Protocol of the Session on January 21, 2004

(Mertes, SPD: Gute Gründe!)

aber das Problem nicht löst und Sie nicht aus der Verantwortung entlässt. Dies wird zwar durch sonstige Erstattungsleistungen des Landes etwas kompensiert, aber es bleibt im Vergleich zu anderen Bundesländern ein Rückstand von mehr als 10 %. Diese 10 % können unsere Städte und Gemeinden in Rheinland-Pfalz nicht wegstecken. Es geht nicht, dass sie einfach zur Tagesordnung übergehen und das verkraften.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist die Lage in unserem Land, und zwar jenseits aller Feierlaune bei Festivals und Festspielen, wie sie jetzt für unser Land als neue große Festspiele geplant sind. Ich will mich nicht dagegen aussprechen.

Die Feierlaune, die wir alle bei Festivals und Festspielen erleben, spiegelt nicht die wirkliche Stimmung in uns erem Land jenseits der gemeinsamen Auftritte von Spitzenpolitikern mit Starköchen und Spitzensportlern – das ist alles schön und gut –, der höflichen Begrüßungsworte, die jeder Landrat und jeder Oberbürgermeister, gleich welcher Partei er angehört, spricht, wenn ihn ein Mitglied der Landesregierung vor Ort besucht, der eindringlichen regierungsamtlichen Beschwichtigungen und der präsidenziellen Ermahnungen zu Zuversicht und Frohsinn wider.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, hinter dieser schönen Fassade gibt es immer mehr Menschen, die im alltäglichen Kampf mit immer größer werdenden Schwierigkeiten den Mut verlieren.

Ich traf am vergangenen Freitag einen Handwerksmeister, der 79 Jahre alt ist. Er ist heute noch gemeinsam mit seinen beiden Söhnen in seinem Betrieb. Dieser

Mann erzählte mir, dass er in fünf Jahrzehnten 400 junge Leute ausgebildet hat. So sehr das Beifall verdient, müsste nachdenklich machen, was er mir am Ende eines langen Gesprächs sagte. Er sagte mit seinen beiden Söhnen zusammen: Ich fürchte, wir schaffen es nicht mehr. Wir kommen in diesem Jahr nicht mehr über die Runden.

Der Lehrer fühlt, dass er seinen Elan verliert, weil seine Arbeit keine Anerkennung findet. Ein Polizeibeamter hat mir kürzlich erzählt, dass der Altersdurchschnitt in seiner Schicht 54 Jahre beträgt. Vor fünf oder sechs Jahren haben wir diese noch mit 52 Jahren in den Ruhestand geschickt. Er hat mir auch gesagt, dass weder er noch seine Kollegen weniger als 200 Überstunden vor sich herschieben und er keine Lust mehr an seinem Beruf hat. Ein Gewerkschafter ist nach einem harmlosen Leserbrief allen beruflichen und disziplinarischen Schikanen dieser Landesregierung ausgesetzt. Ein Professor, der gern in Rheinland-Pfalz bleiben möchte, ist unter den gegebenen Bedingungen von Forschung und Lehre gezwungen, einen Ruf an einer anderen Universität anzunehmen, weil er gar nicht anders kann.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Sie sagen „Oh“. Das sind alles Menschen, die nicht die Schlagzeilen bestimmen. Es sind aber Menschen, die sich von dieser Landesregierung allein gelassen fühlen und Missstände beklagen, die nicht in Europa, nicht weltweit und nicht im Bund zu suchen sind. Die Missstände, die diese Menschen, die ich genannt habe, beklagen, sind alles Missstände, die Sie in Ihrer landespolitischen Verantwortung abstellen könnten. Das ist der Punkt.

(Beifall der CDU)

Das letzte Mal sprach ich von dem Unternehmer der Spielwarenhandels GmbH ROFU Kinderland, der die Nase voll hat. Sie kennen die Geschichte mit den zwei Hasen und dem geistreichen Einwurf von der Regierungsbank zu diesem Thema. Er hat ein bisschen die Schlagzeilen bestimmt, und zwar anders als die Menschen, die ich bereits nannte. Er schreibt mir und vielen anderen auch: Ich habe die Nase voll von den Schikanen und den schwachsinnigen Bürokratieentscheidungen. – Es geht immer noch um die Hasen und weitere inzwischen 26 vergleichbare Fälle. Es geht um die Frage, ob es ein Frühlingshase oder ein Osterhase ist.

(Ministerpräsident Beck: Ei, ei, ei, ei, ei!)

Der Ministerpräsident sagt „ei, ei, ei, ei, ei“. Das ist klar.

