Protocol of the Session on May 16, 2002

Frau Thelen, Ihre Zahlenjongliererei zu diesem Zeitpunkt und Ihre Ungeduld sind unangebracht.

(Zuruf des Abg. Schmitt, CDU)

Sie sollten wissen, gerade ein zartes Pflänzchen braucht seine Zeit, ehe es in voller Pracht blühen kann. Der Bauer, der gerade neben Ihnen sitzt, wird es Ihnen erklären können.

(Beifall bei SPD und FDP)

Nicht zertreten, ist daher unsere Devise. Wenn es vereinzelt Probleme gibt, muss man nach deren Ursachen suchen und diese unverzüglich verändern oder beseitigen.

Die Fakten jedenfalls belegen, das Mainzer Modell hat sich ohne Zweifel schon heute als Erfolg versprechender Ansatz erwiesen. Deshalb wird zu Recht ab März des Jahres dieses Modell bundesweit erprobt. Allein diese Tatsache ist ein großer Erfolg dieser Landesregierung, ein Erfolg, der Ihnen scheinbar schwer am Magen liegt.

(Jullien, CDU: Am Magen!)

Im Magen, natürlich.

Verehrte Kollegen von der CDU, wie sieht die Wirklichkeit aus? Das Modell steht allen offen, die eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze aufnehmen. Übrigens bietet dieses Modell auch Beschäftigungsanreize für Menschen, die nicht in unseren Statistiken auftauchen.

Es ist keine Frage, wir Sozialdemokraten begrüßen dieses Modell, weil es geeignet ist, Menschen mit relativ schlechten beruflichen Chancen wieder eine Perspektive zu geben. Das ist übrigens das zentrale Ziel des Modells. Anders ausgedrückt: Arbeit muss sich lohnen. Ja,

Arbeit muss sich mehr lohnen als der Bezug von Sozialhilfeleistungen.

(Beifall der SPD und vereinzelt bei der FDP – Schweitzer, SPD: Sehr richtig!)

Wir meinen, es macht keinen Sinn, wenn der Staat Kleinverdiener in voller Höhe mit Sozialabgaben belastet, dann aber dem gleichen Personenkreis wegen zu niedriger Nettoeinkommen ergänzende Sozialhilfe gewährt. Deshalb stehen wir hinter diesem Modell, sind aber selbstverständlich bereit, an der Stelle, an der es hapert, Korrekturen anzubringen. Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, wenn nach einer gewissen Zeit ein solches Modell der Prüfung unterzogen wird, dass Änderungen vorgenommen werden, wenn sie nötig sind.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der CDU, genau das wurde getan. Sicher ist Ihnen entgangen, dass mit der bundesweiten Einführung des Mainzer Modells die bisherigen Förderkonditionen vereinfacht wurden. So werden zum Beispiel der Sozialversicherungszuschuss sowie der Kinderzuschuss als Stufen pauschaliert.

Sicher ist Ihnen entgangen, dass nunmehr auf eine nachhaltige Bedürftigkeitsprüfung verzichtet wurde. Das macht übrigens Sinn, weil bei Sozialhilfeempfängern bereits anderweitig eine Bedürftigkeitsprüfung erfolgt ist.

Frau Thelen, sicher ist Ihnen entgangen, dass ab sofort Arbeitgeber, die eine geförderte Arbeitnehmerin bzw. einen Arbeitnehmer beschäftigen, für eine Einarbeitung einen Eingliederungszuschuss erhalten können.

Sicher ist Ihnen entgangen, dass jetzt auf die so genannte Kofinanzierung der Länder verzichtet wurde. Bisher waren die Länder mit einem Sechstel der Gesamtkosten an der Finanzierung des Mainzer Modells beteiligt.

(Frau Thelen, CDU: Ihnen ist das Thema der Debatte entgangen, Herr Rösch!)

Ihnen ist auch scheinbar entgangen, dass die Förderung nach dem Mainzer Modell nicht mehr als Einkommen auf die Sozialhilfe angerechnet wird, sondern künftig diese Anrechnung entfällt. Mit anderen Worten: Sozialhilfeempfänger werden sich besser stehen, falls sie eine Arbeit aufnehmen.

