Protocol of the Session on March 24, 2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie herzlich zu unserer heutigen, 85. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen willkommen. Mein Gruß gilt auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Medien sowie den Zuschauerinnen und Zuschauern an den Bildschirmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie nahezu alle Länder der Erde ist auch unser Land in diesen Tagen und Wochen besonders gefordert. Unsere Demokratie ist keine Schönwetter-Demokratie. Wenn es darauf ankommt, zeigt sie ihre Stärke. Und jetzt kommt es darauf an.

Jede einzelne Bürgerin, jeder einzelne Bürger ist gefordert – mit Blick auf ihre bzw. seine eigene Verantwortung für die Gesundheit, mit Blick auf Fürsorge und Weitsicht für die Mitmenschen.

Wir erleben durch die Coronakrise nie dagewesene Einschränkungen: die Schließung von Grenzen in Europa, die Beschränkung der Reise- und der Versammlungsfreiheit, das Schließen von Kitas, Schulen und Universitäten, den Stillstand großer Teile der Wirtschaft.

Unsere errungenen Freiheiten müssen wir aktuell zeitlich begrenzt aussetzen. Aber wir sind entschlossen, unsere Freiheit und den europäischen Gedanken nach dieser Krise wieder neu und beherzt aufzunehmen.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür, dass dies geschieht, dass wir die Freiheit zurückerlangen, stehen wir in den Parlamenten und in den demokratischen Parteien ein.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Ich möchte mich bei den Fraktionen dieses Parlaments dafür bedanken, dass sie durch ihr verlässliches Handeln und Denken ihrer Verantwortung in dieser Stunde gerecht werden.

Wir haben uns in einer sachlichen und zielführenden Weise Ende der vergangenen Woche mit dem Ministerpräsidenten Armin Laschet auf die heutige Plenarsitzung und ihren Ablauf geeinigt.

Wir werden heute einen Nachtragshaushalt verabschieden. So etwas ist nicht selbstverständlich. Die Fraktionen haben bewiesen: Jetzt geht es nicht um das Durchsetzen von Einzelinteressen; in dieser globalen Krise stehen wir zusammen, tragen Verantwortung für unser Land Nordrhein-Westfalen und handeln gemeinsam.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Darin zeigt sich nicht nur die Stärke einer Demokratie, sondern auch die Stärke, die Gewissenspflicht von uns allen. Wir sind dem Leben und dem Wohle aller verpflichtet. Eine Demokratie auf dem Prüfstand weist über Partei- und Fraktionsdenken hinaus.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen zielführenden, geordneten Verlauf unserer heutigen Sitzung. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von allen Fraktionen und der Regie- rungsbank)

Mit Schreiben des Ministerpräsidenten vom 22. März 2020 hat die Landesregierung im Einvernehmen mit den Fraktionen im Landtag die heutige Sondersitzung des Landtags gemäß Art. 38 Abs. 4 der Landesverfassung beantragt.

Damit rufe ich auf:

1 Mit Entschlossenheit und Solidarität – Nord

rhein-Westfalen gemeinsam gegen die

Corona-Pandemie

Unterrichtung durch die Landesregierung

Der Chef der Staatskanzlei hat mit Schreiben vom 20. März 2020 mitgeteilt, dass die Landesregierung beabsichtigt, den Landtag zu diesem Thema zu unterrichten.

Die Unterrichtung durch die Landesregierung erfolgt durch Herrn Ministerpräsidenten Armin Laschet. Ich erteile daher nun Herrn Ministerpräsidenten Laschet das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unser Land Nordrhein-Westfalen erlebt momentan die schwerste Bewährungsprobe in seiner Geschichte. Wir haben es mit einem Gegner zu tun, der so unheilvoll wie unsichtbar ist. Die Ausbreitung des Virus COVID-19 ist dynamisch, und die Auswirkungen für die Betroffenen sind dramatisch.

Der Blick zu unseren Freunden nach Italien zeigt unermessliche Tragödien. Sie führen uns schmerzlich vor Augen: Es geht um Leben und Tod.

Worauf kommt es jetzt an? Drei Ziele leiten uns:

Erstens. Wir müssen die Ausbreitung des Virus verlangsamen. Nur dann haben wir eine Chance, die Pandemie zu bewältigen.

Zweitens. Wir müssen unser Gesundheitssystem binnen Wochen massiv ausbauen, auch wenn es weltweit eines der besten und leistungsfähigsten ist. Nur dann werden wir so viele Menschenleben wie möglich retten können.

Landtag

24.03.2020

Drittens. Wir müssen die Folgen der Pandemie für unser Land, für unsere Wirtschaft und für jeden Einzelnen jetzt schon abfedern. Nur dann haben wir eine Chance, dass Arbeitsplätze und unser sozialer Zusammenhalt auch nach der Krise noch da sind und wir dann wieder eine funktionierende Wirtschaft haben.

Gemeinsam kämpfen wir um jedes Leben. Dieser Kampf ist aber vor allem ein Kampf gegen die Zeit. Den ersten bestätigten Fall in Nordrhein-Westfalen gab es am 25. Februar, also vor exakt vier Wochen. Mit Stand heute Vormittag haben wir in NordrheinWestfalen 8.224 Infizierte und 40 Tote zu beklagen.