Verehrter Herr Ministerpräsident, die Folge ist, dass Sie in Ihrer Arbeitsmarktstatistik in wenigen Monaten 70 bis 80 Vollzeitarbeitsplätze ausbuchen können; denn dieser Mann hat entschieden, dass er sich nicht weiter schikanieren lassen möchte. Er will sich mehr um seinen Betrieb, weniger um Bürokratieblödsinn kümmern und für mehr Wachstum in seinem Betrieb sorgen. Deswegen hat er die Entscheidung getroffen – er schreibt: Ich sehe hierin für mich den einzig noch verbleibenden Weg, mich wieder um meinen Betrieb kümmern zu können –, die

Importabteilung seines Unternehmens komplett auszulagern und von einem Fremdbetrieb in den Niederlanden abwickeln zu lassen.

Das ist nicht der Bund. Das ist nicht irgendeine Verordnung aus Brüssel. Das ist nicht irgendeine Problematik, die man auf den Irak-Konflikt und weltweite Probleme zurückführen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist rheinland-pfälzische Landespolitik pur.

(Beifall der CDU)

Ich weiß, dass sich die Landesregierung um die Probleme gekümmert hat. Darüber hat der Mann fair berichtet. Dieses Kümmern hat aber nicht dazu geführt, dass der Mann mit seinen Schwierigkeiten zurechtkam. So gern diese Landesregierung von sich behauptet, dass die Kümmernisse der Menschen in solchen Fällen bei ihr in guten Händen liegen, schaut sie dann betreten zur Seite.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß, was jetzt kommen wird. Wir alle hören das bei vielfältigen Gelegenheiten. Es wird gleich gesagt werden: Es ist alles halb so schlimm. Die Probleme sind groß, aber lösbar. – Ich füge hinzu: Auch nach meiner Ansicht sind die Probleme groß, aber lösbar. Dann wird gesagt werden: Wir brauchen mehr Zuversicht und Optimismus. – Auch ich sage, wir brauchen mehr Zuversicht und mehr Optimismus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Zuversicht kann man nur haben, wenn man darauf vertrauen kann, dass man es mit einer Regierung zu tun hat, die sich irgendwann endlich einmal aufrafft, eine einzige Entscheidung zu treffen und nicht den Gang der Dinge sich selbst überlässt.

(Beifall der CDU)

Dieses Vertrauen schmilzt. Ich denke, es schmilzt auch in Rheinland-Pfalz.

Unsere Verschuldung hat eine Schwindel erregende Höhe erreicht. Das waren nur staatliche Kernaufgaben, von denen ich sprach. Ich will das noch einmal ausdrücklich festhalten. Dazu gehören die Sicherheit, die Polizei, die Bildung, die Ausbildung, die Hochschulen und die Kommunen. Man kann und muss es immer wieder sagen: Es gibt einen Verfassungsauftrag an die Landesregierung, für die Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen. Das ist kein Werk der Barmherzigkeit. – Diese staatlichen Kernaufgaben werden auf eine sträfliche Weise vernachlässigt. Deswegen hätte die Landesregierung vor allem diese eine Aufgabe, durch Strukturveränderungen mittelfristig wieder Handlungsspielräume zurückzugewinnen.

Ich weiß, dass Sie diese Aufgabe nicht annehmen und nicht als die Ihre erkennen, geschweige denn gewillt sind, diese Aufgabe anzugehen. Stattdessen wird wieder eine Scheindebatte vom Zaun gebrochen. Wir reden über die Gebietsreform.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage ganz offen meine Meinung. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden wir in zwei, drei oder vier Jahren – ich bin kein Hellseher – auch eine Gebietsreform im Land Rheinland-Pfalz diskutieren und auch entscheiden müssen, aber doch nicht, indem wir den zweiten Schritt vor dem ersten tun. Wer jetzt sagt, wir müssen eine Gebietsreform diskutieren, weiß, dass er eine Scheindebatte lostritt.

(Beifall der CDU)

Das kann übrigens nur jemand tun, der in der Breite kommunalpolitisch verankert ist, wie andere Parteien auch, und der den Rücken völlig frei hat, darüber zu diskutieren, ob wir vielleicht in Zukunft Verbandsgemeinden mit 40.000 oder 400.000 Einwohner bilden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, man kann das alles tun, aber doch bitte nicht, ohne den ersten Schritt getan zu haben. Der erste Schritt muss doch sein, dass wir endlich dazu kommen, eine Neubestimmung des Aufgabenzuschnitts vorzunehmen.

Ich weiß doch nicht, ob die Verbandsgemeinde in zehn Jahren eine sinnvolle oder eine sinnlose Einrichtung ist. Ich weiß es doch erst, wenn ich vorher festgelegt habe, ob und gegebenenfalls welche Aufgaben die Verbandsgemeinde erledigt.

