Protocol of the Session on April 29, 2020

So sehr ich Ihnen in der Sache soweit zustimmen kann, muss ich dennoch betonen, dass viele der von Ihnen genannten Aspekte – insbesondere im Zusammenhang mit Großveranstaltungen sowie mit Engagements von Vereinen und anderen Seiten – weit über die reine Schaustellerszene hinausgehen, sodass von dieser Krise leider weitaus mehr Menschen und Unternehmen betroffen sind.

Im Moment sehen wir hoffentlich ein Licht am Ende des Tunnels dieser Coronakrise. Was wir in wirtschaftlicher Hinsicht sehen, zeigt uns aber auch, wie wichtig es ist, dass wir verantwortungsvoll darüber diskutieren, was wieder möglich ist. Wir sollten uns nämlich – da möchte ich mich ausdrücklich positionieren – davor hüten, in dieser Krise den Menschen zu sagen, dass wir immer und immer wieder durch das Nachlegen staatlicher Programme jedes einzelne Problem und jedes einzelne, individuell noch so dramatische Szenario, das im Zusammenhang und infolge dieser Krise entsteht, werden abmildern, abfedern oder gar verhindern können.

Es ist eine tragische Situation. Sie ist umso tragischer, als viele Menschen und viele Betriebe völlig unverschuldet in diese Situation geraten sind. Deswegen bedeutet verantwortliches Handeln jetzt, dass wir einerseits die berechtigten Interessen des Gesundheits- und Infektionsschutzes beachten und andererseits vorsichtig die richtigen Schritte gehen, um die Öffnung der Wirtschaft in jeder Hinsicht und eben

auch insbesondere in diesen Bereichen ins Auge zu fassen.

Entschuldigung, dass ich Sie unterbreche, Herr Kollege Bombis. Es gibt zweimal den Wunsch nach einer Zwischenfrage, zum einen bei Herrn Kollegen Herter und zum anderen bei Herrn Kollegen Schmeltzer.

Ich höre beiden gerne zu.

Okay. – Dann erhält nun Herr Kollege Herter die Gelegenheit.

Herr Kollege Bombis, ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen.

Ich teile ausdrücklich Ihre Erwägungen, dass man immer wieder nachprüfen muss, inwieweit der Gesundheitsschutz und die gemäßigte schrittweise Wiedereröffnung eine Rolle spielen sollten. Wir unterhalten uns gerade über Großveranstaltungen, Events, Schützenfeste und Kirmessen. Haben Sie in irgendeiner Form eine Hoffnung, dass vor dem 31. August – bei verständiger Würdigung der Umstände – diese Punkte, die wir bei diesem Tagesordnungspunkt besprechen, dazu führen, dass etwas wiedereröffnet wird?

Herr Kollege Herter, ich kann die Frage insofern beantworten, als ich sage: Die Lage ist, auch in der momentanen Situation, so dynamisch, dass ich mir persönlich nicht zutraue, eine seriöse Prognose dazu abzugeben, ob es schon vor dem 31. August möglich sein wird, zu entsprechenden Maßnahmen zu kommen.

Ich sage aber auch, dass das ausdrücklich in beide Richtungen gilt. Die Problematik „Oktoberfest“ ist vom Kollegen Schmeltzer angesprochen worden. Wir müssen also auch befürchten, dass es eventuell noch in eine andere Richtung geht – je nachdem, wie sich das Infektionsgeschehen verändert.

Ich möchte gleich erst noch die Zwischenfrage des Kollegen Schmeltzer anhören, will aber ausdrücklich sagen – darauf komme ich gleich noch einmal zurück –, dass der Umgang mit dieser Situation uns tagtäglich immer wieder vor die Herausforderung stellt, zu sehen, welche Schutzmaßnahmen wir zum einen seriös weiterhin zusagen können – gesundheitlich, aber auch wirtschaftlich; das sind ja diese zwei Linien – und wo wir zum anderen versuchen können, gezielt zu lockern, und das möglicherweise mit klugen Ideen – ich setze diesbezüglich viel auf die Kreativität der Menschen in unserem Bundesland und unserem Land insgesamt –, weil es schließlich

auch denkbar ist, dass wir eingeschränkten Publikumsverkehr für Großveranstaltungen ins Auge fassen. Daher vermag ich heute noch nicht zu sagen, was auf anderen Ebenen letztendlich und möglicherweise unter dem Licht neuer Bedingungen entschieden wird.

