Protocol of the Session on February 11, 2004

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD und der FDP: Ah!)

Ich glaube, das ist in der Enquete-Kommission – ich hoffe, wir verfahren in den anderen Punkten anders – noch einmal eine Chance, gemeinsam festzustellen, wo Handlungsbedarf liegt.

Sie haben es in der Enquete-Kommission „Kommunen“ – ich will nicht auf morgen vorgreifen – auch geschafft, in einem Punkt zumindest zusammenzukommen.

Das ist eine Chance einer Enquete-Kommission, gemeinsam im Landtag Maßnahmen zu empfehlen, voranzubringen und die Landesregierung aufzufordern, gemeinsam vom Parlament getragen, Verbesserungen zu erreichen.

Ich denke, das sollte man bei den nächsten Punkten so auch weiter im Auge behalten, sodass wir auch etwas bewegen können. Eine Enquete-Kommission hat – das ist das Besondere hier – normalerweise die Aufgabe, weit in die Zukunft zu blicken.

Wir wissen, dass bis zum Jahr 2015 die Anzahl der Schulabgänger in Rheinland-Pfalz aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zurückgehen wird – die Zahl der Schulabgänger wird zunächst einmal ansteigen, dann wieder leicht sinken, aber 2015 werden wir etwa die gleiche Zahl haben wie 2002/2003 –, dass wir also für die nächsten zehn Jahre eine Problematik vor uns haben, die einer Lösung bedarf und auf eine Lösung wartet.

Wenn man gleichzeitig sieht, dass es im Moment immer weniger Ausbildungsplätze gibt, dann wissen wir doch auch, dass Handlungsbedarf vorhanden ist, zum einen sehr dringend für die, die jetzt auf der Straße stehen, zum anderen aber auch langfristig, wobei man langfristig zum Umsteuern Maßnahmen ergreifen kann, wie denn Ausbildung stattfindet, meine Damen und Herren. Diese Chance sollten wir ergreifen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe es erwähnt, dass es immer weniger Ausbildungsplätze gibt. Es wurde allseits festgestellt, so wenig Ausbildungsplätze wie in diesem Jahr gab es noch nie in den letzten Jahren. Es gibt ansteigende Zahlen von Schulabgängerinnen und Schulabgängern. Das hat zwei Problematiken zur Folge.

Die eine Problematik ist, dass die Berufsschulen diese Menschen auffangen müssen – darüber hatten wir in der Aktuellen Stunde schon diskutiert –, sodass die Berufsschulen mehr belastet werden, mehr als ihre normale Aufgabe erfüllen müssen, auch das Berufsvorbereitungsjahr, das Berufsgrundbildungsjahr und weitere Bildungsgänge anbieten müssen, die sie sonst in dieser großen Anzahl nicht anbieten müssten.

Es ist gut, dass die Berufsschulen das machen, vollkommen klar. Da sind wir auch der Meinung, Berufsschulen müssen in diesem Bereich gefördert werden. Aber es ist nicht gut, dass dann zusätzliche Aufgaben zu vermehrten Unterrichtsausfällen führen. Es ist auch nicht gut, dass Menschen, die eigentlich fähig wären, in eine Berufsausbildung zu gehen, – – –

Herr Weiner, natürlich gibt es immer ein paar Ausnahmen. Sie haben wieder schöne Beispiele gebracht, dass manche jungen Menschen, die aus der Hauptschule kommen, vielleicht nicht ausbildungsfähig wären – das haben einige in der Anhörung auch gesagt –, aber grundsätzlich geht es um einige tausend Jugendliche, die aus der Hauptschule kommen.

Sie können nicht behaupten, dass die alle nicht ausbildungsfähig wären, sondern es liegt daran, dass keine Ausbildungsplätze vorhanden sind. Deswegen werden sie nicht ausgebildet. Das ist die Problematik, und nicht, dass sie zu schlecht qualifiziert sind.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Weiner, CDU)

Wenn wir also wissen, dass diese jungen Menschen in eine Ausbildung gehen wollen und nicht in eine Schule und noch einmal ein Jahr erstens keine Ausbildung haben und zweitens den Eltern auf der Tasche liegen,

also auch insofern keine Möglichkeit haben, ihre privaten Angelegenheiten so zu regeln, wie sie das gern haben wollten, merkt man dann, dass eine gewisse Frustration entsteht, die Ausbildungsqualifikation in der Zeit nicht unbedingt besser wird und vor allem die Motivation in der Zeit nicht unbedingt besser wird.

Da wir dann auch noch wissen, dass diejenigen, die schon aus dieser Warteschleife kommen, im nächsten Ausbildungsjahr auch nur geringe Chancen haben, in einen Ausbildungsplatz, in einen Ausbildungsvertrag zu kommen, dann kann man sich das Elend und die Hoffnungslosigkeit vorstellen, mit der junge Menschen konfrontiert werden, wenn wir nicht genug Ausbildungsplätze haben.

