Protocol of the Session on February 16, 2000

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drucksetehe 13/5439

Ich erteile zunächst der Berichterstatterin, der Abgeordneten Frau-Grützmacher, das Wort.

Abg. Frau Grützmacher; BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das heute vorlie

gende Landesgeset.! z-ur Änderung der Verfassung yon Rheinland-Pfalz hat eine ·sehr lange Vorgeschichte, wenn man vor allem _noch die- beiden Enquete-Kommissionen aus der "12. und 13. Legislaturperiode mit "einbezieht. ln diesen

-Enquete-Kommissionen wurde sehr ausführlich über verfas

sungsändernde Dlnge gesprochen. Heute werden die Ergeb

nisse aus beiden Enquete-Kommissionen in dTese Änderung der Verfassung aufgenommen.

Durch Beschluss des Landtags vom 15. Dezember 1999 wurde

der Gesetzentwurf so, wir er vorliegt, an c;Ien Rechtsausschuss überwiesen. Der Rechtsausschuss hat den Gesetzwurf in seiner 35. Sitzung am 13. Januar 2000 und in der 36~ Sitzung am 10. Februar ~000 be~aten. Die Beschlussempfehlung lautet,

dass der Gesetzentwurf mi~ folgender Änderung angenom-

-men wird: ln Artikel 2 Satz 1 wird nach dem Wort "am" das Datum "18. Mai 2000" eingefügt.

(Beifall im Hause) ·

·Präsident Grimm:

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache urid er

teile Herrn Abgeordneten Dr. Schiffmann da~ WÖrt.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! In der ersten Lesung des Gesetzentwurfs voR SPD, CDU und F.D.P. zur- Reform der Landesverfassung haben wlr sehr aus

führlich die einzelnen Teile dieses Reformpakets besprochen: die Gr!Jndrechte, die Staatszielbestimmungen, die stärkeren Elemente direkter Demokratie, die Stärkung der Kompetenzen des Land~ags und die Veränderungen im Verhältnis von Exekutive und Legislative sowie die neuen Regelungen über die Verfassungsbeschwerde und den Verfassungsgerichtshof. Ich möchte deshalb heute nur noch· auf einige wenige weitere Aspekte eingehen, die uns im Hinblick auf eine Revitalisierung des Landesverfassungslebens wichtig erscheinen.

Gestatten Sie mir vorab aber einige Bemerkungen zu dem nach derersten Lesungeingebrachten Änderungspaket der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Nach den Abstimmungsergebnissen von zwei Enquete-Kommissionen - Frau Kollegin Grützmacher hat darauf liingeWiesen- und dem Diskussionsprozess der letzten Jahre hätte es nahe gelegen, sich auf wenige Essentials zu beschränken.

(Frau Thomas, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Es hätte etwas ganz anderes nahe gelegen, Herr Dr. Schiffmann!)

Wir hatten unsere ·Bereitschaft erklärt, in einem _solchen Fall

in weitere Gesprache mit dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einzutreten, um ernsthaft auszuloten, ob es nicht_ doch m~glich wäre, die Zustimmung aller Fraktionen in diesem Haus zur Reform der Landesverfassung zu erreichen.

Die Grünen haben dann sehr.spät einen umfangreichen Kata- _

lbg von Änderungs- und Erweiterungsvorschlägen vorgelegt, auf den sich gesprächsweise einzulassen bedeutet hätte, den Ber?tungsprozess von acht Jahren mit dem absehbaren Ergebnis noch einmal von vorn aufzurollen, dass sich im Hin

blick auf die notwendige Zweidrittelmehrheit im Landtag nahezu gar nichts als sinnvoll verhandelbar herausgestellt hät

Bis auf einige-Punkte, über die man aus unserer Sicht durch

aus hätte sprechen können, haben die GRÜNEN einen Katalog vorgelegt, der nicht auf den notwendigen Konsens,

sondern unter Umständen innerparteilich motiviert auf rei

nes politisches Flagge-zeigen ausgerichtet war. Das ist aus vielen Gründen, auch verfassungspolitischen Gründen, zu bedauern.

(Frau Grützmacher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das hatte seine Gründe, Herr Dr. Schiffmann! · Das wissen Si!'! genau !)

Meine sehr vereh:ten Damen-und Herren, mit dem jetzt zu verabschiedenden Reformwerk bringenwir eine ganze Reihe

von bereits vorhandenen Staatszielen in eine sprachliche und begriffliche Form, die dem rechtlichen und sozialen Verständnis der Bürgerinnen und Bürger am Beginn des 21. Jahrhunderts entspricht. Das sagt nichts über die·unbestrittenen.Qualitäten der Fo~mulierung der Verfassungsväter und Verfas

sungsmütter von 1946/1947 aus, die damals versuchten, nach den fürchterlichen Erfahrungen des [IJ_ationalsozialismus dem neugebildeten Staatswesen eine neue rechtliche, ethische und moralische Begründung und ·aber die Definition von Staatszielen auch Auftrag und Richtung zu geben.

