Protocol of the Session on August 27, 2020

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der Grünen hat nun der Abgeordnete Bolte-Richter das Wort.

Gut, dass wir hier mit Plexiglas- und nicht mit Stahlkabinen arbeiten.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Ja, wir haben in den letzten Jahren hier in diesem Landtag immer wieder über die Situation bei thyssenkrupp gesprochen und debattiert.

Dass wir es heute wieder tun, hat einen offensichtlichen Grund: Die schwierige Situation ist noch nicht bereinigt. Es hat offensichtlich zu wenig Unterstützung gegeben. Offensichtlich ist zu wenig passiert, um den 27.000 Beschäftigten bei thyssenkrupp eine klare Perspektive zu geben. Es ist zu wenig passiert, um eine klare Strategie zu entwickeln, wie NordrheinWestfalen als größter Stahlstandort Europas erhalten bleiben kann.

Vor allem ist zu wenig passiert, eine Strategie zu entwickeln, um dafür zu sorgen, wie die Perspektive über den Tag hinaus aussehen kann; das erwarten wir von einer Landesregierung, Herr Professor Pinkwart.

Wir erwarten von einer Landesregierung, dass die Probleme nicht nur mit Interesse zur Kenntnis genommen werden – das würde ich Ihnen sogar noch attestieren –, sondern dass sie an der Spitze der Bewegung steht, wenn es um einen systemrelevanten Konzern geht, wenn es um eine wichtige Branche geht, wenn es um einen entscheidenden Sektor für die Industrie in ganz Deutschland geht. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie das nicht tun.

(Beifall von den GRÜNEN)

Wir haben es gerade von Herrn Rehbaum gehört: Wir machen das alles; es wird schon alles gut werden. – Wenn wir danebenlegen, was tatsächlich passiert, sehen wir: Die letzte Abstimmungsrunde in dieser Allianz für Stahl, die Sie einige Male beschworen haben, nämlich die Stahlbundesländer – so die Antwort auf die SPD-Anfrage –, fand Anfang März statt.

Sie sind ja immer gut für Gipfel, Herr Pinkwart; initiieren Sie doch mal einen! Jetzt soll der Stahlgipfel irgendwann im Dezember kommen, in vier Monaten, aber wir haben doch eine akute Krisenlage. Das müssen Sie sich doch mal anschauen.

Was heißt das übersetzt, was Sie da machen? – Komm‘ ich heut‘ nicht, komm‘ ich morgen.

(Beifall von den GRÜNEN)

So kann man doch kein Land regieren.

Entscheidend ist die Frage der Perspektive nach vorne. Die Zukunft steht natürlich auch für die Stahlindustrie offen, aber das ist eine Frage der politischen Gestaltung.

Wenn wir die Herausforderung heute beherzt anpacken, kann es gelingen, dass Nordrhein-Westfalen, dass Deutschland zum zentralen Innovationsstandort in der Stahlproduktion in ganz Europa wird.

Wenn wir die nordrhein-westfälische Wirtschaft schon heute fit machen wollen, wenn wir schon heute

das Morgen gestalten wollen, müssen wir dieses neue Wirtschaftswunder aber auch politisch beherzt gestalten, denn ein neues Wirtschaftswunder muss eben ein grünes Wirtschaftswunder sein.

(Beifall von den GRÜNEN)

In diesem Transformationsprozess wird das so deutlich wie an keiner anderen Stelle, wenn wir uns zum Beispiel anschauen, was für eine entscheidende Rolle grüner Wasserstoff spielen wird, der mit erneuerbaren Energien klimaneutral erzeugt ist.

Der Ministerpräsident war vor einigen Tagen in Schleswig-Holstein und hat sich davon beeindrucken lassen, wie man es halt auch machen kann. Da hat Ministerpräsident Laschet laut NDR-Bericht gesagt, während andere Bundesländer noch diskutieren würden, habe Schleswig-Holstein schon ganz konkrete Projekte in der Energiewende.

Sie kennen sich mit Ländern aus, Herr Laschet, die bei der Energiewende und gerade bei der Windenergie auf der Bremse stehen,

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

denn Sie stehen ja einer Regierung vor, die genau das konsequent tut. Sie reden, Sie diskutieren, und dabei würgen Sie die Energiewende ab.

Die Debatten über Standortsicherung – gerade nach der Coronakrise –, die Bewältigung der Klimakrise, die Digitalisierung, das alles einmal konsequent zusammenzudenken, ist doch eine Aufgabe für politisches Handeln und eine Wirtschaftspolitik mit Zukunft.

(Beifall von den GRÜNEN)

Nur so kommen wir zu den nächsten großen Innovationsschritten, gerade in der Stahlerzeugung, nämlich zu einem klimaneutralen Hochofenprozess mit grünem Wasserstoff.

Das ist die entscheidende Chance, die Stahlindustrie hierzulande in der Rolle, in der Relevanz, wie sie heute vorhanden ist, zu erhalten. Nur so schaffen wir es, dass NRW und Deutschland den weltweiten Standard für die Stahlherstellung setzen.

Damit Unternehmen wie thyssenkrupp die notwendigen Investitionen tätigen können und die klimaneutralen Produkte auch wettbewerbsfähig sind, muss Industriepolitik den entsprechenden Rahmen und die entsprechende Planungssicherheit schaffen. Wir sehen doch, dass die Stahlindustrie in der Krise steckt. Das ist natürlich durch die Coronakrise nur noch schlimmer geworden.

