Protocol of the Session on March 31, 2000

sorglichen Kontrolle -wie es immer so schön heißt- und Abschreckung von jedermann zielt auf ein sehr Vl!ichtiges

Rechtsgut unserer Demokratie, dass Menschen nur bei Ver

• dacht in:das Visier der Polizei geraten dürfen, ab.

Der Rechtsstaat darf nicht prüfen, ob jemand gegen das Ge

setz verstößt, sondern er darf erst dann die Freiheitsrechte von B~rgerinnen einschränken, wenn der Verdacht auf ein illegales Tun vorhanden ist. Das ist ein ganz wichtiger rechts

staatlicher Grundsatz.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

ln der CDU haben es aber die Grundrechte und das verfas

sungsmäßige Handeln immer schon etwas schwerer gehabt.

Meine Damen und Herren von der CDU in Rheinland-Pfalz, ich hoffe nur, dass Sie nicht so ahnungslos sind wie ihr Kollege Wolfgang Bosbach, seines Zeichens Vizechef der CDUFraktion im Bundestag, der nämlich gesagt hat- ich zitiere-:.,Niemand kann das Recht geltend machen, unerkannt durch. die Stadt zu gehen." Das ist CDU-Gedankengut, aber das ist genau das Gegenteil von dem, was uns das Grundrecht postuliert; denn das besagt ausdrücklich: Jeder hat das Recht, unerkannt durch die Stadt zu gehen. - Das bedeutet, er kann

durch die Stadt gehen, ohne dass sein Verhalten durch Kameras aufgezeichnet wird. Das ist schon im Mittelalter so geyvesen: Damals gab es den griffigen Slogan: Stadtluft macht frei. - Das ist genau damit gemeint, und dass wollen wir er

halten.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, George Orwefl hat in seinem Klas

siker.,1984" sehr eindringlich vor der Gefahr 'für unseren Rechtsstaat durch unbeschränkte Kontrolle und Überwachuhg gewarnt.

(Dr. Weiland, CDU: Das ist ein solcher Quatsch! Das ist ein solcher Unsinn!)

NICnt umsonst neii:St die RTL-Rund-um-die-Uhr-Show "Big Brother". Das hängt schließlich alles damit zusammen. Das ficht Sie von der CDU aber nicht mehr an. Sehen Sie sich doch einmal das Konzept von Herrn Rüttgers an.

(Schnabel, CDU: Das stimmt doch gar nicht, was Sie da erzählen!). Mehr Überwachung von unbescholtenen Bürgerinnen und Bürgern durch Videokameras und durch die Verstärkung des Lauschangriffs, das steht nämlich auch drin. (Dr. Weiland, CDU: So ein Unsinn! Sie können sich ja wieder vermummen!)

Der Lauschangriff soll noch einmal verstärkt werden. Sie wollen auch den Spähangriff. Das steht auch in dem Papier von Rüttgers.

(Schnabel, CDU: Wo ~aben Sie das Papier her?)

Sie wollen die Telefonüberwachung verstärken und so weiter und so fort. Das steht alles in dem 18seitigen Papier von Herrn Rüttgers.

(Bische!, CDU: Das haben Sie selbst aufgesetzt! Haben Sie das selbst verfasst? So ein Quatsch!)

Meine Damen· und Herren, Sie versuchen weiter, mit all die

sen Vorschlägen die Ängste von Bürgerinnen und Bürgern zu manipulieren. Das wird Ihnen aber nicht gelingen; denn- das haben die letzten Umfragen gezeigt- das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger steigttrotzder Abschaffung der Kronzeugenregelung und trotz abhörfreier Räume beim Lauschangriff zugunsten von Ärztinnen, Anwälten und Journalisten. Das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen un_d Bürger steigt. Von Ihnen aus gesehen ist das ganz unmöglich.

Eine Sache ist richtig bei der ganzen Diskussion: Wir mössen uns überhaupt einmal Gedanken - da ist vielleicht der Mot

tenkistenvorschlag der CDU-Fraktion gar nicht so schlecht

über die schleichende Ausbreitung der Videoüberwachung in den Städten machen. Die Datenschützerinnen haben nämlich

aüch ganz eindeutig v~r einer Übe~.. AJachungsinfrastruktur

gewarnt. Sie fordern dringend, dass der Missbrauch von Videotechnik unter Strafe gestellt wird. Hierzu müssen klare. Richtlinien erarbeitet werden, damit der schleichenden Ausbreitung der Videokameras- sei es in Bahnhöfen, Geschäften und auch auf öffentlichen Plätzen und so weiter und so fortein Riegel vorgeschoben wird.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- Glocke des Präsidenten)

Zum Schluss noch einen Satz.