(Vereinzelt Beifall bei SPD und FDP)

Allein diese Änderungen belegen, dass nun die Handhabung vereinfacht, der Aufwand bei den Arbeitsämtern geringer und zeitliche Verzögerungen beseitigt wurden. Dies sind entscheidende Schritte, damit aus dem Mainzer Modell bundesweit ein Erfolgsmodell werden kann. Jetzt liegt es auch an uns allen, dieses Mainzer Modell nicht zu zerreden, sondern für dieses Modell offensiv zu werben. Legen Sie also Ihre parteipolitische Brille beiseite; denn wer auch nur halbwegs die Menschen im Auge hat, sollte gerade in der Einführungsphase des Mainzer Modells dieses Modell nicht mies machen, sondern konstruktiv begleiten. Ich bin mir ganz sicher, dass sich mittlerweile alle Beteiligten bewegen: die Ar

beitsverwaltung, die Sozialverwaltung, aber auch die Kommunen. – Übrigens sparen gerade sie infolge dieses Modells erhebliches Geld. Ich freue mich, dass durch die Motivationskampagnen mehr Bewegung entstanden ist. Betriebe, Arbeitslose oder Sozialhilfeempfänger wissen heute etwas mit diesem Modell anzufangen. Hören Sie also auf, ständig an dem Modell herumzumäkeln, Bundestagswahl hin, Bundestagswahl her.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD)

Arbeit heißt Teilhabe an der Gesellschaft. Deshalb müssen wir Chancen und Anreize zur Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Tätigkeiten ermöglichen. Es geht um jedes einzelne Schicksal und nicht um Rechthaberei. Es gilt, für die betroffenen Menschen wieder eine Perspektive zu schaffen. Zeigen wir also den Bürgerinnen und Bürgern Chancen auf, wie sie mehr Geld erhalten können. So erhalten zum Beispiel Alleinerziehende durch das Mainzer Modell monatlich um die 150 Euro mehr. Familien erhalten monatlich bis zu 250 Euro mehr.

Meine Damen und Herren, allein diese Zahlen belegen: Arbeit kann sich lohnen.

(Beifall bei SPD und FDP)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Marz.

(Billen, CDU: Fragen Sie einmal Herrn Rösch, wozu er geredet hat!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und meine Herren! Herr Kollege Rösch, Frau Kollegin Thelen, der Erfolg eines Modellversuchs lässt sich möglicherweise gar nicht objektiv messen, sondern es kommt erheblich darauf an, welche Ansprüche man daran anlegt, welche Maßstäbe man anlegt. Da kann man natürlich die Maßstäbe anlegen, die die Erfinder des Modells selbst angelegt haben. Das wäre in diesem Fall unter anderem der frühere Minister Florian Gerster. Er hat damals mit der Aussicht gewunken, es könnten bis zu 14.000 Förderfälle im Land werden. Wenn man es daran misst – das tue ich nicht; wie käme ich auf die Idee? –, müsste man sagen, es wäre kein Erfolg gewesen.

(Rösch, SPD: In welchem Zeitraum? Das muss man dazusagen!)

Wenn man versucht, es daran zu messen, ob eine solche Maßnahme einen relevanten Anteil zur Verringerung der Massenarbeitslosigkeit leisten kann, dann müsste man möglicherweise auch ein großes Fragezeichen dahinter machen.

Wenn man aber sagt – daran werden Sie erkennen, dass ich durchaus zu einer sehr abgewogenen Beurteilung kommen will –, vielleicht ist es für bestimmte Zielgruppen interessant, dann können diese Fragezeichen schon weichen. Es ist aber wichtig, welchen Maßstab

man anlegt. Um ein solches Instrument wirksam werden zu lassen, ist wichtig, wo es wirkt und wie es wirkt und ob es überhaupt wirksam ist, um möglicherweise nachjustieren zu können. Deshalb nutzt es überhaupt nichts, hier das künstlich kleinzureden oder künstlich großzureden. Man muss schauen, dass man es so behandelt, wie es ist, um im Interesse der Sache möglichst weit zu kommen.

Wir können feststellen, dass die anvisierten Zahlen von Förderfällen bislang nicht erreicht werden konnten. Wir können auf der einen Seite feststellen, dass es vor allem für Vollzeitbeschäftigte bzw. für Menschen, die nach einer Vollzeitbeschäftigung fragen, ohne Kinder zu haben, relativ uninteressant zu sein scheint, was wir ihnen hier anzubieten haben. Wir können aber auf der anderen Seite feststellen, dass es insbesondere für allein erziehende Frauen von einem besonderen Interesse zu sein scheint.

Bei den Untersuchungen, die begleitend durchgeführt wurden, kam heraus – das ist auch nichts Neues –, dass ein wesentlicher Umstand, der eine Arbeitsaufnahme verhindert, von vielen Betroffenen darin gesehen wird, dass sie keine Betreuung für ihre Kinder haben. Dazu passt auch eine Untersuchung der Europäischen Union über die Frage, warum vor allem Frauen in Teilzeitarbeit gehen. Da kommt heraus, dass in Deutschland 69 % der weiblichen Teilzeitbeschäftigten angeben, dass sie das tun, weil sie Hausarbeit oder familiäre Gründe haben. Das ist in der Regel die Kindererziehung und mangelnde Möglichkeiten der Kinderbetreuung. Deutschland liegt hier übrigens in einer traurigen Spitzenposition, wohl immer noch, mit 69 %. Andere Länder – mit Ausnahme Luxemburgs – schauen etwas besser aus.

