürgerbeteiligung vor Missbrauch zu schützen. Die derzeitigen Regelungen in der Gemeinde- und Landkreisordnung gewährleisten dies dadurch, dass sie die Gegenstände, welche einem Bürgerbegehren oder einem Bürgerentscheid zugeführt werden können, eng umgrenzen. Das sollte auch so bleiben.

Gegenstand eines Bürgerentscheids können nur wichtige Angelegenheiten der Gemeinde bzw. des Landkreises sein. Der Kreis der wichtigen Angelegenheiten wird in der Weise abgegrenzt, dass ein Teil der Angelegenheiten kraft Gesetzes als wichtig gilt und weitere durch Hauptsatzungen zu solchen erklärt werden können.

Meine Damen und Herren, nach zehnjähriger Erfahrung wird man sicherlich darüber nachdenken können, diesbezüglich gewisse erleichternde Korrekturen vorzunehmen.

So muss sicherlich darüber nachgedacht werden, den Katalog der wichtigen Angelegenheiten der Gemeinden beim Bürgerentscheid zu erweitern. Keinesfalls ist nach unserem Verständnis allerdings demokratische Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger so zu verstehen, dass – wie von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gefordert, Frau Grützmacher – durch eine komplette Streichung des Positivkatalogs und eine Reduzierung des Negativkatalogs vom Grundsatz her zunächst einmal alle Angelegenheiten kommunaler Gebietskörperschaften bürgerentscheidsfähig sind. Ich denke, das kann und darf mit Sicherheit nicht sein.

(Beifall bei FDP und SPD)

Bei der Aufstellung, Änderung und Aufhebung von Bauleitplänen und der Durchführung von Vorhaben, für deren Zulassung ein Planfeststellungsverfahren oder ein förmliches Verwaltungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich ist, handelt es sich um Verwaltungsverfahren, in denen öffentliche und private Belange gegeneinander und untereinander abzuwägen sind und über vorgetragene Einwände zu entscheiden ist.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf das öffentliche Ranking von „Mehr Demokratie e. V.“ eingehen, da die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesem bundesweiten Demokratietest offensichtlich eine große Bedeutung beimisst. Bei diesem so genannten Demokratietest handelt es sich um ein VolksentscheidRanking. Eine parlamentarische Demokratie ausschließlich nach der Ausgestaltung von Volksentscheiden zu bewerten, ohne auf die sonstigen unmittelbaren Mitwirkungsrechte der Bürgerinnen und Bürger einzugehen, ist gelinde ausgedrückt äußerst befremdlich, um nicht zu sagen sehr seltsam.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, zumindest den Kolleginnen und Kollegen von den GRÜNEN möchte ich deshalb die wesentlichen Mitwirkungsrechte unserer Bürgerinnen und Bürger auf kommunaler Ebene noch einmal in Erinnerung rufen – ich denke, ich weiß wovon ich rede –:

Zum Beispiel Direktwahlen von Bürgermeistern und Landräten, Neugestaltung des Kommunalwahlrechts durch Erweiterung bzw. erstmalige Einführung des Kumulierens und Panaschierens. Meine Damen und Herren, diese maßgeblich auf Initiative der FDP zurückgehende direkte Bürgerbeteiligung sorgt dafür, dass die Politik in Rheinland-Pfalz noch stärker unmittelbar mit dem Willen der Bürgerinnen und Bürger verknüpft ist.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Für die Landesregierung hat Herr Staatsminister Zuber das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Land Rheinland-Pfalz hat bereits sehr frühzeitig seinen Bürgerinnen und Bürgern umfassende direkte Mitwirkungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene eingeräumt. Herr Hohn und andere haben bereits darauf hingewiesen. Deshalb brauche ich das nicht zu wiederholen.

Die Bürgerinnen und Bürger – das ist in Ihrem Beitrag nicht deutlich geworden, Frau Grützmacher – können bei uns bis in die kleinsten Stadt- oder Ortsteile hinein ihre Vertretungskörperschaft wählen, was in anderen Bundesländern keine Selbs tverständlichkeit ist.