Meine Damen und Herren, auch die Gewerkschaft der Polizei lehnt Ihre Pläne ab; denn sie sagt: Ein Polizist aus Fleisch und Blut auf einem Platz, der angesprochen werden kann, ist sehr _ viel besser für das Sicherheitsgefühl und für die reelle Sicher

heit von Bürgerinnen und Bürgern als irgendwo ein anony- · mes Videoauge auf dem Dach.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Innenminister Zuber das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Bemühen des Staates, für seine Bürgerinnen und Bürger ein Höchstmaß an Sicherheit.zu gewährleisten, darf nicht dazu führen, dass die Freiheitsrechte außer Acht gelassen und-rechtstreue Bürgerinnen und Bürger.im öffentlichen Raum einer permanenten Videoüberwachung und -aufzeichnung unterworfen werden und damit in erheblichem Umfang in ihre Grundrechte eingegriffen wird. Ich halte also den Punkt, über den wir heute diskutieren, rechtspolitisch für höchst bedenklich.

Auch muss der Nutzen großflächiger Videoüberwachungs

maßnahmen aus polizeiliCher Sicht skeptisch beurteilt wer

den. Ich habe zuvor schon einmal darauf hingewiesen.

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland noch keine gesicherten Erkenntnisse. Es entspricht jedoch der allgemeinen polizeilichen Erfahrung, dass ein lokal verstärkter Fahndungs

druck mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Verdrängungstendenzen führt. Es ist deshalb zu befürchten, dass es nicht zu einem Rückgang der Kriminalität kommt, sondern leäiglich zu einer Verlagerung in andere Bereiche. Über das vom Abgeordneten Schnabel zuvor angesprochene Modell Leipzig wird'näm

lich genau das berichtet, nämlich dass sich die Drogenszene in Leipzig dadurch nicht aufgelöst hat, sondern dass eine Ab

wanderung in einen nicht videoüberwachten Bereich eingetreten ist.

Darüber hinaus besagen wissenschaftliche Erkenntnisse aus England, dass die präventive Wirkung von Videoüberwachungsmaßnahmen mit zunehme·nder Zeitdauer nacHlässt, da sich die Täterinnen und Täter darauf einstellen. Diese Entwicklung ist im Übrigen auch im Bereich der privaten Video

überwachung zu verzeichnen. Obwohl zwischenzeitlich Banken und Tankstellen überwiegend über Videoüberwachungsanlagen verfügen, erfolgen gleichwohl Raubüberfälle, bei denen sich die Tä~er durch eine Maskierung einer möglichen Identifizierung entziehen.

Die Videoüberwachung ist also keinesfalls ein Allheilmittel. Darüber sind wir uns meiner Meinung nach wohl auch einig. Die Videoüberwachung ist zudem extrem teuer, und sie wür

de natürlich zusätzliches Personal in den Lagezentren binden. Eine anonyme Kamera kann den Polizisten vor Ort niemals ersetzen. Deshalb setzt die Landesregierung auf polizeiliche Kontrollen vcir Ort, auf eine sichtbare polizeiliche Präsenz; auf gemeinsame Streifen -das ist ein ganz wichtiger Punktder Polizei mit den allgemeinen Ordnungbehörden im Rah-·

men der bestehenden sichtbaren Sicherheitspartnerschaften und ergänzende Maßnahmen in der kommunalen Kriminalprävention. Auch die aktuelle Aktion "Wer nichts tut, macht mit" für mehr Zivilcourage ist geeignet, die Voraussetzungen für eine wirksamere Bekämpfung insbesondere der Straßen

kriminalität zu schaffen.

Meine Damen und Herren, es steht aber auch zweifelsfrei fest, dass im Bereich der Verbrechensbekämpfung und Gefahrenabwehr der 'Einsatz moderner Videotechnik bereits seit Jahren erfolgreich praktiziert wird. Im Rahmen der Gefahrenabwehr, beispielsweise bei der Bewältigung von Großveranstaltungen, insbesondere bei Demonstrationen, aber auch bei Sportveranstaltungen, bei denen konkret mit Ausschreitungen zu rechnen ist, ist diese mobile Technik eine sehrgute Ergänzung.

Im Hinblick auf die fortgeschrittene technische Entwicklung und die Erfahrungen in anderen Ländern stelltsich die Frage, ob dieses Einsatzmittel stärker als bisher zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung herangezogen werden kann. Die nächste Innen-ministerkonferenz wird sich auf der Grundlage der Beratungen in den Fachgremien mit dieser Thematik befassen, wobei aus meiner Sicht folgende·Leitlinien zu berücksichtigen sind: