Protocol of the Session on February 16, 2000

Sie s.ind Programmsätze, aus denen der Einzelne keine unmittelbaren Rechte gegenüber dem Staat, gegenüber der Ge

meinde oder auch dem Landkreis ableiten kann. ln der Be

gründung zu dem vorliegenden· Gesetzentwurf ist. deshalb eindeutig und ausdrücklich gesagt, dass· diese Zielbestimmungen keine subjektiven Rechte begründen.

Staatszielbestimmungen haben- darüber besteht in der Verfassu!1gsrechtslehre Übereinstimmung - die Aufgabe, bei ei

nem weiten Handlungsspielraum für die Staatsorgane Orien

tierung und Vorgaben für staatliches Handeln zu geben. Das gilt nicht nur für die Staatszielbestimmungen im Grundgesetz, sondern auch für dfe ih den Landesverfassungen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unsenfLandesver

fassung steht mit vielen Regelungen - insbesondere im Be

reich der Grundrechte und der Staatsziele-zum Teil in einem

Konkurrenzverhältnis~ iu'm Teil aber auch i~ friedlicher Koexistenz zu den Verfassungsbestimmungen des Bundes im Grundgesetz. ln der Vergangenheit hat das dazu geführt, dass in der breiten Öffentlichkeit des Landes derTeil unserer Landesverfassung, der sich nicht mit der Regelung, der Stel

_Jung und den Kompetenzen der Verfassungsorgane und mit der Gesetzgebung befasst, als verstaubt oder ga~ als irrelevant angesehen wurde.

Die auf unseren verstorbenen Kollegen Caesar zurückgehende Bereinigungsaktion, in der die durch das Grundgesetz und die Bundesgesetzgebung überholten ursprünglichen Bestimmungen unserer Landesverfassung entfernt bzw. angepasst worden sind, war ein erster wichtiger Schritt, die Aktualität und die Akzeptanz unserer Landesverfassung zu erhöhen.

Noch wichtiger war der Schritt, mit dem Gesetz zur Änderung des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof vom

- 10. November 1992 das Instrument der Individualverfassungsbeschwerde einzuführen, allerdings- das war wahrscheinlich ein Grund dafür, dass dieses Instrument weitgehend ungenutzt und unbekannt geblieben ist- nu-r einfachgesetzlich.

lc.h halte e.s deshalb für einen ganz wichtigen Schritt für eine breite Verankerung der Landesverfas.sung, dass wir den Vorschlägen der Enquete-Kommission.,Verfassungsreform" folgend jetzt die Individualverfassungsbeschwerde- ich sage bewusst nicht.,die Popularklage"- jetztauch förmlich im neuen · Artikel130 a der Landesverfassung verankern. Künftig kann

. jeder Mann oder jede Frau, wenn er oder sie der Auffassung

ist, in seinen durch ·die Landesverfassung garantierten Rech

t~n~ verletzt worden zu sein, Verfassungsbeschwerde zum Verfassungsgerichtshof er)1eben. Damit soll aber b

·der die Folgeänderungen eingebaut werden, noch ausführlicher zu spr~chen sein.

Meine sehr verehrten Damen Lind Herren, im Landtag und in

·der Öffentlichkeit ist bereits ausführlich über die von der ·CDU-Fraktion als.,conditio sine qua non" eingebrachte Formulierung in Artikel 3 Abs. 2 der Landesverfassung über den

Schutz des werdend~11 Lebens- wie es dort he_ißt -, insb-esondere durch umfassende Aufklärung, Be-ratung und soziale Hilfe· diskutiert worden.

Gerade weil es bei diesem Thema von äußerster politischer und ethischer Sensibilität eine vorrangige bundesrechtliche Schutzvorschrift gibt; die im Bund in einem ganz schwierigen Prozess gefunden worden is~, macht dieses Unterfangen aus unserer Sicht verfassungspolitisch und politisch keinen Sinn. Wir tragen trotzdem ihre Aufnahme in unsere Landesverfa·ssung mit, weilansonsten die gesamte ·Reform an der CDU gescheitert-wäre und weil die aus:oer brandenburgischen Landesverfassung übernommene Staatsziei-Förmulierung eben nur die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Bundesgesetzgebung wiederholt.

. Ich sage, wir tragen sie mit großer Mehrheit rnit, aber auch mit _großem Respekt für diejenigen in unserer Fraktion, 'die, weil es für sie eine bedeutsame Gewissensentscheidung dar

stellt, um eine Einzelabstimmung ·über

Meine sehr verehrten Damen und Herren, unter Umständen folgenreicher im Hinblick auf den~ künftigen Stellenwert der Verfassungen der deutschen Länder wird das immer stärker · zur Geltung kommende Spannungsverhältnis zwischen innerstaatlichem Verfassungsrecht und europäischem Recht und noch mehr der europäischen Rechtsprechung· durch den EuGH werden, was gerade in jüngster Zeit durch das· Urteil des· EuGH zum Bundeswehrdienst von Frauen bzw. indirekt zur Gültigkeit des Wehrpflichtartikels 12 a des Grundgesetz;es als Proble111 auch einer breiten Öffentlichkeit deutlich geworden ist. Die Frage, pb und in welchem Umfang europäisches Recht_ Bundesverfassungsrecht bricht oder brechen kann, kann sich jederzeit auch für Konflikte zwischen europäischem Recht und Landesrecht und Landesverfassungsrecht darstellen. ·Das ist umso kritischer zu beurteilen, als den europäischen Vertragswerken bisher insbesondere ein eigener Grundrechtsteil fehlt.·

