Protocol of the Session on February 12, 2020

Angesichts der Zahl von ca. 2,5 Millionen nuklearmedizinischen Untersuchungen pro Jahr in der Republik wird einem erst die schiere Größenordnung dieses

Gebietes deutlich, ganz zu schweigen von den vielen Einzelschicksalen, bei denen Menschen durch die erfolgreichen Methoden beispielsweise ihr Schilddrüsenkarzinom besiegen konnten.

Die große Frage, die sich allerdings nun seit Längerem stellt, ist: Wo die Radioisotope hernehmen, die man für die lebenswichtige Sparte der Medizin braucht, wenn nun nach und nach alle Kernreaktoren abgeschaltet oder der Neubau von Forschungsreaktoren verzögert oder verhindert wird? Nicht erst seit gestern diskutiert die Fachwelt daher über mögliche Engpässe und deren Folgen, wenn die beiden größeren, über 40 Jahre alten Reaktoren in den Niederlanden und Belgien ganz vom Netz genommen werden.

Bei einer Halbwertszeit, also der Zeit, in dem die Hälfte des nötigen Stoffs sich aufgelöst hat, von 6, respektive 66 Stunden ist eine Produktion in weiter Ferne weder nachhaltig noch effizient noch sinnvoll. Alternativen werden seit geraumer Zeit erforscht, sind aber in ihrem Einsatzgebiet extrem begrenzt. Im Falle der Gewinnung durch Teilchenbeschleuniger sind sie auch noch extrem energieaufwendig, anstatt energieerzeugend zu sein, wie es bei den Kernkraftwerken der Fall ist, bei denen die Radiopharmaka sozusagen als Nebenprojekt, als Abfallprodukt der Energiegewinnung entstehen.

Was also tun? Um die Versorgungssicherheit langfristig sicherzustellen, kommt Deutschland wohl nicht umhin, selbst einen Forschungsreaktor von akzeptabler Größe zu betreiben. Denken Sie bei allem Verständnis für die Sorgen, die bei der zivilen Nutzung von Kernenergie aufkommen, und bei aller Zerstörungskraft der Kernteilung bitte auch immer daran, dass dabei auch Möglichkeiten für Medizin und Gesellschaft entstehen.

Ich möchte nicht wieder in Zeiten zurückfallen, in denen verschiedene Krebserkrankungen ein sicheres Todesurteil für die Bevölkerung dargestellt haben. – Vielen Dank.

(Beifall von der AfD)

Vielen Dank, Herr Dr. Vincentz. – Für die CDU-Fraktion spricht Herr Kollege Klenner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 71 Sitzungen hat der Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales in dieser Wahlperiode seit Sommer 2017 bereits abgehalten, und immer wieder haben wir im Ausschuss natürlich auch über die Versorgung mit Medikamenten gesprochen. Es gibt dazu Presseberichte, die in Anfragen aufgegriffen worden sind, und es gab darauf die entsprechenden Antworten bzw.

Berichte. Wir können ganz klar feststellen: Die medizinische Versorgung in Deutschland und in Nordrhein-Westfalen ist sehr gut, und das lassen wir uns auch nicht kaputtreden.

(Beifall von Peter Preuß [CDU] und Susanne Schneider [FDP])

Ungewöhnlich ist es aus meiner Sicht, dass wir heute in einer Block-II- Debatte im Plenum einen einzelnen Baustein der medizinischen Versorgung derart herausgreifen. Ihr Vortrag war ganz interessant zu hören. Aber ich denke, für Mediziner ist völlig klar, was Sie hier dargestellt haben.

Das Thema soll in den Fachausschuss überwiesen werden, und dorthin gehört es auch. Man könnte jetzt Vermutungen anstellen, warum man dieses Thema hier auf die Tagesordnung setzt, aber ich habe mich dazu entschlossen, die Zeit zu sparen und dem Antragsteller nicht den Gefallen zu tun, irgendwelche Vermutungen anzustellen.

(Christian Loose [AfD]: Das ist schließlich ein demokratisches Verfahren!)

Diskutieren wir das Ganze im Fachausschuss. Dort kann die Landesregierung ihre Einschätzung der Lage geben. Da gehört es hin. –Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Klenner. – Für die SPD-Fraktion spricht Herr Kollege Yüksel.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin immer für eine Diskussion, wenn es uns in der Sache weiterbringt und dabei hilft, Probleme zu erkennen und rechtzeitig zu reagieren. Gerade als größte Oppositionspartei ist es für uns ein wichtiges Anliegen, auf Missstände und Herausforderungen hinzuweisen und das Beste für die Bürgerinnen und Bürger in Nordrhein-Westfalen zu ermöglichen.

(Matthias Kerkhoff [CDU]: Hört, hört!)

