Protocol of the Session on February 20, 2003

(Beifall der CDU)

Dies zeigt, wie sich die Ereignisse immer mehr überschlagen. Es ist nicht mehr eine Situation, in der man einen Punkt nach dem anderen abarbeiten und lösen kann, sondern es ist ein Problem, bei dem wir uns immer mehr im Gestrüpp einer verfehlten Finanzpolitik verheddern.

(Schwarz, SPD: Blödsinn!)

Herr Kollege Schwarz hält dies alles für Blödsinn. Ich kann dies verstehen, Herr Kollege Schwarz. An Ihrer

Stelle wäre ich angesichts dieser Zahlen auch etwas nervös.

1995 hatte das Land Rheinland-Pfalz 14,3 Milliarden Euro Schulden. Im Jahr 2003 haben wir etwa 23 Milliarden Euro Schulden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies ist mehr als das gesamte Volumen eines ganzen Doppelhaushalts, was wir inzwischen an Schulden mit uns herumschleppen. Wir haben mehrfach darüber gesprochen. Diese rund 14,3 Milliarden Euro Schulden sind in rund 40 Jahren aufgelaufen. Dann schafft man es, den Schuldenberg in acht Jahren von 14,3 Milliarden Euro auf 23 Milliarden Euro hochzufahren. Dies muss Gründe haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Gründe hat der vor kurzem aus dem Amt geschiedene langjährige Präsident unseres Rechnungshofs in einem seiner letzten Interviews klar beim Namen genannt. Es ist der entscheidende Grund, auch mit Blick auf die Frage, wie es denn dazu kommen konnte, dass wir uns in dieser Schuldenfalle wiederfinden, in der wir so tief sitzen.

Der ehemalige Rechnungshofpräsident Dr. Schneider hat dies in einen einzigen Satz gekleidet. Ich zitiere ihn wörtlich. Auf die Frage, wie es denn dazu kommen konnte, sagte er ganz leidenschaftslos: „Es ist eben in besseren Zeiten versäumt worden, mehr Vorsorge zu treffen.“ – Das ist das Problem.

(Beifall der CDU)

Da diese Vorhaltung sowohl bei der Regierung als auch bei den Koalitionsfraktionen regelmäßig Schmunzeln auslöst, habe ich dies einmal in eine Grafik gefasst.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Zumindest kein Fall für PISA. Man muss sich dies einmal ansehen. Die eine Kurve zeigt die Schulden, die andere Kurve die Einnahmen.

(Abg. Frau Schmitt, SPD: Halten Sie es einmal hoch!)

Die Kurve der Einnahmen verläuft relativ stabil und waagrecht, da wir nach wie vor ein relativ finanzschwaches Land sind. Meine sehr verehrten Damen und Herren, im magischen Jahr 1994, als es übrigens noch ein anderes wichtiges landespolitisches Ereignis gab, beginnen diese beiden Kurven von Schulden auf der einen und Einnahmen auf der anderen Seite plötzlich auseinanderzugehen. Die Kluft zwischen diesen beiden Kurven, also den Schulden, die wir machen, und den Einnahmen, über die wir verfügen, wird ausnahmslos seit 1994 von Jahr zu Jahr größer.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt kein anderes westdeutsches Flächenland, in dem diese Kluft inzwischen so groß wie bei uns in Rheinland-Pfalz ist. Seit 1994 leben wir mit einer wachsenden Geschwindigkeit und einer immer größer werdenden Beschleunigung von Jahr zu Jahr mehr über unsere Verhältnisse. Wir haben die Ausgaben inzwischen völlig von den Einnahmen abgekoppelt. Das muss zwingend schief gehen.

Das kann in der öffentlichen Haushaltswirtschaft nicht gut gehen.

(Beifall der CDU)

Ich muss Ihnen ehrlich sagen, mich beschäftigt seit langem die Frage, warum dies so ist. Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Dies zeigt schon die Tatsache, dass ich mich seit langem mit dieser Frage beschäftige. Wenn sie einfach zu beantworten wäre, hätte ich auch schnell eine Antwort auf diese Frage gefunden. Mich beschäftigt diese Frage wirklich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, über meine Antwort auf diese Frage muss man einmal ernsthaft reden. Ich glaube, dass es das Problem dieser Landesregierung ist, dass sie ausschließlich nach Bedarf und Bedürftigkeit entscheidet. Das ist übrigens auch der Grund, warum sie das alles mit einem guten Gewissen und nach wie vor mit einem gewissen Stolz erträgt. Sie entscheidet nach Bedarf und Bedürftigkeit. Was heißt das?

