Protocol of the Session on November 6, 2003

Ich danke Ihnen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schmitz.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als der Kollege Dr. Enders mit dem Terminus „Ausbeutung ärztlicher Arbeitskraft“ nicht zum ersten Mal aufwartete und auch noch die „Frankfurter Rundschau“ bemühte, hatte ich doch ärgste Bedenken.

(Zuruf des Abg. Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat dann einigermaßen die Kurve gekriegt.

Ich habe mich an die Schlagzeile in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ erinnert gefühlt, die die CSU als letzte europäische echte sozialdemokratische Partei eingestuft hat.

(Zuruf des Abg. Dr. Gölter, CDU)

In diesem Kontext hätte das dann gepasst. Wie gesagt, er hat die Kurve noch gekriegt.

(Mertes, SPD: Wie meinen Sie denn das?)

Nicht gekriegt hat er sie, wenn er sagt, die Landesregierung habe das Urteil des Europäischen Gerichtshofs negiert. Das ist schlicht falsch. Das wissen Sie, Herr Dr. Enders. Kollege Marz hat das auch ein bisschen angedeutet. Das ist schlicht falsch.

Es war vollkommen richtig, die Pferde nicht scheu zu machen, bevor nicht eine letztendliche Entscheidung gefällt ist. Das, was man im Vorfeld machen konnte, hat die Konferenz der Arbeits- und Sozialminister bereits im November 2001 in Potsdam detailliert zu Papier gebracht, wenn ich mich recht erinnere. Das entspricht in etwa dem, was Sie heute gefordert haben.

Darüber hinaus hat die Gewerbeaufsicht in mehreren Aktionen festgestellt, wie es um die Arbeitszeitregelungen steht. Sie wissen, dass es keine legislativen Defizite gab, sondern Dokumentationsdefizite, die bemängelt wurden. All das wissen Sie sehr genau, Herr Kollege Enders. Versuchen Sie nicht, jetzt einen Konflikt zu schüren, den es in Wirklichkeit nicht gegeben hat.

Zurück zur Sache. Wir wissen nach diesen höchstrichterlichen Entscheidungen sehr genau, was wir nicht dürfen. Wir wissen, dass Bereitschaftsdienste im vollen Umfang Arbeitszeiten sind.

So weit, so gut.

Manche Wortbeiträge in der Vergangenheit – wir reden nun zum zehnten oder zwölften Mal über dieses Thema – haben den Eindruck erweckt, nun beginne die schöne neue Zeit: 15.000 neue Ärzte kommen in die Kliniken, und irgendwo kommt das Geld schon her. – Die Antworten darauf, woher es kommen soll und welche Ärzte es sein sollen, sind bisher noch nicht gegeben worden. Vor 14 Tagen war ein Chefarzt aus einem Krankenhaus bei uns und hat in einem anderen Zusammenhang Klage darüber geführt und sich über seine polnischen chirurgischen Ärzte beschwert, die nicht Deutsch sprechen können. Dies sind Realitäten, mit denen wir heute schon leben müssen.

Herr Kollege Marz, ich gebe Ihnen Recht, dieser ärztliche Nachwuchs ist neben der Qualität der Behandlung der zentrale Parameter. Aber die Attraktivität dieses Berufsstands ist eben nicht nur von den Arbeitszeiten abhängig, sondern auch von den Entlohnungen. Da beißt sich Ihre Katze in den Schwanz.

(Marz, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ich habe keine!)

Wir haben diese Ärztereserve nicht, von der gesprochen wird, und wir werden sie absehbar auch nicht bekommen, wenn wir uns weiter ausschließlich auf solche Urteile stützen, die ganz Europa kodifizieren wollen und ganz Europa mit ihren juristischen Vorstellungen überziehen wollen. Ich respektiere das Urteil, aber ich teile nicht den Geist, der hinter diesem Urteil steht. Ich bin überzeugt davon, dass es gerade im ärztlichen Bereich sehr viel um die individuelle Situation und die individuelle Qualität des behandelnden Arztes und um die Organis ation des jeweiligen Krankenhauses geht. Ich bin überzeugt davon, dass Richtlinien, wie sie derzeit in Europa gegeben sind, so flexibel wie möglich sein müssen, damit die Häuser vor Ort Entscheidungsspielräume haben, um ihrer Situation gerecht zu werden.

