Protocol of the Session on June 20, 2002

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich will noch einmal kurz Revue passieren lassen, wo wir eigentlich bei dieser Debatte im Landtag stehen: Vielleicht können Sie sich noch an das Sommertheater erinnern, das wir 2001 aufgrund von Vorschlägen von Rudolf Scharping und Roland Koch zum Thema „Sozialhilfemissbrauch“ hatten, wo die Wogen hochschlugen und wo wir hier zu unserer aller Freude einen sehr sachlichen Ton gefunden haben und meines Erachtens die richtigen Schritte in die Wege geleitet haben, um festzustellen, wie die Sozialhilfe bei uns im Land angewandt und die gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt werden, wo es besonders gut gelingt, Menschen in Arbeit zu vermitteln.

Wir haben einmal Anträge von SPD und FDP, zum anderen von der CDU und zum letzten auch von den GRÜNEN gemeinsam einstimmig beschlossen. Ich will noch einmal kurz aus einem dieser Anträge zitieren,

damit noch einmal klar ist, welche Arbeit im Grunde im Moment zu leisten ist, und zwar von der Regierung.

Der Landtag fordert die Landesregierung auf, einen Bericht vorzulegen, in dem zu den Maßnahmen der einzelnen Sozialhilfeträger in Rheinland-Pfalz zur Verhinderung von Sozialhilfemissbrauch bei der Antragstellung, zu der Ausschöpfung von Sanktionsmöglichkeiten nach dem Bundessozialhilfegesetz für Arbeitsunwillige durch die einzelnen Sozialhilfeträger in Rheinland-Pfalz, zu den Bemühungen zur Arbeitsvermittlung von Sozialhilfeempfängerinnen und Sozialhilfeempfängern durch die einzelnen Sozialhilfeträger, zu der Aufforderung zur gemeinnützigen Arbeit durch die einzelnen Sozialhilfeträger Stellung genommen wird.

Es kommt noch eine Reihe von anderen Aufforderungen, das heißt, wir warten auf einen Bericht der Landesregierung, den uns damals Herr Gerster auch sehr zügig zugesagt hat. „Damals“ war im November 2001. Da haben wir diesen Beschluss einstimmig in diesem Raum gefasst. Auf diesen Bericht warten wir.

Der Herr Staatssekretär sitzt da und schaut mich mit großen Augen an. Vielleicht verstehe ich hier etwas nicht richtig.

(Zuruf des Staatssekretärs Dr. Auernheimer)

Das ist natürlich göttlich. Wenn ich hier erfahre, dass ein Bericht vorliegt, dann finde ich das wunderbar. Der liegt in der Druckerei, und wir haben ihn nicht vorliegen.

Dann gehen wir einmal davon aus – ich unterstelle, dass Sie die Arbeit geleistet haben, die Sie uns im November 2001 zugesagt haben –, dass dieser Bericht die Fakten enthält, die Sie jetzt im Rahmen eines neuen Wettbewerbs dieser Landesregierung noch einmal ermitteln wollen; denn nichts anderes sehen Sie hier vor. Ich frage mich, welchen Sinn das machen soll.

(Beifall der CDU und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn der Bericht die Fakten enthält, die Sie zugesagt haben, müsste man auch entnehmen können, welche Sozialhilfeträger mit welchem Erfolg zum Beispiel Sozialhilfeempfänger in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt haben. Auch da frage ich mich, was dieser Wettbewerb soll, der hier ausgeschrieben wird.

Das Land will einen Wettbewerb moderieren und soll als Jury fungieren, so schlägt es zumindest dieser Antrag der Fraktionen der SPD und FDP vor. Es ist ein Wettbewerb, dessen Ziel es ist zu schauen, welche Sozialhilfeträger die Sozialhilfe vor Ort nach Recht und Gesetz am besten wahrnimmt.

Ich frage mich, wenn man dieses Anliegen auf andere Verwaltungssachgebiete überträgt, wie solche Wettbewerbe aussehen sollen. Welches Ordnungsamt bedient am besten und übt am besten die rechtlichen Bestimmungen für das Einwohnermeldewesen, das Ordnungswidrigkeitengesetz und sonstige Dinge aus?

Ich finde es schon ziemlich hanebüchen, wenn wir hier einen Wettbewerb kreieren, der dazu dient zu schauen,

welche Verwaltung die Arbeit nach Recht und Gesetz ausübt. Ich unterstelle, das tun alle Verwaltungen. Die Strukturen werden sehr unterschiedlich sein.

(Beifall der CDU)

Die Strukturen und das Engagement in den einzelnen Bereichen werden unterschiedlich sein. Aber wir waren uns einig, wir schauen uns den Bericht an und wo Dinge liegen, die noch verbesserungsfähig sind.