Gestern habe ich gelesen, dass eventuell dieses Jahr eine Impfung theoretisch denkbar sein könnte. Auch das vermag ich nicht zu beurteilen. Ich bin weder Mediziner noch Virologe. – Deshalb kann ich auch Ihre Fragen nicht sicher zu beantworten. Insofern hoffe ich, ja, aber ich kann es nicht seriös beantworten.

Vielen Dank. – Jetzt schalte ich das Mikrofon für den Herrn Kollegen Schmeltzer frei.

Herr Kollege Bombis, es freut mich, dass wir in vielen Punkten der Analyse einig sind. So war es auch in der Vergangenheit mit Herrn Dr. Wolf seitens Ihrer Fraktion auch schon, wenn es um eine ähnliche Thematik ging.

Ich vermag nur nicht nachzuvollziehen, wie Sie die Kreativität der Menschen nach vorne stellen. Von Kreativität können die Unternehmen, die wir in unserem Antrag genannt haben, nicht leben. Da kommt kein Cent Geld herein. Bei all dem, was sie gerade dargestellt haben – das ist dann auch meine Frage –, erklären Sie mir, wie man Schaustellern und Firmen, die an solchen Großveranstaltungen beteiligt sind und nur davon leben, deutlich machen soll, dass sie keinerlei Einnahmen mehr haben dürfen, sehr wohl aber Möbelhäuser geöffnet werden.

Herr Kollege Schmeltzer, ich bedaure etwas, dass Sie jetzt schon, bevor ich mit meiner Rede an den entsprechenden Punkten war, mit einer solchen Zwischenfrage versuchen, einen Dissens zu konstruieren.

Der Punkt ist doch: Ich habe ebenso wie Sie und wie es der geschätzte Kollege Dr. Wolf über viele Jahre getan hat, nicht nur große Sympathien, sondern inzwischen auch viele gute Bekannte im Schaustellergewerbe. Ich schätze den Beruf in seiner Vielseitigkeit ungeheuer, insbesondere auch, dass er sich gegenüber staatlichen Maßnahmen eine gesunde Distanz erhalten hat.

Aber ich meine, dass wir genau abwägen müssen, wo wir Hilfen, die wir geben möchten, seriös zusagen können, und auch, auf welche zeitliche Distanz wir sie seriös zusagen können. Und an welchen Stellen müssen wir den Leuten sagen, dass wir kontrolliert bestimmte Maßnahmen ergreifen können, die dazu führen, gemeinsam mit ihnen wieder Veranstaltungen zuzulassen? Diese müssten vielleicht in anderer

Form stattfinden, als sie das bisher kannten, vielleicht mit deutlich reduzierten Publikumsverkehren, etwa durch Zugangsbeschränkungen an anderer Stelle, als das heute etwa für Zelte und Säle der Fall ist. Das sind mögliche kreative Maßnahmen, mit denen wir solche Konsequenzen abfedern können.

Ich möchte betonen: Die NRW-Landesregierung hat in Ergänzung der Maßnahmen des Bundes auch bisher schon viele Punkte beschlossen und in die Wege geleitet, die eben auch Unternehmen stützen. Ich weiß, dass der Wirtschaftsminister gemeinsam mit seinen Amtskollegen, dem Finanz- und dem Gesundheitsminister, in der Diskussion ist, wie weitere Unterstützungsmaßnahmen auch vonseiten des Landes NRW und auch in Kooperation mit dem Bund erfolgen können. Der Wirtschaftsminister hat gerade heute ein Konzept präsentiert, das er mit seinen Amtskollegen aus Niedersachsen und Baden-Württemberg vorgeschlagen hat für die schrittweise Öffnung von Gastronomie und Gastgewerbe und für räumliche und organisatorische Bedingungen zur Erfüllung von Mindestabständen. Das geht ja alles in diese Richtung.

Was Ihren Antrag angeht, habe ich großes Verständnis dafür: Wir alle haben den Wunsch, dass wir mehr machen wollen, schneller Antworten haben wollen, dass wir den Menschen eine Perspektive geben wollen. Aber wir sollten dabei so seriös bleiben, dass wir den Leuten sagen: Wir müssen die Entwicklung und die Beratungen abwarten, denn es macht wenig Sinn, dass wir irgendwo in München eine andere Regelung treffen als in Berlin oder in Nordrhein-Westfalen – jedenfalls, was bestimmte Maßnahmen angeht. Ein Teil davon dürfte vom Föderalismus gedeckt sein, in anderen Punkten teile ich das nicht.