Meine Damen und Herren, dies ist insbesondere deshalb erforderlich, weil wir den Krankenhäusern zurzeit sehr viel mehr zumuten als veränderte Arbeitszeitregelungen. Wir muten ihnen tatsächlich eine kleine Revolution zu. Wir muten ihnen zu, innerhalb kürzester Zeit viele Innovationen gleichzeitig zu verarbeiten. Sie müssen lernen, mit den DRGs umzugehen. Sie müssen lernen, in manchen Bereichen ambulante Tätigkeiten aufzubauen. Sie stöhnen unter den verordneten Nullrunden. Dann sind die 200 Millionen Euro pro Jahr sehr erfreulich, aber sie decken nicht einmal das ab, was über die Nullrunden abgeschöpft wird. Sie haben zukünftig mit einem neuen Landeskrankenhausplan umzugehen, der sie vor große Herausforderungen stellt.

Dies ist die zentrale Frage, die wir zu lösen haben: Wie schaffen es die Krankenhäuser, mit dieser Fülle an neuen Herausforderungen umzugehen? – Die Landesregierung ist dabei auf einem goldrichtigen Weg, indem sie den Krankenhäusern Organisationshilfen gibt, indem sie den Krankenhäusern das Angebot macht, diese schwierigen Fragen gemeinsam zu lösen, indem man auf die Krankenhäuser, auf Organisationen sowie auf Knowhow zurückgreift, die schon seit vielen Jahren auf diesem Weg erfolgreich sind. Die Fachleute kennen das Modell in Ingolstadt, und sie kennen auch das Modell PANDA in Hamburg. Daran sieht man, wie es funktioniert.

Meine Damen und Herren, ich möchte ein Wort zu der Antrag stellenden Fraktion sagen. Wir kommen beim nächsten Tagesordnungspunkt zu einem Bereich, wo wieder neue Wünsche vorgetragen werden, die neues Geld kosten. Die Landesregierung wird aufgefordert werden, neues Geld für neue Schlaflabore auszugeben, obwohl die alten nicht ausgelastet sind. Mir muss jemand erklären, wie dies zu dem passen soll, was der Kollege Dr. Enders heute vorgetragen hat. Das ist die

schöne neue Welt, die es nicht geben wird. Wir werden es nicht schaffen, mit dem Prinzip Leistungsausweitung, nach dem Motto „Wir haben etwas für euch, liebe Wähler“ die Krankenhäuser zu sanieren. Wir müssen vielmehr gemeinsam den anderen Weg beschreiten, indem wir das Behandlungsspektrum auf die medizinisch notwendigen, solidarisch zu tragenden Dinge einschränken, damit wir Freiraum für eine Entfesselung des Gesundheitssystems bekommen. In diesem Sinne bin ich gern bereit, mit allen Parteien zusammenzuarbeiten. Das gilt auch für unsere ganze Fraktion.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Für die Landesregierung hat Frau Staatsministerin Malu Dreyer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Die Arbeitszeit in Krankenhäusern ist für die Landesregierung schon seit vielen Jahren ein wichtiges Thema.

(Dr. Rosenbauer, CDU: Seit wie vielen Jahren?)

Dies wird nachweislich deutlich in unseren Schwerpunktaktionen der Gewerbeaufsicht. Die Berichte dieser Schwerpunktaktionen waren sehr klar und haben bestätigt, dass sich die Krankenhäuser in Rheinland-Pfalz, was das Thema „Arbeitszeit“ anbelangt, schon bewegt haben. Ich bin fest davon überzeugt, dass viele Krankenhäuser auf die Umsetzung des EuGH-Urteils vorbereitet sind.

