Protocol of the Session on August 23, 2001

Es spricht Herr Abgeordneter Dr. Schmitz.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich ausdrücklich bei meinem Kollegen Marz für den Ton seiner Ausführungen zu diesem bundespolitischen Thema.

Verehrter Herr Kollege Rosenbauer, wenn ich zum Ton der Diskussion spreche, dann sollten wir uns bemühen, fernab von Wahlkämpfen in einer Situation, in der wir im Landtag über Bundespolitik sprechen, hysterische Tiraden zu vermeiden und auf der Basis unserer gemeins a

men Erfahrungen mit 20 Jahren Bundespolitik zu bleiben.

(Beifall der FDP und der SPD – Jullien, CDU: Zum Thema wollen Sie auch noch etwas sagen!)

Als FDP-Abgeordneter erlaube ich mir, unsere Positionen, die seit 10 und 15 Jahren die Dinge formulieren, die jetzt im Schwange sind, und an denen wir alle nicht vorbeikommen werden, zu wiederholen. Hierbei handelt es sich um Positionen, die im Übrigen Grundlage einer hervorragenden Koalitionsvereinbarung sind, die Minister Gerster schon in Teilen beschrieben hat.

Qualität, Wirtschaftlichkeit, Patientensouveränität und Subsidiarität sind genau die Punkte, um die es geht.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

Verehrter Herr Kollege Altherr, als ehemals regierungsverantwortliche Partei zu vergessen, was unter Minister Seehofer gelaufen ist, trägt schon geschichtsklitternde Züge.

(Beifall bei FDP und SPD)

Das, was wir im Bundestag als leichte, vorsichtige Lokkerungsübungen versucht haben, und zwar in die Richtung von dem, was wir hier beschrieben und gehört haben, zu unternehmen, wurde von Herrn Seehofer kurz mitgetragen und dann im Bundestagswahlkampf wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen. Diese Positionen von Volksparteien nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ werden uns nicht weiterbringen.

(Beifall der FDP und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Rosenbauer, CDU)

Herr Rosenbauer, ich habe Sie akustisch nicht verstanden.

(Creutzmann, FDP: KV-Auflösung!)

Das beantworte ich Ihnen gern. Auch in dieser Frage ist die Koalitionsvereinbarung an Klarheit nicht zu übertreffen. Ärztliche Selbstverwaltung wird in der Koalitionsvereinbarung in einem ganzen Satz ganz eindeutig als unverzichtbares, wertvolles Element des Gesundheitssystems beschrieben. Ihre Ängste in diesem Zusammenhang sind ohne jede Grundlage.

(Beifall des Abg. Creutzmann, FDP)

Unsere Fraktion steht gemeinsam mit dem Ministerium für die Erfüllung dieser Koalitionsvereinbarung.

Eines möchte ich noch loswerden, damit ich nicht falsch verstanden werden kann. Wenn wir von den Reförmchen weg wollen, die sich – hier sind wir uns alle einig – in der Vergangenheit als nicht ergiebig gezeigt haben, und das wollen, was wir Gesundheitsreform nennen, muss uns klar sein, dass eine solche Reform für keine der beteiligten Gruppen, nicht für die Patienten, die

Kassen und die Leistungserbringer, so sein kann, dass es einseitige Vorteile oder einseitige Nachteile gibt.

Diese Reform muss so gestaltet sein, dass alle verantwortlichen Blöcke, einschließlich der Gesundheitspolitik, in der Verantwortung stehen. Das wird auch nicht ohne Bauchgrimmen abgehen. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wenn Landesminister in diesem Zusammenhang vor der Bundestagswahl des nächsten Jahres deutlich machen, wo sie stehen, und wenn dann in Interviews einzelne Punkte herausgeklaubt werden und diese zum Ziel politischer, parlamentarischer Attacken gemacht werden, finde ich das unmöglich. Das ist etwas, was unserer gemeinsamen Verantwortung gegenüber der Wählerschaft nicht gerecht wird.

Herr Rosenbauer, ich bitte Sie in diesem Zusammenhang um etwas mehr Disziplin und Kooperation in der Zukunft.

Danke schön.

