Protocol of the Session on May 22, 2001

(Beifall des Abg. Lewentz, SPD)

Wenn jemand, der mit 5,2 % kurz an der entscheidenden Grenze vorbeigeschrammt ist, von einem Pyrrhussieg spricht, dann ist das schon sehr gewagt. Kompliment!

(Beifall bei FDP und SPD)

Verehrter Herr Kollege Dr. Braun, wenn der an sich schon sympathische Ministerpräsident durch die sympathische Ausstrahlung unserer Partei an seiner Seite einen noch glorioseren Sieg einfahren konnte und wir es dadurch nur zu 50 % mehr als BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gebracht haben,

(Zuruf des Abg. Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

dann ist das für uns eher ein Anlass zur Freude und für Sie ein Grund zum Nachdenken.

(Vereinzelt Beifall bei FDP und SPD)

Resümierend: Ihrer Wahlanalyse konnte ich nicht ganz folgen.

Meine Damen und Herren, aber mir geht es an sich um ein anderes Thema. Mir geht es um das Thema „Sozialpolitik“, wozu ich sprechen möchte. Vielleicht ist es Ihnen so aufgefallen wie mir, die Bundesvorsitzende einer einst großen und mächtigen Volkspartei hat sich zum Thema „Neue Sozialpolitik“ ebenso geäußert wie der Bundesvorsitzende einer zurzeit großen und mächtigen Volkspartei zu der Frage, ob es ein Recht auf Faulheit gäbe.

Meine Damen und Herren, beide Äußerungen bzw. Fragestellungen zeigen für mich, dass die Sozialpolitik stärker als bisher in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Auch unsere Koalitionsvereinbarung beweist, dass wir diese Bewertung teilen und zur Verantwortung für

eine solche Sozialpolitik stehen, aber nicht nur für eine Verantwortung für Sozialpolitik, sondern auch zur Verantwortung für die Sicherung eines Ordnungsprinzips, dem sich an sich alle Fraktionen verpflichtet fühlen sollten: das Ordnungsprinzip der sozialen Marktwirtschaft.

Bereits die letzte Landesregierung nannte den Entwurf der Sozialpolitik, dem sie sich verpflichtet sah, den Entwurf einer realistischen Sozialpolitik. Das beschreibt zwei Dinge: zum einen die Tatsache, dass die Koalition für alle da ist, die aus eigener Kraft heraus die Teilhabe am normalen gesellschaftlichen Leben für sich und ihre Kinder nicht schaffen können, und zum anderen, dass die Regierung zu einem Grundsatz steht, der uns allen selbstverständlich ist: Der Starke hilft dem Schwachen.

Es finden sich in unserem Koalitionsvertrag und auch in der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten entsprechende Hinweise dazu, wie das schon sehr eng geknüpfte Netz sozialer Sicherheit weiter ausgebaut werden kann und soll. Wir sprechen von der Weiterentwicklung der Kindertagesbetreuung, der Erweiterung der Über-Mittag-Betreuung mit Mittagessen, der Schaffung von Plätzen für Kinder unter drei Jahren. Wir verpflichten uns zu einem Schwerpunktprogramm für Kinder in sozialen Brennpunkten – Herr Dr. Braun, Ihr Thema –, und wir sind der Meinung, dass Kindertagesstätten dringend zu Kommunikationsstätten ausgebaut werden müssen, wo auch Erfahrungsaustausch zwischen den Kitas, den Eltern, den Familienbildungsstätten und den sozialen Beratungsstellen stattfinden muss. Wir verpflichten uns dazu, der vom Bundesverfassungsgericht eingeforderten Verbesserung der Förderung von Familien und Kindern im Rahmen des Familienlastenausgleichs nachzukommen. Es gibt weitere Punkte: die bessere Verzahnung von freier und verbandlicher Jugendarbeit mit der Ehrenamtsarbeit, um eine Qualitätssteigerung zu erreichen, und auch der Ausbau der Möglichkeiten für behinderte Menschen im schulischen und beruflichen Bereich.

Meine Damen und Herren, das ist die eine Seite der Medaille. Realistische Sozialpolitik heißt aber auch, dass diese sozialen Hilfsstrukturen immer wieder neu angepasst werden müssen und auf den Untersuchungsstand gehören. Es gibt neue Probleme und neue Bedürfnisse. Man muss auch die Frage der Treffsicherheit immer wieder neu stellen. Auch dazu äußert sich die Koalitionsvereinbarung ebenso wie die Regierungserklärung.

Wir sind übereingekommen, alle Maßnahmen der Kinder-, Jugend- und Familienpolitik, auch solche der Beratung – dies ist ein wichtiger Punkt –, einer intensiven Evaluation zu unterziehen.

Es geht auf Dauer nicht an, dass Doppel-, Dreifach- und Mehrfacharbeiten geleistet werden, die insgesamt zu einer Effizienzschwächung führen.