Ich meine, dass deswegen Ihr Antrag derzeit verfrüht ist. Diesbezüglich sollten wir, ähnlich wie das heute Mittag vorgelegt worden ist, die weiteren Beratungen zwischen den Ländern und innerhalb dieser Landesregierung in Ergänzung zum Bund abwarten.

Ich will aber auch deutlich sagen, dass ich Ihnen an einer Stelle klar widerspreche: Die geplante und inzwischen vom Bund auch kommunizierte zeitlich beschränkte Senkung der Umsatzsteuer kann sehr wohl ein richtiges Mittel sein.

Sie schreiben in Ihrem Antrag, wenn Umsätze ausbleiben, ist dies nicht das richtige Mittel. Da haben Sie zweifelsohne recht. – Wenn es uns aber gelingt, die Umsätze langsam wieder hochzufahren, dann kann dies gerade für den Wiederanfang, für den Erhalt und für die Überbrückung einer bestimmten Phase ein ganz entscheidender Punkt für solche Betriebe sein. Sie sollten aus Ihren prinzipiellen Schützengräben – Steuern sind immer gut, und je höher, desto besser – auch einmal ein Stück weit herauskommen.

(Zuruf von Christian Dahm [SPD] – Rainer Schmeltzer [SPD]: Ohne Umsätze zahlt keiner Umsatzsteuer!)

Ich glaube, dass die nordrhein-westfälische Wirtschaft und gerade dieser Bereich für eine solche Senkung umso empfänglicher wären. Deswegen werden wir Ihren Antrag hier und heute ablehnen. Er kommt verfrüht, ist in Teilen unrichtig, und deswegen können wir ihm leider nicht zustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Bombis. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Keymis.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kolleginnen und Kollegen von der SPD, vielen Dank für den Antrag. Wir haben ihn als Anstoß empfunden.

Ich meine nicht, Herr Kollege Bombis, dass er zu früh kommt. Das ist die falsche Einordnung, denn die, von denen wir hier reden, leiden die Not schon aktiv, und das seit einigen Wochen und in einem Maße, wie es in anderen Bereichen nicht so stark zu spüren ist, weil diese Dienstleistungen direkt auf Kontakt angewiesen sind, sozusagen Kontaktdienstleistungen sind.

Jede der Veranstaltungen, von denen Sie sprechen, ist eine solche. Ich fand interessant, dass die SPD das Thema groß aufgezogen hat; das kann man begrüßen.

Es fängt an mit Kultur und Kreativen: 300.000 Menschen, 36 Milliarden Umsatz. Da zuckt man schon zusammen, das ist richtig viel Kohle. Dann geht es weiter mit dem Gastgewerbe: 400.000 Menschen, 16,5 Milliarden Umsatz – auch eine Zahl! Dann Messen und Events: 7 Milliarden Euro Umsatz, 150.000 Menschen betroffen.

Das sind alles Größenordnungen, die sehr, sehr eindrucksvoll sind. Und alle diese Menschen und die Umsätze sind faktisch auf null gesetzt. Das ist ein Totalausfall von 100 %, und das macht natürlich deutlich, dass wir hier in einer dramatischen Situation stehen, gerade was diese Bereiche betrifft.

Ich war etwas überrascht. Ich habe natürlich großen Respekt vor den Schaustellerinnen und Schaustellern, einer ganz tollen und wunderbaren Tradition, die wir insbesondere in unseren europäischen Ländern kennen, auch in anderen Ländern, aber bei uns in dieser Form.

Wir haben die Schaustellerei als Kinder kennen- und mögen gelernt und haben sie als Erwachsene noch immer gern. Sie macht hier aber nur einen Teil aus.

Das gilt auch für Ihren Antrag. Deshalb binden wir sie noch etwas stärker ein. Übrigens sind darin keine Zahlen aufgeführt. Diese fallen insgesamt wahrscheinlich auch ein bisschen geringer aus. Jedenfalls handelt es sich um einen Bereich, der uns wert und teuer ist und für den wir uns engagieren müssen.