(Beifall der CDU)

Wenn ich sage, wir machen alles oben auf der Ebene des Landes, und dann gibt es im Übrigen noch die Kreise und die Städte, und das war es, dann brauchen wir auch aus kosmetischen Gründen keine Verbandsgemeinden mehr.

Wenn ich aber andersherum sage, wir machen oben auf Landesebene weniger, und die Städte, die Gemeinden und eben auch die Verbandsgemeinden und vielleicht sogar die Ortsgemeinden machen in Zukunft mehr als heute, dann muss ich doch mit dem Klammerbeutel gepudert sein, im gleichen Atemzug zu sagen, aber die Verbandsgemeinden lösen wir dann auf.

Also muss ich den ersten Schritt vor dem zweiten Schritt machen. Deswegen ist der erste Schritt und kann der erste Schritt nur sein, die Frage zu beantworten, wer in Zukunft für was zuständig sein soll, welche Aufgaben verlagert werden können, welche Ebene abschließend entscheiden soll. Diese Fragen müssen geklärt werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur habe ich nicht mehr die Hoffnung, dass die Landesregierung einen maßgeblichen Beitrag dazu leistet, diese Fragen zu klären. Wissen Sie, wer beim Standardanpassungsgesetz so kläglich scheitert wie diese Landesregierung, der erweckt nicht den Eindruck, dass er bei anderen anstehenden Fragen irgendeine maßgebliche Entscheidung trifft.

(Beifall der CDU)

Das war für mich wirklich eine Lehre, dieser Eiertanz, der vollführt wurde, nach dem Motto: Mehr können wir

nicht, alles andere geht sozusagen in eine unkalkulierbare Situation. – Es wird uns dann weiße Salbe angeboten, lassen Sie das mit dem Gesetz, wenn Sie es so am Ende nicht wollen, so wie Sie es jetzt vorhaben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der tiefere Grund ist natürlich, dass viele, die in dieser Regierung Verantwortung tragen, zutiefst davon beseelt sind, dass niemand in den Städten und Gemeinden es annähernd genauso gut machen kann, wie es in Mainz gemacht wird. Das ist ein Irrtum, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das Gegenteil ist wahr.

(Beifall der CDU)

Ich will nicht noch einmal über Baden-Württemberg reden, nur wenn ich aus Reihen der Landesregierung höre, also eine Replik auf mich, Baden-Württemberg mit der Vorgabe, bis zum Jahre 2011 20 % der Verwaltungskosten zu senken, wenn ich dann als Kritik der Landesregierung an diesem Vorschlag höre, dieser gehe zulasten der Polizei, da lachen aber die Hühner in Rheinland-Pfalz, bei der Lage der Polizei, von der ich vorhin gesprochen habe, ausgerechnet mit diesem Argument jetzt die Verwaltungsmodernisierung in BadenWürttemberg zu kritisieren, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Die haben Sie doch gar nicht gebraucht, um die Polizei in Rheinland-Pfalz gegen die Wand zu fahren. Das haben Sie ohne Verwaltungsmodernisierung geschafft.

(Beifall der CDU)

Deswegen lassen Sie sich bitte etwas anderes einfallen.

Wenn ich als kleines Kind zu meiner Oma kam und über Bauchschmerzen klagte, habe ich einen Satz zu hören bekommen, der lautete: „Es kam von allein, und es geht von allein“. Medizinisch ist das nicht der Weisheit letzter Schluss, ehrlich gesagt. Die arme Frau ist auch relativ früh gestorben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Hoffnung hat sich diese Landesregierung eingerichtet. Es kam von allein, und es geht von allein. Die Verschuldung ist über uns hineingebrochen, und irgendwann kommt die gute Fee, dann haben wir drei Wünsche frei und dann ist die weg. Aber so wird das nicht funktionieren.

Es kam nicht von allein, und es geht nicht von allein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, deswegen ganz am Ende vier Punkte, von denen ich glaube – das ist sehr bescheiden für eine Opposition, wenn sie sich auf vier Punkte konzentriert –, dass sie wirklich das Unverzichtbarste vom Unverzichtbaren für die landespolitische Auseinandersetzung sind:

1. Wir müssen sparen. Wir müssen beginnen mit dem Sparen. Wir haben einen Vorschlag gemacht – das sage ich jetzt einmal etwas ungeschützt –, eine weitere Sparanstrengung von 102 Millionen Euro.

Ich behaupte, dass dieser Vorschlag durchaus ein bisschen auch auf der Linie der Landesregierung liegt; denn