Protocol of the Session on September 26, 2002

Sie wollen die Förderung regenerativer Energien drin haben. Man kann natürlich alles Mögliche hineinschreiben. Man kann kommunalpolitische Themen, Schulpolitik mit aufnehmen. Das ist alles ganz hübsch. Das entspricht Ihrer Ideologie, was Sie da hinein haben wollen. Das gehört einfach in den Antrag nicht hinein. Wir konnten uns deshalb leider nicht einigen. Ich bedauere das. Wenn wir uns auf europäischer Ebene artikulieren wollen, brauchen wir eine starke Stimme. Wenn wir in den Zielen, die hier zu formulieren sind, einen Konsens haben, sollten wir die Kräfte bündeln und gemeinsam auftreten. In dem großen Kanon der EU-Politik haben wir nur so eine Chance, überhaupt anzukommen.

(Beifall bei FDP, SPD und vereinzelt bei der CDU)

Das bedauere ich. Ich bringe abschließend auch noch mein Bedauern zum Ausdruck, dass ich im Ausschuss für Europafragen leider nicht mehr tätig sein kann. Das gilt auch für den Ausschuss der Regionen. Ich habe verschiedene andere Funktionen in meiner Fraktion übernommen. Es haben sich Themengebiete verschoben. Das werde Sie gemerkt haben. Das war meine letzte Rede zum Thema „Europa“. Das hat mir nach wie vor viel Spaß gemacht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei FDP und SPD – Pörksen, SPD: Das bedauern wir außerordentlich!)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Wiechmann das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Quo vadis Europa? – Wo geht es hin?“ fragt uns ein weiteres Mal die Geschichte unseres Kontinents. Ich freue mich sehr, dass wir heute über eine der zentralen Fragen der Zukunft – so sehe ich das; ich glaube, so sehen das alle Fraktionen –, nämlich die Reform und die Zukunft der Europäischen Union, debattieren können. Schließlich befindet sich die EU gut 50 Jahre nach Ihrer Gründung an einem ganz entscheidenden Wendepunkt Ihrer Geschichte. Die Arbeitsfähigkeit und Strukturen der EU lassen Reformen als dringend notwendig erscheinen. Den modernen Herausforderungen der Gesellschaft wie

Demokratie, Frieden, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und nicht zuletzt auch der ökologischen Nachhaltigkeit müssen wir uns stellen. Das haben wir auch vorhin in der hitzigen Debatte um den Emissionshandel deutlich fes tgestellt.

Die beiden vorliegenden Anträge zeigen eine Sache. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in vielen Punkten sind wir uns einig. Das ist auch gut so. Jedoch – auch das gilt es zu sagen – liegen wir in einigen, gerade auch für uns GRÜNE zentralen Punkten etwas auseinander. Genau aus diesem Grund haben wir, hat meine Fraktion, habe ich einen eigenen Antrag zum Verfassungskonvent und zur Zukunft Europas ins Parlament eingebracht.

Unser Antrag hat zunächst einmal – so empfinde ich das, so haben wir ihn auch konzipiert – einen anderen Zungenschlag. Er bezieht sich nämlich zuallererst auf den aus unserer Sicht wichtigsten Aspekt, und zwar den der Demokratisierung. Wir GRÜNEN setzen in unserem Antrag auch einige andere Schwerpunkte, was zum Beispiel die Kompetenzverteilung angeht, was zum Beispiel auch die Osterweiterung angeht, der wir in unserem Antrag einen größeren Raum gelassen haben.

Die wesentlichste Unterscheidung zwischen den beiden vorliegenden Anträgen ist ganz sicher eine andere Ausrichtung in wichtigen Politikfeldern, wie zum Beispiel eine auf Konfliktprävention ausgerichtete gemeinsame Außenpolitik, für uns verbunden mit einem deutlichen, entwicklungspolitisch geprägten Ansatz, aber auch eine ökologische und nachhaltige Agrar- und Umweltpolitik und vor allem auch eine den Schutzgedanken in den Mittelpunkt stellende Asyl- und Minderheitenpolitik.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich im Folgenden auf Übereinstimmungen und auch auf Unterschiede der beiden vorliegenden Anträge kurz eingehen. Wir GRÜNEN besuchen – begrüßen die Einberufung des Konvents zur Zukunft der EU – –

(Pörksen, SPD: Besuchen! Das war schon richtig!)