Das heißt, wenn wir uns über die Frage unterhalten, inwiefern arbeitsmarktpolitische Maßnahmen im weitesten Sinn wirksam werden können, dann müssen wir uns auch über andere Hintergründe unterhalten. Wenn wir feststellen, dass ein entscheidendes Beschäftigungshemmnis das Fehlen von Kinderbetreuungseinrichtungen, insbesondere in der Lücke der Null- bis Dreijährigen, besteht, dann müssen wir in diesem Bereich etwas tun.

Im Übrigen sagt diese Studie der Europäischen Union, dass nur 10 % in Teilzeitarbeit gehen, weil sie keine andere Beschäftigung finden. Das heißt, die Nachfrage an sich nach Teilzeitarbeit ist so groß gar nicht, sondern die externen Hemmnisse sind wesentlich größer. Weil das zunächst einmal so ist und man diesen Menschen helfen muss, sind die Effekte in dieser Hinsicht bezüglich des Mainzer Modells natürlich zu begrüßen, weil sie immerhin einer gewissen Zahl von allein erziehenden Müttern eine Beschäftigung – möglicherweise nur auf Dauer, aber immerhin – gegeben haben.

Wenn das Ganze allerdings benutzt wird, um intensiv in Niedriglohnbereiche einzusteigen, sagen wir Nein. Das kann nicht der richtige Weg sein. Es gibt auch in der bereits zitierten Untersuchung der Europäischen Union interessante Zahlen. Deutschland liegt, was den Anteil an Niedriglohnarbeitsplätzen angeht, europaweit bzw. EU-weit im vorderen Feld mit 17 %. Darüber liegen nur wenige. Die meisten liegen darunter. Das heißt, wenn es

darum ginge, mit einer Forcierung des Niedriglohnsektors über Modelle wie das Mainzer Modell einen Fuß hineinzubekommen, um Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, dann kann das nicht so richtig stimmen, weil das dann schon viel stärker gegriffen haben müsste.

Deshalb ist es auch richtig, dass bei der bundesweiten Umsetzung des Mainzer Modells festgelegt wurde, dass dort Tariflöhne oder zumindest ortsübliche Löhne zu gelten haben, wobei ich hierbei zu bedenken gebe, dass noch genau geschaut werden muss, inwiefern Leiharbeitsfirmen sich möglicherweise über dieses Gebot durch die Definition von ortsüblichen Löhnen hinwegsetzen könnten.

Wir können feststellen, dass das Mainzer Modell in gewissen Nischen des Arbeitsmarkts bei bestimmten Problemlagen tatsächlich in der Lage ist, kleine Lösungen anzubieten, dass es aber nicht der große Wurf ist.

(Rösch, SPD: Immerhin!)

Herr Rösch.

(Rösch, SPD: Es redet keiner vom großen Wurf!)

Ich erinnere mich noch an Herrn Gerster, wie er das hier verkauft hat. Man hätte es auch zwei Stufen darunter verkaufen können. Dann wäre das der Sache angemessener gewesen.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch einmal an zwei Dinge erinnern. Es gibt wesentlich andere Dinge, an die man herangehen muss, auch was den Bundesgesetzgeber angeht, der noch weitergehen muss. Wir müssen die Steuer- und Abgabenproblematik lösen. Da ist das richtig, was Sie gesagt haben, dass man nicht auf der einen Seite die Abgaben wegnehmen kann, um sie dann auf der anderen Seite wieder zurückzugeben. Das hat etwas Absurdes an sich. Aber Sie wissen auch, dass es in der Praxis nicht so einfach ohne weitere Verwerfungen zu lösen ist.

Wir müssen uns die Umfeldbedingungen, in denen Arbeitslosigkeit besteht, anschauen. Stichwort „Kinderbetreuung“. Es gibt noch andere Fragen, wie zum Beispiel die der Mobilität, die geregelt werden müssen. Man darf nicht nur beim reinen Arbeitsmarkt stehen bleiben.

(Rösch, SPD: Deshalb haben wir die Ganztagsschule!)

Also wollen Sie, dass ich jetzt auch noch etwas zu der Ganztagsschule sage? – Ich habe schon etwas zu den Null- bis Dreijährigen gesagt. Vielleicht sagen Sie dazu auch einmal etwas.

(Billen, CDU: Sehr gut!)