Protocol of the Session on January 21, 2004

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Ich komme jetzt zu den Niedriglohngruppen. Ich habe gestern noch Herrn Rogowski auf ntv gesehen.

(Licht, CDU: Wer so argumentiert, wird sich nie ändern! Dann fangen wir überhaupt nicht an zu diskutieren!)

Ich würde gern einmal von Ihnen ein Argument hören, das dafür spricht, dass man dem Arbeitnehmer die Sozialbeiträge des Arbeitgebers überträgt, um sie dann zu versteuern. Worin liegt da ein Vorteil für den Arbeitnehmer? Das werden Sie einmal erklären müssen!

(Beifall der SPD)

Bei der Diskussion nehmen wir uns einmal die Niedriglohngruppen vor. Liebes Parlament, sitzt hier einer, der überhaupt weiß, wovon gesprochen wird, der es schon einmal gemacht hat, der es machen musste, um Frau und Kinder durchzubringen? Niedriglohngruppen! Das habe ich gern. Ausgerechnet wir und diejenigen, denen es besser geht, gehen hin und schreiben den andern vor, sie sollen doch einmal mit 1.200 Euro im Monat zufrieden sein.

(Bracht, CDU: Wollen Sie nicht einmal etwas zum Haushalt sagen?)

Dann tun wir ihnen noch etwas als Transfer vom Staat dazu. Meine Damen und Herren, das ist keine Sozialpolitik, sondern das ist Leute in die Armut und ins Verderben zu schicken. Genau das ist es.

(Beifall der SPD – Jullien, CDU: Das ist doch Unsinn!)

Herr Esser muss heute vor Gericht beschreiben, warum er 30 Millionen Abfindung bekommt. In dieser Republik wird das künftig alles wieder ausgesprochen werden, damit das klar ist. (Beifall der SPD – Licht, CDU: Wer regiert denn? – Dr. Weiland, CDU: Wer regiert in dem Land eigentlich? Wer macht den Murks eigentlich?)

Wir werden denen empfehlen, die in diesem Land die Tarifverträge machen: Macht keine Niedriglohngruppen. Damit habt ihr folgendes Problem: Ihr habt immer künftig den Neuen, der in den Betrieb kommt, in der Niedriglohngruppe. Das wollen wir nicht.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es sind zu wenig Leute in diesem Parlament, die das Leben eines Gesellen kennen, um zu wissen, wovon gesprochen wird.

(Beifall bei SPD und FDP)

Also zurück zum – – –

(Bracht, CDU: Kommen Sie jetzt zum Haushalt!)

Ja. Das ist auch Haushalt. Wissen Sie auch, warum? Das wusste ich. Irgendwann würde er dann an der Tür kratzen.

Meine Damen und Herren, Herr Merz bedeutet nach CSU-Vorstellung 24 Milliarden Euro weniger Einnahmen. Herr Merz glaubt, es wären nur 15 Milliarden Euro. Aber warum sollte Edmund Stoiber nicht einmal Recht haben?

Meine Damen und Herren, nehmen wir also 24 Milliarden Euro. 24 Milliarden Euro mal 50 % heißt 12 Milliarden Euro. Das heißt, Rheinland-Pfalz wird 600 Millionen Euro bei einer Merz‘schen Steuerreform weniger haben. Jetzt noch 600 Millionen Euro weniger von dem, was wir haben!

Meine Damen und Herren, das ist eine irreale Vorstellung, wie dann noch ein Haushalt einigermaßen verfassungsgemäß sein kann. Unsere Vorstellung ist es nicht.

(Beifall der SPD)

Man muss nicht immer nur „Die Zeit“ oder vielleicht die „Süddeutsche Zeitung“ gelesen haben. Meine Heimatzeitung hat am 19. Januar zu Merz geschrieben: „Das Bierdeckelmodell von Merz nimmt seine Einfachheit vor allem daraus, dass es die Möglichkeiten eines Arbeitnehmers, seine Aufwendungen geltend zu machen, weitgehend streicht, während sich für Freiberufler und Selbstständige nicht viel ändert.“

Meine Damen und Herren, da hat die „Rhein-Zeitung“ vollkommen Recht. Das muss einfach in diesem Parlament angesprochen werden. Wenn man es öffentlich machen kann, muss auch angesprochen werden, dass die CDU in Leipzig beschlossen hat, die Gewerbesteuer abzuschaffen und einen Aufschlag auf die Einkommensteuer zu erheben. Zuerst zahlen wir mehr für die Arbeitgeberbeiträge, die wir für die Sozialversicherung bekommen, und dann zahlen wir noch mehr auf die Einkommensteuer, weil es keine Gewerbesteuer mehr gibt. Das alles ist eine Entlastung. Aber selbstverständlich! Null und null gibt dann 1, oder so ähnlich muss die Rechnung sein.