Wir würden Sie auch gern einmal besuchen.

und die intensive Auseinandersetzung über einen zu erarbeitenden Verfassungsentwurf. Es ist das erste Mal – Herr Kollege Dr. Schiffmann hat es schon gesagt –, dass eine Reform der EU nicht hinter verschlossenen Türen stattfindet, sondern transparent und in einem mehrheitlich aus Parlamentariern zusammengesetzten Gremium entwickelt wird, auch wenn – das möchte ich hier noch einmal kritisch anmerken; das habe ich im Ausschuss auch getan – im Konvent Frauen und junge Menschen leider deutlich unterrepräsentiert sind. Doch letztendlich und trotzdem wird hiermit endlich die Logik der traditionellen Regierungskonferenzen aufgebrochen. Das bedeutet zweifellos eine greifbare Chance für ein demokratischeres Europa. Wir müssen diese Chance nutzen, um die Legitimität, die Bürgernähe und die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern für ein gemeinsames Europa zu stärken.

Lassen Sie uns aber nicht nur von Demokratisierung reden oder schreiben, sondern lassen Sie uns auch versuchen, dies umzusetzen. Eine lebendige Demokratie bedeutet für uns unter anderem, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger über die Annahme einer europäischen Verfassung in einem Referendum entscheiden können sollen. Dies fordern wir auch in uns erem Antrag.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In diesem Zusammenhang ist uns GRÜNEN insbesondere auch die Einbeziehung der Zivilgesellschaft wichtig, die sich auch an der Arbeit für den Verfassungsentwurf für Europa intensiv beteiligt. Nur wenn es gelingt, eine möglichst breite Debatte in Europa zu initiieren, wird der mit dem Konvent begonnene europäische Verfassungsprozess auch ein dauerhafter Erfolg sein können. Wir setzen uns in unserem Antrag vorrangig für eine rasche Erweiterung der EU ein. Dabei geht es uns vor allem und schwerpunktmäßig auch um die historische Verpflichtung, die Teilung Europas endlich zu überwinden.

Aber eines muss auch klar sein – das möchte ich hier noch einmal formulieren –, auch ein erweitertes Europa muss sich in Zukunft seiner Verantwortung gegenüber den angrenzenden Staaten bewußt sein und darf sich nicht einigeln und hohe Mauern errichten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, aus diesem Grund plädieren wir GRÜNEN dafür, dass eine europäische Verfassung die Grundlage einer weltoffenen und toleranten Union sein muss, eine Verfassung, die den europäischen Bürgerinnen und Bürgern Europa ein Stück näher bringt, ein Stück begreifbarer und durchschaubarer macht. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel auch ein Klagerecht der Bürgerinnen und Bürger vor dem Europäischen Gerichtshof als ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung zu nennen.

Meine Damen und Herren, einig sind wir uns – das ist in den vorangegangenen Redebeiträgen auch deutlich geworden – über die mit der Demokratisierung verbundenen Reformen der Institutionen der EU. Sie müssen transparenter, kontrollierbarer, handlungsfähiger und effizienter werden.

An dieser Stelle darf die Politik aber nicht mit Ihren Weisheiten am Ende sein, sondern muss dies auch konkret umsetzen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle drei Aspekte beispielhaft nennen:

1. Die Kommission soll zu einer von den Mitgliedsstaaten unabhängigen Institution werden, und die Präsidentin oder der Präsident sollte ihre oder seine Legitimität durch eine Direktwahl im Europaparlament erhalten.

2. Der Rat sollte öffentlich tagen und Entscheidungen mit einer qualifizierten Mehrheit treffen können.

3. Das ist für uns als Landesparlamentarier auch besonders wichtig. Das haben alle von Ihnen schon in Ihren Reden erwähnt. Leider haben Sie es in ihrem Antrag nicht geschrieben: Der Ausschuss der Regionen ist als eine gleichberechtigte Institution in der Verfassung zu verankern, der auch ein Klagerecht einzuräumen ist. Uns ist auch an einer Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Europaparlament und Ausschuss der Regionen gelegen. Das haben wir in unserem Antrag formuliert. Sie haben es einfach vergessen, meine Damen und Herren.

Mehr Demokratie wagen durch Vorschläge zur Reform der EU-Institutionen muss das Motto lauten. Das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger können wir nur durch eine demokratische und transparente Europäische Union erreichen. Wir brauchen eine klare Kompetenz- und Aufgabenzuweisung zwischen den verschiedenen politischen Institutionen auf EUEbene. Ziel von uns allen muss es sein, dass den Bürgerinnen und Bürgern jederzeit klar ist, wer welche politische Entscheidung zu verantworten hat.

