Protocol of the Session on March 12, 2020

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich heiße Sie alle zur 84. Sitzung des Landtags Nordrhein-Westfalen herzlich willkommen.

Für die heutige Sitzung haben sich 20 Abgeordnete entschuldigt; die Namen werden in das Protokoll aufgenommen.

Damit sind wir schon bei Tagesordnungspunkt

1 Personalmangel an Kitas – neue Studie veran

schaulicht dramatische Situation

Aktuelle Stunde auf Antrag der Fraktion der AfD Drucksache 17/8815

Die Fraktion der AfD hat mit Schreiben vom 9. März gemäß § 95 Abs. 1 der Geschäftsordnung zu dieser aktuellen Frage der Landespolitik eine Aussprache beantragt.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Abgeordneten Frau Dworeck-Danielowski das Wort für die AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor wenigen Tagen wurden die Ergebnisse der DKLK-Studie 2020 veröffentlicht. Die Ergebnisse haben unsere schlimmsten Befürchtungen, die wir schon im Rahmen der Debatte rund um die KiBiz-Reform geäußert haben, bestätigt.

Ich möchte an dieser Stelle Herrn Udo Beckmann zitieren – das ist der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung –, der die Ergebnisse der Studie wie folgt kommentiert hat: Die Politik setzt „sehenden Auges die Sicherheit unserer Kinder aufs Spiel, wenn Aufsichtspflichten nicht mehr erfüllt werden können.“ – Weiter führt er aus: „Und sie missbraucht die Gesundheit der Erzieherinnen und Erzieher, die diese Missstände seit Jahren teils über ihre Belastungsgrenzen hinaus aufzufangen versuchen.“

Ich denke, diese doch sehr deutlichen Worte sollten uns alle wachrütteln. Sie sollten uns hier zusammenkommen und überlegen lassen, ob der Weg, den die Politik bisher eingeschlagen hat, tatsächlich der richtige ist.

Ich möchte an dieser Stelle ein paar Ergebnisse aus der Studie nennen, die Herrn Beckmann anscheinend zu dieser drastischen Einschätzung haben kommen lassen.

So haben 78,5 % der befragten Kita-Leiterinnen angegeben, dass sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt im letzten Jahr nicht, wie vielleicht einige gehofft haben, verbessert hat, sondern noch weiter verschärft hat.

94 % der Kitas haben für unter dreijährige Kinder eine Fachkraft-Kind-Relation, die hinter der Empfehlung von einer Aufsichtsperson zu drei Kindern zurückbleibt. Bei den Über-Dreijährigen verfehlen immerhin noch 76 %, also über drei Viertel, den Betreuungsschlüssel von einer Erzieherin oder einem Erzieher zu 7,5 Kindern, was auch immer das sein soll. Weniger als 10 % aller Kita-Leitungen konnten angeben, zu jeder Zeit ausreichend Fachkräfte im Einsatz gehabt zu haben.

Die Zahlen überraschen wenig. Jeder, der selber Kinder im Kita-Alter hat, hat sicherlich im letzten Jahr oder auch schon in den Jahren davor die Erfahrung gemacht, dass immer wieder die Aufforderung vonseiten der Kita an die Eltern gerichtet wurde, falls sie nicht berufstätig sind, ihr Kind bitte mal für die nächsten ein, zwei Wochen zu Hause zu lassen, oder dass Betreuungsangebote, die über das Normale hinausgehen, wie zum Beispiel ein Besuch im Wald, Theater oder Flughafen – all das, was so ansteht –, wegen des Personalmangels abgesagt werden musste.

Wie in einem Fachgespräch im WDR gesagt wurde – das fand ich besonders dramatisch –, gibt es zum Beispiel im Moment kein Personal für die Schlafbetreuung der ganz Kleinen gibt. Also fällt der Mittagsschlaf aus. Gerade für Kinder unter drei Jahren ist eine verlässliche Bezugsperson wichtig, was die Bindungsfähigkeit und auch die Freude am Besuch der Kita angeht. Der regelmäßige Mittagsschlaf ist für so kleine Kinder auch sehr wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung, dafür, dass man das, was man erfährt und lernt, auch in irgendeiner Form verarbeiten kann.

Wir haben mit Einführung der KiBiz-Reform sehr häufig über die Personalausstattung der Kitas, die Qualität der frühkindlichen Bildung und darüber, was da verbessert werden müsste, debattiert. Ich kann mich noch sehr gut an meine eigenen Worte erinnern, die da lauteten: Sie können noch so viel Geld ins System pumpen. Am Ende steht und fällt alles mit der Frage, ob ausreichend Personal da ist oder nicht.