Deswegen ist das erste Ziel, genügend Ausbildungsplätze zu schaffen, meine Damen und Herren. Da ist jetzt die Frage, wie wir das machen. Ich glaube, da haben wir einige verschiedene Wege.

Damit sie nicht zu lange auf die Ausbildungsplatzumlage warten müssen, will ich das direkt ansprechen. Die SPD im Bund, zumindest der designierte Vorsitzende, Herr Müntefering, hat angekündigt, dass mit den GRÜNEN zusammen im Bund die Ausbildungsplatzumlage, das Gesetz, innerhalb der nächsten Wochen, sogar innerhalb der nächsten zwei Wochen auf den Weg gebracht und formuliert wird und dann verabschiedet werden kann.

(Zuruf des Abg. Weiner, CDU)

Ich sage dann, es ist nicht unser Wunsch, diese Ausbildungsplatzumlage umzusetzen. Es ist auch nicht unser Wunsch, Unternehmen zu quälen. Nein, im Gegenteil, es wäre unser Wunsch, genügend Ausbildungsplätze zu haben, die Unternehmen würden diese Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen und wir könnten diese Unternehmen unterstützen, indem wir die berufsbildenden Schulen verbessern. Das wäre unser Wunsch und der richtige Weg.

Im Moment haben wir nicht das Angebot an Ausbildungsplätzen. Ich schimpfe nicht auf die Unternehmen, aber die Unternehmen haben die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, genügend Ausbildungsplätze in der Bundesrepublik zur Verfügung zu stellen. Das ist der gesellschaftliche Vertrag.

Das ist der gesellschaftliche Konsens, dass die Berufsausbildung nicht innerhalb der Schulen gemacht wird, sondern die Unternehmen sich daran beteiligen und die Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen.

Wir können – ich glaube, das ist für uns alle wichtig, das festzuhalten – und dürfen nicht das duale Ausbildungssystem infrage stellen. Wir halten das duale Ausbildungssystem für ein gutes System, aber es muss auch dazu führen, dass alle, die eine Ausbildung wollen und dazu fähig sind, einen Ausbildungsplatz erhalten. Das ist eben nicht ges ichert.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen ist ein Weg – das ist nach langer Diskussion der Weg, zu dem wir uns durchgerungen haben und zu dem sich auch die SPD auf Bundesebene durchgerungen hat –, eine Ausbildungsplatzumlage einzuführen, nämlich eine finanzielle Belohnung für diejenigen, die ausbilden wollen, es aber vielleicht aus ihrer finanziellen Situation heraus im Moment nicht können, und diejenigen, vor allem die Industrie, die immer weniger ausbildet, die nicht ausbilden wollen, später aber dann die Fachkräfte bei denen abkauft, die ausgebildet haben, für die Ausbildung auch finanziell geradestehen. Meine Damen und Herren, das ist uns wichtig.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist uns wichtig, dass nicht die Kleinen qualifizierte Menschen gut und hoch qualifiziert ausbilden, die Großen diese qualifizierten Menschen übernehmen und die Kleinen in die Röhre schauen und sagen: „Wo bleibt unser gut ausgebildeter Azubi vom letzten Jahr? Der ist nun in die Großindustrie abgewandert. Wir sind doch als Kleinbetrieb nicht dafür verantwortlich, dass dann die Ausbildungsrate sinkt, sondern die Großen sollen selbst ausbilden.“ Dahin zielt die Ausbildungsplatzumlage, meine Damen und Herren.

Mit Geld allein kann man das bestimmt nicht machen. Man braucht Motivation und die entsprechenden Gespräche, die an den runden und ovalen Tischen stattfinden. Was man aber nicht braucht und was kontraproduktiv ist, glaube ich, dass man so tut, als wären die Ausbildungsplatzsuchenden, die keinen Ausbildungsplatz finden, auch noch selbst an ihrer Misere schuld.

Ich zitiere aus der Pressemitteilung der FDP-Fraktion vom 6. Februar. Da steht so schön darunter „Direkt Soziales“. „SPD und FDP bringen gemeinsam einen Antrag zur Ausbildungsplatzsituation in Rheinland-Pfalz ein“.

Zitat Dr. Schmitz: „Wir sollten auch dahin gehend tätig werden, dass Absenkung und Wegfall von Leistungen für Erwerbsfähige, die eine zumutbare Arbeit nicht annehmen, entsprechend auf Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz antreten wollen, Anwendung finden.“

(Dr. Schmitz, FDP: Wollen! Sagen Sie es noch einmal: Wollen!)

Ja, wollen.

Herr Dr. Schmitz, jetzt haben wir mehrere tausende – 6.000 bis 8.000 ist die Schätzung – Jugendliche, die gern einen Ausbildungsplatz wollen. Die sind in den Schulen, in den Warteschleifen. Die stehen direkt auf der Straße.

Sie wollen einen Ausbildungsplatz. Es gibt keinen Ausbildungsplatz für diese 6.000 bis 8.000 Jugendlichen, und Sie haben nichts Besseres zu tun, als zu sagen, man müsse die Sozialleistungen für diejenigen noch weiter absenken, die am Schluss keinerlei Chancen haben.

