Protocol of the Session on May 27, 2020

„Mortui vivos docent“ – das ist kein leerer Spruch. Man sagt nicht umsonst unter Medizinern immer im Spaß: Der Pathologe weiß alles, kann alles, aber kommt immer zu spät. – Noch ist es in diesem Fall nicht zu spät. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der CDU hat der Abgeordnete Nettekoven das Wort.

(Christian Dahm [SPD]: Ich wusste gar nicht, dass du dazu reden kannst, Jens! – Gegenruf von Jens-Peter Nettekoven [CDU]: Die Ge- sundheitspolitiker bei uns sind krank gewor- den! – Christian Dahm [SPD]: Sprichst du zum Dschungel oder zur Todesursache? – Michael Hübner [SPD]: Jens Kamieth ist doch Patho- loge! Der kommt immer zu spät!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr Damen und Herren! Man wundert sich, dass ich zu diesem Thema rede.

(Christian Dahm [SPD]: Offenbar! – Michael Hübner [SPD]: Er ist nicht der Einzige! Du bist doch eigentlich Pathologe, oder?)

Ich bin allerdings Mitglied des Gesundheitsausschusses, und daher bin ich auch berechtigt, kurz zu diesem Antrag zu reden.

(Vereinzelt Heiterkeit)

Sehr geehrter Herr Dr. Vincentz, ich möchte gar nicht groß ausführen, was Sie alles in Ihrem Antrag fordern; Sie haben es schon gesagt. Das, was nach dem Bestattungsgesetz von Nordrhein-Westfalen gestattet ist, wird von den Gesundheitsämtern teilweise schon durchgeführt. In meinem eigenen Gesundheitsamt wird es durchgeführt.

(Michael Hübner [SPD]: Was, du hast ein ei- genes Gesundheitsamt?)

Wenn jemand an COVID-19 erkrankt ist, wird davon Gebrauch gemacht, dass er überprüft wird. Sie haben auch ausgeführt, wie gefährlich es ist, eine Obduktion an einem COVID-19-Patienten durchzuführen.

In Ihrem Punkt 3 haben Sie etwas vorweggenommen. Sie fordern valide Zahlen, um aus diesen zu lernen. An der RWTH Aachen findet bereits eine Überprüfung statt. Somit liegt das, was Sie mit Ihrem Antrag fordern, schon vor. Die valide Datenbasis wird jetzt freiwillig erhoben. Insofern ist Ihr Antrag obsolet.

Wir werden der Überweisung Ihres Antrags an den Fachausschuss zustimmen, um ihn dort zu beraten. Ich kann Ihnen aber heute bereits sagen: Was wir freiwillig bekommen, ist gut. – Ich freue mich auf die Beratung im Ausschuss und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Nettekoven. – Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Yüksel das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der AfD-Antrag fordert die Landesregierung auf, Obduktionen bei Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 gegenüber den Gesundheitsämtern anzuordnen.

Anfänglich, Herr Vincentz, scheint der Antrag noch argumentativ orientiert und gibt vor, dass es hier um eine medizinische Erkenntnis im Zusammenhang mit der Coronapandemie geht. Die Obduktionen sollen dazu führen, mehr über die pandemischen

Umstände und die damit zusammenhängenden Todesfälle zu erfahren.

Doch durch die Hintertür werden hier fundamentale Rechtsgüter über Bord geworfen. Ich glaube, der AfD ist manchmal gar nicht bewusst, was sie eigentlich fordert.

An erster Stelle sehe ich hier das Recht auf Selbstbestimmung in Gefahr. Die AfD fordert in diesem Antrag mit einer Leichtigkeit, die man sich kaum vorstellen kann, dass fremdbestimmt wird, was mit dem eigenen Körper passieren soll, wenn man verstirbt. Ohne richterliche Anordnung und bei Ungewissheit über die Todesumstände soll hier einfach das Recht auf Selbstbestimmung übergangen werden. Das Recht auf Selbstbestimmung endet aber nicht einfach mit dem eigenen Leben, sondern es ist ein elementares Recht, dass wir entscheiden können, was mit unserem eigenen Körper passiert, wenn wir nicht mehr leben.