Meine Damen und Herren, das weiß keiner in dieser Republik. Es wird nicht diskutiert. Wenn über die Not der Kommunen gesprochen wird, dann schauen wir einmal zurück in den Dezember. Was war denn im Deutschen Bundesrat, als es um die Frage der entscheidenden Kürzung von Subventionen ging, um den Kommunen mehr Luft zu verschaffen? Wo waren denn all die wortgewaltigen rheinland-pfälzischen Landespolitiker? Wenn

Sie den Finanzminister gelobt haben, meine Damen und Herren,

(Bischel, CDU: Ein Versehen!)

haben sie ihn zu Recht gelobt. Aber wenn Sie seinen Bericht aus dem Vermittlungsausschuss hören würden, dann würden Ihnen die Haare – soweit sie vorhanden sind – zu Berge stehen, weil natürlich vieles von dem, was an Wortgeklingel gewesen ist, am Ende nicht eingelöst worden ist. Wir haben zwar Verbesserungen – darauf werde ich kommen –, aber ich sage Ihnen voraus, diese 600 Millionen Euro aus dem Merz‘schen Konzept sind für dieses Land nicht tragbar, es sei denn, um den Preis, dass wir endlich sagen, was wir nicht mehr machen wollen.

Lieber Herr Innenminister, Polizei werden wir machen müssen, weil es eindeutig hoheitlich ist. Universitäten wollen wir auch machen, weil wir der Meinung sind, dass wir ein Bildungsangebot machen müssen. Aber dann fangen wir schon an zu diskutieren: 600 Millionen weniger!

Meine Damen und Herren, damit das Erschrecken bei Ihnen auch wirklich durchgreifend einsetzt, das ist nur der Anfang. Wenn wir das Konzept von Herrn Herzog umsetzen, müssen wir noch einmal 25 bis 27 Milliarden Euro aus der Staatskasse finanzieren. Das wird dann Bundeskasse sein. Aber wenn die Bundeskasse um diesen Betrag entsprechend belastet wird, wird sie wohl kaum in der Lage sein, andere Aufgaben entsprechend zu finanzieren. Das heißt, Sie sehen – – – Ach, da hätte ich fast die Kindergeldzuschläge der CDU vom Bundesparteitag von 17 Milliarden Euro vergessen.

Meine Damen und Herren, das ist ein großes Versehen. Wer trägt das alles? – Die normale Frau und der normale Mann auf der Straße. Das ist das Konzept, das dahintersteht. Zwischen diesen Mühlsteinen sitzt dieses Land Rheinland-Pfalz mit Mindereinnahmen und mit den Schwierigkeiten, dann die Aufgaben des Landes zu verändern.

Aber oh das, in der letzten Woche plötzlich eine neue Meldung. Herr März versucht, die Kurve zu kriegen und sagt, das würde ganz anders gemacht werden. Es käme zum jetzigen Zeitpunkt ohnehin nicht infrage, noch eine schnelle Nettoentlastung zu machen. Frau Merkel macht es wie immer. Zuerst ist sie ganz nachdenklich, dann etwas zurückhaltend, dann denkt sie noch einmal nach, und dann hat sie diese Meinung und jene Meinung. Zurzeit ist Frau Merkel der Meinung, dass sowohl eine Vereinfachung als auch eine Nettoentlastung kommen wird. Wir können aber sicher sein, dass das nächste Woche wieder anders ist.

Einer hält Kurs: Herr Böhr. – Herr Böhr hält Kurs und sagt, es gibt keinen Grund, von den Einsichten über die Notwendigkeit einer großen Steuerreform, die noch vor Weihnachten vorhanden waren, abzurücken.

(Böhr, CDU: Ja!)

Wieder meine Heimatzeitung am 19. Januar.

Meine Damen und Herren, das hat mit dem Landeshaushalt zu tun. Das heißt erstens, die 600 Millionen Euro von eben werden dann eintreffen. Zweitens werden die „Herzog“-Milliarden eintreffen. Drittens werden Eure Kindergeldzuschläge in Milliardenhöhe eintreffen. Das soll nichts mit Rheinland-Pfalz und seinen Finanzen zu tun haben?