Ihr Antrag fängt groß an, aber – und aus diesem Grund haben wir Grüne einen Entschließungsantrag gestellt – uns fehlt die Forderung an die Landesregierung. Ihr Antrag enthält nur zwei Punkte. Ich denke, ich muss hier nicht noch einmal darauf eingehen. Schließlich handelt es sich um den Antrag der SPD. Hier war uns der SPD-Antrag, ehrlich gesagt, etwas zu knapp.

Wir hingegen haben konkreter Forderungen an die Landesregierung gestellt. Schließlich geht es hier um ganz viel. Im Moment ist das gemeinsame Bemühen von Landesregierung und Bund, diese Rettungsschirme aufzuspannen. Deshalb lautet die Überschrift unseres Antrags: „Biergartenschirm“ statt „Knirps“. Für diejenigen, die keine Schleichwerbung mögen, kann ich das gern übersetzen: Nicht kleckern, sondern klotzen.

Es kommt darauf an, dass wir jetzt alle sehr große Anstrengungen unternehmen, um das, was uns wichtig und wert ist, über diese hygienische Krise, wie es in Frankreich heißt, sprich: die Gesundheitskrise, hinwegzuretten und zu wahren. Darauf kommt es bei denjenigen mit einem hundertprozentigen Einnahmenausfall an.

Wir müssen uns dieser Jahrhundertherausforderung, die nicht nur diese Sektoren betrifft, mit entsprechend groß angelegten Maßnahmen stellen.

Ich habe noch eine Zahl im Kopf, die der Bundesfinanzminister kürzlich wiederholt hat: Der Schuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt lag vor der Krise bei etwa 60 %. Mit den Maßnahmen, die der Bund bisher beschlossen hat, beträgt er etwa 75 %. Das ist im Verhältnis zu Italien mit 137 % noch harmlos.

Insofern stehen wir als Bundesrepublik Deutschland trotz der Krise nach wie vor insgesamt nicht schlecht da. Das ist unser Glück. Es ist aber auch eine Herausforderung, weil wir daraus zum Beispiel kräftige Rettungsschirme wie die hier diskutierten ableiten müssen.

Die Überschrift unseres Antrags lautet, wie schon zitiert: „Biergartenschirm“ statt „Knirps“. Schließlich hängt das ganze Gastgewerbe daran. Wir müssen uns jetzt auf das einstellen, was sich im Moment abzeichnet. Wir rechnen nicht damit, dass die Restriktionen nur bis zum 31. Mai andauern werden. Wir wissen heute schon, dass bis zum 31. August nichts passieren wird. Das kann man ganz klar beantworten, Herr Kollege Herter. Darüber gibt es gar keine Diskussion.

(Marc Herter [SPD]: Danke, dass du es beant- wortest!)

Ich habe sogar die Sorge, dass sie noch länger andauern werden. Ich habe mit Leuten vom Theater gesprochen – Herr Bombis, ich kenne viele Schauspielerinnen und Schauspieler aus alter Zeit – und weiß, dass diese sich schon darauf einrichten, vielleicht ab September oder Oktober unter sehr veränderten Umständen und in kleinerem Rahmen wieder aktiv zu werden. Das weiß man aber alles noch nicht. Auch hier sind wir im Moment darauf angewiesen, auf Sicht zu fahren.

Es gilt, ordentlich zu planen. Daher haben wir vier Forderungen aufgestellt, auf die ich jetzt eingehen möchte.

Erstens. Die Landesregierung wird aufgefordert, umgehend und mit Nachdruck mit der Bundesregierung in Gespräche über eine Fortschreibung der Soforthilfen für die von der Verlängerung der Veranstaltungs- und Reiseverbote betroffenen Branchen über den 31. Mai 2020 hinaus einzutreten.

Gerade wurde gemeldet, es stehe fest, dass bis zum 14. Juni möglichst überhaupt nicht mehr gereist werden soll. Wenn das so ist – wir erfahren sicher bald mehr –, können wir auch das Verreisen im Sommer abhaken. Daran hängen viele dieser Veranstaltungen. Das gesamte Messegeschäft hängt am Reisen. Finden keine Reisen statt, finden auch keine Messen statt.

Zweitens. Die Landesregierung wird aufgefordert, die Hilfen des Landes NRW in der gleichen Weise fortzuschreiben und dazu die dazu benötigten Haushaltsmittel, falls erforderlich, kurzfristig zu beantragen.