Ich bin mir sicher, es wird hie und da in den Verwaltungen daran liegen, dass gar nicht genügend Geld vorhanden ist, zum Beispiel qualifiziertes und ausreichendes Personal in die Sozialämter zu setzen, damit zum Beispiel eine gute Auswegberatung gemacht werden kann.

Die Maßnahmen, die schon seit vielen Jahren in Deutschland als gut und wirkungsvoll erkannt sind – ich nenne nur ein Beispiel: das Osnabrücker Modell –, müssen wir in Rheinland-Pfalz nicht wieder durch ein mit Landesregierung besetzter Jury und moderiertem Wettbewerbsprozess herausfinden. Diese sind den Sozialhilfeträgern bekannt. Dazu gab es landauf und landab, von der Nordseeküste bis hinunter in die Alpen, Fachtagungen und Fortbildungsveranstaltungen. Dafür müssen wir in Rheinland-Pfalz keinen Wettbewerb machen.

Ich möchte, dass wir das tun, was wir vereinbart haben, nämlich uns genau anschauen, zu welchen Ergebnissen ihr Bericht gekommen ist und wo gegebenenfalls Mängel liegen: in der Personalausstattung, Beratung von Hilfeempfängern und gegebenenfalls auch in gesetzlichen Bestimmungen, die die Umsetzung so, wie wir sie politisch für richtig halten, erschweren.

(Glocke der Präsidentin)

Dann haben wir Aufgaben als Landtag, für die wir auch zuständig sind, und nicht Wettbewerbe zu moderieren.

Vielen Dank.

(Beifall der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Schmitz das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte mir zum einen heute vorgenommen, lieb zu sein, und zum anderen nur drei Minuten zu sprechen. Beides wird mir schwer fallen.

Frau Thelen, es tut mir Leid, Sie hier so auf dem linken Fuß erwischt zu haben. Ich weiß nicht, was dahinter steht, dass Sie nicht wissen, über was wir heute unter anderem sprechen.

(Zuruf der Abg. Frau Thelen, CDU)

Aber das, was Sie jetzt zum Antrag „Best practice“ ausgeführt haben, ist für mich – ich sage es mit aller Freundlichkeit – nicht nachvollziehbar, weil es erstens selbstverständlich ein großer Unterschied ist, ob ich etwas feststelle und abfrage oder ob ich etwas in einen Wettbewerb stelle.

Die Fußballweltmeisterschaft ist etwas anderes als ein D-Jugend-Kick. Verstehen Sie? – Beides ist Fußball. Da haben Sie Recht. Aber es gibt Wettbewerbe, und es gibt andere Dinge.

(Zuruf des Abg. Schreiner, CDU – Zuruf des Abg. Dr. Weiland, CDU)

Herr Dr. Weiland, ich möchte auch nicht auf die Erkenntnisgewinne eingehen, die heute in der ersten Reihe bei der CDU möglich waren. Lassen wir das.

Der zweite Punkt ist, dass Sie offensichtlich den Kompetenzzuschnitt verwischen.

Sie wissen doch – Sie erwähnten doch die vielen Fachtagungen von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen – genauso gut wie ich, dass das Land in diesen Fragen gar nicht die Kompetenz hat. Der Bund ist der Gesetzgeber, und ausführend sind die Kommunen. Wie soll denn das Land anders tätig werden als in einer Moderatoren- oder Jurorenrolle?

Wenn man sich die Mühe gemacht hat, den „Bestpractice“-Antrag zu lesen, dann stellt man fest, dass es um viele Einzelpunkte geht, die bei den Fragen, die die Landesregierung beantwortet hat, überhaupt nicht zur Debatte standen. Es ist leider Gottes kein Stammtischthema, sondern eine hoch komplexe Materie. Deshalb muss man dieser hoch komplexen Materie entsprechend gerecht werden.

Ich bin überzeugt davon, dass ein Wettbewerb auf Landesebene genauso viel bringt wie Bemühungen beispielsweise um eine Experimentierklausel. Wir alle wissen, dass das Bundessozialhilfegesetz künftig einen hohen Reformbedarf hat. Um sich dazu sachgerecht zu äußern, benötigt man Daten und muss wissen, worüber man spricht.

Wenn jemand sagt, die Missbrauchsquote liege zwischen 1 % und 5 % oder deutlich unter 5 %, wie es im Bericht der Landesregierung steht, dann ist das ein großer Unterschied, wenn man die Volumina bedenkt, um die es geht. Ich habe zu meinem Nachbarn Jürgen Creutzmann gesagt, dass es mir lieber wäre, über 5 % des Einkommens von Bill Gates zu verfügen als über 100 % des Einkommens von Peter Schmitz. Mit Prozenten ist mir nicht gedient.

