Protocol of the Session on October 13, 2005

Wir alle wissen, dass es glücklicherweise sehr viele Beispiele gelungener Integration gibt. Wir wissen natürlich auch, dass die Frauen ganz unterschiedliche Lebensentwürfe haben. Dennoch wollten wir es genauer wissen und haben die Große Anfrage mit dem Ziel formuliert, mit einer Bestandsaufnahme auf die Situation muslimischer Mädchen und Frauen in Rheinland-Pfalz aufmerksam zu machen. Wir sind sehr froh darüber, dass wir das getan haben; denn im Anschluss an diese Große Anfrage gab es eine Reihe von parlamentarischen Initiativen. Es gab Kleine Anfragen, einen Antrag der GRÜNEN. Ich finde, es ist richtig, dass die CDUFraktion dieses Thema auf die politische Tagesordnung gesetzt hat.

(Beifall bei der CDU)

In neun Frageblöcken haben wir viele verschiedene Lebensbereiche einbezogen, etwa Fragen zur Erziehung und Bildung, aber auch zum Beruf und Senioren. Wir wissen, dass die erste Gastarbeitergeneration mittlerweile in Deutschland alt geworden ist. Wir haben aber auch nachgefragt zu den Themen „Ehe“ und „Familie“. Wir möchten eins vorwegschicken, wir sind mit der Beantwortung dieser Großen Anfrage sehr unzufrieden, aus dreierlei Gründen. Zum einen sind von 79 Fragen 54 nicht beantwortet worden, weil keine Erkenntnisse vorliegen, weil es kein Datenmaterial gibt, keine belastbaren empirischen Daten. Das ist ein Armutszeugnis. Die Landesregierung stochert im Nebel. Wir gestehen uns ein, dass wir über die Lebenssituation von 100.000 Menschen, die unter uns leben, so gut wir nichts wissen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, wir sind uns im Klaren darüber, dass es gesetzliche Rahmenbedingungen gibt, an die sich selbstverständlich auch die Landesregierung halten muss. Wir möchten aber diesen Punkt einmal festhalten, dass wir über die Lebenssituation dieser Menschen so gut wie nichts wissen.

Auch dort, wo es möglich gewesen wäre, zu antworten, ist das sehr oberflächlich geschehen, teilweise auch widersprüchlich. Dann sind Antworten, die man durchaus hätte geben können, nicht gegeben worden. Beispielsweise haben wir nachgefragt – ich halte das für eine ganz wichtige Frage –, wie hoch die Anzahl der

Kinder aus diesem Kulturkreis im Kindergarten ist? – Wir wissen, dass Integration, wenn sie erfolgreich sein soll, doch möglichst früh beginnen muss. Die Antwort der Landesregierung lautet dann lapidar: Diese Angaben müssen beim Träger nachgefragt werden, das könne man nicht leisten. – Ich denke schon, dass die Landesregierung das hätte leisten können. Natürlich ist das Arbeit, aber es wäre doch wichtig zu wissen. Das hätte man doch tun können. Meine Damen und Herren, ich würde mir schon wünschen, dass wir das vielleicht noch nachgereicht bekommen. Ich denke, das ist wichtig.

Wenn Sie das zusammenfassen, dann bin ich auch schon bei meinem dritten, dem größten Vorwurf: Man spürte bei der Beantwortung dieser Anfrage das Unbehagen der Landesregierung, sich mit diesem Thema überhaupt auseinander setzen zu müssen.

(Beifall bei der CDU)

Der Herr Minister ist jetzt leider nicht anwesend, ich hätte es ihm gern selbst gesagt. Er schreibt in dem Vorwort, er begrüße zwar die Große Anfrage, aber Integrationsprobleme muslimischer Frauen seien nicht religions- sondern migrationsbedingt. Sie gleichen überaus den Problemen anderer Migrantinnen und Migranten.