Sicher ist die Mahnung – auch vom Verband Bildung und Erziehung usw. – richtig, dass wir die Kita-Kräfte besser bezahlen und mehr Ausbildungsplätze schaffen müssen und dass es bessere Arbeitsbedingungen braucht, für die Leitung etc.

Aber wenn man sich die prognostizierten Bedarfe anguckt, die wir im ganzen Land brauchen, um überhaupt eine qualitativ hochwertige Betreuung leisten zu können – die sind so hoch, dass dies niemals zu schaffen sein wird. Die Prognosen gehen davon aus,

dass bis 2025 in Deutschland 350.000 Erzieherinnen und Erzieher benötigt werden.

Jetzt ist es ja auch so, dass sich nicht jeder für diesen Beruf interessiert. Wer sich überhaupt für einen sozialen Beruf interessiert und überlegt, Erzieherin zu werden, soziale Arbeit und Erziehung oder Sozialpädagogik zu studieren etc. – egal, welchen Beruf Sie in diesem Genre nehmen, alle Berufe sind Mangelberufe. Die sozialen Dienste, die Jugendämter, das Gesundheitswesen, Kitas klagen über mangelndes Personal.

Das Dramatische ist, dass mittlerweile die Qualität der Betreuung so extrem unter dem Personalmangel zu leiden hat, dass Eltern sich doch zu Recht fragen müssen, ob es tatsächlich im Sinne des Kindeswohls ist, ihr Kind acht Stunden in eine Kita zu geben, wo gegebenenfalls alle paar Monate die Bezugsperson wechselt, wo es vielleicht nicht einmal Mittagsschlaf machen kann, wo Bildungsangebote eingespart werden müssen, oder ob es nicht vielleicht doch besser ist, es gegebenenfalls zu Hause zu betreuen.

Ich weiß, dass das ein rotes Tuch für Sie alle ist. Aber ich denke, dass die Zahlen dieser Studie uns alle wachrütteln sollten. Ist es nicht Zeit, Scheuklappen abzusetzen und auch einmal neue Wege zu denken? Neue Wege denken heißt doch auch: Wie können wir Druck aus dem System nehmen?

Ich möchte da das anbringen, was wir immer anbringen an dieser Stelle – ich weiß, Sie können es nicht mehr hören, aber ich würde Sie bitten, dass nicht so ideologisch zu verblendet zu sehen –: Macht es nicht vielleicht auch Sinn, dass Eltern von Kindern unter drei Jahren ihr Kind zu Hause betreuen können – mit einer auskömmlich finanziellen Erstattung? Ich denke, das sind wir den Kindern, aber auch dem Personal und den Familien schuldig.

Wir können diesen Pfad doch nicht immer weitergehen – sehenden Auges, so wie es auch Herr Beckmann sagt – und die Kinder in Gefahr bringen, die Gesundheit der Erzieherinnen und Erzieher gefährden, nur weil wir nicht bereit sind, weil wir Angst haben, es wäre ein Rückfall in tradierte Rollenbilder oder sonst was. Wir sollten gegebenenfalls auch Eltern die Wahlfreiheit ermöglichen, ihre Kleinkinder wieder zu Hause zu betreuen. Ich denke, die Zahlen geben Anlass dazu, darüber noch einmal erneut nachzudenken. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank. – Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Kamieth das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit der Regierungsübernahme arbeiten CDU und FDP, allen voran

unser Familienminister Dr. Joachim Stamp, dafür, das System der Kindertagesbetreuung zukunftsfest aufzustellen.

Mit dem am 29.11.2019 verabschiedeten Kinderbildungsgesetz haben wir dazu einen wichtigen Meilenstein genommen. Ab dem Kita-Jahr 2020/21 investieren wir jährlich und zusätzlich 1,3 Milliarden Euro Bundes-, Landes- und kommunale Mittel in Kitas und in die Kindertagespflege, davon rund eine Milliarde in die weitere Verbesserung der Qualität.

Wenn wir von Qualität in der frühkindlichen Bildung sprechen, dann ist eines ganz klar: Pädagogische Fachkräfte sind der Schlüssel für beste Bildung von Anfang an. Deshalb fördert das Land durch das neue KiBiz im § 46 die Qualifizierung bis zu 8.000 Euro jährlich pro belegtem Praktikumsplatz.

Dennoch gibt es an dieser Stelle nichts zu beschönigen. Denn nicht erst seit Regierungsübernahme, sondern seit fast zehn Jahren wissen wir, dass die strukturelle Unterfinanzierung der Kindertagesbetreuung, die wir jetzt mit dem neuen KiBiz endlich überwunden haben, eine folgenschwere Konsequenz hatte: nämlich den Umstand, dass die Personaldecke in vielen Kitas auf das gesetzlich vorgeschriebene Grundniveau abgeschmolzen wurde. In der Praxis hatte dies zur Folge, dass Urlaube, Krankheiten, Fortbildungen vielerorts zur Belastungs- und Bewährungsprobe für den täglichen Betrieb geworden sind.