Des weiteren darf aber das überaus wichtige Prinzip der Subsidiarität, das für uns alle hier in diesem Haus zweifellos sicherlich ein zentrales Prinzip des zukünftigen Europa sein muss, nicht dazu missbraucht werden, dass unter seinem Deckmantel ökologische und soziale Standards zurückgenommen werden. Das wäre ein fauler Kompromiss.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Umweltschutz- und Tierschutzauflagen sind auf möglichst hohem Niveau zu vereinheitlichen. Auch da ein kleiner Kritikpunkt an ihrem Antrag. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wie Sie das in ihrem Antrag vorschlagen, reicht es uns GRÜNEN nicht aus. Vielmehr müssen die Zuständigkeiten für die Umweltpolitik der EU ohne Wenn und Aber erhalten bleiben. Im Übrigen – das sage ich auch zu Frau Morsblech – bedeutet und beinhaltet dies auch explizit die Vorreiterrolle der Bundesrepublik Deutschland, zum Beispiel, was die Themenfelder „Atomausstieg“ und „Förderung regenerativer Energien“ angeht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben vorhin über den Emissionshandel diskutiert. Zu dieser Diskussion möchte ich nur noch sagen, dass es natürlich nicht das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung sein kann, stets die Brille einiger großer Unternehmensverbände oder Großkonzerne zu tragen, wie wir es heute Mittag auch in der Diskussion erlebt haben.

(Dr. Schiffmann, SPD: Na, na, na!)

Hier müssen wir den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger Rechnung tragen, und der Gesundheits- sowie der Verbraucherinnenschutz muss an die erste Stelle gesetzt werden.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, die Forderung nach einer nachhaltigen ökologischen und sozialen Reformpolitik

muss ganz oben auf der Agenda stehen. Die gemeinsame Asyl- und Minderheitenpolitik muss weiterentwickelt und auf einheitliche, hohe Standards gebracht werden. Meine Damen und Herren, Zuwanderung ist erforderlich. Genau deshalb brauchen wir eine menschliche Asyl- und Migrationspolitik im Sinn der betroffenen Menschen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Offenheit, Toleranz und kulturelle Vielfalt dürfen nicht vor unserer eigenen Haustür enden, sondern müssen grundlegende Werte einer verantwortungsbewußt handelnden Europäischen Union nach außen wie aber natürlich auch nach innen sein.

Meine Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich noch einmal erwähnen, dass wir in unserem Antrag den Aspekt der Globalisierung ausdrücklich betont haben; denn wir glauben, dass die EU auch als eine Antwort und eine Möglichkeit, die zunehmende Globalisierung zu gestalten, verstanden werden kann.

Deshalb muss dieser Aspekt genauso bei der weiteren Entwicklung der Europäischen Union Berücksichtigung finden.

(Beifall des Abg. Dr. Schiffmann, SPD)

Dabei muss ein soziales Europa sich seiner Rolle und Verantwortung auch in der Entwicklungspolitik bewusst sein. Dies ist vor allem auch eine Verantwortung für die soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklung der Welt. (Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um einen wirksamen und nachhaltigen Beitrag zu einer friedlichen und solidarischen Welt und zu einer gerechten und ökologischen Gestaltung der Globalisierung zu leisten, bedarf es auch einer Stärkung der gemeinsamen Entwicklungspolitik.

Meine Damen und Herren, das bedeutet auch ein vermehrtes gemeinsames finanzielles Engagement.

Meine Damen und Herren, trotz der unterschiedlichen Auffassungen zu Teilbereichen hat diese Debatte heute gezeigt, dass wir in einem vernünftigen Umgang miteinander diskutieren und in vielen Punkten einer Meinung sind.

Ich danke Ihnen für die heutige Debatte. Ich danke auch für die Debatte im Ausschuss, die ich als sehr fruchtbar erlebt habe. Ich sage Ihnen, es steht Ihnen frei, sich trotz der Ausschussempfehlung, die Herr Kollege Kramer vorgelegt hat, noch für den besser und klarer formulierten Antrag zu entscheiden. Das ist der der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Pörksen, SPD: Das ist das erste Mal so!)

Das ist jedes Mal so. Herr Pörksen, da haben Sie Recht.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)