Wir sollten also.alle nicht nur die Bemühungen unterstützen, jetzt schon im Zusammenhang mit der anstehenden EURegierungskonferenz zur Reform der EU-Institutiorwn eine konkrete und praktikable Umsetzung des Subsidiaritätsprin-· zips und eine einklagbare Umsetzung zu verankern, sondern wir sollten vor allem auch darauf drängen, dass es zu einer umfassen?en Neufassung der Vertragswerke und dabei zu einer Verankerung eines europäischen Grundrechtskatalogs kommt, um auch hier im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu mehr Transparenz zwischen den· innerstaatlichen und überstaatlichen Rechtssystemen zu kommen.

(Beifall der SPD und der F.D.P.)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir heute

das gesamte Paket der Änderungen unserer Landesverfassung verabschiedet haben, wird sie einerseits ihren unverwechselbaren historisch gewachse,nen Charakter behalten haben. ·Sie wird aber andererseits auch ein gutes Stück mo

derner, verständlicher und bürg_ernäher gellVorden sein. Dies unseren Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, kann nicht allein von der Politik geleistet werden. Dazu·werden wir auf die aktive Mithilfe der politischen Bildung, der Schulen und der M~dien angewiesen sein.

Ich möchte an dieser Stelle deshalb in~beso~dere die Medien einladen, über die Berichterstattung_ zur-parlamentarischen Beratung hinaus ausführlich über die neuen Verfassungsbestimmungen zu informieren und die Bürgerinnen und Bürger· -.

.zu ermutigen, sie mit Leben zu erfüllen.

. (Beifall der SPD·und bei der F.D.P.)

Wir Abgeordneten als Teil des. obersten vom Volk gewählten Organs der Willensbildung, wie es.jetzt in der Verfassung heißt,bleiben aber nichtsdestotrotz aufgerufen, gezielt, insbesondere in Kontakt mit jungen Menschen und den Schulen,

für ein aktives, staatsbürgerliches Verständnis unserer Landesverfassur)g zu werben.

Ich weiß, diese Bemühungen sind nicht einfach. Sie werden nicht von schnellen Erfolgen gekrönt sein, insbeson_dere in

Zeiten wie diesen, in denen einige Politiker, die hohe und höchste Ämter in unserem Staat in Bund und Ländern innehaben und innegehabt haben, den Gesetzen und der Verfas

sung, auf die sie_ ihren Amtseid geleistet haben, nicht den

notwendigen Respekt erwiesen, sich sogar teilweise über sie hinweggesetzt und stattdessen persönliche und Parteieninteressen höher gestellt haben.

Auch wenn oft ein anderer Eindruck erweckt wird, wir haben gegenwärtig keine Staatskrise, sondern die Krise einer Partei. Aber diese Krise hat auch eine Vertrauenskrise im Verhältnis der Bürgerinnen und Bü~ger zu Staat und Politik ausgelöst, von der wir alle betroffen sind.

_ Wer Verfassungstreue und Verfassungspatriotismus von den Bürgerinnen und Bürgern erwarte-i:, der muss mit untadeli

gem Verhalten und Rechtsverständnis seine Vorbildfunktion erfüllen. (Beifall bei der SPD)

Er muss den Vertrauensvorschuss, der ih-m im Akt der Wahl zugebilligt wurde, alltäglich auch rechtfertjgen. Die Treue zur Verfassung kann und darf nicht unter dem persönlichen Vorbehalt von irgendwelchen E~renworten_gestellt werden, weil sonst unsere Rechtsordnung und unser Rechtsgefühl auseinander bricht.

Die Erforschung und Aufarbeitung all der Spendenskandale auf Bundes- und Landesebene durch die Medien hat gezeigt, wie unverzichtbar die Kontrollfunktion der Medien als infor

melle vierte Gewalt in unserem Staat für eine funktionsfähige demokratische Verfassung ist. So erweisen sich gerade die Informations- und Medienfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes und nach Artikel 10 der Landesverfassung auch in Krisensituationen wie diesen als tragende Säulen unserer Verfassungsordnung.

Meine sehr verehrten -Damen und Herren, diese Verfassungsreform war über Jahre hinweg ein besonderes Anliegen un

seres verstorbenen Kollegen Caesar. Mit Engagement, ja mit intellektuellem Herzblut hat er als Justizminister und in den Ietzten Monaten als Abgeordneter um das Zustandekommen dieser Reform gerungen. Diese Reform wird in herausragenderWeise mitseinem Namen verbunden bleiben.

Vielen Dank.