Es kommt irgendjemand und sagt, wir haben den und den Bedarf und brauchen dringend eine Hilfe. Sie kommen zu uns genauso, wie sie zu den Koalitionsfraktionen und zur Landesregierung kommen. In der Tat, es stimmt in der Regel auch. Derjenige, der kommt, hat wirklich einen Bedarf oder kann wirklich eine Bedürftigkeit nachweisen.

Die Entscheidung, die seit 1994 mit einem fast schon festzustellenden Automatismus im Land getroffen wird, ist die, dass man diesem Bedarf oder dieser Bedürftigkeit Rechnung trägt und man dabei völlig vergessen hat, dass dies alles, jedenfalls dann, wenn wir über staatliche Mittel und Steuergelder sowie öffentliche Kassen reden, nur nach Maßgabe der staatlichen Möglichkeiten und der finanziellen Leistungskraft eines Staates geht.

Das Argument, dass es wirklich irgendwo eine Bedürftigkeit gibt, reicht nicht allein aus, um diesem Bedarf Rechnung zu tragen. Wenn Politik verantwortlich mit den Steuermitteln umgehen möchte, muss sie immer beides sehen, nämlich die Bedürftigkeit auf der einen und die Frage auf der anderen Seite, wie sie nach Maßgabe ihrer eigenen finanziellen Möglichkeiten dieser Bedürftigkeit Rechnung tragen kann.

Wenn das eine sozusagen völlig aus dem Blickwinkel verschwindet und die Frage, welche finanziellen Leistungsmöglichkeiten ein Land überhaupt hat, am Ende keine Rolle mehr spielt, weil man sagt, der Bedarf ist da und wir müssen dem Rechnung tragen, aus welchen Motiven auch immer – edlen Motive, das möchte ich gar nicht bestreiten –, dann ist dies am Ende eine Gefälligkeitspolitik, die sich überhaupt nicht mehr orientiert und überhaupt nicht mehr Maß an den Möglichkeiten der finanziellen Leistungskraft eines Staates nimmt. So ging dies in Rheinland-Pfalz schief.

(Beifall der CDU)

Ich kann Ihnen viele Beispiele vor Augen führen. Es sind übrigens Beispiele, über die wir vor 1991 in einer ähnlichen Schlachtordnung diskutiert haben. Zu nennen ist

beispielsweise die Frage der Erhöhung der Kindergartenbeiträge vor 1991 oder auch die Frage des Blindengelds, die fast ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch ist, weil ich dazu als junger Abgeordneter viele heiße Debatten auch in der eigenen Partei geführt habe.

Warum ist das abgewehrt worden? Das geschah nicht, weil die CDU sozusagen eine Organisation von kaltherzigen und seelenlosen Menschen ist, wie uns damals von den Sozialdemokraten gesagt worden ist. Wir haben die Bedürftigkeit immer gesehen und nie bestritten. Es muss alles nach Maßgabe der finanziellen Leistungskraft des Staates gestaltet werden, weil wir sonst in eine Situation kommen, in der gar nichts mehr geht. Die Situation haben wir jetzt erreicht.

(Beifall der CDU)

Das ist das Problem.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Beck)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist auch der Grund, warum sich bis heute diese Theorie einer großen Beliebtheit in Kreisen der Landesregierung erfreut, wir hätten ein Einnahmenproblem. Das ist klar. In dem Moment, in dem ich Politik sozusagen so verstehe, dass sie einen Bedarf feststellt und diese Bedürftigkeit dann zufrieden stellt, dann ist die Stellschraube, an der ich nur drehen kann, die Beschaffung zusätzlicher Einnahmen. Das ist klar. Dann bin ich guten Gewissens davon überzeugt, dass ich ein Einnahmenproblem habe. Meine sehr verehrten Damen und Herren, so funktioniert die Sache am Ende nicht.