Es ist vor allem dem herausragenden Einsatz der pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kitas zu verdanken, dass sie die frühkindliche Bildung dabei auf einem guten Niveau gehalten haben. Deshalb will ich auch heute noch einmal die Gelegenheit nutzen, allen, die in diesen herausfordernden Zeiten so Großes für die Kleinsten geleistet haben und auch weiterhin leisten, sehr herzlich zu danken.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Gerne will ich ihnen – ich denke, im Namen von uns allen – unsere größte Anerkennung und Wertschätzung aussprechen.

Meine Damen und Herren, wie der Überschrift des Antrages zu entnehmen ist, bedurfte es für die AfD erst einer Studie, um die von mir beschriebene Problemlage zu erkennen. Die NRW-Koalition arbeitet aber bereits intensiv an geeigneten Maßnahmen, um den Personalmangel in unseren Kitas perspektivisch zu beheben.

Am 29.11.2019 haben CDU und FDP in diesem Hohen Hause das KiBiz verabschiedet. Schon am 17. Dezember 2019 hat ein erstes gemeinsames Spitzentreffen mit allen relevanten Akteuren zur Verabredung eines umfangreichen Arbeitsprogrammes zur Personalgewinnung für Kitas stattgefunden. Den Bericht dazu hat Herr Minister Dr. Joachim Stamp in der Sitzung des Familienausschusses vom 16. Ja

nuar 2020 vorgestellt. Dieser Bericht ist übrigens auf der Internetseite des Landtags abrufbar.

(Michael Hübner [SPD]: Oh, wow!)

Nun wissen wir, dass seriöse Ausschussarbeit keine Domäne der AfD-Fraktion ist.

(Lachen von Christian Loose [AfD])

Mit dem Internet kennen Sie sich nach meiner Wahrnehmung aber eigentlich ganz gut aus. Wagen Sie sich doch einmal aus Ihren eigenen Facebook- und Instagram-Echokammern heraus, dann finden Sie auch die Informationen, derer es bedarf, um hier eine sachlichere Debatte zum Beispiel im Rahmen dieser Aktuellen Stunde zu führen.

(Beifall von der CDU – Zuruf von Christian Loose [AfD])

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das erwähnte Arbeitsprogramm zur Personalgewinnung für Kindertageseinrichtungen ist ein Maßnahmenbündel, um Fachkräfte auszubilden, zu binden und zurückzugewinnen. Gerne möchte ich zwei Punkte, die mir besonders am Herzen liegen und die ich immer wieder in Gesprächen genannt habe, näher erläutern.

Der erste Aspekt ist die Erhöhung der Attraktivität des Berufsfeldes. Es gibt immer noch Menschen, die die Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher mit den Worten „basteln, malen und betreuen“ umschreiben.

(Dr. Dennis Maelzer [SPD]: Oder Äpfel schä- len!)

Wir wollen deutlich machen, über welch hohe pädagogische Kompetenz Erzieherinnen und Erzieher verfügen. Hinzu kommt, dass wir die sehr kurze Karriereleiter ausbauen und Qualifizierungsmöglichkeiten verbessern wollen. Die Erzieherinnen und Erzieher brauchen die Anerkennung in der Gesellschaft, die ihnen zusteht.

Ich will noch einen weiteren Punkt nennen, ohne unserem Minister Dr. Stamp bzw. Ministerin Scharrenbach, die gleich in Vertretung spricht, vorgreifen zu wollen. Es geht um die Verbesserung der Zugänge für ausländische Fachkräfte mit einschlägiger beruflicher Qualifikation.

Es gibt Erzieherinnen und Erzieher aus den Niederlanden, aus Italien und aus Osteuropa, denen es verwehrt wird, bei uns als Erzieherinnen und Erzieher zu arbeiten. Hier darf es kein „Nein“ zur Anerkennung des Berufsabschlusses geben, sondern nur ein „Ja, aber“. Fehlende Sprachqualifikation etwa muss dann in einem festgelegten Zeitraum nachgeholt werden können. Wir können es uns einfach nicht erlauben, dieses Potenzial brach liegen zu lassen.

Meine Damen und Herren, vielleicht wird Frau Ministerin Scharrenbach auf die zwischenzeitlich erfolgten Schritte des Hauses noch vertiefend eingehen.

Festzuhalten bleibt: Wir gehen systematisch und strukturiert die Herausforderungen in der Kindertagesbetreuung im Sinne bester frühkindlicher Bildung an. Ich danke nochmals allen, die mit Herzblut auf diesem Weg dabei sind, und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.