Protocol of the Session on March 30, 2000

-Patienten sind - das ist schon eine längere Entwicklung - auf dem Weg weg vom benevolenten Paternalismus der Ärzte hin zur Einwilligung nach Aufklärung. An die immer wieder aufgestellte Forderung nach Selbstverantwortung für die eigene Gesundheit ist ohne eine solche Veränderung auch überhaupt nicht zu denken. Ein solches Verständnis ist letztlich die Grundlage, auf der eine eigenverantwortliche Prävention in alle Bereiche der Gesellschaft hineingetragen werden kann.

Meine Damen und Herren, inwieweit eine Positivliste und integrierte Versorgungsstrukturen, wie im vorliegenden Antrag formuliert, Rechte des Patienten positiv oder negativ be

rühren, wurde bisher eher nachrangig, wenn überhaupt, diskutiert.

Meine Damen und Herren, die G·esundheitsreform 2000 in der einmal geplanten Form ist tot. Nach der Reform ist immer vor der Reform, heißt es. Vieiieicht stehen wir wieder vor einer Reform.

Wie unter der alten Bundesregierung werden nun die zusti'!l

mungsfreien Teile umgesetzt. Die Notwendigkeit einer in sich stimmigen Reform bleibt deshalb weiter ein dringendes Anliegen. Es mag bezweifelt werden, ob dazu dann allerdings die Kraft noch ausreicht. Dazu müsste auch die Stimme der Patienten und die große Zahl der Pflegefachkräfte ge

hört werden, und zwar viel mehr, als das bisher der Fall ist.

Es i~t sicherlich kein einfaches Geschäft, die unterschiedlichen Interessen der im Gesundheitswesen Handelnden unter einen Hut zu bringen. Vielleicht handelt es sich wirklich um die Quadratur des Kreises. Mit Sicherheit ist aber eines notwendig: Die Tür für Gespräche mit allen Berufsgruppen offen zu halten.

Die Anhäufung aller schön klingemden Begriffe im Abschnitt II im Antrag der Fraktion der CDU bringt uns da natür

lich auch keinen Schritt weiter. Alle am Gesundheits~esen Beteiligten und die Patienten hätten ein Recht, endlich schlüssige, klare ~nd vielleicht auch -was notwendig ist- un

liebsame Worte zu hören.

Wie sollen die Mitte.l für unser Gesundheitswesen bei immer gravierenderen demographischen Veränderungen und bei dem von uns allen begrüßten medizinischen Fortschritt er

bracht werden? Kann denn wirklich unter Beibehaltung der bisherigen Beitragssätze an die Krankenkasse jegliches ge

sundheitliches Risiko wirklich abgedeckt werden? Kann erwartet werden, dass die Solldargemeinschaft auch jegliche Vorsorgemaßnahmen, die der Einzelne in Verantwortung für die eigene Gesundheit treffen kann, übernimmt? Dazu bedürfte es allerdings der Rückkehr zu einer Streitkultur, die die. Interessen des jeweils anderen ':"'irklich ernst nimmt und die von allen eine Abkehr von der bloßen Besitzstandswahrung verlangt, die nicht von parteipolitischem Taktieren überlagertwird.

Her.r Dr. Altherr, wenn immer wieder die alte Koalition und Herr Thomae angesprochen werden, muss gesagt werden: Herr Thomae ist in diesem Zusammenhang als Mitglied des kleinen Koalitionspartners, wenn man an Lahnstein denkt, nicht unbedingt als der in Erinnerung geblieben, von dem die CDU das aufgenommen hat, was die F.D.P. gerne weiter Qehend gemacht hätte.

(Zuruf des Abg. Dr. Altherrr, CDU)

Die Antworten, die wir im Gesundheitswesen endlich finden müssen, werden uns allen wenig gefällen. Sie müssten allen viel abverlangen. Das wäre dann ein Ergebnis, das den Namen Reform verdient. Unser Gesundheitswesen wäre dann endlich der Gewinner und damit auch all diejenigen, die darin beschäftigt sind, nämlich die Forschung, deren neuesten Erkenntnisse viele Kranke mit Hoffnung erfüllen, die PharmaIndustrie, die Heilmittel entwickelt, die Krankenkassen, die mit den ihnen zur Ve.rfügung gestellten Mitteln sorgsam umzugehen haben, und letztlich würde sie denen dienen, um die es geht, nämlich unseren Patienten.

(Beifall der F.D.P. und der SPD)

Ich erteile Herrn Staatsminister Gerster das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich wäre dem Prä

sidium des Parlaments dankbar, wenn plumpe Wertungen derart, wie sie in der Überschrift "Gesimdheitsreform 2000 Schaden für unser Land" stehen, in Anführungszeichen ge-.. setzt werden, wenn sie schon in eine Tagesordnung oder Landtagsdrucksache übernommen werden. Sonst ist das wirklich eine Zumutung.

(Beifall der SPD und desAbg. Kuhn, F.D.P.- Unruhe bei der CDU)

Herr Staatsminister Gerster, dieser Appell ist an die falsche Adresse gerichtet~ Das ist Aufgabe des Ältestenrats. Auch da

riri ist die SPD vertreten. Das nur nebenbei.

(Kramer, CDU: Unerhört!)