Entscheidend wird sein, dass wir Schutzmechanismen haben, dass wir Antidumping- und Antisubventionsmechanismen und verbindliche Umweltstandards beim Stahlimport schaffen. Da ist die europäische Ebene natürlich am Zug, aber sie braucht eben auch Unterstützung von der regionalen Ebene, sie

braucht Unterstützung und Druck von der nationalen Ebene, damit wir diese Standards schaffen, damit die Stahlbranche diese kritische Phase übersteht.

Wir brauchen dafür eine Landesregierung, die in diesem Feld aktive Industriepolitik macht, damit diese Schlüsselindustrie für Deutschland auf ihrem Weg in dieser großen Transformation unterstützt wird, damit es konkrete Handlungen gibt, konkrete Planungssicherheit für die Unternehmen mit Ordnungsrahmen, der einen CO2-Mindestpreis garantiert, der den Wandel durch Klimaverträge mit der Industrie bewusst gestaltet, damit sich die Umstellung auf klimaneutrale Produkte auch tatsächlich lohnt.

Wir brauchen dafür auch einen Ordnungsrahmen. Ich gebe zu, Herr Pinkwart, das machen Sie nicht alles hier im Land. Das machen wir auch auf den anderen Ebenen. Aber da brauchen wir auch eine Landesregierung, die bereit ist, tatsächlich zu gestalten, damit wir so einen Ordnungsrahmen haben. Denn das ist eine politische Gestaltungsaufgabe.

(Beifall von den GRÜNEN)

Es ist möglich, dass es gelingt, diese Aufgabe tatsächlich zu gestalten. Das passiert aber nur, wenn wir eine Regierung haben, die sich an die Spitze setzt und die das will.

(Zuruf von Arndt Klocke [GRÜNE])

Deshalb ist jetzt auch nicht der Zeitpunkt – denn die Debatte wird immer wieder auf die Tagesordnung gebracht –, über Lockerungen bei den Klimaauflagen zu sprechen, sondern es geht um kluge Antworten, es geht um mutige Antworten auf diesen Transformationsprozess. Es geht natürlich ebenfalls darum, dass sich die Länder und auch der Bund beteiligen, dass sie die Unternehmen in diesem Prozess unterstützen.

Denn wenn wir uns anschauen, dass allein thyssenkrupp mit dem Standort Duisburg für 2 % der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich ist, dann sehen wir: Es ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese Transformation zu gestalten.

Die Herausforderungen dieser Transformation sind riesig. Das wissen wir doch alle. Aber wir werden sie nicht dadurch angehen können, dass wir uns vor der Zukunft verstecken – das ist das, was die Landesregierung im Moment tut –, sondern wir können diese Herausforderungen nur dann gestalten, wenn man tatsächlich eine aktive Industriepolitik macht, mit der die Schlüsselindustrien abgesichert werden, eine aktive Politik, die diese Transformation gestaltet, die das Klima schützt, die den Beschäftigten und dem Standort eine Perspektive bietet. Das erwarten wir von Ihnen.

(Beifall von den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der FDP hat nun der Abgeordnete Herr Brockes das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Kutschaty, ich habe mich ehrlich gesagt gefreut, als Sie Ende Juli das Stahlwerk in Duisburg mit einem großen Aufgebot aus Ihrer Fraktion besucht haben.

(Sarah Philipp [SPD]: Schön, dass Sie das mal erzählen!)

Denn nach sieben Jahren der Deindustrialisierungspolitik, die Ihre rot-grüne Landesregierung unter dem grünen Diktat geführt hat, haben Sie dort ja einiges wiedergutzumachen.

(Beifall von der FDP – Zuruf von Sarah Philipp [SPD])

Sie haben ja persönlich Ihren damaligen Kabinettskollegen Garrelt Duin mit seinen industriepolitischen Leitlinien völlig im Regen stehen lassen. Sie haben nicht geholfen, dass diese Positionen zum Beispiel im Kabinett beraten und beschlossen wurden. Ebenso wenig hatte er damals die Unterstützung der SPD-Fraktion.

(Christian Dahm [SPD]: Das ist ja interessant!)

Mir war aber bei Ihrem Besuch Ende Juli bereits klar, dass Sie das Thema heute hier aufgreifen.

(Michael Hübner [SPD]: Heute? – Sarah Phi- lipp [SPD]: Ausnahmsweise!)

Das ist ja auch gut. Besuche und Reisen bilden, und es ist schön, wenn Sie dann klüger zurückkommen als Sie vorher waren.

Gewundert hat mich dann aber, dass Sie einen Artikel in der „WAZ“ mit einem Zitat des thyssenkruppStahlchefs Bernhard Osburg in der Überschrift – ich zitiere: „Wir verlieren nicht die Nerven!“ – als Grundlage für Ihre alten Verstaatlichungsideen nutzen wollen.

Nirgendwo wird in diesem Artikel eine Verstaatlichung gefordert, im Gegenteil. In dem Artikel kommt die Überzeugung des Stahlchefs zur Geltung, dass das Unternehmen thyssenkrupp-Stahl, natürlich mit Unterstützung der Politik bei den großen notwendigen wichtigen Veränderungen beim Klimaschutz, es wieder aus eigener Kraft schaffen wird.