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, wie man es anders machen kann. Das Beispiel betrifft die staatliche Grundlage. Ich kann nicht sagen, die gesetzliche Grundlage, weil es in einem Fall kein Gesetz ist. Das betrifft die staatliche Grundlage für den Aufbau von Sozialstationen, also ambulanten Pflegehilfen im Rahmen der Umsetzung der Pflegeversicherung. Es gibt zwei Möglichkeiten, das sicherzustellen. Das ist ein gesetzlicher Auftrag, den ein Land wahrnehmen muss. Es gibt zwei Möglichkeiten, das sicherzustellen. Bayern hat die eine Möglichkeit gewählt. Die Bayern haben Folgendes gemacht: Sie haben ein Gesetz verabschiedet, indem sie den Bedarf als solchen festgestellt haben. Dann haben sie alle konkreten Festlegungen zur Befriedigung dieses Bedarfs, also die Zahl der Einrichtungen je Einwohner, die Frage nach der Höhe der Förderung jeder einzelnen Einrichtung, in eine Rechtsverordnung gegossen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, sie haben in diese Rechtsverordnung ausdrücklich hineingeschrieben: „nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel.“ Der einzige Punkt, wo dieses die Landesregierung auch so gemacht hat, ist der kommunale Finanzausgleich. Da wird immer gesagt: Da waren weniger Einnahmen, das müssen wir sofort durchreichen. – In allen anderen Fragen, vor allem da, wo das Land selbst – jetzt hätte ich fast gesagt „strunzen“ kann, will ich aber nicht sagen – gut dastehen kann, wird es nicht gemacht. Die Bayern haben es so geregelt, dass sie in eine Rechtsverordnung genau hineingeschrieben haben: „nach Maßgabe der verfügbaren Haushaltsmittel.“ Das Ergebnis ist ein

schlagendes. Es werden nämlich Einnahmen und Ausgaben miteinander verbunden. Das ist ein ganz spezielles Verständnis des Konnexitätsprinzips.

Das gilt nicht nur für die Kommunen. Es werden Einnahmen und Ausgaben miteinander verbunden. Durch diesen Mechanismus wird sichergestellt, dass eine Situation der Überschuldung erst gar nicht einsetzen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in RheinlandPfalz steht alles im Gesetz. Damit wird natürlich eine gesetzliche Anspruchsgrundlage geschaffen. Es gibt keinen Bezug zu den jeweils verfügbaren Haushaltsmitteln. Wenn ich es so regle, wie wir es in Rheinland-Pfalz geregelt haben, wie es von der Koalition in RheinlandPfalz geregelt wurde, dann nehme ich mir natürlich im Lauf der Jahre jeden haushaltspolitischen Gestaltungsspielraum selber weg. Das ist das Kernproblem.

(Beifall der CDU)

Jetzt ist das Ende der Fahnenstange erreicht.

(Zuruf des Ministerpräsidenten Beck)

Das böse Erwachen setzt nicht mit diesem Nachtragshaushalt ein. Das böse Erwachen wird mit dem nächsten Doppelhaushalt 2004/2005 einsetzen. Ich sprach eben davon, bei diesem Nachtragshaushalt wird die letzte Chance, ein bisschen durch die Hintertür zu entschwinden, genutzt, weil man sich die Hälfte der zu bereinigenden 600 Millionen anders beschafft als durch Sparen. Das sind Einmaleffekte, Einmalerlöse. Sie lassen sich nicht beliebig wiederholen. Spätestens im nächsten Doppelhaushalt stehen all diese Einmalerlöse nicht mehr zur Verfügung. Es wird eine spannende Diskussion, wenn wir den nächsten Doppelhaushalt beraten.

Ich sage es wirklich ohne Polemik. Ich hoffe, dass das sichtbar wird, dass ich es ohne Polemik sage, wenn ich es so sage. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierung, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie müssen umsteuern. Sie werden nur umsteuern können, wenn Sie umdenken. Sie müssen Abstand von Ihrem bisherigen Verständnis von Politik nehmen. Anders wird es nicht gelingen.

(Beifall der CDU)

Das Beispiel mit den unterschiedlichen Regelungsmechanismen in Bayern und Rheinland-Pfalz im Blick auf diesen gesetzlichen Auftrag der Pflegeversicherung, des Pflegegesetzes zeigt dies und ist ein gutes Beispiel.