Der sprunghafte Anstieg der Zahl der Infektionen hat uns zu radikalen Maßnahmen gezwungen – binnen Tagen und Stunden. Unser Leben und unser Alltag haben sich radikal verändert. Noch vor zehn Tagen haben sich viele zur Begrüßung die Hand gegeben, haben sich Freunde zur Begrüßung umarmt. Heute macht das keiner mehr.

Seitdem hält jeder Tag neue Herausforderungen für uns bereit. Jeden Tag analysieren und entscheiden wir, welche Antwort die beste ist.

Jeden Tag lernen wir auch dazu. Dabei sind wir im engen Austausch mit dem Robert Koch-Institut und weiteren Experten und Virologen. Dieser Austausch ist für uns handlungsleitend. Die Wissenschaft sagt ganz klar: Wenn wir es jetzt schaffen, den sprunghaften Anstieg zu verhindern, dann retten und schützen wir Leben – in zwei, in drei, in vier und in fünf Wochen.

Für uns gilt dabei nicht die Losung: Was sind die härtesten Maßnahmen, die wir ergreifen können? – Für uns stellt sich die Frage: Was sind die besten Maßnahmen, um die Menschen wirksam zu schützen?

(Beifall von der CDU und der FDP – Vereinzelt Beifall von den GRÜNEN)

Unsere schlagkräftigste Maßnahme ist die maximale Reduzierung von sozialen Kontakten. Hierzu haben wir in den letzten Wochen bereits viele tief greifende Regelungen beschlossen. Wir haben vor etwas mehr als zwei Wochen – länger ist das noch nicht her – Veranstaltungen mit über 1.000 Teilnehmern untersagt und auch zur Absage kleinerer Versammlungen geraten. Das stieß damals auf Unverständnis: Bundesliga ohne Zuschauer? Geisterspiele wie Mönchengladbach gegen Köln und Dortmund gegen Schalke? – Das war damals, vor gut zwei Wochen, die Debatte.

Für viele klang das nach einer harten, gar überharten Entscheidung, und manche fragten: Ist das denn nötig? Ist das nicht übertrieben? – Es war angemessen, und es war zwingend.

In der gleichen Woche, am Morgen nach der Ministerpräsidentenkonferenz am 12. März, haben wir die

Schließung von Schulen und Kitas sowie die Verschiebung des Semesterstarts der Hochschulen beschlossen.

Zwei Tage später haben wir als eines der ersten Bundesländer Einschränkungen für Freizeitaktivitäten sowie für Handel, Gastronomie und Hotellerie beschlossen, die anschließend auch vom Bund und den anderen Ländern übernommen wurden.

Die Entscheidungen für all diese Einschränkungen waren nicht einfach. Wir haben ganz erheblich Grundrechte eingeschränkt: Versammlungsfreiheit, freie Berufsausübung, Gewerbefreiheit, Schulpflicht.

Auch die Religionsausübung ist jetzt beschränkt. Mir war hierbei übrigens wichtig, dass nicht, wie anderswo umgesetzt oder vorgeschlagen, der Staat Gottesdienste verbietet. Wir haben einen anderen Weg gewählt und einen Konsens erreicht. Es gab eine Selbsterklärung der christlichen Kirchen, der katholischen und der evangelischen, sowie der jüdischen und muslimischen Gemeinden, dass sie solche Veranstaltungen durchführen. Wir haben dies zur Kenntnis genommen. Das ist ein entscheidender Unterschied. Ich finde, bevor ein Staat Synagogen und Kirchen schließt, sollte er zehnmal nachdenken. Diese Selbstverpflichtung ist der richtigere Weg.

(Beifall von der CDU, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Der liberale Rechtsstaat muss in der Krise schnell handeln. Aber er muss sich auch die Zeit zum Nachdenken und zum Abwägen eines jeden Eingriffs nehmen. Auch in der größten Krise gilt die Verfassung.

Das am letzten Sonntag mit dem Bund und den Ländern auf unsere Initiative hin beschlossene Kontaktverbot geht nun noch einen Schritt weiter. Unserer Meinung nach ist es verhältnismäßiger, zielgerichteter und vor allem besser zu vollziehen als eine Ausgangssperre. Es geht um die Vermeidung von Kontakten, körperlichem Kontakt zu anderen Menschen, um massenhaft weitere Infektionen so weit wie nur irgend möglich zu verhindern.

Nicht das Verlassen der eigenen Wohnung ist die Gefahr, sondern der enge, unmittelbare Kontakt. Man soll seine Wohnung verlassen. Man soll an die frische Luft gehen. Man soll, wenn man eine Zwei- oder Dreizimmerwohnung hat und dort mit mehreren Kindern lebt, auch die Möglichkeit haben, hinauszugehen. Das Gefährliche ist der Kontakt. Deshalb haben wir und zwölf andere Länder diesen Vorschlag gemacht, der am letzten Sonntag als Kontaktverbot einen Konsens gefunden hat.

Mit dem Begriff „Kontaktverbot“ ist – darauf möchte ich an dieser Stelle noch einmal hinweisen – nicht der soziale Kontakt gemeint, sondern der körperliche. Man soll im sozialen Kontakt bleiben und ihn vielleicht sogar noch ausdehnen. Wir Menschen sind es nicht gewohnt, so voneinander abgegrenzt zu leben

Landtag

24.03.2020

oder auch so abgegrenzt zu sitzen, wie wir das heute hier tun. Das ist etwas Ungewöhnliches. Wir brauchen einander.