Ich nehme diese Rüge gern in Kauf und akzeptiere sie. Ich bit

te dann den Ältestenrat, künftig sicherzustellen, dass solche plumpen Wertungen nicht mehr Eingang in eine Tagesordnung finden; denn sonst müssen wir uns meiner Meinung nach in einer Debatte auch nicht mehr den Anschein geben, zum Beispiel gegenüber den Zuhörerinnen und Zuhörern, dass wir zumindest an der einen oder anderen Stelle doch um gemeinsame Lösungen ringen und nicht ausschließlich sozusagen im Schlagabtausch unvereinbare Positionen gegeneinander stellen.

Meine Damen und Herren, ich bitte auch die antragstellende Fraktion der CDU, wenn sie _Anträge aufrecht erhält, die aus dem Herbst des letzten Jahres stammen, als der Widerstand gegen die Gesundheitsreform der rotgrünen Bundesregierung organisiert werden sollte, sehr genau hinzuschauen, wenn ein solcher Antrag ein halbes Jahr später zur Aussprache kommt, ob man die Verbündeten oder Lobbys, die man damals organisieren wollte, tatsächlich noch neben und hinter sich hat.

Schauen Sie sich ab und zu einmal um, ob die Gruppen, an deren Spitze Sie sich gesetzt haben, wirklich noch von Ihnen in dieser aggressiven Form vertreten werden wollen. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie feststellen, dass im Land und im Bund inzwischen die Gesprächsbereitschaft zum Beispiel bei der organisierten Ärzteschaft sehr hoch ist. Der Kampf gegen eine Gesundheitsreform ist der Bemühung um gemeinsame Lösungen gewichen.

(Zuruf des Abg. Dr. Altherr, CDU)

Ich schlage vor, dasswir uns immer um eine zeitgerechte Bewertung des Rahmens bemühen und nicht einfach die Argumente austauschen, denen. im letzten Jahr schon mehrfach ein Schlagabtausch gefolgt ist.

Meine Damen und Herren von der Union, achten Sie bitte auch auf die innerparteiliche Meinungsentwicklung. Wenn ein Mann wie Seehofer, der seit einigen Wochen stellvertretender Fraktionsvorsitzender für die Sozial- und Gesundheitspolitik ist, eine gewisse Meinungsführerschaft beansprucht, zum Beispiel auch bei den Rentenkonsensgesprächen - hier muss er sich allerdings mit Wulff auseinander setzen; die bei

den streiten noch miteinander, wer sozusagen für die Union spricht -, vor einigen Wochen in d~r Gesundheitspolitik die Notwendigkeit der Gemeinsamkeit betont, dann passt dazu

nicht, dass Sie schlicht und ergreifend Unvereinbares gegeneinander stellen wollen und das, was nun auf den Weg gebracht worden ist, ohne jede Ausnahme schlecht machen.

Es wäre sehr viel mehr gewonnen, wenn wir uns auf diese ge

setzliche_ Grundlage -einstellen und gemeinsam darüber reden, was man aus diesem Rahmen, der bundesgesetzlich für einige Zeit _festgeschrieben worden ist, gemeinsam machen kann. Ich betone noch einmal, zum Beispiel die Vertreter der organisierten Ärzteschaft auch im Land Rheinland-Pfalz- das darf ich so sagen- sind nachweisbar a!Jßerordentlich interessiert daran, diesen gesetzlich festgelegten Rahmen nun kon· struktiv und gemeinsam auszufüllen.

Meine Damen und Herren, das Gesetz, wie es den Bundestag verlassen hat und durch die Mehrheitsverhältnisse des Bundesrats gegenüber dem ursprünglichen Entwurf durchaus auch deutliche Veränderungen erfahren hat, enthält bei Licht besehen wesentlich mehr innovative Elemente als in der Öf

fentlichkeit, zum Teil sogar in der Fachöffentlichkeit, wahrgenommen wird.

Ich möchte sie Ihnen nennen. Das gilt einmal für die Verzahnung von ambulanten und stationären Teilen des Gesundheitswesens.

(Beifall der SPD)

An dieser mangelnden Verzahnung leidet das deutsche Gesundheitswesen seit ·Jahrzehnten. Das hat seine Folgen für die Qualität. Es hat aber auch seine Folgen für die Kostenentwicklung. Nun haben wir endlich einen Rahmen für sektorübergreifende Versorgungsformen, also zwischen ambulant und stationi:ir, mit Leistungserbringern oder' auch mit Gruppen von Leistungserbringern.

Wir können auch Modelle ausprobieren, die sich zum Teil im Ausland bewährt haben, wie zum Beispiel die amerikanischen HMOs, die versuchen, bestimmte Gruppen von Ärzten, Krankenhäusern und nicht ärztlichen Gesundheitsberufen in ein Netzwerk zusammenzubringen und die Kostenträger, die Krankenkassen, in die Lage versetzen, dabei auch noch gün

stige Preise auszuhandeln. Das Ganze hat auch noch einen ökonomischen Effekt.

Das neue Gesetz fördert das ambulante Operieren. Das ambulante Operieren wird nicht nur möglich gemacht. Das war· es bisher schon. Darüber hinaus wird ein Katalog vereinbart, der es den Kostenträgern ermöglicht, Operationen, die am

bulant erbracht werden können, nicht mehr beli.ebig auch stationär erstatten zu müssen. Wenn wir· das hinbekommen, werden wir den Sog in das Krankenhaus, dort, wo er unnötig ist, stoppen..

(Beifall der SPD)

Das neue Gesetz macht endlich den Hausarzt, also den Allgemeinarzt oder den allgemeinärztlich tätigen Internisten oder