(Beifall bei FDP und SPD)

Ich erteile Herrn Staatsminister Gerster das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, dass über tagespolitische Auseinandersetzungen hinaus, die auch zum Teil in einer großen Partei stattfinden, die auch zum Teil innerhalb der Ärzteschaft stattfinden, mit missverstandenen, fehlverstandenen Einzelaussagen, manchmal auch polemisch zugespitzt, die Gesundheitsreformdebatte an Niveau und Qualität gewinnt. Ich finde das gut. Ich bin sicher, dass wir, wenn wir uns Mühe geben, eine Schnittmenge für Reformmaßnahmen auch zwischen den vier Fraktionen und Parteien, die in diesem Haus vertreten sind und auch auf Bundesebene an verschiedener Stelle mitwirken können, finden, die über das hinaus geht, was wir schon machen und machen können und was zum Teil unvollkommen und im System nicht wirklich zukunftsträchtig ist.

Ich bin sicher, dass wir mehr Gemeinsamkeiten haben, wenn wir uns darum bemühen, als das im Augenblick vielleicht erkennbar ist. Das gilt ähnlich für die Reform der Alterssicherung, ganz egal, wer dann am Ende im Bundesrat oder vorher im Deutschen Bundestag mitgemacht hat. Das, was als Systemveränderung in der Alterssicherung in den letzten Jahren möglich wurde und was teilweise verdeckt wurde, auch durch populistische und polemische, taktische Überlegungen in allen Lagern, vor der Wahl, nach der Wahl, wann auch immer, zeigt, dass die deutsche Politik immer noch zu Reformen fähig ist, wenn sie sich darauf besinnt, was wirklich wichtig und notwendig ist.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der nächsten Wahlperiode des Bundestags die große Gesund

heitsreform brauchen und sie auch hinbekommen. Dazu müssen ein paar Leute Vorarbeiten leisten. Ich überbewerte gar nicht die Rolle eines Landesministers. Er ist einer von vielen in einem solchen System von Leuten, die sich an verschiedener Stelle um zukunftsfähige Vorschläge bemühen. Wer das ein bisschen genauer nachlesen möchte, kann jederzeit in einem Thesenpapier nachlesen, was ich unabhängig von tagespolitischen Aussagen an Grundlinien für notwendig halte. Ich habe auch immer wieder die Rückmeldung bekommen, dass diese Thesen doch in einem hohen Maß konsensfähig sind.

Versuchen wir, über die Einzelvorschläge hinaus und über die polemischen Zuspitzungen hinaus – Freiheit der Arztwahl ist eine solche Schimäre, mit der man eine Diskussion totmachen will, bevor sie eigentlich richtig begonnen hat – uns auf das Grundlegende zu verständigen, meine Damen und Herren, nämlich

1. die Qualitätssicherung,

2. die solidarische Absicherung und

3. die Finanzierung dessen, was volkswirtschaftlich möglich und notwendig ist.

Wenn wir uns darüber verständigen, können wir zum Beispiel in aller Ruhe darüber reden, dass es in der Schweiz gelungen ist – Prognos hat dazu in den letzten Tagen interessante Ausführungen vorgelegt –, durch Einkaufsmodelle, durch vernetzte Strukturen, die bestimmte Eingangsvoraussetzungen, zum Beispiel das Hausarztprinzip, als gewollt freiwillige Einschränkung der persönlichen Freiheit beinhalten, zweistellige Milliardenbeträge einzusparen und die Qualität gleichzeitig schlagartig zu verbessern.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich bin diesem Parlament und auch der SPD-Fraktion dankbar, die das angestoßen hat, dass wir in der Diabetikerversorgung auch auf Landesebene auf einem großen Schritt in ein vernetztes ganzheitliches System sind. Was heißt das denn? Das heißt, dass die Versorgung der vielen Diabetiker – es sind Zigtausende in unserem Land – bisher deswegen unvollkommen war, weil Hausärzte, Fachärzte, Rehaeinrichtungen und auch das persönliche Verhalten des einzelnen Patienten unkoordiniert nebeneinander nicht die Vernetzung dessen, was notwendig ist, zustande gebracht haben. Folge davon sind bezifferbare Amputationen, Erblindungen, schreckliche und unnötige Beeinträchtigungen der Lebensqualität im Alter. Jeder von uns hat Beispiele in der Familie. Ich selbst habe Beispiele von Altersdiabetes in der Kernfamilie, die mich täglich daran erinnern.