Ich bin aber – mein Vorredner hat es gerade gesagt – gegen Alarmismus und Panikmache. Und leider, Herr Dr. Vincentz, erscheint mir Ihr Antrag aber genau unter diesem Vorzeichen formuliert worden zu sein. Ich möchte mir trotzdem die Mühe machen, mithilfe einer konkreten Auseinandersetzung mit Ihrem Antrag zu zeigen, warum Sie dem Alarmismus verfallen sind.

Wie Sie zunächst richtig darstellen, werden die Reaktoren in Belgien und in den Niederlanden zur Produktion der benötigten radioaktiven Isotope 2024 und

2026 abgeschaltet. 2023 soll der französische Reaktor JHR in Betrieb genommen werden. Zusammen mit dem Forschungsreaktor in München soll die Stilllegung der Reaktoren aus Belgien und den Niederlanden damit kompensiert werden.

Die AfD kritisiert, dass die geplanten Produktionskapazitäten der beiden neuen Reaktoren nicht ausreichen könnten – das haben Sie gerade ausgeführt –, um die Versorgung mit Radiopharmaka in NordrheinWestfalen sicherzustellen. Hier verweisen Sie auf einen OECD-Fachbericht.

Ich habe mir den Bericht einmal genauer angeschaut. Dort werden drei unterschiedliche Szenarien durchgerechnet und im Hinblick auf die Versorgungssicherheit diskutiert. Aus keinem der drei Szenarien ergibt sich nach derzeitigem Stand ein Zusammenbruch der Versorgung mit medizinisch verwertbaren Radioisotopen.

Es ist zwar richtig, dass der Bericht zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Lage genau beobachtet und weiter evaluiert werden muss, denn durch den Abbau der Reaktoren in Belgien und den Niederlanden nimmt auch die Flexibilität ab, auf kurzfristige und unvorhersehbare Probleme reagieren zu können.

Ich kann jedoch nicht erkennen, dass der Bericht – wie in Ihrem Antrag und Ihrer Rede dargelegt – die Versorgungssicherheit als stark gefährdet einschätzen würde. Wenn man sich die Konklusion in Kapitel 8 des Berichts genau anschaut, gelangt man sogar zu dem gegenteiligen Schluss, dass die Versorgungssicherheit grundsätzlich gewährleistet bleiben wird.

Unabhängig vom OECD-Bericht verweist der AfDAntrag am Ende des Punkts „Ausgangslage“ auf eine Einschätzung bzw. ein Positionspapier der europäischen Beobachtungsstelle. Folgt man jedoch dem angegebenen Link, führt dieser nicht zu diesem Positionspapier; ferner passt der Inhalt der Quelle auch nicht zu dem, was im Antrag indirekt zitiert wird.

Die AfD, Herr Dr. Vincentz, bleibt bei der Antragsqualität ihrer Linie treu. Der Antrag weist handwerkliche Mängel auf, und die konkreten Fakten werden nicht wiedergegeben.

Um mich bei dem Thema zu vergewissern, habe ich sowohl mit medizinischen als auch physikalischen Experten aus dem Bereich der Radiopharmazie gesprochen. Durch die Bank wird mir die Einschätzung mitgeteilt, dass ein Versorgungsengpass unter rational vorstellbaren Umständen nicht zu befürchten ist. Die neuen Reaktoren in Frankreich und Deutschland werden die Nachfrage nach den benötigten radioaktiven Isotopen stemmen. Das ist auch die Einschätzung des OECD-Berichts.

Um Alarmismus zu vertreten – wie mit Ihrem Antrag geschehen –, reicht ein falsch dargestellter OECDBericht nicht aus.

(Beifall von der SPD und Mehrdad Mostofiza- deh [GRÜNE])

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Antrag unternimmt die AfD-Fraktion mal wieder den untauglichen Versuch, den breiten gesellschaftlichen Konsens, wonach ein Ausstieg aus der Kernenergie erfolgen muss, infrage zu stellen. Das ist Ihre eigentliche Intention. Sie versuchen hier, der Kernenergie neue Legitimität zu verschaffen, obwohl die medizinische Verwendung völlig unumstritten ist.

Die AfD fordert im Antrag die Feststellung des Landtags, dass der Verzicht auf Kerntechnologie einen gesellschaftlichen Rückschritt darstelle. – Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist absurd, denn mit dem Verzicht auf die Energiegewinnung durch die Kernspaltung wurde kein Rückzug aus der Kerntechnologie in der Nuklearmedizin beschlossen. Sie schüren Ängste und verbreiten Panik, ohne dass es hierfür eine faktische Grundlage geben würde.

Ich komme zu meinem Ausgangspunkt zurück. In einer sachlichen Diskussion können wir uns gerne auseinandersetzen. Ich habe auch nichts gegen eine genaue Prüfung des Themas und eine Erörterung des Sachverhalts. Auch eine Beobachtung der Entwicklung bezüglich der Reaktoren, wie es im OECDBericht auch geraten wird, halte ich durchaus für sinnvoll. Vor diesem Hintergrund stimmen wir der Überweisung in den Ausschuss natürlich zu. Dann können wir das Ganze auch noch mal fachlich bewerten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall von der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege Yüksel. – Für die FDP-Fraktion spricht Frau Kollegin Schneider.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist doch klar, was die antragstellende Fraktion hier bezwecken möchte. Sie lehnt den Atomausstieg ab und schiebt nun das Argument der medizinischen Versorgung vor. Auf solche Spielchen werde ich mich aber nicht einlassen, sondern ich werde mich kurz und sachlich mit der Versorgung mit medizinischen Radioisotopen auseinandersetzen.