Wir haben einen Satz in die Koalitionsvereinbarung geschrieben, der manchen vielleicht stutzig gemacht hat. Es wird ein klares Bekenntnis geleistet zu Grundtugenden wie Pünktlichkeit, Höflichkeit, Fleiß und auch Teamfähigkeit, Selbstbewusstsein und Toleranz; denn diese Dinge gehören zusammen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Es steht meines Erachtens dem einen oder anderen aus diesem hohen Haus gut zu Gesicht, sich das einmal vor Augen zu führen.

Ein wichtiger Punkt ist das Bekenntnis dazu, dass auch einfache Arbeiten einen klaren und deutlichen Abstand von der Sozialhilfe haben müssen. Arbeit muss sich lohnen.

Herr Dr. Braun, da Ihre Fraktionsvorsitzende zurzeit nicht anwesend ist, spreche ich Sie jetzt an. Die Ausführungen von Frau Thomas waren schon am Rande des Zynischen. Das, was sie zum Bemühen der Koalition ausgeführt hat, Haushaltsarbeit mit sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen zu fördern, in einem Maße zu diskreditieren, dass Sie und nicht wir – – –

(Dr. Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sie hat gesagt, es wäre schön, wenn es mehrere wären!)

- Herr Dr. Braun, ich bin mit einem fürchterlich guten Gedächtnis geschlagen. Das habe ich ganz anders in Erinnerung.

Sie hat davon gesprochen, dass das grundsätzlich Arbeitsverhältnisse von Frauen seien. Das ist eine eigentümliche Auffassung beruflicher Zuordnung. Wir haben dieses Wort nicht in den Mund genommen.

Wenn man auf der einen Seite danach ruft, dass auch einfache Beschäftigungsverhältnisse eingerichtet werden müssen, und auf der anderen Seite Selbstverständlichkeiten zu diskreditieren versucht, ist das – ich erlaube es mir, das noch einmal zu sagen – zynisch, arrogant und abgehoben.

(Beifall bei FDP und SPD)

Meine Damen und Herren, eine realistische Sozialarbeit muss aber auch die andere Seite der Medaille, die Sozialpolitik, zeigen. Das ist ein traditionelles Thema der FDP. Wir stehen zu diesem Thema. Ich erläutere, weshalb wir dazu stehen.

Sozialpolitik ist Teil eines integrierten wirtschafts- und sozialpolitischen Systems. Nichts anderes besagt der Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft. Es sollte inzwischen Allgemeingut geworden sein, dass sich Sozialpolitik nicht aus sich selbst heraus finanziert, sondern eine leistungsfähige Wirtschaft voraussetzt. Diese Wirtschaft – auch die BASF in Ludwigshafen – hat sich dieser Verantwortung immer gestellt, stellt sich ihr, warnt aber zu Recht vor Überforderungen, weil sie nicht nur für die Wirtschaft gefährlich sind, sondern auch für das Sozialsystem.

Am deutlichsten wird dies am zentralen sozialen Problem unserer Tage. Das ist auch in unserem Land eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Ich habe mich über die Fairness gefreut, mit der alle Fraktionen mit den guten rheinland-pfälzischen Zahlen umgegangen sind. Natürlich muss eingeräumt werden, dass es relativ gute Zahlen sind. Auch die Zahlen, die wir erreicht haben, sind natürlich noch zu hoch.

Hinter diesen Zahlen steckt eine Zahl von unzähligen bedauernswerten Einzelschicksalen, die gerade bei Langzeitarbeitslosen das Gefühl aufkommen lässt, Parias der Gesellschaft zu sein.

Meine Damen und Herren, hinter diesen Zahlen steht nicht nur die Belastung der Betroffenen, sondern auch die Belastung der Wirtschaft, die die Arbeitslosigkeit mitfinanzieren muss, und letztlich die Gefährdung des Sozialsystems selbst. Wir haben einen Teufelskreis vor uns.

Die Koalitionsvereinbarung hat diesen Dingen Rechnung getragen. In ihr sind einige anspruchsvolle Punkte enthalten, die nicht Ihre ungeteilte Zustimmung gefunden haben. Das ist auch gut so, weil wir uns über diese Dinge streiten sollten.

Die Koalition steht nicht unter dem Druck der FDPFraktion, sondern unter dem Druck der Realitäten und der Notwendigkeiten, hinter diesen Entscheidungen, hinter einer stärkeren Flexibilisierung, die letztlich den Interessen der Arbeitnehmer mehr dient als das Stärken von Funktionärsinteressen.

(Beifall bei FDP und SPD)

Wenn wir überprüfen, ob das Günstigkeitsprinzip durch eine gesetzliche Regelung erweitert werden soll, geht es dabei um die Sicherung gefährdeter Arbeitsplätze und nicht um das Gegenteil.

