Protocol of the Session on June 24, 2020

(Beifall von der SPD)

Die allermeisten Eltern würden diesen Brief des VEB auch heute wieder unterschreiben. Bis heute haben Sie keinen gescheiten Plan vorgelegt, wie es nach den Ferien weitergehen soll.

Dabei hätte diese Krise die Sternstunde einer neuen Bildungspolitik mit neuen Formen der Kinderbetreuung in unserer außerschulischen Bildungsland

schaft, mit neuen Standards für digitales Lernen und mit einem Modernisierungsschub für unsere Schulen sein können. Ich bin mir sicher, die Lehrerinnen und Lehrer hätten darauf begeistert reagiert. Doch stattdessen fühlen sie sich heute von ihrer Regierung im Stich gelassen. Sie sind es auch. Die Sternstunde geriet bei Ihnen zur Sonnenfinsternis, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Es ist schon erstaunlich: Niemand hat in den vergangenen Monaten so vehement Lockerungen der AntiCorona-Maßnahmen gefordert wie Armin Laschet. Aber dann stellte sich heraus: Keine Regierung – wirklich keine – war auf Lockerungen so schlecht vorbereitet wie diese Regierung.

(Vereinzelt Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie haben Nordrhein-Westfalen nicht gut regiert. Das Land hätte einen Ministerpräsidenten gebraucht, der die Schultern breitmacht, der Verantwortung übernimmt, der Verantwortung an sich zieht, der sich schützend vor Lehrerinnen und Lehrer, Schulleitungen, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister stellt, wenn etwas schiefläuft.

Doch genau das haben Sie nicht getan. Zuerst haben Sie die Kommunen und Schulen sich selbst überlassen, und dann, als es Probleme gab, haben Sie vor einem Millionenfernsehpublikum mit dem Finger auf Lehrerinnen und Bürgermeister gezeigt.

Warum? – Weil die Macherinnen und Macher vor Ort trotz ihres Engagements und trotz ihrer Improvisationskunst nicht schnell genug die Probleme lösen konnten, mit denen ihr Ministerpräsident nichts zu tun haben wollte. Aber aus Angst, für irgendetwas verantwortlich gemacht zu werden, wollten Sie für nichts verantwortlich sein, Herr Ministerpräsident.

In der Not ist Ihnen auch keine Schutzbehauptung zu unappetitlich. Dann sollten Bulgaren und Rumänen schuld am Ausbrauch sein, weil sie das Virus aus dem Ausland eingeschleppt hätten. Das war wirklich der Tiefpunkt einer ohnehin missratenen Kommunikation, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Lebhafter Beifall von der SPD – Wolfgang Jörg [SPD]: Armin Trump!)

Manche haben dem Ministerpräsidenten daraufhin Rassismus vorgeworfen. Ich sage sehr deutlich: Dieser Vorwurf ist Ihnen gegenüber völlig abwegig, Herr Laschet. Das war kein rassistischer Reflex. Es war aber der Fluchtreflex eines Politikers, der die Verantwortung scheut und in der Panik nicht mehr weiß, was er sagt. Das ist genauso schlimm.

(Beifall von der SPD)

Herr Ministerpräsident, Sie hatten die historische Chance, unsere Städte von ihren Altschulden zu befreien und damit einen finanzpolitischen Schluss

strich unter 50 Jahre Strukturwandel zu ziehen. Diese Chance haben Sie vertan.

(Zuruf von der SPD: Er hat das gar nicht ge- wollt!)

Sie können an diesem Pult, wie Sie das gerade versucht haben, noch so viele rhetorische Pirouetten drehen wie Sie wollen: Wir alle wissen, dass die Übernahme der Kosten der Unterbringung kein gleichwertiger Ersatz für einen Altschuldenfonds ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN)

Wissen Sie, Herr Laschet, an Ihre glücklose Ruhrgebietskonferenz wird sich in einem Jahr keiner mehr erinnern. Aber mit einem Altschuldenfonds hätten Sie Landesgeschichte geschrieben. Dann hätten Sie unseren Respekt verdient. Kein Ministerpräsident hätte sich diese Chance entgehen lassen, keiner außer Armin Laschet, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Christian Dahm [SPD]: 11 Milliarden Euro aus- geschlagen! 11 Milliarden Euro!)

Dass am Ende die Entschuldung der NRW-Kommunen auch am Widerstand von CDU-Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen gescheitert ist, zeigt, dass Sie nicht stark genug sind, um die Interessen unseres Landes durchzusetzen.

(Beifall von der SPD)

Ich sage Ihnen, was wir jetzt von Ihnen und Ihrer Regierung erwarten, Herr Ministerpräsident. Wir erwarten, dass Sie einen eigenen Plan zur Entschuldung unserer Kommunen vorlegen, nicht nur Möglichkeiten, um Rechnungen anders gestalten zu können. Wir erwarten das nicht irgendwann, sondern jetzt. Dafür hätten Sie die Unterrichtung heute sinnvoll nutzen können, Herr Ministerpräsident.

(Beifall von der SPD)

Wir erwarten von Ihnen, dass Sie bei der nächsten bundespolitischen Bewährungsprobe endlich einmal standhaft bleiben. Diese Bewährungsprobe ist die strenge Regulierung der Fleischindustrie. Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil müssen eins zu eins umgesetzt werden: Verbot von Werkverträgen, Schluss mit dem Subunternehmerwesen, Mindeststandards bei der Unterbringung von Beschäftigten und nicht zuletzt strenge und lückenlose Kontrollen der Arbeitszeiten, der Bezahlung, des Gesundheitsschutzes und der Betriebsunterkünfte.