Man kann der Landesregierung sicherlich nicht den Vorwurf machen, sie habe Zeit verspielt, auch wenn wir zurückhaltend waren, was die Bewertung bezüglich des Themas „Arbeitszeit“ betrifft. Aber ich glaube, wir haben wirklich alles getan, was man zu diesem Zeitpunkt überhaupt tun konnte. Wir haben intensiv beraten, und wir haben auf Bundesebene in den Gremien mitgewirkt, in denen Arbeitszeitmodelle entwickelt worden sind, die dem heutigen EuGH-Urteil entsprechen. Sie wissen das, und Sie haben die Unterlagen von uns erhalten. Wir haben Fachtagungen mit Krankenhäusern durchgeführt, um diese Modelle zu präsentieren und die Häuser zu sensibilisieren, dass Handlungsbedarf bestehen wird. Ich glaube, wir haben damit schon einen Weg gefunden, unsere Krankenhäuser auf dem Weg der Veränderungen konstruktiv zu begleiten.

Die Fakten sind klar. Ich kann sagen, ich bin sehr froh über dieses EuGH-Urteil, da damit Rechtsklarheit geschaffen wurde und wir nicht mehr über die Frage philosophieren müssen, wie dies in Deutschland gehandhabt wird. Die Fakten stehen fest. Man kann an dieser Stelle feststellen, dass die Umsetzung sehr schnell auf den

Weg gebracht worden ist. Fast einen Tag nach der Urteilsverkündung hat der Gesetzentwurf bereits im Bundestag vorgelegen. Der Gesetzentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes soll den Betroffenen nun erst recht Rechtssicherheit, aber auch die Spielräume geben, die sie brauchen, um praxisnah Arbeitszeitgestaltungen vornehmen zu können.

Im Moment ist dieses Gesetz im Bundesrat und demnächst im Vermittlungsausschuss. Herr Dr. Enders, ich möchte zu diesem Punkt meinerseits eine Stellungnahme abgeben. Nach meiner Überzeugung ist die Forderung einiger CDU-Länder an dieser Stelle doch überzogen. Sie fordern, dass alle Gestaltungsspielräume der europäischen Arbeitszeitrichtlinie ausgeschöpft werden sollen.

Ich will das erklären. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs darf aus meiner Sicht nicht zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der unterschiedlichen Branchen, die vom Arbeitszeitgesetz betroffen sind, führen. Die EG-Arbeitszeitrichtlinie würde eine höchs tzulässige tägliche Arbeitszeit von bis zu 12,15 Stunden in Deutschland in allen Branchen ermöglichen. Es ist aber nicht sachgerecht, den Acht- bzw. Zehnstundentag in Deutschland grundsätzlich infrage zu stellen, da dieser auf arbeitsmedizinischen Erkenntnissen basiert. Eine generelle Höchstarbeitszeit von zwölf Stunden, wie sie von den unionsgeführten Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen für alle Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gefordert wird, muss also schon wegen der Gefahren für bestimmte Branchen durch überlange Arbeitszeiten vermieden werden. Ich nenne ausdrücklich das Beispiel für den Straßenverkehr, das am heutigen Tag auch schon eine Rolle gespielt hat.

Mit diesen zwölf Stunden nach der EG-Richtlinie hängt auch eine generelle Aufzeichnungsverpflichtung aller Arbeitszeiten bis ins kleinste Detail für alle kleinen und mittleren Betriebe zusammen, was einen riesigen bürokratischen Aufwand bedeuten würde. Erwähnen möchte ich auch, dass die europäische Arbeitszeitrichtlinie keinen Sonn- und Feiertagsschutz kennt, der aber doch in jedem Fall beibehalten werden sollte. Ich glaube, dies ist einhellige Meinung von uns allen.

Im Übrigen wird nach meiner Überzeugung auch zu Unrecht an dem Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages kritisiert, dass die vorgesehenen Änderungen im Arbeitszeitgesetz allein auf tarifvertragliche Regelungen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit setzen. Die entsprechenden Ausnahmemöglichkeiten, die wir schon jetzt in Rheinland-Pfalz haben, beruhen gerade darauf, dass sie zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbart worden sind und die individuellen Verhältnisse in der jeweiligen Branche auch entsprechend berücksichtigt worden sind.