Wenn wir darauf eingehen wollen, dann müssen wir diese Sachen erfassen. Wir werden uns irgendwann – damit versuche ich auf den erfreulichen Konsensboden zurückzukommen – überlegen müssen, wie wir die vielen verschiedenen Aspekte, Programme, Modelle und unterschiedlichen Versuche in unterschiedlichen Kommunen zu einer gewissen Einheitlichkeit zusammenführen, um den Überblick zu behalten. Für all diese Dinge sehe ich einen Wettbewerb in dieser politischen Kon

stellation der dünnen Kompetenz des Landes als unverzichtbar an und hoffe, dass wir im Ausschuss Gelegenheit haben, die Differenzen beizulegen.

Danke sehr.

(Beifall bei FDP und SPD)

Das Wort hat Frau Abgeordnete Thomas.

Meine Damen und Herren! Da Frau Thelen die historische Entwicklung der Diskussion dargestellt hat, brauche ich das nicht mehr zu tun und kann eine Vorwegbemerkung zu Ihnen machen, Herr Schmitz. Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie immer in eine Diskussion hinein gehen, indem Sie Ihre Diskussionspartner diskreditieren, die einen seien autistisch, die anderen hätten nichts gelesen, die anderen verstünden ihre Anträge nicht. Das ist sehr schwierig. Wir sollten nicht so tun, als wären wir ein Parlament voller Analphabeten und solcher Menschen, die einen IQ von unter 100 haben. Wir verstehen das. Wir lesen das, wir beschäftigen uns damit, und wir gehen mit politischen Positionen in die Diskussion.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU)

Das ist auch schwierig im persönlichen Umgang miteinander. Sie werden auch wissen, dass das besonders häufig aus Ihrer Fraktion kommt. Das ist einfach keine gute Diskussionskultur. Ich werfe Ihnen auch nicht vor, dass Sie sich mit den Themen nicht beschäftigt hätten, sondern ich beschäftige mich mit Ihren Positionen. Dazu möchte ich jetzt kommen.

Sie haben gesagt, diese Diskussion sei keine Stammtischdiskussion. Sie wissen aber, wenn man über Sozialhilfemissbrauch redet, dass dies hoch sensibel ist und man dies mit einer hohen Verantwortung machen muss; denn Sie wissen auch, wie viele man sehr schnell mit einer Missbrauchsdebatte diskreditiert. Ich will nur einige wenige Gruppen nennen: Alleinerziehende, ältere Menschen, Menschen, die durch solche Diskussionen zurück in eine verdeckte Armut gedrängt werden, weil sie sich diskreditiert und etikettiert fühlen.

„Best practice“ ist ein Ansatz, der in vielen Bereichen Schule macht. Man sollte sich aber davor hüten, daraus ein Instrument zu machen, dass auf alles passt.

Sie haben durch die Auflistung in Ihrem Antrag deutlich gemacht, wie viele verschiedene Aufgaben eine Sozialhilfeverwaltung hat. Dabei haben Sie noch nicht einmal alle Aufgaben aufgezählt. Sie wollen das über all diese Bereiche machen. Sie machen das über viele Bereiche, die völlig unterschiedlich in den unterschiedlichen Handhabungen sind. Sie wären besser beraten, wenn Sie sich ganz bestimmte Punkte herausnehmen würden und sagen würden, genau an diesen oder jenen Stellen

Verbesserungen zu moderieren. Dabei würde ein Blick in den Bericht der Landesregierung und eine ausführliche Diskussion in einer Ausschusssitzung sicherlich hilfreicher sein als ein Vorwegpreschen, nur um diesen Begriff zu besetzen.

Bei der „Best-practice“-Methode müssen Sie natürlich schauen, welche Ziele Sie verfolgen. Nehmen Sie betriebswirtschaftliche haushalterische Ziele? Nehmen Sie solche Ziele, bei denen es um Gerechtigkeit geht? Setzen Sie sich als Ziel, dass Entscheidungsträger in den Sozialhilfeverwaltungen in den Kommunen ihren Ermessensspielraum in hoch sensiblen Bereichen verwenden?

Ich will Ihnen zwei Beispiele nennen, bei denen diese Ermessensspielräume so wichtig sind. Wenn Sie das nicht in Ihren Wettbewerb aufnehmen, dann liegen Sie quer. Es gibt in Rheinland-Pfalz Sozialämter, die diejenigen, die sich in Elternzeit befinden und deshalb schlechtere Einkommensverhältnisse und Wohngeldansprüche haben, drängen, dass sie ihre Wohnungen aufgeben, weil die Miete so hoch ist. Sie wissen alle, dass man Elternzeit nur für eine begrenzte Zeit nimmt. Dann müssen Ermessensspielräume genutzt werden, und es soll nicht gesagt werden, dass diejenigen dann die Miete zu reduzieren haben. Sinnvoller wäre es, in diesem sehr begrenzten Zeitraum soziale Unterstützung zu leisten, um damit das Wohnumfeld und alles Mögliche, das damit verbunden ist, aufrechtzuerhalten.