Darüber hinaus setzt sich die SPD auch noch ein für die Forderungen der Gewerkschaften nach Branchenmindestlöhnen und allgemeinverbindlichen Tarifverträgen.

Arbeitsminister Laumann tut so, als sei das alles unumstritten. Das ist es aber leider nicht. Denn gegen diese Pläne laufen Lobbyisten von Tönnies und

anderen Fleischfabriken jetzt schon wieder Sturm in Berlin, und leider laufen sie auch offene Türen ein, offene Türen bei Bundestagsabgeordneten der CDU, auch aus Nordrhein-Westfalen.

Ich erwarte, dass der Ministerpräsident und sein Kabinett dafür sorgen, dass die Pläne von Hubertus Heil nicht verwässert werden und die Mehrheit steht, wenn es zum Schwur kommt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Anhaltender Beifall von der SPD)

In den Fleischfabriken von Tönnies und Co. herrschen Arbeitsbedingungen wie zuletzt in der Textilindustrie des 19. Jahrhunderts. Die Arbeiter wurden krank, weil sie ausgebeutet worden sind, und wir alle haben zu wenig getan, um das zu ändern. Das ist der Grund für die COVID-19-Katastrophe in den Kreisen Gütersloh und Warendorf, nicht die Einreise von Arbeitern.

Hören wir endlich auf, ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Unter der Woche europäische Arbeiter „auszupressen“ und sich am Wochenende als Mäzen eines Arbeitervereins feiern zu lassen, das ist der Gipfel der Heuchelei, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall von der SPD)

Das dürfen wir Herrn Tönnies nicht durchgehen lassen, das dürfen wir keinem Arbeitgeber durchgehen lassen. Es ist Zeit, aufzuräumen und hier durchzugreifen.

Mehr noch: Es ist jetzt Zeit für grundlegende Reformen. Es ist Zeit für einen Neustart – in der Arbeitsmarktpolitik, in der Bildungspolitik, auch in der Industriepolitik.

Die Pandemie verschärft die menschengemachten Ungerechtigkeiten enorm, insbesondere die Ungerechtigkeiten für Frauen. Haben wir nicht allen applaudiert, die zur Hochzeit dieser Krise dafür gesorgt haben, dass das Land nicht zusammenbricht – den Facharbeitern, den Krankenschwestern, den Busfahrern oder den Reinigungskräften? Hatten wir nicht begriffen, dass die meisten der echten Leistungsträger in diesem Land Leistungsträgerinnen sind so wie die Verkäuferin im Supermarkt, die Pflegerin im Krankenhaus oder die Erzieherin in der Kita?

Hatten wir ihnen nicht versprochen, dass wir ihnen nun endlich zu den Einkommen, Renten und sozialen Rechten verhelfen, die sie verdienen? – Ja, das hatten wir. Denn von Applaus kann niemand seine Miete bezahlen oder besseres Fleisch kaufen.

Deshalb ist es jetzt Zeit für einen armutssicheren Mindestlohn, für allgemeinverbindliche Tarifverträge und für eine Grundrente. Es ist Zeit für bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, im Einzelhandel und im Bildungsbereich.

Das heißt für mich zum Beispiel auch, dass nicht nur die Pflegekräfte in Altenheimen den Coronabonus von 1.500 Euro bekommen, sondern auch und gerade die Pflegekräfte in Krankenhäusern.

(Beifall von der SPD)

Dass ausgerechnet sie leer ausgehen sollen, obwohl sie das größte Risiko getragen haben, versteht niemand, am wenigsten übrigens ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Altenpflege.

Auch in der Industriepolitik brauchen wir einen Neustart. Auf die schlimmste Pandemie seit der Spanischen Grippe 1918 folgte die schwerste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise 1929. Wir halten bundesweit mit einem 130-Milliarden-Euro-Konjunkturpaket dagegen. Ich kann mit Stolz sagen: Dieses Konjunkturpaket ist Sozialdemokratie in Höchstform, und es ist der Einstieg in eine neue ehrgeizige Industriepolitik.

Wir wollen in die Jobs von morgen investieren, und das müssen wir auch in Nordrhein-Westfalen tun. Deswegen brauchen wir in Nordrhein-Westfalen ein 20-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm analog zum Bund, um Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen. Es geht um massive Investitionen in Ladeinfrastruktur, in Glasfaser, in 5G-Netze, in die Forschung und Entwicklung von Wasserstofftechnologien. Künstliche Intelligenz und der Ausbau von erneuerbaren Energien müssen ebenfalls deutlich besser gefördert werden. All das müssen wir jetzt schnell angehen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Pandemie ist noch nicht vorbei, aber die Chance, sie für einen Neustart zu nutzen, ist es auch noch nicht. Jetzt ist die Zeit, Neues zu wagen. Die Zukunft gehört nicht den Verzagten, nicht den Taktikern und Bedenkenträgern und Zögerern. Fortschritt erzielt nur, wer etwas wagt. Die Zukunft gehört nicht den Zögerlichen, sondern den Mutigen. – Herzlichen Dank und Glück auf für Nordrhein-Westfalen!

(Langanhaltender Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der CDU hat nun der Abgeordnete Herr Löttgen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Kutschaty, Ihre Rede gibt wirklich Anlass zur Dankbarkeit. Nie war ich dankbarer als nach dieser Rede, dass nicht Sie in diesem Land Verantwortung tragen,

(Beifall von der CDU und der FDP und Dr. Martin Vincentz [AfD])

dass nicht die Schwarzseher und Schlechtredner der SPD in diesem Land Verantwortung tragen, sondern ein besonnener Ministerpräsident,

(Lachen von der SPD und den GRÜNEN)