Meine Damen und Herren, da haben Sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

(Beifall der SPD)

Meine Damen und Herren, eines geht nie mehr zusammen. Wir können nicht weniger Steuern einnehmen und vergleichbare oder gleiche oder mehr Staatsleistungen finanzieren. Wer das erzählt, macht den Leuten etwas vor. Deshalb ist der Zusammenhang zwischen staatlichen Leistungen und ihrer Finanzierung auf die Dauer nicht mehr aus der Diskussion herauszubringen. Es muss klar sein, wer ehrlich ist, kann nur hingehen und Nettoentlastungen versprechen, wenn er zur gleichen Zeit sagt, wo der Staat künftig welche Aufgaben nicht mehr wahrnimmt.

(Beifall der SPD)

Wenn ich die Diskussion in der Bundesrepublik und in diesem Land betrachte, dann heißt es, Forschung und Innovation sollen gestärkt werden, und es muss mehr getan werden. Aber mit welchem Geld? Werner Kuhn, mit welchem Geld?

(Vereinzelt Heiterkeit bei der SPD)

Sprachen, Bahnen, ÖPNV sollen ausgebaut werden. Mit welchem Geld? Wer muss etwas abgeben? Schulen sollen gebaut werden. Krankenhäuser sollen saniert werden. Mit welchem Geld? Ihr spart das also, indem Ihr Nettoentlastung zurückgebt.

Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen nur eines: Es wird so nicht weitergehen können. Wir brauchen dafür konkrete Vorschläge. – Herr Böhr sieht das übrigens sehr prinzipiell. Der Staat muss dem Bürger Geld zurückgeben und seine eigenen Aufgaben beschränken. Eben hat er uns als diejenigen beschrieben, die ganz unverantwortungsbereit sind in Fragen von Verschuldung und zur gleichen Zeit für Bildung und Universitäten nichts tun. Nur, damit das klar ist, der Satz heißt: Der Staat muss den Bürgern Geld zurückgeben und seine eigenen Aufgaben beschränken. – Nun wollen wir einmal schauen, wo der Kollege Böhr konkrete Vorschläge macht? Okay, in der Rede von eben haben Sie keine konkreten Vorschläge gemacht, nun wirklich gar keinen. Das war auch nicht überraschend. Das ist auch viel schwieriger, als hier etwas anderes zu erzählen.

Aber wir machen gern auch einmal ein Späßchen, meine Damen und Herren. Wir haben einmal die Internetseiten der CDU überprüft. Da gibt es so praktische Suchmaschinen. Wir haben dort das Wort „fordert“ eingegeben. Da finden Sie seit dem 25. März 2003 213 Artikel mit dem Begriff „fordert“. Aber wir sind fair. Wir haben auch das Wort „sparen“ eingegeben. Aber sicher, meine Damen und Herren. Da haben sie auch 34 Artikel. Das

zeigt ganz eindeutig die eindeutige Balance in ihren politischen Äußerungen zwischen Fordern und Sparen. Das kann nur eindeutig sein.

(Beifall der SPD und vereinzelt bei der FDP – Jullien CDU: Geben Sie einmal „umschichten“ ein!)

Ich finde, eigentlich sind Sie ziemlich cool angesichts dieser Vorwürfe; denn das ist fast das Zehnfache, wo Sie etwas fordern und wo Sie etwas vom Sparen sagen. Eigentlich ist das ziemlich cool.

(Beifall bei der SPD – Jullien, CDU: Sagen Sie einmal etwas zu den Beträgen! – Weitere Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, die Ansprüche an den Staat steigen, und die Bereitschaft der Gesellschaft, hierfür die erforderlichen Mittel bereitzustellen, nimmt ab.

Meine Damen und Herren, zwischen 1995 und 2000 sind die Ausgaben für Bildung am Bruttoinlandsprodukt von 5,8 % auf 5,3 % zurückgegangen. Für dieses Ergebnis hat uns die Gesellschaft zu Recht verhauen. Die Frage ist, ob wir begreifen. Je höher das Einkommen und die gesellschaftliche Stellung eines Menschen, desto weniger braucht er wohl die Gemeinschaft zur Durchsetzung und Gewährleistung seiner eigenen individuellen Freiheitsrechte, sagt Professor Voigt von der Universität der Bundeswehr in München.