Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie zu unserer heutigen, 86. Sitzung des Landtags NordrheinWestfalen herzlich willkommen. Mein Gruß gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.
Gesetz zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie
Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 30. März 2020 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zu dem Thema „Nordrhein-Westfalen steht zusammen in der CoronaKrise“ zu unterrichten.
Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch den Herrn Ministerpräsidenten Armin Laschet. Ich erteile daher nun Herrn Ministerpräsidenten das Wort. Bitte schön.
Armin Laschet*), Ministerpräsident: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben eine Zeit der Gegensätze. Während sich das öffentliche Leben verlangsamt – weltweit –, ja fast stillsteht, verläuft die Ausbreitung der Pandemie rasant. Während wir körperlich großen Abstand halten, rückt unsere Gesellschaft zusammen.
Wir müssen aber wissen, dass das Virus noch lange nicht gestoppt ist. In Italien und Frankreich können wir sehen, was passiert, wenn es sich unkontrolliert ausbreitet. Es spielen sich menschliche Tragödien ab. Deshalb wollen wir auch in der Zeit, in der wir uns
Kliniken in Nordrhein-Westfalen – in Essen, in Bonn, in Köln, in Bochum und in Bad Oeynhausen – haben bisher 14 Coronapatienten aus Italien und Frankreich aufgenommen. Zusätzlich hat der Kölner Erzbischof die Bereitschaft erklärt, 6 weitere Patienten in Kliniken des Erzbistums aufzunehmen. Wir unterstützen hier bei der Abstimmung mit Botschaft und Bundeswehr. Die Landung des Flugzeugs der Luftwaffe ist für heute Abend in Köln/Bonn vorgesehen, sodass wir dann in einer ersten Aktion 20 Menschen aus Italien und Frankreich bei uns aufgenommen haben. Dank an alle, die daran mitwirken!
Außerdem gibt es gewachsene Zusammenarbeit, ohne dass groß darüber geredet wird. Das Universitätsklinikum Münster hat zwei Coronapatienten aus dem niederländischen Zwolle – aus der Euregio, in der man zusammenarbeitet – aufgenommen. In der nächsten Zeit werden wir sowohl in Aachen als auch in Münster noch weitere Einzelfälle erleben, in denen durch grenzüberschreitende Kooperation geholfen wird. Andere Standorte wie die Mühlenkreiskliniken in Minden haben ebenfalls ihre Hilfe angeboten.
Das ist nur möglich, weil die Kliniken, die Krankenhäuser, die Ärzte und die Pflegekräfte sowie die Piloten der Luftwaffe in dieser Zeit mitwirken. All denen, die da ihren Einsatz geleistet haben, gilt der Dank, wie ich annehme, aller hier in diesem Haus.
Die Menschen im Kreis Heinsberg mussten als Erste in Nordrhein-Westfalen spüren, wie gefährlich dieses Virus ist. Angesichts des Wissens um die mögliche Infizierung einer Kindergärtnerin war es richtig, dort umgehend Schulen und Kitas zu schließen.
Im Kreis Heinsberg – daran müssen wir uns noch einmal erinnern – hat es nach Karneval begonnen. Dort ist man jetzt also schon fast vier Wochen in dem Zustand, in dem das Land seit ungefähr zwei Wochen ist.
Die Wirkungen kann man aber auch sehen. Bei aller Vorsicht können wir sagen: Im Kreis Heinsberg verlangsamt sich der Anstieg der Zahl der Fälle. Die Maßnahmen scheinen zu wirken. Die Kurve flacht ab.
Das kann man schlecht anhand der Infiziertenzahlen rechnen. Diese werden steigen. Das heißt aber nicht, dass jeder, der infiziert ist, auch die Krankheit hat.
Entscheidend für diese Entwicklung ist die Verdopplungszeit. In welcher Zeit verdoppelt sich die Zahl der Neuinfizierungen? Das ist der Maßstab.
Während sich die Zahl der Infizierten in NordrheinWestfalen alle 8 bis 9 Tage verdoppelt – etwas langsamer als im Bundesschnitt –, verdoppelt sie sich im Kreis Heinsberg alle 16 Tage. Daran kann man sehen, dass die Entwicklung dort wesentlich langsamer ist. Das macht Hoffnung, dass das, was jetzt im Kreis Heinsberg zu sehen ist, irgendwann auch das ganze Land erfasst.
Karl-Josef Laumann und ich haben gemeinsam mit dem Virologen der Universität Bonn, Herrn Professor Hendrik Streeck, ein Forschungsprojekt für den Kreis Heinsberg vereinbart, dessen Ergebnisse dann nicht nur für Heinsberg interessant sind, sondern für ganz Nordrhein-Westfalen, eigentlich sogar für ganz Deutschland, weil es keine andere Region gibt, in der die Ausgangsquelle bekannt ist – jene Karnevalssitzung in Gangelt – und man einen ganzen Kreis derjenigen nachverfolgen kann, die infiziert wurden, aber auch nicht infiziert wurden. Warum jemand infiziert wurde oder auch nicht infiziert wurde, wie sich das Virus im Haus verbreitet hat und wie es sich überträgt, kann man nirgendwo sonst in Europa so untersuchen und feststellen; denn die Leute aus Ischgl sind in ganz Europa verstreut – man hat sie nicht gebündelt –, während sie hier in Heinsberg alle beisammen sind.
Insofern hoffen wir, dass diese Studie in dieser Erstregion uns Erkenntnisse bringt. Es ist angekündigt, dass wir in zwei Wochen erste Daten haben können. Damit können wir die Höhe der Dunkelziffer ermitteln, um die Verbreitung und die Gefährlichkeit des Virus dann auch genauer zu kennen.