Ich möchte dazu sagen: Fremdbestimmung der Frau, Zwangsheirat, arrangierte Ehen, Gewalt in der Ehe, Ehrenmorde, all das trifft in einem ganz bestimmten Kulturkreis zu. Diese schlimmen Auswirkungen haben wir glücklicherweise nicht bei Portugiesen, bei Italienern oder bei Aussiedlern. Diese Problematik trifft auf diesen einen Kulturkreis zu. Meine Damen und Herren, das müssen wir uns doch einmal eingestehen.

(Beifall bei der CDU)

Was die Landesregierung hier geschrieben hat, ist eine Verharmlosung, eine Negierung der Realität. Necla Kelek gibt in ihrem aufwühlenden Buch „Die fremde Braut“ Einblick in das türkische Leben in Deutschland. Sie schreibt: „In den muslimischen Gemeinschaften hat sich eine Trennungslinie zwischen Männern und Frauen herausgebildet. Der Mann steht in der Öffentlichkeit, die Frau ist Privatheit und Ehre des Mannes.“ Sie geißelt in ihrem Buch darüber hinaus auch den deutschen Zustand der Unschuld nach dem Motto: Wir tolerieren einfach alles.

Meine Damen und Herren, statt tolerant ein anderes kulturelles Muster zu akzeptieren, ohne sich darüber klar zu werden, was wir eigentlich akzeptieren, fände ich es wichtiger, dass wir als überzeugte Demokraten einmal darüber reden, wie wir diesen Frauen helfen, aus diesen Mustern auszubrechen, und wie wir ihnen helfen, ein selbstbestimmtes, ein eigenverantwortliches Leben zu führen. Das sollten wir tun.

Den Mut einer Frau Hirsi Ali oder einer Frau Necla Kelek, ein kleines bisschen dieses Mutes hätte ich auch der Landesregierung gewünscht, aber hier ist ein zwanghaftes Bemühen um politische Korrektheit leider der Fall gewesen.

Mein Kollege Matthias Lammert wird später noch etwas zu dem Integrationsbericht ausführen.

Lassen Sie mich ein paar ganz kurze Forderungen formulieren. Zum einen brauchen wir – auch das ist in dem Bericht deutlich geworden – mehr Sprachkurse, auch mehr verpflichtende Sprachkurse.

Wir müssen auch darüber reden, ob wir es vielleicht unter Strafe stellen sollten, wenn es einer jungen Frau von einem Ehemann oder von der Familie nicht ermöglicht wird, einen solchen Sprachkurs zu besuchen. Darüber müssen wir reden.

Wir müssen engagiert und couragiert gegen Zwangsehen und arrangierte Ehen vorgehen; denn aus arrangierten Ehen werden oft Zwangsehen, eventuell durch die Heraufsetzung des Heiratsalters.

Wir haben vorhin über die schlechte Situation bei der Datenerhebung gesprochen. Mittlerweile gibt es im niederländischen Parlament eine Mehrheit, die sich dafür ausspricht, Fälle von häuslicher Gewalt nach dem Kriterium der Zugehörigkeit zu einer bestimmten ethnischen Gruppe zu erfassen. Auch darüber müsste man hier zumindest einmal sprechen dürfen.

Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zum Schluss noch ein Zitat von Hirsi Ali. Sie sagt: „Wir brauchen Politiker, die es wagen, Dinge auszusprechen und die keine Angst haben, kontroverse Standpunkte zu besetzen. Menschen, seien es nun Muslime, oder Nichtmuslime, verdienen nur dann Respekt, wenn sie auch andere respektieren. Wenn es um Menschenrechte geht, darf man nicht mit zweierlei Maß messen.“ – Recht hat sie. (Beifall der CDU)

Das Wort hat Herr Abgeordneter Klöckner.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bund und Land Hand in Hand ist ein sicherlich bewährter und von einer großen Mehrheit getragener Grundsatz unseres föderal verfassten Staatswesens.

Im politischen Alltag findet dieser in vielfältiger Weise Anwendung, so zum Beispiel, wenn Bundesgesetze auf Landesebene heruntergebrochen werden.

Irgendetwas muss die CDU-Landtagsfraktion dabei aber wohl missverstanden haben; denn sie hat diesen Grundsatz auf einen ganz anderen Bereich angewandt.