Der Gebrauch von Radioisotopen in Diagnostik und Therapie ist ein wichtiger Bestandteil der modernen Medizin. In Deutschland werden rund zweieinhalb Millionen nuklearmedizinische Untersuchungen pro Jahr durchgeführt. Viele Patientinnen und Patienten profitieren von diesem Einsatz von Radioisotopen.

Allerdings können aufgrund der geringen Halbwertszeiten von Molybdän-99 und Technetium-99m Versorgungsengpässe direkte Auswirkungen auf die Anwendungsmöglichkeiten haben. Deshalb wurde 2009 die sogenannte High-Level Group on the Security of Supply of Medical Radioisotopes – kurz: HLG-MR – gegründet. Die HLG-MR koordiniert die Produktion und sieht eine Reservekapazität von 35 % vor.

Engpässe durch unvorhergesehene Reparaturen von Reaktoren in den Jahren 2008 bis 2010 konnten in den Folgejahren durch die Arbeit der HLG-MR vermieden werden. Seitdem hat es nur eine begrenzte Zahl kleinerer Ausfälle bei der Herstellung von Radioisotopen gegeben.

Wenn bestehende Anlagen gut gewartet und ungeplante Ausfälle vermieden werden, sollten also auch keine Versorgungsengpässe auftreten.

Allerdings müssen Reaktoren, deren Abschaltung in den kommenden Jahren ansteht, natürlich rechtzeitig ersetzt werden. Zumindest zwei der vier Reaktoren in Europa werden altersbedingt bis 2028 außer Betrieb gehen. Deshalb wird die Bestrahlungsanlage für Molybdän-99 am Forschungsreaktor FRM II in Garching gebaut. Das soll künftig die Hälfte des europäischen Bedarfs an Radioisotopen decken. Die Fertigstellung und Inbetriebnahme der Anlage ist für die nächsten Jahre geplant.

Selbst bei einer möglichen Verzögerung um zwei Jahre bis 2024 besteht noch keine Gefahr, dass die Versorgung, einschließlich der 35 % Reservekapazität, nicht erreicht werden kann. Zudem werden inzwischen auch alternative Herstellungsmethoden entwickelt.

Sie versuchen hier also mal wieder, ein Problem zu beschwören, dass in Wirklichkeit gar nicht besteht, und bei den Menschen und Patienten Ängste zu schüren.

Wir können im Ausschuss gerne weiter diskutieren. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall von der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schneider. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht Herr Kollege Mostofizadeh.

Frau Präsidentin! Wehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich sachlich mit dem Thema auseinandersetzt, kann man gar nicht zu einem anderen Schluss kommen als die Kolleginnen und Kollegen, die vor mir geredet haben, abgesehen vom Abgeordneten der AfD.

Der Antrag strotzt nur so von Falschdarstellungen. Das hat der Kollege Yüksel sehr klar auseinandergenommen. Frau Kollegin Schneider hat sehr klar die Sachlage bezüglich der momentanen Produktionsweisen dargestellt. Da der Antrag auch eine Falschdarstellung enthält, was die Grünen anbetrifft, will ich Ihnen ganz kurz unsere vier Punkte aufzeigen, warum wir meinen, dass der Antrag in die falsche Richtung geht.

Zunächst vorweg: Eigentlich geht es Ihnen ja um etwas anderes, nämlich um die Förderung der Kerntechnik als Energie und auch möglicherweise – da bin ich nicht ganz sicher – als Instrument, um waffenfähiges Uran herstellen zu können. Denn das ist nämlich das Problem, das in Bayern bestanden hat. In Bayern haben die Grünen deswegen ein Gutachten in Auftrag gegeben, weil nicht nur leicht angereichertes, sondern hochangereichertes Uran produziert werden sollte, das eben auch geeignet ist, waffenfähig zu werden. Das ist Punkt 1.

Punkt 2: Da kann ich mich ausdrücklich dem anschließen, was Herr Yüksel und Frau Schneider gesagt haben. Es werden ausreichend Radionuklide hergestellt. Wir haben Molybdän-99, das in Garching hergestellt wird. Und wir haben Verfahren – das ist eben von Ihnen aus Kostengründen abgelehnt worden; ich will Ihnen jetzt nicht vorrechnen, warum auch das Quatsch ist –, dass das mit Teilchenbeschleunigung hergestellt werden kann, ganz ohne Kernspaltung. Kanada und die USA stellen das alles her.