Generell anordnen zu lassen, dass Zwangsobduktionen stattfinden müssen, ohne dass gesichert ist, dass sich daraus ein elementarer Mehrwert im Hinblick auf den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn ergibt, ist nicht nur leichtsinnig, sondern im Hinblick auf das Verständnis von Grundrechten auch sehr gefährlich.

Juristen werden das sicher besser einordnen können. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine solche übergreifende Anordnung ohne gesicherte Rahmenbedingungen überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar sein kann.

Der zweite Punkt, der im vorliegenden Antrag Grund zur Vorsicht gibt, ist die Verkennung der föderativen Struktur der Bundesrepublik Deutschland. Die AfD möchte anordnen lassen, wie die Gesundheitsämter vor Ort handeln sollen. Wie das RKI aber mehrfach betont hat, kann der Föderalismus in der aktuellen Situation auch als Stärke betrachtet werden. Die Gesundheitsämter vor Ort oder die behandelnden Ärzte können am besten entscheiden, inwieweit es im Einzelfall angebracht ist, eine Obduktion in Erwägung zu ziehen, und inwieweit hier ein Einvernehmen mit den Angehörigen hergestellt werden kann.

An dieser Stelle sollten wir es aber auch hier im Haus nicht versäumen, den Gesundheitsämtern für ihre wichtige und engagierte Arbeit in dieser Krisensituation zu danken. Ohne das engagierte Arbeiten der Behörden bzw. der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krisenstäben wäre der Staat nicht handlungsfähig gewesen.

Unabhängig von der Frage nach der Obduktion gilt es zu beachten, dass bereits jetzt die Zahlen seitens der Gesundheitsämter in einer Form kommuniziert werden, die auch Vorerkrankungen berücksichtigt. Der Grundsatz, von den Toten für die Lebenden zu lernen, den Sie hier mehrfach erwähnt haben, Herr

Dr. Vincentz, ist zwar richtig, aber über die Köpfe der Angehörigen hinweg Zwangsobduktionen anzuordnen, ist aus unserer Sicht unverhältnismäßig. Der Mehrwert kann eine Verletzung so elementarer Rechtsgüter des Einzelnen und ein Aushebeln des Föderalismus nicht rechtfertigen.

Das RKI hat betont, wer der Wissenschaft in dieser Pandemie helfen wolle, der müsse testen, testen und nochmals testen. Dabei solle man sich nicht nur auf die Abstriche konzentrieren, sondern vermehrt Antikörpertests in den Blick nehmen. Nur so generiert man mehr verlässliche Zahlen, sodass statistische Schwankungen minimiert und valide Werte ermittelt werden können. Am Beispiel der USA oder anderer Länder sehen wir, wohin es führen kann, wenn Verantwortliche die Gefahren und Fakten leugnen.

Herr Seifen, meine letzte Minute will ich dazu nutzen, um eines zu sagen: Sie haben die Kampagne der „Bild“-Zeitung in den letzten Tagen zum Anlass genommen, um auch den Stab über Herrn Professor Dr. Drosten zu brechen. Dabei haben Sie die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen. Diejenigen, die Sie zitiert haben, haben in den Verlautbarungen alle gesagt, dass die Zitate aus dem Zusammenhang gerissen worden sind.

Georg Streiter, der lange bei der „Bild“-Zeitung tätig war, hat massiv verurteilt, was mit Herrn Professor Dr. Drosten passieren soll. Es geht hier um einen renommierten Wissenschaftler, dem wir viel zu verdanken haben und der Weltruhm genießt, auch wenn nicht alles zu 100 % richtig ist, was er sagt, weil er nur wissenschaftliche Erkenntnisse kommuniziert. Die Art und Weise, wie dieser Mann kampagnenhaft durch die Jauchegrube des deutschen Journalismus in der „Bild“-Chefredaktion zur Schlachtbank geführt werden soll, ist an Erbärmlichkeit wirklich nicht zu überbieten.

(Beifall von der SPD, der CDU und den GRÜNEN)

Dass Sie das zum Anlass nehmen, um Herrn Professor Dr. Drosten hier zu diskreditieren, ist aus meiner Sicht nicht richtig. Ich rate Ihnen, einmal „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Heinrich Böll, geschrieben im Jahr 1974, zu lesen. Dann werden Sie sehen, wohin Sensationsgier und Boulevardjournalismus führen, wenn man jemanden kaputt machen will. Das sollten wir bei aller Diskussion nicht vergessen. – Vielen Dank.