Aufbauend·darauf haben über 50 Jahre politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung sowie Erfah-. rung auch andere Vorstellungen von den Prioritäten staatlichen Handeins und den Gütern geschaffen, die vorrangig durch den Staat und auch die Gemeinden geschgtzt und gefördert werden müssen. Aber auch die Vorstellungen über das Wie haben sich gewandelt.. Ich nenne hier nur. beispielhaft unsere Verfassungsöestimmung Operden Schutz und die_ Förderungvon Ehe und Familie und zur Erziehung unserer Kinder.

So hat zum Beispiel auch das jetzt im neu for_mulierten Artikel 50 verankerte ausdrückliche. Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft als Grundlage unserer Wirtschaftsordnung mit ihrer Vorgabe, dass die Gesetze des Marktes nicht absolut gesetzt werden dürfen, sondern sozialverträglich reguli'ert werden müssen,.gerade in einer Zeit, in der es darum geht,' Antworten auf die Globalisierung der Wirtschaft zu finden, nicht nur hohe Symbolkraft, sondern es formuliert auch einen zentralen Auftrag.an die Politik. Dem tragen wir auch in anderen Bereichen durch eine Reihe von neuen und neu formulierten Staatszielbestimmungen Rechnung.

Dazu hat Herr Kollege Berg von der CDU in der ersten Debat

te einige kritische Anmerkungen mit dem Tenor gemacht, ob wir dabei nicht des Guten zu viel machen würden. Ich denke, es ist durchaus legitim - wie ich es auch in anderen Gesprächen vernommen habe-, zu fragen, ob wir mit einer Vielzahl von Staatszielbestimmungen nicht zu sehr staatliches Handeln einmauern oder ob die Vielzahl der Staatszielbestim

mungen. nicht letztendlich zu einer· gewissen Beliebigkelt führen wird. Ich denke, wir haben mit dem jetzt vorliegenden Reformwerk ein vernünftiges Maß gefunden, das den Staat, das Land und die Gemeinden nicht überfordert.

Es kommt etwas Weiteres hinzu. Die Erfahrung mit dem öf

fentlichen Diskurs über die Reform unserer Landesverfassung hat gezeigt, dass es weniger eine breite Debatte oder gar breites öffentliches Interesse an den neuen institutionellen organrechtlichen Bestimmungen gegeben hat, sondern vor allem an den Grundrechten und an den Staatszielbestimmungen, ob das beispielsweise die Verankerung des Tierschutzes, die FÖrderung des Sports, die Achtung der Rechte von Minderheiten, der Schutz der Behinderten vor Diskriminierung oder das Recht auf Wohnung und das Recht auf Arbeit waren. Das hat jeweils Diskussionen und Debatten im gesell

schaftlichen Umfeld ausgelöst und zu Vorschlägen an den Landtag geführt. Deshalb gehe ich. davon aus, dasses-ob zu

Unrech~ oder zu Recht;·das rriag dahingestellt bleiben- gera-.

. de diese Staatszielbestimmungen.sein werden, die im öffentlichen Bewusstsein das Interesse an und die Auseinanderset

-zung mit der überarbeiteten Landesverfa~sung fördern wer

Es hat ~ber in jüngster Zeit insbesondere in den Reihen der kommunalen Spitzenverbände im Zusammenhang mit der neuen Formulierung über die· Pflege und Förderung des kul

tureilen Schaffens durch das Land und die Gemeinden sowie die Gemeindeverbände, aber auch mit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Pflege und Förderung des Sports· durch das Land und wiederum durch die Gemeinden sowie Gemeindeverbände zu Debatten geführt. Dabei wurde die Vermutung in den Raum gestellt,_ob damit nicht durch die Hintertür der Verfassung das Land den Kommunen ohne finanzielle Kompensation eine n,eue Pflichtaufgabe zuschieben würde, vor allem, weil gleichzeitig die langjährige Forderung der kommunalen Spitzenve[bände nach Verankerung

c;les Konnexitätsprinzips in 'der Verfassung nicht_ umgesetzt wird. Hier liegt eindeutig ein Missverständnis über die Bedeu

·tung und Wirkung von Staatszielbestimmungen vor.

Sie s.ind Programmsätze, aus denen der Einzelne keine unmittelbaren Rechte gegenüber dem Staat, gegenüber der Ge