Ein anderes Beispiel ist das Standardanpassungsgesetz. Ich habe mir unseren Vorschlag von 1995 noch einmal herausgesucht. Ich habe die Debatte nicht noch einmal nachgelesen. Ich muss sie gar nicht lesen. Spott und Hohn. Das liegt acht Jahre zurück. Sehen Sie einmal, ich sage das nur deswegen, weil ich es nicht mehr hören kann. Wenn mir heute einer kommt und sagt, das sei eine Entwicklung der letzten Monate, dann muss man sagen, nein, das ist keine Entwicklung der letzten Monate. Auf diese Schuldenfalle sind wir viele Jahre hin

zielstrebig zugetappt. Wir haben alles unternommen, um sie nicht zu verfehlen. Standardpassung 1995 – warum delegieren Sie nicht die Anpassung von Standards nach unten? Ich weiß nicht, wie viele Monate Sie sich intern jetzt streiten über einen eigenen Entwurf eines Standardanpassungsgesetzes. Das sind jetzt schon viele Monate. Wissen Sie, Mehrfachzuständigkeiten, Doppelzuständigkeiten unserer staatlichen Verwaltungen ist ein anderes Thema. Ich rede nicht über Gebietsreform. Ich rede so lange nicht über Gebietsreform, wie wir nicht einmal sinnvoll über eine Funktionalreform reden.

(Beifall der CDU)

Das, was Sie mit den Bezirksregierungen gemacht haben, war keine sinnvolle Funktionalreform. Wir haben immer gesagt, es kostet den Staat mehr, als es ihm einspart. Die „Rheinpfalz“ hat kürzlich einen bemerkenswerten Artikel veröffentlicht mit vier Minuspunkten, drei Plus/Minuspunkten und zwei Pluspunkten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Kernproblem ist in diesem Zusammenhang ein anderes. Deswegen waren Sie gegen ein solches Standardanpassungsgesetz. Deswegen tun Sie sich so schwer, jetzt ein eigenes vorzulegen. Deswegen sind Sie so schwer zugänglich für eine Funktionalreform. Das alles kann man nur machen, wenn man den untersten Ebenen wirklich etwas zutraut und wenn man so viel Vertrauen in die Organe der untersten Ebenen hat, dass man denen Letztendscheidungen zutraut.

(Beifall der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, solange Sie dieses Vertrauen nicht haben, wird das in RheinlandPfalz nicht funktionieren. Warum sage ich das? Der einen oder anderen sozialdemokratischen Fraktion muss man das immer erklären, warum man solche Sachen vorbringt. Ich sage, mit den wenigen Instrumenten, die uns die Haushaltspolitik in die Hand gibt, werden wir diese Probleme nach meiner Überzeugung nicht lösen können. Die haushaltspolitischen Probleme, die von Monat zu Monat größer werden, auch in den nächsten Monaten noch größer werden, werden wir auf mittlere Sicht nur lösen können, wenn wir in einer ganzen Reihe von Fragen umdenken und Strukturen auf den Prüfstand stellen.

Ich nenne Ihnen ein viertes und letztes Beispiel. Das ist die Landespflege. Ich bin nicht gegen die Landespflege. Das Beispiel, das ich Ihnen nenne – jetzt hätte ich fast gesagt ein „exemplarisches“ Beispiel; das ist natürlich Quatsch –, ist ein symptomatisches Beispiel. Es geht um ein nach den gesetzlichen Vorschriften vorgeschriebenes Gutachten für den Bau einer Straße, die etwa 800 Meter lang ist. Sie ist übrigens ganz in der Nähe von Mainz. Sie ist in einer innerstädtischen Lage. Das Gutachten stammt aus dem Jahr 1994. Die Straße wird vielleicht im zweiten Halbjahr 2003 gebaut. Sie ist innerstädtisch gelegen – nicht Biotopschutz, nicht Rheinauen, nicht Mornell-Regenpfeifer oder sonstige schützenswerte Pflanzen stehen hier zur Diskussion. Es geht um eine innerstädtische Lage in einer mittleren Stadt in Rheinland-Pfalz. Es geht um 800 Meter.