Über 1.000 Menschen aus der Gemeinde Gangelt wurden bereits befragt. Weitere werden jetzt befragt. Ein Team der Universität Bonn ist mit 20 bis 30 Leuten, vielen freiwilligen Medizinstudierenden, die da mithelfen, seit gestern im Kreis Heinsberg unterwegs. Ich bin sicher, dass wir danach mehr über die Verbreitung wissen und daraus unsere Maßnahmen für die Zukunft ableiten können.
Mittlerweile gibt es in Köln mehr bestätigte Infektionen als in Heinsberg. Regionale Cluster finden sich auch in der Städteregion Aachen, in der Stadt Aachen, in Münster, im Rhein-Sieg-Kreis und im Kreis Borken.
Daher ist klar: Es ist keine Zeit für Entwarnungen. Wir werden weiter steigende Infektionszahlen erleben, und es werden auch weiter Menschen an dem Virus sterben.
Deshalb wollen wir mit all den Maßnahmen, die wir unternehmen, das Schlimmste verhindern. Zustände wie in Bergamo, derzeit in Straßburg, in Madrid und in New York wollen wir für Deutschland und für Nordrhein-Westfalen verhindern. Wir wollen nicht an die
Grenzen unseres Gesundheitssystems kommen. Wir wollen immer genügend Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeiten bereithalten können. Das ist das, was wir mit all unseren Kräften schaffen können. Alles Weitere – ob Menschen sterben, ob Menschen zuvor multimorbid waren oder Vorerkrankungen haben – können wir nicht beeinflussen. Aber wir können es schaffen, dass jeder Intensivplatz, wenn er benötigt wird, auch da ist.
Mein Dank gilt auch denen, die trotz fehlender Kontakte zu Familien und Freunden sowie großer Sorgen und Ängste so tapfer mitziehen. Gerade wenn man pflegebedürftig ist, gerade wenn man krank ist, braucht man Besuch. Dass der Besuch jetzt nicht kommen kann, bleibt für viele Menschen eine harte Herzenssache.
Ostern steht bevor. Das ist ein klassisches Fest der Begegnung. Wenn die Enkel nicht zu den Großeltern gehen können, wenn man nicht gemeinsam Ostern feiern und Ostereier suchen kann, wenn man alles das, was man traditionell seit Ewigkeiten so kennt, nicht tun kann, ist das ein Einbruch, der auch die persönlichen Empfindungen von Menschen einschränkt.
Es geht aber nicht anders. Wir müssen diese Maßnahmen jetzt durchhalten, um zu sehen: Wie wirken sie? Haben sie Einfluss auf das, was kommt?
Das ist das Emotionale, Persönliche. Man muss aber auch an die Menschen denken, die in der heimischen Wirtschaft tätig sind – an die Arbeitnehmer, an die Arbeitgeber und an die kleinen Selbstständigen, die sagen: Ich schaffe es noch ein, zwei oder drei Wochen, aber keine acht, zehn oder zwölf Wochen, die Miete für meinen Laden und alles andere weiter zu bezahlen.
Die Zahlen der Anträge auf Kurzarbeit sind gestern durch die Regionaldirektion bekannt gegeben worden. Es gab 96.000 Anmeldungen. Das heißt nicht, dass es nur 96.000 Menschen sind, sondern bedeutet, dass viel, viel mehr Menschen derzeit von 67 % ihres bisherigen Einkommens leben müssen. Das sind für diejenigen, die knapp kalkulieren, die sich vielleicht etwas angespart haben, die Kredite tilgen müssen oder was auch immer bezahlen müssen, gravierende Eingriffe.
Wir werden steigende Arbeitslosigkeit erleben. Wir werden erhöhte Gefahren für das Kindeswohl sehen. Wir werden Gefahren für depressive Menschen wahrnehmen.
Deshalb müssen wir, wenn wir das alles machen, wissen, dass es auch an anderer Stelle Auswirkungen auf Menschen hat. Politik muss am Ende immer abwägen, wo der größere und wo der kleinere Schaden ist, und schauen, wie man das alles hinbekommt.
Daher dürfen wir die Menschen, die ich gerade erwähnt habe, auch nicht vergessen und müssen sehen, dass wir, sobald es verantwortbar ist, wieder zurück in ein Leben kommen, in dem die Menschen diese Existenzängste nicht mehr in der Form haben müssen.
Wie können wir da helfen? – In der vergangenen Woche ist das Coronakrisenpaket mit dem Nachtragshaushalt und mit dem Infektionsschutzgesetz hier bei uns und auch im Deutschen Bundestag und im Bundesrat beschlossen worden. Das Gesetz umfasst ein viele 100 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für den Erhalt von Arbeitsplätzen und Unternehmen, für die Förderung von Kleinunternehmern und Solo-Selbstständigen, für die Unterstützung von Krankenhäusern und für die Sicherung des Lebensunterhaltes.
Ein zentrales Element waren die Änderungen im Infektionsschutzgesetz. Angesichts der noch nie da gewesenen Krise sind diese Änderungen notwendig geworden. Es ist gut, dass in Bundesrat und Bundestag große Mehrheiten sowohl unter den Ländern als auch über die Parteigrenzen hinweg möglich waren.
Dazu zählen Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln, Heilmitteln und Medizinprodukten, aber auch die Entschädigungsregeln für Eltern, die wegen der notwendigen Kinderbetreuung während einer Pandemie Verdienstausfälle erleiden. Parallel zum Kurzarbeitergeld hat Bundesminister Heil diese Möglichkeit eröffnet. Selten zuvor haben Bund und Länder so parteiübergreifend entschieden. Daran erkennt man: Der Föderalismus funktioniert, und Politik ist handlungsfähig.