(Beifall von der SPD und den GRÜNEN – Mi- chael Hübner [SPD]: Abitur hilft!)

Es gibt eine Kurzintervention der AfD, und Herr Dr. Vincentz hat das Wort.

Ein kurzer Kommentar zum gerade eben Gesagten: Herr Yüksel, Ihnen ist

durch Ihre Tätigkeit sicher bewusst, dass im Falle einer unnatürlichen Todesursache eine Obduktion vorgenommen werden kann. Natürlich ist bei jeder ungeklärten Todesursache diese Möglichkeit gegeben. Die Rechtsgüterabwägung, die Sie gerade vorgenommen und sehr zuungunsten unseres Antrags ausgelegt haben, ist in der Leichenschau der absolute Regelfall. Daher teile ich Ihre Bedenken nicht.

Zum anderen haben Sie hinzugefügt, man könne das nicht anordnen, weil man nicht wisse, was in der Forschung hinterher herauskomme. Es ist der Forschung ureigen, dass man am Anfang nicht weiß, was am Ende herauskommt. Ich glaube, ich habe genügend Beispiele aus der Vergangenheit genannt, in denen uns Erkrankungen gezeigt haben, wie wertvoll die Erkenntnisse sind, die wir dort gewinnen können. Daher teile ich die Abwägung, die Sie vorgenommen haben, explizit nicht.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank. – Für die Beantwortung hat Herr Kollege Yüksel das Wort.

Wir können die Diskussion auch noch im Fachausschuss führen. Meine Intention ist, dass wir nicht über die Köpfe derjenigen entscheiden können, die verantwortlich sind, und das sind die Angehörigen des Verstorbenen. Zwangsobduktionen kann es aus meiner Sicht nicht geben; denn es sind Rechtsgüter in einer Weise betroffen, dass man nicht einfach darüber hinweggehen kann.

Wenn eine natürliche Todesursache nicht bescheinigt werden kann, dann wird selbstverständlich obduziert. Aber nicht jeder Tote ist eines unnatürlichen Todes gestorben. Es liegt im Ermessen des Arztes, der die Leichenschau durchführt, ob er Entsprechendes im Totenschein ankreuzt oder nicht. Wir können das Thema gern noch weiterdiskutieren.

Wenn man von den Toten für die Lebenden lernen will, sind mehr Obduktionen durchaus ratsam. Der Kritikpunkt, den ich gerade angeführt habe, ist, dass dies nicht über die Köpfe der Angehörigen geschehen kann. Zwangsobduktionen kommen jedenfalls für die SPD nicht infrage.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Für die Fraktion der FDP hat nun Frau Abgeordnete Schneider das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn wir jetzt nicht hier im Plenum wären, wäre der eine oder andere von uns sicher schon zu Hause, würde vielleicht

ferngucken und feststellen, dass Serien zur Gerichtsmedizin im Moment unglaublich in sind,

(Michael Hübner [SPD]: Aber nicht öffentlich- rechtlich!)

sei es die Serie „Autopsie“ oder der „Tatort“, in dem Professor Boerne jemanden obduziert. Am Samstagmorgen – die Älteren werden sich sicher erinnern – geht auch wieder „Quincy“ an den Start. Vielleicht hat das den Antragsteller zu seinem Antrag inspiriert.

Die Debatte an sich ist nicht neu, ebenso wie die Frage nach einer generellen zweiten Leichenschau. Eine pathologisch überprüfte Feststellung von Todesursachen kann durchaus medizinische Erkenntnisse befördern.

Wir sind hier allerdings nicht in einer Fernsehserie oder bei „Wünsch dir was“, sondern wir sind in der Realität,

(Zuruf von Dr. Martin Vincentz [AfD])

in der Ressourcen bei medizinischem Personal, gerade im öffentlichen Gesundheitsdienst, knapp sind. Daher sollten wir diese Ressourcen verantwortungsvoll einsetzen und nicht nur aktionistische Forderungen stellen.