Wir müssen es erreichen, zum Beispiel neben einem allgemeinärztlichen Ärztenetz, das auch sektorenübergreifend ist – also stationär, Reha, alles, was dazu gehört –, für solche chronisch kranken Menschen ein Diabetikernetz zustande zu bringen. Dies soll von einer diabetologischen Schwerpunktpraxis gesteuert werden,

wo der Facharzt für Diabeteskranke diesen Menschen an der Hand nimmt und ihn ständig begleitet und den Überblick hat, was mit ihm geschieht, im besten Sinne sogar Ernährungsberatung möglich macht und vieles andere, was im Augenblick dem Zufall überlassen wird. Wo findet denn bei uns organisierte Ernährungsberatung statt? Es gibt sie doch gar nicht, wenn wir ehrlich sind. Es gibt einzelne Institutionen, die sich sehr verdienstvoll bemühen, aber es gibt kein vernetztes organisiertes System. Deswegen möchte ich das Gesundheitswesen mit Ihnen und mit vielen zusammen so weiterentwickeln, dass es ökonomischer und besser wird und wir das, was die Sachverständigen Über-, Unter- und Fehlversorgung nennen – dazu liegt ein Gutachten vor –, aufarbeiten. Zum Beispiel müssen das unnötig viele Röntgen, die unnötig vielen Herzkathetereingriffe – so viele in München wie in ganz Italien – und vieles andere mehr, völlig unnötige einzelne Leistungen, die so nicht sinnvoll sind, durch eine neue Systemsteuerung in ein erträgliches Maß zurückgeführt werden. Gleichzeitig muss der Patient aber ganzheitlich betreut werden.

Im Krankenhauswesen gehen wir einen großen Schritt mit den Fallpauschalen. Wir müssen aber darüber hinaus auch im ambulanten Versorgungssystem von dem anbietergesteuerten nicht vernetzten System wegkommen. Wir müssen zu einem modernen Gesundheitswesen kommen, in dem es möglich ist, dass einzelne Krankenkassen die Versorgung ihrer Versicherten optimieren, indem sie solche Netze organisieren, finanzieren, Qualität sichern und überprüfen, und dann auch im Wettbewerb um die bestmögliche Versorgung zu ökonomischen Bedingungen eine Chance haben – nicht wie heute – durch gesunde und junge Leute günstige Beiträge anbieten zu können, sondern durch eine hohe Versorgungsqualität, die überprüft ist, auch chronisch Kranken etwas anbieten zu können, was im Augenblick zum Teil vermieden wird, weil es teuer ist.

Meine Damen und Herren, der Schlüssel zur Reform des Gesundheitswesens ist einerseits die Beibehaltung dessen unter veränderten Bedingungen, was beibehalten werden muss, nämlich die solidarische Absicherung der Kernversorgung, die weiterhin notwendig ist, ohne Zuzahlungen und alle möglichen Ausschlussregelungen. Darüber hinaus ist der Schlüssel zur Reform der Wettbewerb der Anbieter und der Wettbewerb der Nachfragenden um Qualität, aber auch um günstige Bedingungen, die weitergegeben werden können, also um angemessene Beiträge, im günstigsten Fall um geringere Beiträge, wenn bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Dann haben wir alle etwas davon. Wenn wir uns umschauen – noch einmal das Beispiel der Schweiz –, dann sehen wir, dass die Menschen dort erkennen, dass das neue Modell ihnen sogar mehr Freiheiten, aber vor allem mehr Qualität zu günstigeren Bedingungen bringt.

(Beifall der SPD)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Rosenbauer.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen, meine Herren! Was wurde nun eigentlich inhaltlich zu dem gesagt, was wir soeben vorgetragen haben?

(Pörksen, SPD: Das lohnte doch gar nicht!)

Wir stellen eine Mündliche Anfrage, auf die eine nichts sagende Antwort gegeben wird, und acht Tage später geht der Minister mit diesen Vorschlägen hinein. Ich frage mich: Wofür haben wir dann noch ein Parlament? Diese Frage bleibt zunächst einmal offen.

(Beifall der CDU)

Herr Minister, ich bin doch gar nicht dagegen. Wir freuen uns darüber, dass Sie in manchen Dingen endlich auf unseren Kurs eingeschwenkt sind. Sie waren doch derjenige, der zu all diesen Vorschlägen immer gesagt hat: Das kann man nicht machen. – Wie war es beispielsweise bei der Zuzahlung bei den Medikamenten? Wer hat diese Regelung rückgängig gemacht, als es um moderate Zuzahlungen bei Medikamenten ging? Das waren doch wohl Sie! Das waren doch nicht wir! Nun tun Sie so, als hätten Sie völlig neue Dinge erfunden. Diese Dinge waren längst bekannt. Die Probleme im Gesundheitswesen sind genauso überraschend wie die Tatsache, dass am 24. Dezember Heiligabend ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich würde mit Ihnen gern einmal inhaltlich diskutieren.

(Zuruf von der SPD: Dann tun Sie es doch!)

Was von Ihnen kommt, sind doch alles Floskeln.