Bereits heute können zum Beispiel die meisten tarifgebundenen Krankenhäuser nach tariflichen Regelungen in Rheinland-Pfalz die Zwölf-Stunden-Schichten bei einem bestimmten Anteil von Arbeitsbereitschaft, zum Beispiel am Wochenende, fahren. Es ist wichtig, noch einmal zu betonen, dass in Rheinland-Pfalz fast alle Krankenhäuser tarifgebunden sind bzw. die kirchlichen

Krankenhäuser eigene Vereinbarungen mit ihrer Arbeitnehmerschaft in diesem Sinne haben.

Ich bin sehr optimistisch, dass die Partner flexible Regelungen über das vorgelegte Arbeitszeitgesetz hinaus finden und diese auch wirklich der Situation angemessen sind.

Fest steht, die Krankenhäuser müssen in jedem Fall verstärkt auf Effizienz setzen. Vor diese Herausforderungen sind sie jetzt schon seit einigen Jahren gestellt. Das hat insbesondere damit zu tun, dass sie auf das Fallpauschalensystem umstellen. Ich glaube aber auch, das ist eine Chance für die Krankenhäuser. Diesbezüglich bedarf es sowieso Strukturveränderungen in den Krankenhäusern. Die Arbeitsabläufe können dann gleich im Sinne der Arbeitszeitregelung neu umorganisiert und gestaltet werden.

Natürlich ist eine Einschätzung, welcher Personalbedarf durch die Anerkennung der Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit entstehen wird, zurzeit kaum möglich. Hier wird es auch maßgeblich darauf ankommen, inwieweit tragfähige Vereinbarungen mit den einzelnen Beschäftigten über ihre zukünftige Arbeitszeitgestaltung getroffen werden. Es ist mehrfach schon gesagt worden, das Bundesgesundheitsministerium hat finanziell vorgesorgt. 2003 und 2004 sind es 200 Millionen Euro, in den Jahren darauf jeweils noch einmal 100 Millionen Euro. Das heißt, bis zum Jahr 2009 stehen den Krankenhäusern somit zusätzlich und zweckgebunden für die Verbesserung von Arbeitszeiten 700 Millionen Euro zur Verfügung.

Zahlreiche Krankenhäuser nutzen die zusätzlichen Gelder schon heute zielgerichtet für die Anpassung von Arbeitszeitorganisation.

Auch ich wage keine Prognose, was das Thema Är ztemangel betrifft. Ich bin ebenso optimistisch, dass die Neuregelung von Arbeitszeiten in Krankenhäusern dazu führen wird, dass der Beruf für viele Ärztinnen und Ärzte wieder attraktiver wird, die sich bislang nicht mehr dazu entscheiden konnten, im Krankenhaus zu arbeiten. Ich denke aber, auch hier müssen wir die Entwicklung abwarten.

Abschließend möchte ich sagen, für unser Ministerium ist es völlig klar, dass wir diesen schwierigen Veränderungsprozess der Krankenhäuser auch in Zukunft begleiten werden. Die Sozialpolitiker wissen, wir haben eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Arbeitgebern, Arbeitnehmervertretern, den Berufsverbänden sowie den Vertretern der Krankenhäuser. Sie wird auch in Zukunft tagen. Wir werden uns bemühen, mit ihnen gemeinsam Lösungen zur Umsetzung der neuen Arbeitszeit zu finden. Wie gesagt, ich bin optimistisch, dass wir gute Lösungen finden werden.

(Beifall bei SPD und FDP)

Als Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag begrüße ich sehr herzlich die Mitglieder des Sportvereins Viktoria

Lambsheim. Seien Sie herzlich willkommen im rheinland-pfälzischen Landtag!

(Beifall im Hause)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Rosenbauer das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich könnte gern einmal alte Zitate aus all den Diskussionen vorlesen, die stattgefunden haben. Dann würde man sehr schnell bemerken, dass die Landesregierung dieses Thema immer mit beiden Händen so lange es geht weggeschoben hat, insbesondere ihr Vorgänger. Erst durch die Aktivitäten der CDU und der GRÜNEN gemeinsam sind die Regierung bzw. die Mehrheitsfraktionen auf diesen Zug aufgesprungen.