(Beifall bei SPD und FDP)

Seit dem 12. Juli 1994 gibt es darüber hinaus den Einwohnerantrag, das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid. Eine amtliche Statistik über Einwohneranträge, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide wird in Rheinland-Pfalz nicht geführt. Ebensowenig haben die kommunalen Gebietskörperschaften eine entsprechende Berichtspflicht. Gleichwohl haben wir durch anlassbezogene Bestandsaufnahmen einen ziemlich genauen Überblick über Art und Anzahl der Einwohneranträge, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide.

Nach den uns vorliegenden Unterlagen gab es landesweit in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 86 Einwohneranträge und 91 Bürgerbegehren, die zu 36 Bürgerentscheidungen geführt haben. Soweit ein Vergleich mit Bayern gezogen wird, wo offensichtlich die Wurzeln für den vorgelegten Gesetzentwurf liegen, ist dieser im Zusammenhang mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheid mit aller Vorsicht zu behandeln.

(Pörksen, SPD: Sehr wahr!)

Freilich gibt es von dort eine große Anzahl von Begehren und Entscheiden zu vermelden. Aber um welchen Preis, meine Damen und Herren? Das Land Bayern hat im Jahr 1996 durch Volksentscheid die bürgerfreundliche, aber auch die Kommunalpolitik am stärksten tangierende Regelung über Bürgerbegehren und Bürgerent

scheid erhalten, unter anderem ohne Zustimmungsquorum, ohne Nachweis einer Kostendeckung, mit einem sehr frühen Suspensiveffekt und einer überlangen Sperrwirkung.

Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat im Jahr 1997 wesentliche Teile des Gesetzes für verfassungswidrig erklärt. Man hat dort zumindest in der Anfangszeit zum Teil skurrile Bürgerentscheide erlebt. So gibt es aus Oberammergau einige Beispiele zu nennen. Innerhalb eines Jahres hat acht Mal ein Bürgerentscheid über die Farbgestaltung einer Hauswand stattgefunden. In München beschloss ein geringer Prozentsatz der Stimmberechtigten die Untertunnelung einer Straße zum Preis von damals rund 2 Milliarden DM. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof setzte dem Verfahren Gott sei Dank ein Ende.

In Rheinland-Pfalz orientieren wir uns bei diesen Fragen viel lieber an der Tradition unseres Nachbarlandes Baden-Württemberg, wo es Bürgerbegehren und Bürgerentscheide seit rund einem halben Jahrhundert gibt.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das bedeutet jedoch nicht, dass sich die Regierungskoalition oder die Landesregierung grundsätzlich einer maßvollen Weiterentwicklung des direktdemokratischen Instrumentariums im kommunalen Bereich widersetzt. Über die Höhe des Abstimmungsquorums kann man durchaus nachdenken.

(Beifall des Abg. Schiffmann, SPD)

Allerdings geht der Umfang der Absenkung im vorliegenden Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nach meiner Vorstellung eindeutig viel zu weit.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ein Bürgerentscheid, der die Wirkung eines Ratsbeschlusses hat, sollte die Bürgerschaft in vergleichbarer Weise repräsentieren, wie es eine Mehrheit im Rat täte.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ausgehend von einer Wahlbeteiligung von 50 % bei einer Kommunalwahl repräsentiert also ein Ratsbeschluss mindestens 25 % der Bürgerschaft.

Da wir in Rheinland-Pfalz bei den Wahlen der kommunalen Vertretungen im Jahr 1999 bei der Wahlbeteiligung noch über 60 % lagen, ist das aktuelle Abstimmungsquorum von 30 % sicherlich nicht unangemessen hoch oder gar unvertretbar. Bei einer eventuellen Senkung muss deshalb sehr sorgfältig die Frage der Vereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der repräsentativen Demokratie hinterfragt werden. Es darf schließlich nicht so sein, dass politisch engagierte Minderheiten die gewählten Vertretungsorgane nach Belieben übergehen können.

(Beifall bei SPD und FDP)

Diese Überlegungen spielen auch bei der im Entwurf enthaltenen Forderung nach der Senkung des Unter