Ihre Große Anfrage vom 24. März 2005 zur Situation muslimischer Frauen und Mädchen in Rheinland-Pfalz ist fast wortgleich identisch mit der Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, namentlich der Abgeordneten Rita Pawelski, Maria Eichhorn usw., vom 15. Juli 2004, also gerade einmal ein gutes Jahr alt.

(Frau Huth-Haage, CDU: So what?)

Pardon, ich berichtige mich, Ihre Bundestagskolleginnen haben 78 Fragen formuliert, die CDU-Landtagsfraktion 79, also eine mehr.

Kompliment, das war schon eine wahre Fleißarbeit, das Wort „Bundesregierung“ jeweils durch „Landesregierung“ zu ersetzen.

(Zuruf des Abg. Schweitzer, SPD – Zuruf der Abg. Frau Huth-Haage, CDU)

Ein 79tel der Anfragen sind Eigenkreationen. Das sind roundabout einmal schlappe 1,2 %.

(Frau Kohnle-Gros, CDU: Sagen Sie etwas zur Sache! Das würde uns viel mehr interessieren!)

Damit setzen Sie eine schon öfters von Ihnen geübte Praxis fort. Abschreiben ist bei Ihrer Fraktion im Moment in.

(Beifall bei der SPD)

Bei einer Examensarbeit wären Sie mit einer sechs, ungenügend, glatt durchgefallen.

(Zuruf des Abg. Keller, CDU)

Sie machen es doch nicht einfach besser.

Selbst die der Presse gegenüber geäußerte empörte Reaktion auf eine aus Ihrer Sicht von Ahnungslosigkeit und Unkenntnis der Landesregierung geprägte Beantwortung der Großen Anfrage ist fast deckungsgleich mit der Ihrer Bundestagskollegin. Lediglich der Name Rita Pawelski ist durch Simone Huth-Haage auszutauschen.

Sie werfen der Landesregierung vor, von den 79 Fragen nur 54 beantwortet zu haben. Das stimmt keineswegs. Wenn die Landesregierung auf Ihre Anfragen schreibt, der Landesregierung lägen keine belastbaren empirischen Daten vor oder der Landesregierung lägen keine Erkenntnisse vor, weil keine statistische Erfassung erfolgt – Sie haben es selbst genannt – oder weil die Daten zur religiösen Zugehörigkeit nicht erfasst würden, dann sind das ganz klare Antworten.

Sie wissen doch selbst oder sollten es zumindest wissen, was in Artikel 4 unseres Grundgesetzes steht: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“ –

(Beifall der SPD und der FDP)

In Artikel 140 in Verbindung mit Artikel 136 Abs. 3 der Weimarer Verfassung heißt es: „Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ –

(Vizepräsident Creutzmann übernimmt den Vorsitz)

Gott sei Dank sind die Religionsgemeinschaften in unserer freiheitlichen Grundordnung grundsätzlich kein Ob

jekt staatlicher Beobachtung oder Erfassung. Aus diesem Grund ist es auch nicht möglich, Fragen wie „Wie hoch ist die Scheidungsrate bei muslimischen Ehepartnern in Rheinland-Pfalz? Welcher Ehepartner reicht vorwiegend die Scheidung ein?

(Pörksen, SPD: Das ist ja bekloppt!)

Wie hoch ist der Anteil von Studentinnen und Studenten aus muslimischen Familien, die eine Hochschulausbildung absolvieren, getrennt nach Geschlecht und Staatsangehörigkeit?“

(Schweitzer, SPD: Wie heißen diese? – Pörksen, SPD: Eine Frechheit!)

sowie zahlreiche anderer solcher Fragen inhaltlich zu beantworten, es sei denn, man verlangt von der Landesregierung statt belegbarer Fakten Mutmaßungen und Spekulationen, Frau Huth-Haage.

(Beifall bei der SPD – Pörksen, SPD: Das machen die selbst!)

Die CDU erwartet wohl nicht, dass die Landesregierung gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstoßen soll.