Meine Damen und Herren, soziale Hilfen sind naturgemäß und notwendigerweise angenehm für denjenigen, der sie erhält, aber eine Belastung für den, der Sie finanzieren muss. Die Struktur, die das finanziert, nämlich die Wirtschaft, ist nicht irgendeine anonyme Struktur, sondern dahinter stehen Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, denen über hohe Sozialabgaben und über hohe Steuerabzüge die Früchte ihrer Arbeit entzogen werden. Das wirkt demotivierend und leistungsfeindlich für den Einzelnen und verwischt letztlich den Unterschied zwischen denen, die Leistungen erbringen und denjenigen, die Leistungen nicht erbringen.

So lange es Menschen sind, die Leistungen nicht erbringen können, geht das in Ordnung. Aber immer dann, wenn jemand aus vielleicht im Einzelnen nachvollziehbaren Gründen Leistungen für die Allgemeinheit als Teil der Solidargemeinschaft nicht erbringen will, geht der Schuss nach hinten los. Es kommt letztlich zu einer Entsolidarisierung der Gesellschaft.

Gerade weil Arbeitnehmer mit niedrigen und mittleren Einkommen nicht einsehen können, dass sie Menschen mitfinanzieren, von denen sie aus persönlicher Kenntnis heraus wissen, dass diese sehr wohl für sich selbst sorgen könnten, zieht die FDP den Schluss, so deutlich und klar wie wir gesagt haben, der Starke ist für den Schwachen da, so ziehen wir daraus den Schluss, dass der Fleißige nicht für den Faulen da ist. Auch das muss deutlich gesagt werden.

Meine Damen und Herren, wenn wir es letztlich durch eine Betrachtung dieser beiden gleich wichtigen Seiten schaffen, eine neue Balance im Sozialsystem herzu

stellen und das, was in den vergangenen Legislaturperioden in Rheinland-Pfalz erreicht wurde, zu sichern, sind wir auf dem richtigen Weg. Dann haben wir das, was wir realistische Sozialpolitik nennen, entsprechend ausgeführt.

Noch ein kurzer Satz zur Gesundheitspolitik. Inzwischen gibt es Signale aus Berlin, die hoffnungsvoll stimmen. Ich freue mich, dass sich die neue Bundesgesundheitsministerin in einer ganz anderen Art und Weise artikuliert, als es die bisherige Bundesgesundheitsministerin getan hat, die der Meinung war, das Gesundheitssystem auf Dauer als sozialistische Insel aufrecht erhalten zu können. Das lässt hoffen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir in diesen komplexen Bereichen der Sozialpolitik und der Gesundheitspolitik auf Dauer gut fahren würden, wenn wir ähnlich wie in der Rentenpolitik letztlich einen parteiübergreifenden Konsens erreichen, der diese Dinge nicht über ganze Legislaturperioden zur Hängepartie werden lässt.

Eines muss klar sein: Bei all diesen Reformen – dabei spreche ich alle Partikularinteressen an – kann es nicht um die Befriedigung von Einzelegoismen gehen. Es kann nur dann gelingen, wenn überzogene Interessen einzelner Gruppen von vornherein als egoistisch entlarvt werden.

Die effiziente Bereitstellung von Gesundheitsleistungen für die Patienten, um die es letztlich geht – nur um diese Gruppe geht es letztlich –, benötigt Wettbewerb aufseiten der Leistungserbringer sowie aufseiten der Krankenkassen. Dabei ist – wie in der Koalitionsvereinbarung nachzulesen – auch die ärztliche und zahnärztliche Selbstverwaltung in Rheinland-Pfalz ein ganz wichtiger Partner für die Landesregierung. Das freut mich ganz besonders.

Meine Damen und Herren, Grundlage unserer Überlegungen und unserer gemeinsamen Arbeit, die wir uns vorgenommen haben, ist das Ziel, sozialen Frieden und Ausgleich auf der einen Seite sowie Effizienz der Wirtschaft und Unterstützung der Leistungsbereitschaft des Einzelnen auf der anderen Seite zu erreichen. Nur dann, wenn beide Forderungen erfüllt sind, werden wir letztlich erfolgreich bleiben. Die Regierungsseite hat ihren Beitrag vorgestellt. Ich appelliere an die Oppositionsseite, uns das gleichzutun.

Danke schön.

(Beifall bei FDP und SPD)

Als Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Rockenhausen.

(Beifall im Hause)

Das Wort hat Herr Minister Bauckhage.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine Koalitionsvereinbarung nach Wahlen und eine Regierungserklärung sind das Kursbuch für die kommenden fünf Jahre. Dieses Kursbuch ist ein deutliches Kursbuch für eine gute Perspektive der Menschen, für Modernität in diesem Staat und darüber hinaus auch ein Kursbuch für eine gute Zukunftsfähigkeit von RheinlandPfalz.