(Creutzmann, FDP: Das ist doch falsch!)

Das kann nur die FDP, meine Damen und Herren. Ich verstehe nicht, warum sich die SPD das gefallen lässt.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir brauchen – das haben wir des Öfteren betont – nicht nur vermehrt Lehrkräfte, sondern wir brauchen in den Berufsschulen und am Ausbildungsmarkt natürlich auch eine zukunftsgerichtete Ausbildungsperspektive. Der Ausbildungsmarkt ist nicht so selbst gestrickt, dass er von sich aus auf das Jahr 2020 oder 2030 reagiert. Wir haben in der Enquete-Kommission immer wieder festgestellt, dass es andere und neue Berufsbilder für die Zukunft geben muss. Dies gilt nicht nur für den Gesundheits- und Sozialbereich, sondern auch für den technischen Bereich und für die EDV insgesamt.

Aber diese Berufsbilder entwickeln sich nicht so schnell. Wir wissen beispielsweise, dass zukünftig über 1 Million mehr Mädchen und Frauen in die Arbeitswelt strömen und drängen werden und dafür 1,5 Millionen oder 1,2 Millionen Arbeitsplätze für Männer wegfallen werden. Dies ist keine Sache, die automatisch in der Wirtschaft aufgegriffen wird, indem sie plötzlich mehr Ausbildungsplätze für Mädchen und Frauen bereitstellt, sondern man muss dafür werben, dass Mädchen und Frauen in diese Ausbildungsgänge hineingehen. Man muss auch etwas dafür tun, dass die zukunftsfähigen Berufe mehr gefördert werden. Ich glaube, es sollte ein Schwerpunkt in der Enquete-Kommission sein, jetzt schon daran zu denken und vorzubereiten, was in Zukunft gefragt ist.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich mich für die Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes bedanken. Es ist bestimmt keine leichte Sache, den Zwischenbericht zu erstellen, da darin alle Positionen noch einmal zusammengefasst werden. Es waren nicht wenige Positionen, und es ist sehr gut gelungen. Ich möchte mich auch für die Begleitung durch die Sachkundigen nicht nur aus dem Ministerium bedanken, sondern auch durch die Sachverständigen, die in der Enquete-Kommission mitarbeiten. Ich glaube, wir können auf diese Sachverständigen auch in Zukunft bauen.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich dem Dank meiner Vorredner anschließen, was die Mitarbeiter, die Sachverständigen und auch den Stil und den Umgang in der EnqueteKommission anbelangt. Ich möchte ebenfalls betonen, dass ich der Meinung bin, wir wären in der Lage gewesen, insbesondere mit der CDU in einem hohen Maß im Sinn eines gemeinsamen Antrags einen Konsens herzustellen. Die Abstände, die ich sehe, sind nicht unüber

brückbar gewesen. Nun gibt es zwei Anträge – sei es drum!

Meine Damen und Herren, ich möchte aber auch betonen, dass ich die Ausführungen meines Kollegen Dr. Braun für ein wenig pharisäerhaft halte, wenn er einerseits versucht, Konsens über alles zu gießen, aber andererseits genau derjenige ist, der mit seiner Position, die er euphemistisch als Ausbildungsplatzumlage bezeichnet – ich würde es eher Ausbildungsplatzzwangsabgabe nennen –, sich absolut außerhalb jeden Konsenses in Rheinland-Pfalz gestellt hat.

(Beifall der FDP und bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rheinland-Pfalz ist ein bisschen größer als dieses Parlament!)

In Rheinland-Pfalz. Frau Thomas, Sie sehen die Fraktion der SPD, der es in einigen Punkten nicht leicht gefallen ist, diesen pragmatischen Weg mitzugehen. Ich habe großen Respekt vor Ihnen, dass Sie das, was Herr Dr. Braun formuliert hat, in Ihrem Handeln zum Ausdruck gebracht haben: Es geht Ihnen ausschließlich um das Wohl der ausbildungswilligen Jugendlichen. Dies kommt in Ihrem pragmatischen Handeln zum Ausdruck, ganz anders als in Ihrem Handeln, das zwar alternativ ist, aber sich auch in dieser Phase wieder als Alternative in Rheinland-Pfalz außen vor stellt.

(Beifall der FDP und bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir sind uns einig darüber, dass die Diskussion in einem extrem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld stattfindet. Zumindest in diesem Punkt sind wir auf einer Linie. Bei einer Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts in 2003 von minus 0,1 ist füglich nicht zu erwarten, dass die Wirtschaft, die für Sie ein Spielball Ihrer dirigistischen Methoden ist, in der Lage ist, Ausbildungsplätze zusätzlich zu schaffen. Es spricht geradezu die Freude an der schlechten Nachricht aus Ihren Präsentationen, wenn Sie uns immer wieder glauben machen wollen, dass in Rheinland-Pfalz die Welt in dem Maß nicht in Ordnung ist, wie Sie es beschreiben.